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So interpretieren Sie ein Gedicht
ОглавлениеFolgendes müssen Sie bei der Interpretation eines Gedichtes erschließen:
die Gedichtgattung, also ob es sich zum Beispiel um ein Volkslied, eine Hymne oder Ode handelt,
die Thematik des Gedichts,
den Titel und die Erwartungen, die dadurch eventuell beim Leser geweckt werden,
die Sprechsituation, also die Rolle (den Standpunkt) des lyrischen Ichs, seine Stimmung, seine Stellung zur Umwelt, eventuell an welches »Du« (Adressaten) es sich wendet, ob es sich eher stimmungshaft-emotional oder eher gedanklich-intellektuell äußert,
die Sinnabschnitte oder Gedankenführung, die den Strophen entsprechen können, aber nicht immer mit den Strophen übereinstimmen müssen,
Glauben Sie nicht, dass in einem Gedicht »nichts passiert«! Es werden zwar in Gedichten – mit Ausnahme von Balladen – keine Handlungen im eigentlichen Sinn erzählt, aber vom ersten bis zum letzten Vers entwickelt und verändert sich meist etwas. Sie müssen also erkennen, welche Strophen inhaltlich zusammengehören, welche Funktion eine Strophe im Ganzen erfüllt, wie die Strophen logisch miteinander verknüpft sind. Die Strophen eines Gedichts können unter anderem …
eine Behauptung aufstellen oder eine Begründung geben,
eine Folge darlegen,
etwas veranschaulichen oder mit einem Beispiel versehen,
steigernd oder reihend angeordnet sein,
eine zeitliche Reihenfolge ausdrücken,
einen Höhe- oder Wendepunkt bilden,
im Gegensatz zueinander stehen,
eine Einschränkung erläutern,
den Wechsel einer Perspektive (Sichtweise) darstellen.
Um dies zu erkennen, sollten Sie besonders auf verknüpfende Konjunktionen achten, also zum Beispiel:
denn, weil, da (Begründung),
somit, folglich, deshalb, also, sodass, damit (Folge oder Zweck),
falls, wenn, sofern (Bedingung),
aber, jedoch, dennoch, wogegen (Gegensatz oder Wechsel der Perspektive),
obwohl, trotz (Einschränkung),
und, auch, ferner, zudem (Reihung oder Steigerung),
erst, zunächst, nun, jetzt, dann, danach, anschließend, schließlich (zeitliche Reihenfolge).
formale Merkmale (Zahl der Strophen, Reimschema und Reimarten, Metrum, Enjambements oder Zeilenstil, Rhythmus, Klang),
Bilder und Metaphern,
weitere rhetorische Mittel,
Wortfelder, dazu gehören Wörter mit ähnlicher Bedeutung,
Schlüsselwörter, also besonders wichtige Wörter,
Es ist besonders lohnenswert, auf die ersten und letzten Worte des Gedichts oder einer Strophe zu achten, denn meist überlegt ein Dichter länger, wie er denn sein Gedicht oder eine Strophe anfangen oder beenden soll. Wenn Sie hinter diese Überlegung des Autors kommen, haben Sie vielleicht schon »die halbe Miete« bei der Interpretation geleistet.
Wortarten, vor allem Verben, Nomen, Adjektive. Wenn viele Verben vorkommen, nennt man dies Verbalstil, bei einer Häufung von Nomen spricht man von Nominalstil,
Tempus und Modus der Verben, vor allem Präsens, Präteritum sowie Konditional und Konjunktiv,
Satzarten und Besonderheiten im Satzbau: Hypotaxen, Parataxen, Ellipsen, Inversion, Parallelismus, Parenthesen (zu diesen Fachbegriffen erfahren Sie mehr in Kapitel 7).
Eine reine Auflistung dieser eben genannten Schwerpunkte und Aspekte eines lyrischen Textes genügt aber nicht. Die große Kunst der Gedichtinterpretation besteht darin, alle Einzelbeobachtungen in einer übergeordneten Deutung münden zu lassen. Diese Deutung ist das Herzstück Ihrer Interpretation. Sie müssen hierfür immer die Form in Bezug zum Inhalt oder – um es mit den beiden großen G auszudrücken – die Gestalt in Bezug zum Gehalt setzen. Jedes rhetorische Mittel oder jede sprachliche Besonderheit müssen Sie in ihrer Wirkung oder Absicht erläutern.
Dies ist nicht immer ganz einfach und erfordert manchmal ein erhöhtes Einfühlungsvermögen in den Text.
Ein Trick dabei ist die Ersatzprobe. Ersetzen Sie eine besonders auffällige Textstelle oder Formulierung oder ein besonders sinntragendes Wort oder Bild in Gedanken (Sie können das Gedicht ja nicht eigenwillig verändern!) durch eine andere Formulierung, Satzstruktur oder ein anderes, vielleicht gewöhnlicheres Wort. Möglicherweise erkennen Sie dann, warum der Dichter den Wortlaut des Gedichts gerade so und nicht anders formuliert hat, was die Formulierung des Gedichts von Ihrer Fassung unterscheidet oder abhebt.