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AM ANFANG WAR DAS VORWORT …
… UND DIE FRAU OHNE WURZELN

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Stichtag 30. September 2011. Ich bin 45 Jahre, sieben Monate und elf Tage alt – und habe es geschafft – endlich!

Mein persönliches Ziel ist erreicht, das ich mir erst vor fünf Jahren in den Kopf gesetzt habe: alle 193 anerkannten Staaten der Vereinten Nationen zu bereisen.

Ich zweifle nicht an mir und habe eine enorme Willenskraft, wenn es darauf ankommt, aber ich befürchtete, an den komplizierten Einreisebestimmungen mancher Länder zu scheitern.

Jetzt komme ich aus Turkmenistan zurück, dem letzten Land auf meiner langen Liste.

Kurz vor sechs Uhr früh landet der Airbus der Lufthansa aus Aschgabad via Baku pünktlich auf dem Frankfurter Flughafen. Wenige Minuten später betrete ich müde, aber glücklich, heimischen Boden. Obwohl es ein einzigartiger Anlass ist, küsse ich den blitzsauberen Boden zur Begrüßung nicht und lege auch keinen Kniefall hin. Ich würde beim Aufstehen umkippen. Mir ist so schwindelig nach einer schlaflosen Nacht im Flugzeug. Soll ich voller Euphorie einen Baum umarmen oder gar einen wildfremden Mann? Als Antwort gähne ich so laut, dass mir die Tränen übers Gesicht laufen. Ich bin viel zu erschöpft und denke nur an das eine: Ich will heim in mein kuscheliges Bett. Gleich kann ich mich ausstrecken und mich meinen kühnsten Träumen hingeben.

Ich gehe direkt hinunter zur S-Bahn und habe es nicht weit zur Wohnung im Mittelweg – seit rund 23 Jahren mein Zuhause, in das ich nach jeder ausgiebigen Entdeckungsreise zurückfinde.

Auf dem Heimweg lasse ich meine Gedanken schweifen.Das »Reise-Gen« habe ich von meiner Mutter geerbt. Ich bin gut behütet bei ihr und meiner Oma aufgewachsen – ohne den Vater. Die wenigen Verwandten sind weit weg – eine Großtante lebt in München und eine Großcousine mit ihrer Familie in Oklahoma, USA. Ich kenne das Gefühl nicht, zu einer großen Familie zu gehören, daher fühle ich mich wie eine Frau ohne Wurzeln.

Ich möchte reisen, die Welt entdecken, alles selbst erleben und selbst erfahren, riechen, schmecken und hören, meinen Horizont erweitern, in fremde Kulturen eintauchen und versuchen, die Menschen besser zu verstehen.

Wenn ich unterwegs bin, kenne ich keine Einsamkeit. Auch Heimweh ist mir fremd. Nur zu Hause, in den eigenen vier Wänden, fällt mir manchmal die Decke auf den Kopf und dann packt mich das unendliche Fernweh.

Was löst in mir den Wunsch aus, alle Staaten der Vereinten Nationen unseres blauen Planeten zu bereisen? Warum genügt es mir nicht, Reiseberichte zu lesen und mir im Fernsehen Reportagen aus den unbekannten Winkeln unserer Welt anzuschauen? Die dreißig Urlaubstage einer Büroangestellten sind mir nie genug, auch wenn ich sie auf rund achtzig Reisetage im Jahr strecken kann und ihnen viel Inhalt gebe.

Es gibt andere Gründe, mir die Freiheit zu nehmen und sozusagen die Kugel zu geben, die Weltkugel …

Zum Beispiel kann man mich nicht auf den Mond schießen. Vor allem aber erfüllt sich mein Lebensplan A nicht – eine eigene Familie zu gründen. Um meinem Leben dennoch einen Sinn zu geben, habe ich einen Weg für mich gesucht und einen Plan B gefunden, mit dem ich mir gleichzeitig einen Traum erfülle.

Meine Reisefreude löst die unterschiedlichsten Reaktionen aus. In meinem Bekanntenkreis gibt es sogar Stimmen, die behaupten, dass ich auf der Flucht sei – vor mir selbst und meinen Problemen. Natürlich laufe ich nicht vor mir davon. Ich wäre nie schnell genug! Ich haue lieber vor den Menschen ab, die meine Reiseleidenschaft nicht verstehen wollen, die mich als rastlos bezeichnen und einen Fehler darin sehen, dass ich mit 36 Jahren meinen Job an den Nagel gehängt habe.

Dabei habe ich mir immer konkrete Ziele gesetzt – in der Welt und im Leben.

Ich lerne, dass jedes Land anders ist, so wie jeder Mensch anders ist. Es ist mir wichtig, mit Menschen unterschiedlicher Kulturkreise und Bildung auf der ganzen Welt zu sprechen, zu lachen und ihnen zuzuhören, aber ich brauche auch die Freunde in der Heimat, die mir meinen Lebensstil gönnen, denn von meiner winzigen Familie lebt jetzt nur noch meine Mutter.

Viele Grenzen habe ich bis heute überschritten – nicht nur Ländergrenzen. Ich gehe auch physisch und emotional an meine Grenzen, aber gerade solche Erfahrungen sind es, die mein Leben bereichern.

Reisen ist auch mein »Elixier« in traurigen Lebensphasen. Unterwegs in der weiten Welt spüre ich mit jeder Faser, dass ich lebe und nicht nur »existiere«. Ich muss das Beste aus verzwickten Situationen machen, mich landestypischen Gepflogenheiten anpassen, in fremden Sprachen auf unbekannte Menschen zugehen, sie um Hilfe bitten, ihnen, wie auch mir selbst, vertrauen und vor allem die Dinge mit einer großen Portion Humor nehmen.

Eine Reise in die weite Welt ist immer eine Reise in das eigene Ich …

Die Ländersammlerin

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