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Einleitung

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Nina-Cathrin Strauss, Niels Anderegg

Für eine gute Schule spielt die Führung eine wesentliche Rolle. Oder anders herum gesagt: Schulische Führungspersonen haben einen entscheidenden Anteil daran, wie pädagogische Fachkräfte ihre Aufgaben umsetzen können und wie alle Schülerinnen und Schüler erfolgreich lernen und sich als Teil einer Schulgemeinschaft wohlfühlen.

Doch wer ist eigentlich angesprochen, wenn über Schulführung gesprochen und nachgedacht wird? Häufig werden schnell Schulleitungen oder Schulbehörden adressiert, die traditionell und klar erkennbar Schulen leiten und führen. Neuere Führungskonzepte verstehen Schulführung jedoch breiter und gehen davon aus, dass nicht allein die Schulleitung (bzw. Schulbehörde) an Führung beteiligt ist. Es müssen weitere Personen in den Blick genommen werden, um Schulführung in seiner Gesamtheit zu verstehen und dementsprechend zu gestalten. Dabei steht die Schulführung immer im Dienste der «guten Schule».

Moderne Vorstellungen von Führung in der Schule und anderen Organisationen sprechen von Führung als verteilt, geteilt, kollektiv, partizipativ oder demokratisch. Forderungen nach agilen Organisationsformen und Methoden halten Einzug ins Schulfeld.

Gleichzeitig wird der weltweite Führungsdiskurs – schulisch und nichtschulisch – insbesondere geprägt durch Beiträge aus dem nordamerikanischen und britischen Raum. In der englischsprachigen Schulführungsforschung stehen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten Konzepte wie Distributed Leadership, Shared Leadership und Teacher Leadership im Mittelpunkt und werden intensiv beforscht und diskutiert. Der Diskurs ist kaum noch zu überblicken (Lumby 2016; Bush 2018). Während sich auf der internationalen Bühne zu Schulführung vieles um die Verteilung von Führung dreht und verschiedene Reviews den Stand der Diskussion zusammengefasst haben (Tian, Risku u. Collin 2016; Wenner u. Campbell 2017; Nguyen, Harris u. Ng 2019), wächst auch im deutschsprachigen Raum das Interesse an der Thematik.

Der internationale Forschungsstand zur Verteilung von Führung zeichnet sich durch begriffliche Vielfalt, konzeptionelle Überschneidungen und oft fehlende Abgrenzungen zwischen den einzelnen Modellen aus (Woods et al. 2004; Harris 2007). Einigkeit besteht darin, dass Führung in Schulen nicht dem «model of the single leader» (Harris 2007, 321) entspricht und die «Superman and Wonderwoman view of school leadership» (Spillane 2006, 3) nicht genügt, um Führung zu verstehen und Entwicklungsprozesse zu gestalten.

Nachdem der Fokus in der Führungsdiskussion längere Zeit auf die Führungsperson und ihr Handeln gerichtet war, geht es im Sinne einer postheroischen Kehrtwende nun also darum, Führung in Schulen, ausgehend von einer «distributed perspective», zu untersuchen und zu diskutieren. Neben diesem analytischen Fokus, der insbesondere durch die Beiträge von Peter Gronn (2002) und James P. Spillane (2006) angestoßen wurde, ist eine ganze Reihe an programmatischen Beiträgen und Sichtweisen hinzugekommen, die Distributed Leadership als das neue Führungsmodell propagieren, um Schulen effektiver oder demokratischer zu gestalten (DeWitt 2017; Eckert 2018; Harris 2008). Diese Entwicklung wird teilweise auch kritisch beurteilt (siehe Lumby in diesem Band).

Blickt man in den deutschsprachigen Raum und Schulführungsdiskurs, finden sich zunächst programmatische Beiträge zu Führungsverteilung. Unter Bezeichnungen wie «verteilte Führung» oder «konfluente Leitung» (Rolff 2007), «Distributed Leadership» als «kooperatives Organisations- und Führungssystem mit verteilten Leitungsfunktionen» (Dubs 2014) oder «verteilte Führung und konzertierte Einflussnahme» (Bonsen 2010) beschreiben die Beiträge Formen aus der deutschen Schulpraxis wie Steuergruppen oder professionelle Lerngemeinschaften und argumentieren – oft aufgrund der wachsenden Aufgaben von Schulleitungen – für die Verteilung von Führung.

Es gibt auch erste Studien, die sich mit Distributed Leadership und Schulentwicklung (Zala-Mezö et al. 2019) oder Formen wie Steuergruppen und Schulentwicklung (Feldhoff 2011) oder Co-Schulleitungen (Fuchs u. Wyss 2016; Kohlstock u. Bieri 2018) befassen. Klein, Bronnert-Härle und Schwanenberg (2019) weisen für den Stand der Forschung auf ihre Studien hin, die zeigen, dass sich Führung bereits über formalisierte Strukturen wie Steuergruppen oder erweiterte Schulleitungen verteilt. Zudem deuten Befragungen von Lehrpersonen zu ihren Netzwerken in der Schule darauf hin, dass sich Führungseinfluss breiter verteilt und auch Personen Einfluss auf die Unterrichtsentwicklung nehmen, die in formalisierten Führungspositionen nicht erscheinen. Ähnliches lässt sich in österreichischen und Schweizer Schulen beobachten. Hier existieren deutlich sichtbar formalisierte Führungsstrukturen wie Jahrgangsleitungen oder themenbezogene Kontaktpersonen. Doch es gibt noch wenig systematisches Wissen darüber, wie sich Führung darüber hinaus in Schulen verteilt.

Insgesamt wissen wir aus der Sicht der deutschsprachigen Forschung noch wenig über das Wie der Führungsverteilung in Schulen und haben kaum Erkenntnisse, was Führungsverteilung für Teacher Leaders bedeutet, also für die pädagogischen Fachpersonen in Schulen, die sich aus ihrem Arbeitsbereich heraus an Führungsaufgaben für die ganze Schule beteiligen (Strauss 2020).

Teacher Leadership ist ein Konzept, das in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten im internationalen Führungsdiskurs an Bedeutung gewonnen hat (Wenner u. Campbell 2017). Es widmet sich der Frage, wie Lehrpersonen und andere Mitarbeitende sich an Führung beteiligen können, um so aufgrund ihrer spezifischen Expertise Einfluss auf Kolleginnen und Kollegen, Schulleitungen oder auch Schulbehördenmitglieder zu nehmen. Während in England, den USA und in vielen anderen Ländern Teacher Leadership als Normalität an Schulen gilt (siehe Frost in diesem Band), ist das Konzept in den deutschsprachigen Ländern noch wenig bekannt. Im Rahmen der Einführung der Neuen Mittelschulen (Gesamtschule Sekundarstufe I) wurde Teacher Leadership in Österreich verankert. Lerndesignerinnen und Lerndesigner wirken als Teacher Leaders bei der Implementierung und Weiterentwicklung dieser neuen Schulform mit und nehmen Führungsaufgaben wahr (siehe Schubert und Hofbauer in diesem Band). Doch auch im weiteren deutschsprachigen Raum finden sich Beispiele in der schulischen Praxis für Teacher Leadership, auch wenn zuweilen unter anderer Bezeichnung (siehe Strauss in diesem Band).

Um zu verstehen, wie Führung in und von Bildungsorganisationen einen Beitrag zur Entwicklung einer «guten Schule» und zur Professionalisierung pädagogischer Praxis leisten kann, ist es notwendig, sich der Thematik eigenständig und mit einem Verständnis für die systembedingten Besonderheiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu nähern. Zugleich sollen die international erarbeiteten Erkenntnisse und offenen Fragen Teil dieser Auseinandersetzung sein. Das ist das Anliegen dieses Buches.

In der Auseinandersetzung mit internationalen Führungskonzepten zeigt sich die Schwierigkeit einer Übersetzung gleich zweifach: Es braucht eine kulturelle Übersetzung der Konzepte auf die lokalen, regionalen und teilweise nationalen Besonderheiten und Traditionen und deren Führungsvorstellungen, es braucht aber auch eine sinnvolle sprachliche Übersetzung von Begriffen und Erklärungen. Bei der Übersetzung von Begriffen wie beispielsweise Teacher Leadership zeigt sich das Problem, dass einerseits häufig passgenaue Begriffe im Deutschen fehlen und sich die Übersetzung mit Umschreibungen behelfen muss und dass andererseits die Konzepte dahinter sich mit deutschen Begriffen oft noch komplexer darstellen – zumal wir auch im deutschsprachigen Raum teilweise unterschiedliche Begriffe verwenden: Schulleitung, Direktion bzw. Direktorin oder Direktor. Die Herausgeberin und der Herausgeber haben sich aus diesem Grund für den vorliegenden Band entschieden, immer dann, wenn es eine passende Übersetzung des Begriffes im Deutschen gibt, konsequent diesen zu verwenden. Ansonsten halten wir uns an die englischen Begriffe, auch wenn wir damit weitere Anglizismen in den deutschsprachigen Diskurs einführen.

Dieser erste Band der neuen Buchreihe «Führung von und in Bildungsorganisationen» ist der Frage gewidmet, wie Führung sich in Schulen gemeinschaftlich gestalten lässt und Mitarbeitende aus ihrer spezifischen Funktion heraus Führung für die Schule übernehmen können. Ziel ist es, nicht nur für den wissenschaftlichen Diskurs, sondern insbesondere auch für die Praxis im deutschsprachigen Schulfeld, für Fachpersonen aus den Aus- und Weiterbildungsinstitutionen und nicht zuletzt für die bildungspolitische Entscheidungsebene einen Querschnitt der Thematik «Teacher Leadership: Schule gemeinschaftlich führen» aufzubereiten.

Wichtig war uns dabei, sowohl grundlegende Perspektiven aus dem internationalen Diskurs von Führungsverteilung und Teacher Leadership als auch Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufzunehmen. Der Sammelband soll einen länderübergreifenden Diskurs über Teacher Leadership und gemeinschaftliche Führung ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass dieser länderübergreifende Diskurs gerade für das Thema Schulführung wesentlich ist und wir von internationalen Studien und Perspektiven, aber auch von den Erfahrungen in den je anderen deutschsprachigen Ländern lernen können. Nicht zuletzt sind wir überzeugt davon, dass Forschung, Praxis, Politik und Verwaltung voneinander lernen, weshalb wir das Thema aus allen Perspektiven beleuchten.

So gliedert sich der Sammelband in drei Teile: Beiträge mit theoretisch-konzeptioneller Perspektive aus dem internationalen und deutschsprachigen Diskurs, forschungsbasierte Beiträge zu Distributed Leadership bzw. Teacher Leadership im deutschsprachigen Raum und schließlich Praxisfenster aus allen drei Ländern mit Beispielen für gelebte gemeinschaftliche Führung und Teacher Leadership.

Teacher Leadership - Schule gemeinschaftlich führen (E-Book)

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