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Kapitel I: Blut und Asche

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Noch immer am selben Tag wie die Schlacht von Erudicor, wenn auch schon in den späten Abendstunden, erreichte Julian das nicht weit östlich der goldenen Stadt gelegene Herbstweih, sein früheres Heimatdorf. Jetzt allerdings befanden sich dort nur noch verfallene, zerstörte Überreste von Häusern sowie unzählige Leichen, die kreuz und quer über das gesamte Dorf verstreut lagen. Der Gestank von verwesenden Körpern und Asche lag in der Luft. Es war schwer für Julian, sein Dorf in diesem Zustand sehen zu müssen. Die Zerstörungskraft der Trolle war wirklich überwältigend. Aber an welchem Ort sollte er denn sonst anfangen, nach seinen Freunden zu suchen? Die letzte Information, die er von seinem Gegner Fröthljif erhalten hatte, jenem Troll, der den Angriff auf Julians Dorf angeführt hatte, war, dass Otto und Lisa noch am Leben waren. Zumindest hatten die Trolle ihnen kein Haar gekrümmt und da Julian wusste, wie hart seine Freunde im Nehmen waren, vermutete er, dass auch sonst niemand bisher die beiden getötet hatte. Nun musste er also im zerstörten Dorf nach Hinweisen suchen. Allerdings schien es fast unausweichlich, eine Nacht zwischen den Überresten von Herbstweih zu verbringen. Die Sonne hatte sich schon beinahe komplett verabschiedet und nur noch die letzten Strahlen leuchteten von Westen her über den Horizont. Im Norden des Dorfes ragte der düstere und bedrohliche Schattenberg als einzelnes Monument empor, in einer Landschaft, die sonst nur eine endlose Ebene darstellte. Sie durften nicht auf dem Schattenberg sein. Das durften sie einfach nicht. Zumindest redete sich Julian das ein. Denn wie jeder aus Herbstweih kannte auch er die Legenden und Geschichten. Schon den kleinen Kindern wurde immer erzählt, dass sie einen weiten Bogen um den Schattenberg machen und ihm ja nie zu nahe kommen sollten. Wer aber nicht hören wollte und sich zu nahe an den Berg heranwagte, der verschwand spurlos, so erzählte es zumindest die Legende. Julian hatte immer daran geglaubt und er wusste genau, dass ganz oben am Gipfel des Berges irgendein seltsames Wesen hauste. Doch ob es sich nun um einen Hexenmeister, eine Hexe, einen Troll oder doch nur eine Fledermaus handelte, das wusste niemand. Ein Schauer jagte Julian über den Rücken, als er darüber nachdachte und auf den Berg in der Ferne starrte. Der würde ihm zumindest weniger Sorgen bereiten als das Gefühl, zwischen den verbrannten und zertrümmerten Überresten seines einstigen Dorfes sowie deren Bewohnern die Nacht verbringen zu müssen. Aber Julian blieb keine andere Wahl. Er konnte sich zwar auch ein paar Meter außerhalb von Herbstweih in die Wiese legen, doch dort wäre er leichter zu entdecken gewesen, als zwischen den Trümmern eines zerstörten Dorfes. Und wer wusste schon, was für Unholde sich nachts im großen Kaiserreich Anthem Gows herumtrieben. Um etwaigen Begegnungen mit ihnen vorzubeugen, blieb Julian nun nichts Anderes übrig, als sich ein paar verkohlte Stücke früherer Holzhütten zu schnappen und sie am Boden so aufzulegen, dass sie die Zerstörung des restlichen Dorfes nachempfanden und nicht gestellt wirkten. Denn dann hätten sie nur unnötige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Obgleich Julian in der Schlacht, die erst vor wenigen Stunden ihr Ende gefunden hatte, zahllose Feinde bezwungen und getötet hatte und nun zweifellos ein besserer Kämpfer war als noch vor der Schlacht, so zweifelte er doch an seinen Fähigkeiten, jemandem überlegen zu sein, während er schlief. Die letzten Sonnenstrahlen erstarben am Horizont und es wurde dunkel ringsum. Julian löste seinen Schal und knüllte ihn zusammen. Dann legte er ihn auf eines der verkohlten Holzteile und anschließend ließ er seinen Kopf darauf sinken. Der Schal war kein idealer Polster, doch behelfsmäßig zu ertragen. Immerhin schien die Nacht warm zu werden, sodass sich Julian keine Gedanken um eine Decke oder ein mögliches Erfrieren durch Fehlen ebenjener machen musste. Nun lag er da und blickte in den Nachthimmel. So viel war an diesem bedeutsamen Tag geschehen. Der 27. Mai 981. Ein Tag, der für alle Zeiten in die Geschichte eingehen würde. Denn der Versuch eines Äthergeborenen, des düsteren Magiers, die goldene Stadt zu erobern, war gescheitert. Auch wenn Julian dieser Umstand nicht klar war, nie zuvor hatte es in der Geschichte der Existenz eine Situation gegeben, in der ein Unterfangen eines Äthergeborenen gescheitert war. Da Julian maßgeblich am Sieg über den düsteren Magier beteiligt gewesen war, hatte er etwas bewiesen. Er hatte gezeigt, dass auch die als überlegen angesehenen Äthergeborenen verwundbar waren. Der Plan des düsteren Magiers war vollständig gescheitert und seine gesamte Armee ausgelöscht worden. Sicher war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er selbst auch sein Ende fand. Allerdings wollte Julian es sich nicht entgehen lassen, dieses Ende selbst herbeizuführen. Noch immer wollte er Rache für sein Dorf. Rache für Herbstweih und all die Menschen, die darin gelebt hatten. Doch im Moment wollte er am allermeisten seine beiden besten Freunde Otto und Lisa finden. Sobald er sie in Sicherheit wusste, würde er den düsteren Magier aufspüren und seiner gerechten Strafe zuführen. Als er so am Boden lag und bald einschlafen würde, dachte er noch mal an seine triumphalen Siege auf dem Schlachtfeld. Es war ihm tatsächlich gelungen, alle sechs Generäle eigenhändig zu bezwingen. Mit Ausnahme von Katokuin, dem Dunkelelfen, den er hatte laufen lassen, damit dieser weiterhin gegen die Sklaverei kämpfen konnte. Julian war noch immer zufrieden mit seiner Entscheidung, den Dunkelelfen zu verschonen. Sein Ziel, die Sklaverei komplett abzuschaffen, war mehr als edel. Es war eine Sache von fundamentaler Bedeutung für jegliches Leben. Da erinnerte sich Julian an einen Satz, den er der Kaiserin von Shanto Gyar einst offenbart hatte:"Wir sind geboren, um frei zu sein!" Diesen Satz flüsterte Julian leise und schlief dann ein. Als die Nacht dahinzog, endete der 27. Mai und machte dem 28. Platz. Die Nacht stellte eine der klarsten und ruhigsten des gesamten Jahres dar. Etwas Beruhigendes lag in der Luft des Sieges über die Feinde, welche sich um die goldene Stadt sowie die gesamte nähere Umgebung ausgebreitet hatte. Julian hatte jedoch keine Ahnung, was er getan hatte. Ohne es zu wissen, hatte er im Wespennest herumgestochert. Aber Wespen konnten sehr aggressiv werden, wenn man sie ausreichend reizte. Dennoch schlief Julian wie ein Stein und erwachte nur einmal kurz, zumindest bildete er es sich ein. Es war mitten in der Nacht und der Mond leuchtete kräftig auf das zerstörte Dorf hinab. Irgendwie wirkte die Szenerie surreal, vor allem, weil in der Umgebung ein seltsamer Dunst aufstieg. Es wirkte wie Nebel, der immer dichter zu werden schien. Julian blickte unaufhörlich nach oben und sah nur, wie eine seltsame Gestalt in sein Blickfeld wanderte. Alles, was er erkennen konnte, war eine junge Frau oder ein Mädchen mit schwarzen Haaren, schwarzem Kleid und verschmitztem Lächeln. Durch den seltsamen Dunst sah es so aus, als ob ihre blasse Haut mehrere, unförmige Beulen aufwies. Außerdem wirkte sie irgendwie unmenschlich. Im Halbschlaf fragte Julian:"Was ist los?" Die Stimme machte einen sanften Laut, der ihm bedeuten sollte, leise zu sein. Dann sprach sie mit engelsgleicher Sanftheit.

"Schon gut, Julian, schlaf weiter. Der schwarze Tod lächelt auf dich herab."

Dann schloss Julian erneut seine Augen.

Am Morgen erwachte Julian unsanft durch einen Laut sowie einen Schmerz in seinem Bein. Weil er nicht wusste, was los war, richtete er sich langsam auf und blickte um sich. Schnell fand er die Erklärung für sowohl den Laut als auch den Schmerz. Dabei handelte es sich um kleinen, alten Mann mit grauem Haar, der in seinem Lederwams neben Julian stand und mit seinem hölzernen Gehstock gegen dessen Bein schlug. Immer wieder. In perfektem Takt. Erst schlug er zu, wartete vier Sekunden und schlug dann erneut gegen Julians Bein. Jetzt jedoch war dieser aufgewacht und zornig.

"Hört Ihr wohl damit auf?!", schrie er den Alten an. Julian erhob sich vom Boden und türmte sich vor ihm auf. Nun blickte er sein Gegenüber noch einmal genau an und bevor er irgendetwas sagte, stiegen ihm Tränen in die Augen. Der alte Mann sah das und auch seine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Im nächsten Moment umarmten sie sich so stark, als ob sie Liebhaber oder enge Verwandte gewesen wären. Tatsächlich war aber etwas völlig Anderes am Werk. Empathie. Julian wusste genau, wer da vor ihm stand. Der Mann hieß Peter Knockreif und war bekannt als Herbstweihs alter Griesgram, der älteste Mann des Dorfes, von dem die Legenden behaupteten, er sei schon 112 Jahre alt. Ob dies nun der Wahrheit entsprach oder reine Übertreibung war, konnte niemand wirklich sagen. Vor allem nutzte es auch nichts, den Alten einfach zu fragen, denn er verriet niemals sein Alter. Er war der Auffassung, dass, wenn er sein Alter laut aussprach, er damit dem Tod klar machte, wie alt er schon sei und dann würde dem Tod wieder einfallen, dass er den alten Peter ins Jenseits holen musste, aber darauf wollte der alte Griesgram lieber verzichten. Ihm gefiel es, zu leben. Peter genoss alle Freuden des Lebens, die ihm in seinem bescheidenen Dorf zur Verfügung standen oder zumindest bis vor Kurzem gestanden hatten. Nun aber war der alte Mann überglücklich, zu sehen, dass er nicht der einzige Überlebende des Horrors von Herbstweih war und es erfüllte ihn mit unendlicher Freude, Julian wohlauf zu sehen. Dasselbe galt für Julian, als er erkannt hatte, dass außer ihm, Otto und Lisa noch jemand aus Herbstweih überlebt hatte. Daher konnten die beiden nun nicht anders, als einander glücklich zu umarmen und den Moment des gemeinsamen Triumphes über die Trolle und ihren verfluchten Auftraggeber, den düsteren Magier, auszukosten.

"Ihn haben sie nicht erwischt.", dachte Julian zufrieden. "Und sie werden ihn auch nie bekommen."

Nach einiger Zeit lösten sie ihre Umarmung und Peter begann sofort, zu sprechen:"Junge, wie hast du es nur fertiggebracht, diesen verdammten Trollen zu entrinnen?"

"Nun, Herr Knockreif, das ist eine etwas komplizierte Geschichte."

"Bitte, Julian, nenn mich Peter. Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch lebt. Also erzähl schon, ich habe genug Zeit."

"Natürlich, Peter. Zunächst einmal sind wir beide nicht die einzigen, die überlebt haben. Meine besten Freunde Otto und Lisa haben es auch geschafft."

Peters Gesicht hellte sich noch mehr auf und er strahlte förmlich.

"Das ist ja wunderbar. Aber wo sind sie denn? Sind sie gar nicht bei dir?"

"Nein, leider weiß ich nicht ganz sicher, dass sie noch leben, doch es wurde mir berichtet. Es war so: Die Trolle, die Herbstweih angriffen und zerstörten, wurden vom düsteren Magier beauftragt. Er ist ein mächtiger Äthergeborener, der auch Erudicor angriff. Die große Schlacht, in der er die goldene Stadt einnehmen und zerstören wollte, fand gestern statt. Ich selbst habe mitgekämpft und mich all seiner Generäle persönlich angenommen."

"Verstehe. Ein Äthergeborener also. Nun, Julian, das sind schlechte Neuigkeiten. Aber da du hier vor mir stehst, vermute ich, dass deine Seite die Schlacht gewonnen hat."

"Ja, wir haben die gesamte Armee des düsteren Magiers vernichtet.", gab Julian stolz als Antwort. "Darunter war auch der Anführer der Trolle, Fröthljif. Um ihn habe ich mich persönlich gekümmert und Rache für Herbstweih erlangt."

"War das zufällig ein großer, blauer Troll, der mit so einem Kriegshammer aus Knochen herumfuchtelte?"

"Ganz genau. Dann hast du ihn also gesehen, Peter?"

"Ja, das habe ich. Weißt du, Julian, es war nur ein großes Glück, dass ich zu dem Zeitpunkt, als die Trolle angriffen, gerade meinen Nachmittagsspaziergang beendet hatte. Als ich zum Dorf zurückkehrte, sah ich, wie Trolle die anderen abschlachteten, Häuser anzündeten und die Flüchtenden mit Steinen und Pfeilen beschossen. Mir war klar, dass ich nichts gegen sie ausrichten konnte, also flüchtete ich schnell, um mein Leben zu retten. Ich bin nicht stolz darauf, doch wäre ich ins Dorf gelaufen, um anderen zu helfen, so hätte auch ich mein Ende gefunden. Es tut mir Leid, Julian. Ich habe versagt. Für einen Bürger von Herbstweih bin ich eine Schande."

Peter senkte sein Haupt und blickte betrübt zu Boden.

"Nein, Peter. Ich bin froh, dass zumindest du überlebt hast. Zweifellos hast du Recht. Du magst zwar sehr widerstandsfähig für dein Alter sein, doch diese Trolle waren unmenschlich stark."

"Natürlich, es sind ja auch Trolle. Was will ein 113 Jahre alter Mann schon gegen mächtige Trolle ausrichten, von denen jeder die Kraft mehrerer Pferde besitzt."

"Also sind die Gerüchte wahr? Du bist wirklich schon so alt? Aber ich dachte immer, du wärst erst 112 Jahre alt."

"Ich hatte vor drei Wochen meinen 113. Geburtstag. Ja, die Zeit meinte es bisher gut mit mir."

"Moment, Peter. Wolltest du nicht dein wahres Alter niemals aussprechen, um den Tod im Unklaren zu lassen, wie alt du wirklich bist? Zumindest hörte ich auch dieses Gerücht."

"Da ist was Wahres dran, Julian. Doch Zeiten ändern sich und nun, da alle anderen aus Herbstweih tot sind, fühle ich, dass es auf dieser Welt nicht mehr viel für mich gibt. Ich wäre also nicht gerade betrübt, wenn der Tod mich nun holen würde. Früher oder später sterben wir doch alle. Sei dir dieser Tatsache zu jedem Zeitpunkt bewusst, Julian."

"Aber es gibt doch noch so viel, was du im Leben tun kannst. Du darfst jetzt nicht einfach deine Lebensgeister aufgeben. Lebe weiter für jene, die wie du überlebt haben. Für mich. Für Otto. Für Lisa."

"Wenn wir schon von den beiden reden, wie um alles in der Welt haben sie es geschafft, den Trollen zu entwischen?", fragte Peter neugierig.

"Nun, das haben sie im Grunde gar nicht. Den Trollen wurde seltsamerweise vom düsteren Magier befohlen, die beiden ebenso wie mich am Leben und entkommen zu lassen. Ansonsten hätte es uns wie alle anderen erwischt. Dann wärst jetzt nur mehr du übrig, Peter."

"Was könnte einen Äthergeborenen dazu bewegen, euch drei laufen zu lassen? Das ergibt irgendwie keinen Sinn. Äthergeborene streben stets Großes an."

"Wie kommt es eigentlich, dass du über die Äthergeborenen Bescheid weißt, aber der Rest des Dorfes so wie ich keine Ahnung hatte?"

"Ich bin ein sehr alter Mann, Julian. Da weiß man einiges. Ich wurde in einer Zeit geboren, in der versucht wurde, vieles, das vor dem Jahr 777 geschah, zu vergessen. Meine Eltern hielten aber nichts davon und lehrten mich alles, was sie von der alten Zeit wussten. Du darfst niemals vergessen: Wir leben in einer sehr seltsamen Zeit, in der jeder glaubt, er kann alles tun, solange er nur mächtig genug ist. Aber noch immer existieren viele Schrecken, die älter als die Menschheit selbst sind. Früher oder später wird jedem, der sich anmaßt, alle anderen zu überragen, sein einfältiges Licht ausgelöscht. Wie gesagt: Alles vergeht, sogar die Existenz selbst. Barkh Aragh erwartet letztendlich jeden von uns."

Da spürte Julian einen Geistesblitz in seinem Kopf. Sofort fragte er:"Was hast du gerade gesagt? Der letzte Satz, kannst du den wiederholen?"

"Ich sagte: Barkh Aragh erwartet jeden von uns."

"Genau das, was ist dieses Barck Aragg?", fragte Julian, der sich schwer tat, die Worte zu reproduzieren.

"Ganz ruhig, sprich es erst einmal richtig aus, denn es ist sehr wichtig. Barkh. Sprich mir nach."

"Barkch."

"Schon beinahe. Noch mal. Achte auf den sanften Klang des 'H'. Barkh."

"Barkh.", wiederholte Julian.

"Sehr gut. Nun zum Aragh. Sprich es ebenso sanft und locker aus. Versuch es. Aragh."

"Arragh."

"Gut, sehr gut. Aber das 'r' musst du noch ein wenig schneller sprechen. Verweile nicht zu lange bei diesem Buchstaben."

"Aragh. Barkh Aragh. Ich glaube, jetzt kann ich es."

"Jetzt, wo du weißt, wie man es richtig ausspricht, kann ich es dir auch erklären. Hast du schon einmal von dem großen Reich Illuminon gehört?"

"Das ist doch wohl ein Witz?", antwortete Julian aufgebracht. Seine jüngsten Erinnerungen an dieses Reich hätte er lieber niemals geschehen lassen. Denn durch einen der 27 Diakone des Feuers befand sich nun ein Feuerfunke für immer in Julians linke Handfläche eingeschmolzen. Dieser verlieh ihm zwar nützliche Fähigkeiten, doch wollte er den Funken nie. Er war ihm einfach aufgezwungen worden. Umso verständlicher war seine wütende Reaktion, als Peter das Reich Illuminon erwähnte.

"Ganz ruhig, Julian. Das ist kein Witz. Scheinbar scheinst du ja schon Bescheid zu wissen. Hast du schlechte Assoziationen mit Illuminon?"

"Schlechte Assoziationen ist gut. Sieh dir das an." Julian hielt seine Handfläche mit dem Funken hoch.

"Du meine Güte, wo hast du das her?"

"So ein bescheuerter Diakon hat ihn mir einfach gegeben, dabei wollte ich ihn gar nicht."

"Julian, das ist ein Geschenk. Du kannst es einsetzen und es kann dir sehr nützlich sein."

"Ich weiß, ich weiß. In der Schlacht von Erudicor habe ich den Funken auch benutzt, trotzdem nervt er. Erzähl mir lieber, was es mit Bargh Arrach auf sich hat."

"Jetzt hast du es zu weich ausgesprochen."

"Ist mir egal, erzähl es mir einfach. Ich hasse Illuminon."

"Schon gut. Ob du es glaubst oder nicht, ich kann deinen Hass nachvollziehen. Auch mir hat dieses große Reich des ewigen Feuers viel Leid zugefügt."

"Tatsächlich, wie denn das?"

"Weißt du, warum ich stets als der Griesgram des Dorfes bekannt war?"

"Nun, dazu gab es sehr viele..."

"Alle Gerüchte über diesen Umstand waren gelogen. Ich habe sie alle gehört und keines davon kam auch nur annähernd an die Wahrheit heran. Pass auf, das war so: Als ich noch sehr jung war, ungefähr Mitte 30, unternahm meine gesamte Familie, bestehend aus meinen Eltern, meinen drei noch lebenden Großeltern, meinen beiden Brüdern sowie meiner Schwester eine große Reise nach Illuminon. Das war also irgendwann um das Jahr 900 herum. Dort erlebten sie viele unglaubliche Dinge. Sie sahen sich alte Bauwerke an, reisten viel durch Wälder und den Dschungel und besuchten sogar den Amazonas. In diesem Fluss sahen sie auch eine Familie von Riesenottern. Was sie aber nicht wussten, war, dass diese Riesenotter zum obersten Schamanen abseits der Schamanenkönigin gehörten. Dieser Schamane heißt Rabouros Ottiril und ist das sadistischste Tier, das es je gegeben hat. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Riesenotter das Wappentier von Illuminon ist. Seine einstige Kaiserin Tara war ebenso fasziniert von diesen Tieren wie es auch meine Familie war. Sie wollten die Riesenotter von nahe sehen und wussten nicht, wie gefährlich das sein konnte. Als dann meine Schwester einen von ihnen streicheln wollte, erschien aus dem Nichts Rabouros Ottiril und hielt sie davon ab. Er erzählte meiner Familie, wie gefährlich die Riesenotter waren und dass man sie besser nicht reizen sollte. Dann nahm er sie alle mit in den Palast der ewigen Flamme. Dort bot er ihnen ein Festmahl, welches sie alle dankbar annahmen, da sie sehr hungrig waren. Während sie aßen und die wunderbaren Mahlzeiten genossen, erschienen immer mehr Riesenotter in dem großen Raum. Der Schamane beschwichtigte meine Familie und erklärte ihnen, die Otter gehören zu ihm. Sie gehörten auch zu ihm. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung stürzten sie sich auf meine Familie und begannen, sie alle zu zerfleischen. Sie bissen tief in ihr Fleisch, rissen große Stücke aus ihnen heraus und zerlegten sie in Einzelteile. Wenn ich an die schrecklichen Bilder denke, kommen mir die Tränen und zugleich wird mir schlecht. Der Otterschamane, Rabouros Ottiril, stand nur daneben und lachte diabolisch. Ich schwor mir, ihn zu töten, doch leider fehlten mir dazu sowohl die Kraft, als auch die Mittel, zu ihm zu gelangen. Einige Zeit, nachdem sie tot waren, kam ein Brief von ihnen, den sie vor langer Zeit aus Illuminon abgeschickt hatten, als es ihnen allen noch gut ging. Sie schrieben mir, wie toll es dort war und dass sie es kaum erwarten konnten, noch mehr tolle Dinge zu sehen und zu erleben. Jetzt kennst du meine Geschichte, Julian. Jetzt weißt du, warum ich immer so mies drauf war."

Julian wusste nicht, ob er nun zornig aufschreien oder vor lauter Trauer weinen sollte. Die Geschichte des alten Mannes hatte ihn zutiefst berührt und ihm auch schreckliche Angst eingejagt. Niemand verdiente ein Schicksal wie jenes von Peters Familie. Dennoch war es passiert. Wie konnte solcher Wahnsinn nur geschehen?

"Es tut mir furchtbar Leid, Peter. Das klingt wirklich grauenvoll."

"Danke, Julian. Dein Mitgefühl bedeutet mir viel. Niemand sonst hat sich je die Mühe gemacht, zu versuchen, mich zu verstehen. Dabei gab es nur eine Person, der ich all mein Leid verdanke."

"Dieser verfluchte Otterschamane, nicht wahr?"

"Nein. Der wahre Ursprung allen Leids ist Tara."

"Tara? Diese Kaiserin von Illuminon?"

"Ebenjene. Wäre sie nicht gewesen, gäbe es Illuminon gar nicht. Ebenso wenig wäre Rabouros Ottiril nun so mächtig, da bin ich mir sicher."

"Ihr sagtet vorhin, er sei ein sadistisches Tier, doch als Tier kann er doch nicht mit Menschen sprechen. Was genau ist er also?"

"Er ist, wie so viele andere Schamanen auch, eine Mischform. Eine Art humanoides Tier, wenn du so willst. Diese Wesen sind ihrer eigenen Spezies einen Schritt voraus, sie bewegen sich wie Menschen, sprechen wie Menschen, denken wie Menschen und vor allem handeln sie wie Menschen. Viele behaupten, auch diese Mischwesen gehen auf Tara zurück. Wie du siehst, übertreibe ich also nicht, wenn ich sage, dass sie die Wurzel allen Übels ist."

"Nun gut, aber ich weiß noch immer nicht, was...Barkh Aragh ist."

"Natürlich, das habe ich ja ganz vergessen. Entschuldige, ich hab mich ein wenig in meiner Geschichte verloren."

"Das ist schon gut, mein Freund. Jetzt verstehe ich dich immerhin besser."

"Nun, Julian, Barkh Aragh ist einfach gesagt der Weltuntergang."

"Der Weltuntergang?"

"Ja. Aber damit ist nicht etwa unsere Erde gemeint, nein. Barkh Aragh ist das Ende jeglicher Existenz. Wenn es geschieht, hört einfach alles auf, zu existieren. Der Begriff stammt aus einer seltsamen, unbekannten Sprache. Weil die Leute aus Illuminon diesen Begriff als erste entdeckten, entschlüsselten und schließlich als Synonym für den Weltuntergang verwendeten, gehört dazu auch die Annahme, dass alles durch Feuer ausgelöscht wird. Denn wie du ja schon weißt, ist Illuminon das Reich des ewigen Feuers."

"Schön und gut, aber ist sowas überhaupt möglich? Ich meine, welches Feuer ist mächtig genug, jegliche Existenz auszulöschen?"

"Vielleicht gibt es da jemanden, aber ich bin mir nicht sicher."

"Jemanden? Soll das heißen, dass eine Person den Untergang jeglicher Existenz auslösen wird?"

"Nicht etwa auslösen, sondern selbst vornehmen. Das ist durchaus ein Ding der Möglichkeit. Alle Details kenne selbst ich nicht, doch darfst du nie vergessen, dass, was immer auch geschieht, am Ende noch immer Barkh Aragh wartet. Deshalb sage ich ja, zuletzt vergeht alles."

"Jetzt verstehe ich wenigstens, warum du mir das ständig sagst. Aber vielleicht braucht dieses Barkh Aragh noch Ewigkeiten, bis es passiert."

"Ja, das kann sein. Niemand weiß, wann es geschieht, nur dass es irgendwann geschehen wird. Das ist keine Fiktion. Das ist bitterer Ernst."

"Nun, wieder etwas gelernt. Aber allmählich wird es Zeit für mich, nach meinen Freunden zu suchen. Hast du vielleicht eine Ahnung, wo ich nach ihnen suchen soll, Peter?"

"Mal überlegen. Otto war kein Dummkopf. Er wusste bestimmt, wo sie am sichersten vor den Trollen sein würden. Lisa war sogar noch viel schlauer und ich denke, dass sie beide letztendlich zum selben Schluss gekommen sind. Wie du bestimmt noch weißt, waren es Wiesentrolle, das bedeutet..."

"...das bedeutet,...", fuhr Julian fort und unterbrach dabei Peter, "..., dass sie auf den Schattenberg geflohen sind."

"Exakt. Denn wie wir alle wissen, mögen Wiesentrolle keine Berge. Dort oben wären sie also am sichersten."

"Nein, das sind sie absolut nicht. Am Schattenberg haust doch ein uraltes, mächtiges Wesen, das weiß jeder. Du solltest das erst recht wissen."

"Ja, ich kenne die Geschichten, die man sich über den Schattenberg erzählt. Doch was willst du tun, falls sie wirklich dort hochmarschiert sind? Willst du sie einfach dort oben bleiben lassen? Womöglich sind sie dem Schrecken auf der Bergspitze ausgeliefert und gefangen, wenn nicht schlimmer. Ich an deiner Stelle würde mich so schnell wie ich kann auf den Weg dorthin machen."

"Aber sie dürfen nicht auf dem Schattenberg sein. Niemand weiß, was mit denen passiert, die dort verschwinden."

"Dann wird es Zeit, es herauszufinden. Wenn das jemand schaffen kann, dann du, Julian."

"Na schön. Wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass meine Freunde dort oben und wohlauf sind, muss ich nach ihnen suchen. Du hast Recht, Peter. Aber eine Sache beschäftigt mich noch immer."

"Ja?", fragte Peter erwartungsvoll.

"Wie konntest du mir so detailreich schildern, was mit deiner Familie geschah, wenn du gar nicht dabei warst?"

"Es ist dir also aufgefallen, sehr aufmerksam. Nun, als sie lange Zeit nachdem ich den Brief bekommen hatte, noch immer nicht zurückgekehrt waren, ging ich zu einem Druiden und der ließ mich in die Vergangenheit sehen, somit musste ich all die Gräuel, die dieser elendige Otterschamane meiner Familie antat, mit eigenen Augen erleben, als ob ich dabei gewesen wäre. Ich musste einfach wissen, was geschehen war, doch das hatte seinen Preis. Seitdem konnte ich nie mehr fröhlich sein. Aber dich heute zu treffen, das hat mir neue Hoffnung geschenkt. Ich danke dir, Julian."

"Wofür denn, ich habe doch gar nichts getan?"

"Danke, dass du da warst. Pass auf dich auf, wenn du auf den Schattenberg steigst. Er kann durchaus gefährlich zu erklimmen sein."

"Ich werde aufpassen. Versprochen."

Dann umarmten sie sich noch einmal zum Abschied und Julian brach in Richtung Norden auf. Es war noch immer sehr früh am Morgen und abgesehen davon, dass Julian so viele neue Informationen erhalten hatte, die er alle nur schwer verarbeiten konnte, machte ihm noch immer sein Traum zu schaffen.

"Der schwarze Tod lächelt auf dich herab."

Ob dies nun wirklich ein Traum, eine Vision oder tatsächlich die Realität war, musste er erst noch herausfinden. So viel Leid hatte Julian erfahren, nicht nur sein eigenes. Als er sich langsam in Richtung des Schattenberges bewegte, stellte er sich eine sehr schwierig zu beantwortende Frage: Wann hatte die Welt begonnen, durchzudrehen?

Deadforce 2

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