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Sandra Diagnose Knochenkrebs 1996 im Alter von 16 Jahren

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Im Raum riecht es nach Plastik, nach Desinfektionsmittel und Farbe. Es ist ein künstlicher Geruch, leblos und fremd. Langsam dringt er in Sandras Nase, erfüllt sie und lässt das gerade erwachende Mädchen blinzeln. Benommen versucht sie sich zu erinnern, wo sie sich befindet, doch ihre Gedanken laufen wirr durcheinander. Bilder von Menschen in weißen Gewändern tauchen auf und verschwinden wieder, sind unbekannt und lassen sich nicht zuordnen. Sandra öffnet ihre Augen weit und erblickt eine weiße Zimmerdecke. Zwei Neonröhren sind dort angebracht. Sie kann die Umrisse der Lampen nur undeutlich erkennen. Sandra sieht nicht gut, hat sechs Dioptrien auf dem einen und sieben auf dem anderen Auge.

»Wo habe ich schon wieder meine Brille hingelegt?«, denkt sie. Verwirrt will sie an ihre Nase greifen und fühlt, dass sie ihre Hand nicht bewegen kann. Sie versucht es noch einmal und scheitert. Erst jetzt bemerkt sie, dass ihre Arme niedergebunden und festgezurrt sind. Erschrocken öffnet Sandra ihren Mund, möchte um Hilfe rufen, doch kein Ton kommt heraus. Wie Blitzlichter erscheinen in ihrem Gedächtnis Bilder, die Sandra nicht einordnen kann. Menschen, die sich über sie beugen. Maskengesichter. Unbekannt und mit erstarrtem Ausdruck. Das Gefühl der Benommenheit wird weniger und sie nimmt nun wahr, dass etwas in ihrer Kehle steckt, ihren Worten den Weg versperrt und in ihrem Inneren scheuert. Nur langsam begreift Sandra, dass es sich dabei um einen Beatmungsschlauch handelt.

»Warum werde ich künstlich beatmet?« denkt sie verzweifelt und fragt sich, was mit ihr geschehen ist. Das Gefühl, sich nicht bemerkbar machen zu können, ist beklemmend und wirkt wie eine zusätzliche Sperre in ihrer Kehle. Hilflos liegt Sandra auf dem Rücken, ist festgeschnallt und gefesselt. Sie hört ein Piepsen, dreht ihren Kopf ein wenig zur einen, dann zur anderen Seite und erkennt, dass die gleichförmigen Töne von einem medizinischen Gerät verursacht werden. Sie sieht einen Bildschirm mit Linien und Kurven, Kabel in verschiedenen Farben und Plastikschläuche. Außer ihr ist niemand im Raum. Ihr Bein schmerzt, in seinem Inneren pocht und pulsiert es, es drückt und brennt, und plötzlich kommen die Erinnerungen.

Nach einem halben Jahr, in dem Sandra wegen ihrer Schmerzen von einem Arzt zum nächsten gebracht wurde, in dem sie eine Untersuchung nach der anderen und schon einige Spitalaufenthalte über sich ergehen hat lassen, wurde ihr, für sie völlig überraschend, die Diagnose Knochenkrebs gestellt. Sandra ist bestürzt, als sie erfährt, dass in ihrem rechten Knie ein Tumor wächst, und gleichzeitig erleichtert, weil sie endlich eine Diagnose hat.

Nach den ersten beiden Chemotherapieeinheiten, die sie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus und im St. Anna Kinderspital erhalten hat, war eine große Operation geplant. Sechs bis sieben Stunden sollte der Eingriff dauern, ihr Bein dabei der Länge nach aufgeschnitten, die Knochen ausgeschabt, der Tumor entfernt und eine sogenannte Endoprothese, eine innere Stütze aus Titan, eingesetzt werden. Verschwommen sieht Sandra jetzt, wie sie auf dem Rollbett in den Operationssaal geführt wird. Undeutlich hört sie die Stimme des Anästhesisten, der ihr erklärt, dass sie nun gleich einschlafen wird. Sie sieht, wie sich eine Schwester lächelnd über sie beugt, spürt die Hand der Operateurin, die ihren Oberarm tätschelt. Sie alle wollen sie beruhigen, begegnen ihr freundlich und hilfsbereit.

Warum hat mir keiner von ihnen gesagt, dass ich auf der Intensivstation aufwachen könnte?, denkt Sandra, die nun sicher ist, sich auf ebendieser zu befinden.

Wieder versucht sie, ihre Arme und Beine zu bewegen, spreizt die Finger und Zehen, hebt ihren Kopf. So sieht sie, dass sich hinter dem Fußende ihres Bettes eine Milchglasscheibe befindet, auf deren gegenüberliegender Seite jemand steht. Sandra strampelt und zuckt, so gut sie kann, mit ihren Gliedmaßen. Endlich bemerkt sie die Gestalt hinter der Trennwand und eilt zu ihr herüber. Die Schwester betritt ihr Zimmer, und Sandra lässt ihren Kopf erschöpft in das Kissen fallen, driftet schon wieder in eine Traumwelt ab.

Achtmal muss Sandra im Laufe ihrer Krebserkrankung operiert werden. Weil ihr Bein manchmal so anschwillt, dass die Ärzte die Wunde nicht schließen können, müssen Haut- und Muskelstücke aus ihrem zweiten Oberschenkel und dem Rücken entnommen werden, um den Spalt zu schließen. Zweimal infiziert sich die behandelte Stelle, da Sandras Immunsystem durch die lange Behandlung geschwächt ist. Das Bein muss von Neuem aufgeschnitten und ausgeschabt werden. Einmal bricht das Ende der Prothese, das mit dem Bein verbunden ist, den Knochen. Jedes Mal muss Sandra danach mehrere Tage bis Wochen still in ihrem Krankenzimmer liegen, danach wieder mit der Physiotherapie beginnen, lernen, das Bein zu bewegen, die geschwundenen Muskeln wieder aufzubauen und zu trainieren. Seit beinahe zwei Jahren geht Sandra nun schon auf Krücken, verbringt ihre Tage in Spitälern und Kliniken, statt wie die Mädchen ihrer Klasse zur Schule zu gehen, die ihr nun viel bedeutet. Plötzlich wünscht sie sich nichts mehr, als gemeinsam mit ihren Mitschülern dem Unterricht lauschen zu dürfen, in einem normalen Klassenraum zu sitzen, Aufgaben zu lösen, zu rechnen und zu schreiben.

Als sie vor dem achten Eingriff in den Operationssaal des AKHs geschoben wird, würgt es sie in der Kehle. Bisher hat sie ihre Behandlungen zumeist still über sich ergehen lassen, hat akzeptiert, was geschehen ist und sich ihrem Schicksal gefügt. Sie riecht den vertrauten Geruch nach Desinfektionsmittel, Plastik und Farbe, fühlt die pochenden Schmerzen in ihrem Bein, spürt das Brennen und Ziehen. Die Operateurin kommt auf ihr Bett zu. Bei ihrem Anblick beginnt Sandra zu weinen. Die Tränen lassen sich nicht zurückhalten, laufen ihre Wangen hinunter, durchnässen bald das Tuch, auf dem sie liegt. Es ist kurz vor Weihnachten. Sandra kann nicht mehr. Sie will die Feiertage zu Hause und mit ihrer Familie verbringen. Sie hat keine Energie mehr. Sie weiß, welcher lange Krankenhausaufenthalt, welche Schmerzen, was für eine mühsame Trainingsarbeit danach auf sie warten.

»Ich kann nicht mehr«, weint Sandra und wiederholt die Worte so lange, bis es schwarz vor ihren Augen wird.

Als sie im Aufwachraum des Krankenhauses die Augen öffnet, hat eine Veränderung stattgefunden. Die Schmerzen in ihrem Bein sind zum ersten Mal kaum noch zu spüren, im Zimmer riecht es frischer, und sie fühlt sich weniger benommen. Plötzlich wächst aus ihrer inneren Leere eine Kraft. Sandra hat nie an ihrer Genesung gezweifelt, hat immer fest daran geglaubt, bald gesund zu werden, aber sie hat es noch nie so stark gefühlt, wie in diesem Moment.

»Niemals wieder sehe ich ein Krankenhaus von innen!«, denkt sie und ballt ihre Hände zu Fäusten. Nie wieder will sie die Behandlungen so passiv über sich ergehen lassen, sagt sie sich. Und tatsächlich, nachdem sie aus dem Spital entlassen wird, infiziert sich die Wunde nicht mehr. Die Prothese hält, und Sandra kommt für lange Zeit nicht mehr zurück.

Leben ohne Ende

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