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Meine Mutter ist ein sehr reinlicher Mensch. Mehrmals pro Woche putzt sie in unserem Haus in Stockerau das Bad, und die Toiletten säubert sie beinahe jeden Tag penibel. Ordnung ist ihr wichtig. Ich habe einmal erlebt, dass sie auf ihrem Weg zur Arbeit wieder umgekehrt ist, weil sie vergessen hatte, ihr Bett zu machen. So hat sie noch in der Nacht meines Blutsturzes alle Spuren beseitigt und mein Schlafzimmer in beste Ordnung gebracht, bevor ich mich wieder hingelegt habe.

Als ich am nächsten Morgen erwache, habe ich für einen Augenblick ganz vergessen, was in der Nacht geschehen ist. Erst als ich das besorgte Gesicht meiner Mutter sehe, fällt es mir siedend heiß wieder ein.

Ich will nicht ins Spital. Als meine Mutter mir erklärt, dass ich dort auch nicht hin muss, bin ich positiv überrascht. Sie hat noch in der Nacht mit meiner Tante telefoniert und sie gebeten, ihre guten Kontakte zur Wiener Ärzteszene zu nutzen. Das finde ich zwar völlig übertrieben, aber immerhin bleibt mir so die bedrückende Krankenhausatmosphäre erspart.

Wir packen unsere Sachen und machen uns von Stockerau aus auf den Weg nach Wien. Erst auf der leeren Straße wird mir bewusst, dass Sonntag ist. Meine Mutter und meine Tante müssen sich wirklich ins Zeug gelegt haben, um diesen Arzttermin zu bekommen, denke ich, und fühle mich dabei nicht gerade wohl. Noch einmal versuche ich, meiner Mutter die ganze Sache auszureden, ihr klarzumachen, wie übertrieben mir das alles scheint. Aber sie geht nicht darauf ein, scheint auf Autopilot geschalten zu haben. Also beschränke ich mich darauf, während der Fahrt murmelnd die obszönsten Schimpfworte auszuprobieren, die ich im Internat gelernt habe.

Der Arzt, bei dem wir einen Termin bekommen haben, ist Professor, wie das Türschild in der restaurierten Altbauwohnung im vierten Wiener Gemeindebezirk verrät. Die Praxisräume sind hoch und hell, die Wände frisch ausgemalt. Der Wartebereich, in dem ich der einzige Patient bin, ist so groß wie unser Wohnzimmer. Im Hintergrund läuft klassische Musik und es riecht nach Rosenblüten, die auf mehrere Schüsseln verteilt im Raum drapiert sind. Die Umgebung gefällt mir und ich fühle mich mit der Situation versöhnt, habe ein viel besseres Gefühl als bei den Arztbesuchen in Stockerau. »Jetzt bringst du das hinter dich«, mache ich mir innerlich zusätzlich Mut, »und ab morgen wird beim Training wieder Vollgas gegeben.«

Die Untersuchung verläuft zunächst harmlos. Der Professor betrachtet die Röntgenbilder meiner Stirnhöhlen, die meine Mutter aus Stockerau mitgebracht hat. Er sagt, dass ich den Druck in meinem Ohr beschreiben soll, will wissen, ob er sich in den letzten Tagen ausgebreitet hat. Er fragt nach vorangegangenen Operationen, erkundigt sich, ob ich regelmäßig Medikamente einnehme, und ich erzähle von den mir verschriebenen Nasentropfen. Der Professor notiert einige Worte auf einem Karteikärtchen, bittet mich danach, ein wenig vom Fußballspielen zu erzählen, lauscht meiner nasalen Stimme und nickt. Mit einem Wattestäbchen tupft er Sekret aus meiner Nase und steckt die Probe danach in ein verschließbares Plastikröhrchen.

Als ich schon meine, fertig zu sein, präsentiert er mir plötzlich einen etwa fünfzehn Zentimeter langen Metallstab, an dessen Enden eine Linse und ein Lämpchen eingebaut sind. Das Ding sieht nicht gut aus, denke ich. Er erklärt mir, dass es sich bei dem Gerät um eine Sonde handelt, mit deren Hilfe er das Innere meines Nasenraums inspizieren wird. Na fein. Er bittet mich, für einen Moment stillzuhalten. Als er mir den Stab vors Gesicht hält, muss ich mich bemühen, nicht zurückzuzucken. Aber der Professor führt ihn so vorsichtig in meine Nasenöffnung, dass ich kaum eine Berührung spüre. Die Untersuchung dauert nicht lange. Als der Professor sie beendet hat, legt er die Sonde an ihren Platz zurück und sieht mich und meine Mutter an.

»Es handelt sich entweder um Polypen. Oder um einen Tumor«, sagt er trocken.

Das Wort ›Tumor‹ füllt den Raum. Ich sehe, wie meine Mutter in ihrem Sessel zurückkippt, von der Wucht der Aussage in die Lehne gedrückt zu werden scheint. Ich halte meinen Atem an, fürchte die drohende Möglichkeit, mit dem nächsten Luftzug zu inhalieren und sie so Wirklichkeit werden zu lassen.

»Und was heißt das?«

Die Stimme meiner Mutter klingt heiser. Sie hat Mühe, den Satz auszusprechen.

Jetzt hebt der Professor beschwichtigend seine Hand. Ein Tumor ist nichts anderes als eine Wucherung, ein Gewächs, erklärt er uns. Er kann durchaus gutartig sein. Das aber muss erst durch eine Biopsie festgestellt werden. Dazu schneidet man Gewebe aus dem Gewächs, das später von einem Pathologen unter dem Mikroskop untersucht und analysiert wird. Die Gewebeentnahme bedeutet nur einen kleinen Eingriff von etwa einer halben Stunde, fügt er hinzu.

Er selbst werde operieren, verspricht der Professor. Handle es sich um Polypen, werde er diese sofort entfernen, andernfalls ein Stück des betreffenden Gewächses für die spätere Untersuchung entnehmen.

Ich atme wieder. Auch meine Mutter scheint beruhigter. Ihre Stimme hat jetzt den üblichen rauen, aber kräftigen Klang.

»Wir bekommen doch rasch einen Termin?«, will sie wissen. Der Professor sieht in seinem Kalender nach, führt ein kurzes Telefonat. Er spricht mit seiner Assistentin, nickt uns zu. »Ich kann schon am Dienstag in der Privatklinik ›Goldenes Kreuz‹ operieren, wenn Sie möchten«, bietet er uns an.

Leben ohne Ende

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