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Ich wache auf und fühle mich wie zerschlagen. Trotzdem bin ich für einen Moment froh, es jetzt hinter mir zu haben. Aber als ich in das kreidebleiche Gesicht meiner Mutter blicke, wird mir sofort wieder klar, dass das nicht das Ende der Geschichte ist. Ich kenne sie zu gut, um nicht automatisch hinter die Fassade von Festigkeit zu blicken, die sie errichtet hat, um mich nicht zu beunruhigen.

Als der Professor mein Zimmer betritt, wird die Stimmung nicht gerade ausgelassener. Es ist beinahe, als wäre ich bereits tot, so bleiern lastet jeder stille Moment auf allen Dingen im Raum. An der Art, wie der Arzt und meine Mutter einander zunicken, erkenne ich, dass sie bereits miteinander gesprochen haben, bevor ich wach geworden bin. Vermutlich haben sie sich darauf verständigt, mir nicht alles, was die Operation zutage befördert hat, ungeschminkt mitzuteilen. Das kann nicht gut sein, denke ich. Andererseits will ich eigentlich auch gar nichts darüber wissen, über den »Verlauf des Eingriffs«, meinen »Zustand«, meine »Prognose«, und wie all die anderen widerwärtigen medizinischen Ausdrücke heißen, die für mich zu alten, sterbenden Omas passen, aber sicher nicht zu mir.

Allerdings fühle ich mich schwach und ausgeliefert. Am liebsten würde ich den Arzt und meine Mutter anschreien, aufspringen und diesen widerlichen Ort verlassen. Aber ich bin körperlich nicht in der Lage dazu. Deshalb beschließe ich, mich auf passiven Widerstand zurückzuziehen. Ich wende mich ab, lasse die Müdigkeit, die ich in mir spüre, die Oberhand über meinen Zorn gewinnen, und drifte in einen Dämmerschlaf ab.

Im Einschlafen überlege ich noch, wann ich wohl wieder zum Training zurückkehren kann. Ich grüble, was ich tun könnte, damit meine Mutter und die Ärzte es mir erlauben. Auch wenn ich innerlich weiß, dass sie es gut mir meinen, sind sie zu meinen Gegnern geworden, die ich überwinden muss, um wieder das Leben führen zu können, das ich will. Ich blinzle noch einmal und präge mir das mich abstoßende Interieur des Krankenhauses, seinen Geruch und seine widerwärtig milden, beruhigenden Farben ein. Wenn ich keine Spieler auf dem Platz bekämpfen kann, dann werde ich eben das hier bekämpfen, denke ich trotzig. Dann ist eben das Krankenhaus mein Gegner.

Als ich nach dem kurzen Erholungsschlaf erwache, ist es Abend. Meine Mutter hat bereits unsere Sachen gepackt. Da es nur ein geringfügiger Eingriff war, darf ich das Krankenhaus noch an diesem Tag wieder verlassen. Das scheint mir ein gutes Zeichen zu sein. Meine Stimmung hellt sich ein wenig auf, während ich das Spitalshemd gegen Jeans und Pullover tausche.

Auf der Heimfahrt kauft meine Mutter an einer Tankstelle ein Feuerzeug und eine Packung Zigaretten. Sie öffnet die Packung mit fahrigen Bewegungen. Die Zigaretten rutschen heraus, fallen zu Boden. Meine Mutter greift nach einer, steckt sie in den Mund und zündet sie an, als wäre sie ein lebensnotwendiges Medikament. Sie hat das Rauchen vor eineinhalb Jahren aufgegeben, wie ich mich sehr genau erinnere. Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Mutter krank und gealtert aussieht. Die feinen Fältchen und Linien scheinen sich mit einem Mal tief in ihr Gesicht gegraben zu haben. Ihre Augen sind gerötet, die Tränensäcke geschwollen.

Die Zigarette inhaliert sie in wenigen, intensiven Zügen. Dann schiebt sie mich zurück zum Auto, steigt ein und startet wortlos den Motor.

Leben ohne Ende

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