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Kapitel IV: Das Licht in der Dunkelheit

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Inzwischen war es tiefste und dunkelste Nacht und Julian erkannte kaum noch die eigene Hand vor Augen. Nach seiner unheilvollen Begegnung mit Lilybeth, die leider im Tod eines völlig Unschuldigen geendet hatte, war er wie in Trance weiter Richtung Norden marschiert. Irgendwann hatte er die Grenze eines Waldes passiert und nun stapfte er einen erdigen Trampelpfad entlang, der sehr breit war und durch den Wald hindurchführte. In regelmäßigen Abständen wurde die Umgebung ein wenig von alten Laternen erleuchtet. Ihr Licht wirkte warm und man fühlte sich in ihrer Nähe geborgen und sicher. Doch je weiter man sich von einer dieser Lichtquellen entfernte, umso unangenehmer fühlte es sich an und umso gefährlicher wurde es auch. Man konnte nie wissen, was sich nachts so alles in den Wäldern herumtrieb. Allerdings war das Julian im Moment egal, denn er versuchte noch immer zu verstehen, wie man nur so grausam wie Lilybeth sein konnte. Der arme Liam hatte ihren Witz nicht gemocht und dafür wurde ihm sein Kopf zu Mus verarbeitet. Zweifellos hatte er so ein Ende nicht verdient. Da musste Julian an Otto und Lisa denken. Was die beiden wohl zu der Situation gesagt hätten? Julian war überzeugt, dass Lisa Lilybeth aufs Übelste beschimpft hätte, wenn sie nicht zu geschockt gewesen wäre und Otto wäre wahrscheinlich gleich auf sie losgegangen.

"Gut, dass die beiden nicht dabei waren. Sonst wären sie jetzt womöglich auch tot.", sagte Julian. Seine Reise hatte gerade erst begonnen und schon war etwas Schreckliches passiert. Sollte sich die Reise zur Nebelwiese auf diese Art fortsetzen, so würde er einfach umdrehen und dem Druiden erzählen, er hätte die Nebelseitlinge nicht bekommen. Was konnte er schon tun? Immerhin war Alfokohel, der Druide der Gestirne kein komplett Wahnsinniger wie etwa Lilybeth oder dieser schreckliche Otterschamane aus Illuminon. Zu viele Gedanken gingen in Julians Kopf um, doch sie alle wurden schon bald von einem einzigen verdrängt: Schlafen. Schließlich war Julian den ganzen Tag unterwegs gewesen, hatte einen Berg bestiegen und war wieder hinabgewandert und musste auch noch bei einem Mord zusehen. Das alles konnte einen schon müde werden lassen. Am liebsten wäre Julian einfach umgefallen und eingeschlafen, doch wagte er es nicht, einfach mitten am Waldweg zu schlafen. Im besten Fall würde er von Räubern ausgeraubt und all seiner Habseligkeiten entledigt, im schlimmsten Fall zerfetzte ihn irgendeine Bestie. Oder noch Schlimmeres. Tatsächlich wusste Julian nicht, was der schlimmste Fall sein konnte. Dabei war er so kurz davor, es herauszufinden. Je weiter er dem Weg folgte, umso dichter drängten sich die Bäume am Wegesrand aneinander und formten den durch einen leichten Regen mittlerweile matschig gewordenen Weg zu einer endlosen Röhre, in der man sich gefangen sah. Jetzt konnte man nur noch weitergehen oder umdrehen. Julian entschied sich für Ersteres und folgte dem Weg unablässig. Währendessen überlegte er unentwegt, wie er aus dieser momentanen Misere entkommen konnte. Schließlich sagte ihm ein Teil seines Verstandes immer deutlicher, dass er einen Urgeist anrufen sollte. Noch immer zögerte er, dies leichtfertig zu tun, denn Julian hatte nicht vergessen, wozu diese Wesen imstande waren. Jedoch vermochten sie vielleicht auch zu helfen, wenn man ihnen dafür etwas anbot. Alles, was Julian anzubieten hatte, waren seine Dienste. Womöglich wollte ja einer der Urgeister etwas erledigt haben und war viel zu faul, um es selbst zu tun. Dann konnte Julian ihnen helfen und dafür in sicherer Umgebung schlafen und sich erholen. Das hatte er im Moment am allernötigsten. Er brauchte nur einen sicheren Platz zum schlafen.

Die Urgeister. Sie waren das erste und mächtigste Volk der Existenz. Sofern man dreizehn Individuen als Volk ansehen wollte. Trotz ihrer geringen Zahl überstieg ihre summierte Macht jene aller anderen Völker, die je geschaffen wurden, noch um ein Vielfaches. Selbst die Götter, von denen so viele ebenfalls weitaus mächtiger als alle Vertreter anderer Völker waren, wirkten im Vergleich zu den Urgeistern wie lächerliche Witzfiguren. Wenn man dies der Göttermutter Ir gesagt hätte, wäre sie zornig geworden, hätte aber nichts Anderes tun können, als diese Wahrheit zu akzeptieren, denn das war es gewiss. Die Urgeister, deren Vater das schrecklichste Wesen der Existenz war, wurden noch vor dem Tod geschaffen. Jeder von ihnen stellte einen essentiellen Aspekt der Existenz dar. Sie alle besaßen Aufgaben, die sie auf unterschiedliche Weise behandelten. Manche nahmen ihre Pflicht sehr ernst und kümmerten sich um das, was von ihnen verwaltet wurde. Andere kümmerten sich gar nicht um ihre Aufgaben und taten einfach, was ihnen gerade in den Sinn kam. Doch egal, welchem Urgeist man auch begegnen mochte, es war stets weise, diese Wesen mit gebührendem Respekt zu behandeln und ihnen gegenüber so freundlich und hilfsbereit wie nur möglich zu sein. Denn sie mussten sich nicht einmal bewegen und konnten dennoch gewaltige Kräfte entfesseln. Wenn es eine Art von Wesen gab, vor der man sich stets vorsehen sollte, waren es ohne Zweifel die Urgeister. Sogar die dümmsten und ungebildetsten Menschen würden grundsätzlich verstehen, was es mit diesen Urgeistern auf sich hatte, wenn man es ihnen erklärte. Sie würden nie auf die wahnwitzige Idee kommen, auch nur das Wort an diese überlegenen Kreaturen zu richten. Denn ein Urgeist war wie ein Echo. Man konnte stets mit einer Antwort rechnen.

Julian, dem über die Urgeister berichtet worden war, ignorierte alles, was er über sie wusste und wollte nun trotz allem eines dieser erhabenen Wesen anrufen. Er kannte nur Crypthmetoras, den Geist des Wissens, doch beschloss er, einfach alle Urgeister zu rufen und abzuwarten, welcher sich denn wohl zeigen würde. Da er nicht wusste, wie man das am besten tat, rief er einfach laut in den Wald hinaus:"Urgeister! Ich rufe Euch! Zeigt Euch, Urgeister! Ich benötige Eure Hilfe!"

Der Regen wurde stärker und durchnässte Julians Kleidung. Plötzlich fegte ein peitschender Wind durch den Wald und traf Julian so heftig, dass er beinahe im Matsch ausgerutscht wäre. Er konnte sich gerade noch aufrecht halten und beobachtete zugleich, wie sich die Bäume am Wegsaum im starken Wind bogen und aneinanderkrachten. Im nächsten Moment erloschen alle Laternen, soweit Julian sehen konnte, zugleich und die tiefste Schwärze, die er je wahrgenommen hatte, drückte von allen Seiten auf ihn ein. Völlig aufmerksam und abwartend blieb Julian auf der Stelle stehen und versuchte, irgendwo um sich etwas zu erkennen. Als er seinen Blick schweifen ließ, glaubte er, dass etwas an ihm vorübergehuscht war.

"Sicher kein Urgeist. Die können doch nicht so unscheinbar sein. Wenn ein Urgeist hier wäre könnte ich das schon spüren.", sagte Julian überzeugt zu sich selbst. Jedoch rechnete er nicht mit einer Antwort von außen.

"Sries eun Chestro, Eyulyian.", flüsterte eine fürchterliche Stimme direkt neben Julians Ohr. Er schreckte auf und sprang von der Quelle des Schalls weg. Durch diese rasche Aktion in völliger Dunkelheit hatte er allerdings den matschigen Boden vergessen und nun rutschte er aus, fiel in den Schlamm und rief dann außer Atem:"Wer...seid Ihr?"

"Cha,cha,cha. Niinkreth berfut. Nee verkcs tangeiir meia Chotra?"

Julian verstand kein Wort. Er wusste nur, dass er vermutlich doch einen Urgeist in seiner unmittelbaren Umgebung hatte. Das mächtige Wesen sprach nur in der alten Sprache, die Julian nicht beherrschte und so blieben ihm die Aussagen des Geistes ein Rätsel. Er wiederholte seine Frage von vorhin:"Wer seid Ihr, verdammt noch mal?"

"Tartaro. Srim ses Manifestra sel Berfuuusa."

Auf diese Worte hin leuchtete plötzlich eine einzelne Laterne auf. Jedoch war dies keine der Laternen, die am Wegesrand den Reisenden Erleuchtung boten. Diese Laterne hing direkt vor Julian in der Luft. Langsam erschlossen sich ihm alle Details der Gestalt, welche vor ihm aufragte. Das seltsame Wesen schwebte einen Meter über dem Boden und sah aus wie ein Gespenst aus Gruselgeschichten. Man konnte nur einen seltsamen, grauen Fetzen in der Luft hängen sehen, der eine Art Kapuzenrobe darstellte. Lange Ärmel und die Kapuze ließen keinen Blick auf die Gestalt innerhalb des Gewandes zu. Lediglich eine metallene Sichel ragte aus dem linken Ärmel und auf dieser hing die Laterne und schwankte minimal im Wind hin und her. An den Seiten der Ärmel erkannte Julian je drei identische, goldene Stickereien in Halbkreisform in denen sich drei verschiedene Edelsteine befanden. Rubin, Saphir und Smaragd, alle in Form eines Karos. Der Gewandfetzen besaß auch feine Linien in dunklerem Grau, welche wie eine Maserung beim Holz über den Stoff verliefen und ihm ein schönes Muster verliehen. Die gesamte Gestalt war umgeben von einem sehr dunklen, rötlichen Licht, welches nicht nur bedrohlich anmutete, sondern die Macht dieses Wesens noch zusätzlich verdeutlichte. Julian konnte kaum hinsehen, geschweige denn, sich aufrichten. Er zitterte am ganzen Körper. Endlich hatte er die Dummheit seiner Handlung erkannt. Wie konnte er nur glauben, ein Urgeist würde ihm helfen? Wie war er nur auf die hirnverbrannte Idee gekommen, tatsächlich einen Urgeist zu rufen? Wie konnte man nur so dumm sein? Doch all diese Fragen halfen Julian jetzt auch nicht mehr. Mühsam nahm er all seine verbliebene Kraft zusammen und versuchte, aufzustehen. Die schwebende Gespenstergestalt rührte sich nicht. Beobachtete sie ihn etwa und amüsierte sich auf seine Kosten? Noch immer wusste er nicht, was da eigentlich vor ihm schwebte und er war sich ziemlich sicher, dass er es auch nicht herausfinden würde. Dennoch versuchte er es noch einmal mit Reden:"Es tut mir Leid, oh großer Urgeist. Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Ich dachte, es wäre klug, einen Urgeist um Hilfe zu bitten, doch nun ist mir klar geworden, dass ich solch erhabene Geschöpfe nicht mit meinen Problemen behelligen sollte. Bitte vergebt mir. Außerdem würde ich gerne wissen, wer Ihr seid, jedoch spreche ich die alte Sprache nicht. Könntet Ihr Euch, so es in Eurer unendlichen Güte möglich wäre, in der neuen Sprache vorstellen?"

Julian hatte sich nun wieder aufgerichtet und blickte in die dunkle Öffnung der Kapuze. Dort ragte nun ein winziges Stück Metall heraus, das stark an die Spitze einer weiteren Sichel erinnerte. Diese war ebenfalls mit dem dunkelroten Licht umrandet. Dennoch gab der Urgeist keine Regung von sich und schwebte einfach weiterhin in der Luft. Jeder Augenblick war für Julian unerträglich. Es konnte jeden Moment mit ihm zu Ende gehen. Der Urgeist brauchte sich wahrscheinlich nicht einmal bewegen und konnte Julian trotzdem töten. Nun würde er einen hohen Preis für seine Dummheit zahlen.

"Wie konnte ich nur so dumm sein?", dachte er.

"Berfuuusa srit niinkrethis. Niinkreita srit berfut. Sries berfut osto, Eyulyian. Pedrocolo Berfuuusa srit dollojustre osto. Iistued tangeiir neevis, konnrit dollojustre."

Noch immer dachte der Urgeist nicht einmal im Traum daran, mit Julian in der neuen Sprache zu kommunizieren. Stattdessen enthüllte die gespenstische Gestalt nun auch am rechten Arm eine metallene Sichel derselben Machart wie die anderen. Julian begriff nicht, was nun geschah und hoffte noch immer, der Urgeist würde sich ihm verständlich ausdrücken. Als dann aber die Sichel von einem Moment auf den nächsten eine ruckartige, horizontale Bewegung ausführte, fühlte Julian eine seltsame Wärme in der Gegend seines Bauches entstehen. Zugleich bahnte sich ein Gefühl an, als ob tausend Nadeln zugleich in seinen Körper stachen. Bevor er an sich hinab sehen konnte, zerfiel er in zwei Teile und wanderte langsam ins Delirium. Während er sich darauf vorbereitete, zu sterben, hörte er noch ein paar letzte Worte des Urgeistes, doch da er sie ohnehin nicht verstehen konnte, nahm er den genauen Wortlaut ebenfalls nicht mehr wahr. Was er aber verstand, waren ein paar sehr feindselig gesprochene Worte eines anderen Wesens.

"Verschwinde, du elendiges Scheusal! Lass ihn zufrieden!"

Obgleich Julian nichts mehr außer einer bitteren Kälte fühlte, konnte er noch ganz schwach wahrnehmen, dass ein bedrückendes Gefühl verschwunden war. Die Stimme, die er vernommen hatte, wurde lauter.

"Ach, du meine Güte. Das wird aber eine ganz schöne Arbeit. Nun denn."

Mehr hörte Julian nicht mehr. Seine Seele reiste langsam ins Jenseits.

Julian schnappte nach Luft. Er fühlte sich, als ob er ersticke. Nach ein paar Sekunden konnte er seinen Atem kontrollieren und sich ein wenig entspannen. Was war mit ihm geschehen? War er nun tot? Das einzige, das er im Moment sehen konnte, war eine seltsame Frau, die irgendetwas mit seinem Körper tat. Allerdings erkannte er nicht, was sie tat, da er am Boden lag und seinen Kopf aus irgendeinem Grund nicht aufrichten konnte. Als er versuchte, seine Beine zu bewegen, bekam er einen Schock. Er konnte sie nicht fühlen. Was genau ging hier eigentlich vor? Die letzte Erinnerung, die in Julians Verstand noch ganz frisch war, ließ ihn den seltsamen Urgeist sehen, wie er seinen Sichelarm schwang. Danach konnte er sich nicht mehr erinnern. Hatte der Urgeist ihn getötet? Aber wenn er tot war, warum sah die Umgebung dann so aus, wie jene, in der er dem Urgeist begegnet war? Schön langsam wurde es ihm zu viel und er überlegte schon, ob er einfach einschlafen sollte.

"Das würde ich an Eurer Stelle lieber nicht tun.", antwortete sofort eine überaus freundliche Stimme. Sie gehörte der Frau, die etwas mit Julians Körper tat. Für einen Moment stoppte sie ihre Arbeit und blickte Julian tief in die Augen.

"Ich grüße Euch, Kind des Schicksals. Es ist eine Schande, was dieser vermaledeite Urgeist mit Euch getan hat. Aber das bekomme ich schon wieder hin. Es könnte nur ein wenig dauern. Ich heiße übrigens Lehixili und bin bekannt als die Sternenhexe. Ohne meine schnelle Reaktion wärt Ihr jetzt schon tot, kein Zweifel."

"Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Lehixili.", antwortete Julian. "Ich kann nicht behaupten, zuvor schon einer Hexe begegnet zu sein. Soweit ich weiß, seid Ihr das weibliche Äquivalent zu den Druiden, richtig?"

"Ich sehe schon, Ihr wisst Bescheid. Ja, so ist es. Die Druiden und wir Hexen stellen gemeinsam mit dem Propheten die ersten 26 von Adam und Eva geschaffenen Menschen dar. Wir sind die Ältesten unseres Volkes, wenn Ihr so wollt."

"Beeindruckend, doch könnt Ihr mir bitte erklären, was Ihr da eigentlich mit meinem Körper macht?"

"Scheinbar habt Ihr Euren beinahen Tod verdrängt. Das ist völlig normal. Ich werde es Euch erzählen. Die Manifestation der Dummheit hat Euch mit ihrer Sichel in zwei Teile zerschnitten. Danach habe ich sie verscheucht und Euch sofort verarztet. Allerdings braucht es einige Zeit, Euren Körper wieder zusammenzuflicken."

In Julians Kopf dröhnte es.

"Soll das heißen, ich war tot?"

"Beinahe tot. Kurze Zeit wart Ihr ohnmächtig, doch ich konnte Eure Seele noch in unserer Dimension halten. Keine Sorge, Ihr werdet wieder vollständig gesund. Falls Ihr im Moment nichts fühlt, liegt das an meinem Zauber, der Euch vor den höllischen Schmerzen bewahrt, die Ihr sonst in dieser Situation empfinden würdet."

"Das ist sehr gut, denn Schmerzen brauche ich im Moment am allerwenigsten. Ich versuche gerade erst, zu verstehen, was hier eigentlich vor sich geht."

"Aber das habe ich Euch doch gerade erklärt. Was verwirrt Euch denn noch?"

"Einfach alles. Wer, habt Ihr gesagt, hat mich zerschnitten?"

"Die Manifestation der Dummheit. Der Urgeist, den Ihr leichtfertig rieft. Wenn Ihr dumme Dinge tut, wie zum Beispiel einen Urgeist anzurufen, ist sie gnadenlos. Sie ernährt sich von der Dummheit aller Wesen."

"Was für ein schreckliches Wesen. Ich hoffe, dass ich sie nie wieder sehen muss. Man soll doch aus seinen Fehlern lernen können und nicht sofort dafür getötet werden, oder liege ich da falsch?", fragte Julian.

"Da habt Ihr durchaus Recht, doch so funktioniert unsere Existenz leider nicht. Vielleicht hier, auf der Erde. Aber nicht in Malluricon, der Dimension, in der die Manifestation der Dummheit herrscht. Falls Ihr es nicht wusstet, jeder Dimension unserer Existenz ist ein Urgeist zugeordnet. In einer Dimension sind sogar drei Urgeister zugleich beheimatet, da es ja dreizehn Urgeister und nur elf Dimensionen gibt. Jetzt wisst Ihr jedenfalls, dass man sich mit diesen überlegenen Wesen besser nicht anlegt. Am besten denkt Ihr nicht einmal daran, sie zu rufen. Das allergesündeste jedoch wäre, wenn Ihr nicht einmal mehr das Wort 'Urgeist' erwähnt oder überhaupt daran denkt. Dann kann so etwas wie eine Spaltung Eures Körpers auch nicht noch einmal passieren. Zumindest nicht durch einen Urgeist."

"Ihr habt Recht. Danke, dass Ihr so offen mit mir sprecht, Lehixili."

"Aber gerne doch. Ich helfe für mein Leben gerne den Unschuldigen, die das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein oder einen Fehler zu machen. Wie Ihr sagtet, Julian, man soll aus seinen Fehlern lernen können."

"Sagt einmal, was habt Ihr da vorhin eigentlich über die ersten Menschen gesagt? Ich habe das nur vage mitbekommen, weil ich wissen wollte, was mit meinem Körper passiert. Aber sagtet Ihr da etwas von einem Propheten?"

"Ja, ganz recht. Unser Prophet heißt Elias und war der erste von Adam und Eva geschaffene Mensch. Er hat alle der 300 ersten Menschen persönlich aufgezogen. Obwohl wir nicht seine Kinder sind, hat er uns dennoch so behandelt und uns großgezogen. Weil er das mit allen der ersten 300 Menschen tat, werden wir gerne auch "Die Kinder von Elias" genannt."

"Ein passender Titel. Doch was hat dieser Prophet Elias Großes getan? Warum habe ich noch nie von ihm gehört?"

"Ihm widerfuhr leider das Schicksal eines jeden Sterblichen."

"Ihr meint, er ist gestorben?"

"Er wurde ermordet, das trifft es wohl eher. Aber ja, er ist tot. Das Resultat bleibt dasselbe."

"Darf ich Euch sagen, wie wundervoll es ist, mit jemandem zu reden, der ganz offen auf alles eingeht und nicht vor irgendwelchen Fragen zurückschreckt. Es ist wundervoll, mit Euch zu sprechen."

"Oh, vielen Dank, Julian. Ich werde ja gleich rot, hihi. Nun denn, ich sollte mich nun wieder auf die Verbindung Eurer beiden Körperhälften konzentrieren." Das tat Lehixili dann auch wieder, während sie weiterhin mit Julian sprach. Zunächst fragte dieser jedoch schockiert:"Moment, ist mein Körper noch immer zerteilt?"

"Ja, das sagte ich ja gerade."

"Woher wisst Ihr eigentlich meinen Namen? Das fällt mir erst jetzt auf."

"Ich beobachte sehr viel und auch Euch habe ich beobachtet, als Ihr den Urgeist rieft."

"Na schön, dann erklärt mir bitte endlich, was ein Kind des Schicksals ist. Ihr habt mich, so wie ein paar andere ebenfalls, so genannt. Ich muss endlich wissen, was ein Kind des Schicksals ist, wie viele es gibt, wer die anderen sind und was denn unsere Aufgabe ist."

"Ich fühle, dass ich nicht diejenige bin, die Euch das verraten soll, Julian. Tut mir furchtbar Leid, ich würde es wirklich gerne tun, doch bin ich nicht dazu bestimmt. Ihr müsst Euch noch ein Weilchen gedulden. Bald schon werdet Ihr mehr erfahren."

"Na toll, war ja klar. Genau dasselbe hat der Druide der Gestirne auch gesagt."

"Ich weiß. Ich habe aber nicht etwa wiederholt, was er schon von sich gab, sondern bin meinem Gefühl nach zum selben Schluss gekommen."

"Dann nehme ich an, Ihr werdet mir auch nicht verraten, wer das schrecklichste Wesen der Existenz war, oder?", fragte Julian hoffnungsvoll, aber schon ahnend, wie die Antwort lauten würde.

"Seid Ihr von Sinnen? Ihr seid gerade einmal so mit dem Leben davongekommen, als Ihr einem Urgeist gegenüber standet. Nun wollt Ihr noch den Vater der Urgeister persönlich beschwören? Niemals werde ich Euch etwas über ihn erzählen. Das ist zu Eurem eigenen Schutz, da Ihr scheinbar dazu neigt, Euch gerne in Gefahr zu bringen. Was war denn das mit Lilybeth, auch nicht gerade eine Glanzleistung, oder?"

"Das war doch nicht meine Schuld. Sie ist einfach aufgetaucht. Was hätte ich denn tun sollen?"

"Naja, jedenfalls ist es katastrophal ausgegangen. Euretwegen musste ein Unschuldiger sterben."

"Meinetwegen?", Julian stutzte. Er war überzeugt, dass Liams Tod nicht seine Schuld gewesen war. Wie hätte er auch verhindern sollen, dass Lilybeth ihn zu Tode prügelt? Sie war ihm weit überlegen. Doch Lehixili erklärte es ihm.

"Ihr hättet Lilybeth davon abhalten können, ihn zu töten. Es hätte eine Möglichkeit gegeben. Leider habt Ihr falsch gehandelt. In einem nicht existenten, aber theoretisch möglichen Zeitstrang würde Liam noch leben und dann müsste ich Euch auch nicht zusammenflicken, weil Ihr bei ihm im Dorf übernachtet hättet und nicht auf die irrsinnige Idee gekommen wärt, die Manifestation der Dummheit zu beschwören. Schon traurig, wie eine einfache Entscheidung so viel verändern kann."

"Aber was habe ich getan? Für was habe ich mich entschieden? Und wie könnt Ihr Euch anmaßen, mir einen alternativen Zeitstrang zu präsentieren? Woher wollt Ihr wissen, dass das wirklich passiert wäre?"

"Schön langsam finde ich keinen Gefallen mehr an einem Gespräch mit Euch, Julian. Ich bin wirklich sehr freundlich und zuvorkommend, doch wenn ich für meine Hilfe ständig angeschnauzt werde, habe auch ich einmal genug. Also mäßigt Euren unhöflichen Ton, sonst lasse ich Euch gleich unter Schmerzen zum Sterben zurück. Aber das wäre eine Verschwendung Eures Lebens, also beherrscht Euch um Euretwillen. Verstanden?"

Da blickte Julian erschrocken auf die Sternenhexe. Er war nur wegen ein paar Kleinigkeiten erzürnt, doch schien ihr der Ärger in seiner Stimme nicht entgangen zu sein. Julian erkannte, dass es ihm nicht zustand, jener Person gegenüber in irgendeiner Weise unfreundlich zu sein, die ihm gerade das Leben rettete. Also tat er das einzig Richtige.

"Bitte verzeiht mir, Lehixili. Ich habe wohl meine Höflichkeit und erst recht meine Dankbarkeit vergessen, weil alles gerade ziemlich chaotisch ist. Es tut mir Leid."

"In Ordnung, ich akzeptiere Eure Entschuldigung. Immerhin ist Euch jetzt klar geworden, welch unverschämtes Glück Ihr hattet, dass ich gerade zusah, als Ihr von der Manifestation der Dummheit zerteilt wurdet. Viele andere hatten nicht so viel Glück wie Ihr. Aber Ihr seid nun mal ein Kind des Schicksals und eines von der gesegneten Sorte, wie mir scheint. Ich verstehe, dass Ihr angesichts des Chaos nicht klar denken und Euch noch weniger angemessen verhalten könnt. Das können die wenigsten im Chaos. Denn so ist das Chaos nun mal. Es wirbelt alles herum und lässt ein Wirrwarr zurück, welches nur schwer zu durchblicken ist. Selbst für jene, die alles durchblicken."

"Darf ich nun noch einmal höflich fragen, woher Ihr wisst, wie eine alternative Zeitlinie ausgesehen hätte, die nie passiert ist?"

"Aber natürlich. Das liegt an meiner Sternenmagie. Die Sternenmagie lässt einen zuweilen schon extreme Sachen tun. Ich kann in eine niemals geschehene Zukunft sehen sowie noch viele andere Dinge. Das Zusammenfügen Eures Körpers hingegen gelingt nur mithilfe von Naturmagie, der ältesten und reinsten Form der Magie. Bestimmt langweile ich Euch mit diesen ganzen Fakten. Ich sollte sie vermutlich den Schreiberlingen erzählen, die alles in Büchern verewigen müssen. Die können mit diesem Wissen mehr anfangen."

"Nein, bitte redet weiter. Solange ich noch aus zwei Teilen bestehe, kann ich ja ohnehin nichts tun. Da ist es schön, zumindest mit Euch reden zu können. Und ich kann Euch ganz ehrlich sagen, dass ich mich mit bisher keinem anderen Menschen außer meinen besten Freunden so gut unterhalten konnte."

"Vielen Dank, Julian. Eure besten Freunde sind Otto und Lisa, nicht wahr? Ja, ich sehe sie vor mir." Die Sternenhexe seufzte.

"Was habt Ihr?"

"Ach, gar nichts. Es ist nur ein Jammer."

Da wurde Julian das Herz schwer.

"Es geht ihnen doch gut, oder?"

"Sollt Ihr nicht eine Aufgabe für Alfokohel erfüllen, um die Antwort auf diese Frage zu erhalten?"

"Bitte, Ihr müsst es mir sagen. Wenn etwas mit ihnen passiert ist, muss ich es sofort wissen."

"Ich kann nur so viel sagen, dass sie beide noch am Leben sind. Das muss Euch reichen."

"Ja, das reicht mir vollkommen.", gab Julian erleichtert von sich.

"Tatsächlich? Es reicht Euch, wenn sie leben? Was, wenn sie schrecklich verstümmelt und unter furchtbaren Qualen in irgendeinem Folterkeller gefesselt hängen und auf ihren Tod warten? Das ist Euch lieber, als dass sie in ihrem Tod Erlösung finden? Wenn dem so ist, seid Ihr nicht nur ein miserabler Freund, sondern ein kaltherziger Mensch."

"Nein, um Gottes Willen, so habe ich das nicht gemeint. Das ist doch nicht wirklich mit ihnen geschehen? Was mache ich hier, ich muss sofort weiter." Julian versuchte, sich aufzurichten. Doch er schaffte es nicht.

"Ruhig jetzt.", sagte Lehixili. "Die beiden sind in keinem Folterkeller und haben auch noch alle Gliedmaßen. Der Rest wird Euch erst von Alfokohel offenbart. Jetzt haltet gefälligst still. Je ruhiger Euer Körper ist, umso einfacher ist es für mich, ihn zusammenzuflicken."

"Verstanden, ich bleibe ganz ruhig."

"Hoffen wir, dass Ihr das schafft. Der Prozess wird nämlich noch eine ganze Weile dauern."

Nach einer gefühlten Ewigkeit - tatsächlich waren es nur drei Stunden - beendete die Sternenhexe ihre Operation und Julians Körper war wieder so, wie er vor der Begegnung mit dem Urgeist gewesen war. Abgesehen von der Narbe, die sich über seinen gesamten unteren Bauch streckte und auch am Rücken entlang verlief. Einmal rund um seinen Körper ging sie. Nun richtete er sich wieder auf, fühlte an die Narbe und erschauderte dann. Für einen Moment dachte er, er würde den Schmerz erneut fühlen, der damals das Zerfallen seines Körpers in zwei Teile begleitet hatte. Doch zum Glück lag diese schmerzhafte Erinnerung nun hinter ihm. Die Sternenhexe stand ihm nun auf Augenhöhe gegenüber. Sie war etwas kleiner als Julian, ungefähr so groß wie Lisa. Erst jetzt nahm Julian alle Details der Hexe richtig wahr. Sie besaß langes, seidenglattes, blondes Haar und ihre Augen leuchteten braun. Am Oberkörper trug sie eine Art zerzausten, filzigen Pullover, der bis zu ihren Handgelenken und ihrer Hüfte verlief. Der Pullover besaß denselben, dunklen Grauton wie auch der Kapuzenumhang der Manifestation der Dummheit. Allerdings schimmerte der Pullover an manchen Stellen in verschiedensten Farben. An den Beinen der Sternenhexe konnte Julian den unteren Teil eines hellblauen Kleids erkennen, welcher vorne in der Mitte ein wenig offen war und mit sich überkreuzenden Schnüren zusammengehalten wurde. Die Hexe ging barfuß und der Ringfinger ihrer rechten Hand wurde von einem wunderschönen silbernen Ring mit quadratischem Amethyst verziert. Als Julian den Ring erblickte konnte er nicht anders, als nachzufragen, was es damit auf sich hatte.

"Verzeiht, Lehixili, aber was ist das für ein wunderschöner Ring, den Ihr da tragt?"

"Oh, der ist Euch aufgefallen? Ihr seid wirklich aufmerksam, Julian. Das ist der Amethystring. Er war ein Geschenk an mich und besitzt die Macht, Tote wiederzubeleben. Ein wahrhaft mächtiger Ring, findet Ihr nicht auch?"

"Tote wiederbeleben? Das ist ja unglaublich. Sagt, dürfte ich Euch um die Macht dieses Rings bitten, sollte meinen Freunden doch etwas geschehen sein? Denn dann muss ich alles versuchen, um sie wieder aus dem Totenreich zurückzuholen."

"Tut mir Leid, Julian, aber so gerne ich Euch helfen würde, das ist leider nicht möglich. Der Effekt dieses Rings ist nur einmal in jeder Ära nutzbar und in unserer jetzigen Ära wurde er schon genutzt. Wie Ihr seht, kann ich also leider nichts für Euch tun."

Julian senkte enttäuscht den Kopf.

"Verstehe. Das ist natürlich sehr schade, aber danke, dass Ihr so aufrichtig mit mir seid. Dann werde ich wohl hoffen müssen, dass meine Freunde tatsächlich wohlauf sind oder ich muss warten, bis die nächste Ära beginnt. Zurzeit leben wir ja in der Ära der Menschen, soweit ich weiß, richtig?"

"Das ist korrekt.", antwortete die Sternenhexe. "Das dritte Zeitalter, auch Ära der Menschen genannt. Jedoch solltet Ihr nicht darauf hoffen, dass es bald zu Ende geht, denn das dauert noch eine ganze Weile."

"Was genau geschieht denn eigentlich, wenn eine Ära zu Ende geht?"

"Nun, am Ende jeder Ära geschieht etwas, das die Welt ob seiner Gewaltigkeit erzittern lässt. Wenn es Euch denn interessiert, am Ende der ersten Ära hat ein großer Held bewiesen, dass das schrecklichste Wesen unserer Existenz nicht unbezwingbar ist. Außerdem verließen damals auch alle Götter unsere Welt und zogen nach Vesdgard, in die Dimension der Götter."

"Beeindruckend, also wurde das schrecklichste Wesen der Existenz besiegt? Moment, sagtet Ihr "Götter"?"

"Die Antwort auf beide Fragen lautet "Ja". Das schrecklichste Wesen wurde besiegt, sogar mehrmals und ja, früher wandelten Götter auf unserer Erde. Aber das ist wirklich schon sehr lange her."

"Ach, Lehixili, ich könnte für immer mit Euch sprechen, so aufschlussreich sind die Gespräche mit Euch. Aber es kann nicht für immer so bleiben, habe ich Recht?" Julian fand den Gedanken traurig, sein Gespräch mit der Sternenhexe beenden zu müssen. Jedoch wusste er schon, dass es anders nicht möglich war.

"Natürlich kann es nicht für immer so bleiben, doch das wisst Ihr ja selbst. Spätestens nach ein paar Tagen würdet Ihr vor Durst sterben und dann wäre das Gespräch sowieso beendet. Darüber hinaus müsst Ihr nun Eure Reise fortsetzen, denn noch viele Abenteuer warten auf Euch, Julian. Ihr seid ein Kind des Schicksals, vergesst das nie. So jemand steht nicht nur an einem Ort und spricht dort für immer mit jemandem, der das Weltgeschehen nicht entscheidend beeinflusst. Also los, macht Euch auf den Weg."

"Was sagt Ihr da, Ihr beeinflusst das Weltgeschehen nicht? Ihr habt mir gerade das Leben gerettet, wofür ich Euch übrigens auf ewig dankbar sein werde. Ich werde Euch vermissen, Lehixili."

"Seid nicht so verschwenderisch mit Eurem Dank. Ich habe nur einen dummen Fehler Eurerseits korrigiert und die Konsequenzen minimiert. Aber ich freue mich, wenn Ihr meine Hilfe schätzt. Und Ihr braucht mich nicht vermissen, denn ich bin nie weit weg. Wenn Ihr Euch nach mir sehnt, blickt einfach in den Nachthimmel und Ihr werdet mich sehen. Lebt Wohl, Julian. Damit Ihr diese Nacht übersteht, sage ich Euch noch eines: Sucht das Licht in der Ferne. Ihr werdet schon sehen, was ich damit meine."

Dann stieg Lehixili, die Sternenhexe in die Luft auf und langsam verblasste ihre Gestalt immer mehr, wurde durchsichtig und schließlich war sie ganz verschwunden. Julian blieb verwundert, erstaunt, erfreut und zugleich traurig zurück. Er hatte die Sternenhexe wirklich geschätzt, vor allem, weil sie offen mit ihm sprach und ihm nicht irgendetwas verheimlichte. Doch nun war sie weg und Julian war wieder ganz auf sich allein gestellt.

"Das Licht in der Ferne suchen, was?", fragte Julian in die Dunkelheit hinaus und bemerkte dann, dass er sich noch immer an derselben Stelle befand, an der er von der Manifestation der Dummheit in zwei Teile geteilt worden war. All die Laternen am Rand des matschigen Weges inmitten des düsteren Waldes waren noch immer erloschen und im Moment drückte eine schwere Dunkelheit von allen Seiten auf Julian ein. Zweifellos hatte die Sternenhexe eine Art Sternenlicht ausgestrahlt, als sie ihn verarztet hatte, denn zuvor war es viel heller gewesen. Was für eine erstaunliche Person diese Sternenhexe doch war. Noch viel faszinierender fand Julian jedoch die Tatsache, dass er nun schon einem Druiden, einer Hexe und sogar einem Urgeist begegnet war. Auch wenn der Urgeist ihn getötet hätte, hätte die Sternenhexe nicht so schnell reagiert, waren das doch schon bedeutsame Begegnungen. Immerhin hatte Julian schon mit zweien der mächtigsten Menschen und einem der allermächtigsten Wesen überhaupt interagiert. Wem mochte Julian auf seiner Reise noch begegnen? Das konnte er nur herausfinden, indem er sie fortsetzte, doch dafür musste er zunächst die Nacht überstehen. Als er sich umsah und in alle Richtungen spähte, auf der Suche nach einem Licht irgendwo in der Ferne, da bemerkte er tatsächlich etwas. Zwischen zwei Bäumen, die den Wegesrand säumten, konnte man weit entfernt einen winzigen, weißen Lichtpunkt erkennen. Ob dies das Licht war, von dem Lehixili gesprochen hatte? Julian musste sich nun zwar zwischen Bäumen hindurchzwängen, doch er versuchte, zu diesem Lichtpunkt zu gelangen. Nach einigen Metern wurde der Wald lichter und Julian konnte sich freier bewegen. Er lief unablässig in Richtung des Lichts, das langsam, aber doch immer größer zu werden schien. Nach einiger Zeit gelangte er auf eine kleine Lichtung, in deren Mitte ein großer Monolith prangte. Er ragte gen Himmel und ließ Julian instinktiv aufsehen. Dort oben erstreckte sich ein endloser, mit Sternen übersäter Himmel. Als Julian sich in den Sternen verlor, schoss plötzlich eine Sternschnuppe über den Himmel und sofort verstand er, dass das ein Gruß der Sternenhexe war. Wie sie gesagt hatte, konnte er sie stets am Nachthimmel finden. Freudig über dieses kleine, aber bedeutende Ereignis setzte Julian seinen Weg in Richtung der Lichtquelle fort und nach einiger Zeit erkannte er, dass es sich bei der Quelle des Lichts um ein riesiges Feuer handelte. Fackelte gerade der Wald ab? Warum würde die Sternenhexe ihn dann dorthin schicken? Sollte er etwa das Feuer löschen? Nervös wurde Julian noch schneller und schließlich erreichte er den gigantischen Haufen von Holz, der lichterloh brannte und eine weitreichende Umgebung erleuchtete und wärmte. Da saßen ein paar Gestalten am Feuer und einer von ihnen schürte es sogar noch weiter. Sofort trat Julian zu ihnen heran und schrie:"Was macht ihr hier? Ihr werdet den ganzen Wald abfackeln, verdammt! Macht sofort das Feuer aus!"

Einige der Leute sahen ihn kurz an und wandten sich dann ebenso schnell wieder ab. Die Gestalt, die das Feuer schürte, sprach mit besänftigender Stimme:"Ganz ruhig, Mann. Niemand fackelt hier irgendwas ab. Dieses Feuer entzündet nichts in seiner Umgebung. Es dient alleine dem Zweck, zu wärmen und zu versammeln."

"Was redet Ihr da? Das ist das größte Feuer, das ich je gesehen habe. Es ist absolut unmöglich, dass es nicht bald den gesamten Wald im Umkreis abfackeln wird."

"Das ist sehr wohl möglich, denn ich kontrolliere dieses Feuer. Vertrau mir, nichts wird geschehen. Schließlich brennt dieses Feuer nun schon seit fast drei Jahren."

"Was?", rief Julian erschüttert. Das konnte unmöglich der Wahrheit entsprechen.

"Setz dich zu uns und gib mir die Chance, mich einmal vorzustellen. Na mach schon, ich warte nicht die ganze restliche Nacht. Bald geht die Sonne auf, also los."

Julian, der nicht genau wusste, was er nun tun sollte, setzte sich fürs Erste wirklich zu dem seltsamen Mann und blickte ihm ins Gesicht. Da staunte er. Der Mann besaß das wohl ehrlichste Gesicht, das jemals ein Mensch besessen hatte. Wenn man ihn schon ansah, wusste man, dass er stets die Wahrheit sprechen würde und ihm nicht mal in den Sinn kommen würde, zu lügen. Er lächelte Julian an und sagte:"Hallo, mein Name ist Hoën. Die Leute nennen mich den heizenden Hoën. Das ist ziemlich genau das, was ich mache. Ich heize. Meine Feuer dienen all jenen, die sie nutzen wollen. Dafür müssen sie sie lediglich finden. Viele Reisende kennen meine Feuer und reisen gerne zu mir, weil sie wissen, dass sie hier immer willkommen sind. Hier an meinem Feuer gibt es keinen Streit oder Konflikte, nur Reisende, die sich untereinander austauschen, miteinander lachen, tanzen, trinken und feiern. Es ist wirklich wunderbar. Lass dir zwei Dinge gesagt sein, wenn du länger hier bleiben willst: Erstens darfst du hier keinen Ärger machen, sonst werde ich dich persönlich von hier verscheuchen. Zweitens darfst du niemals zu nahe ans Feuer herantreten. Es ist durchaus ein riesiges Feuer und kann somit auch große Zerstörung hervorbringen. Daher kontrolliere ich es mithilfe einer magischen Barriere, die ich unentwegt darauf wirke. Ansonsten würde das Feuer tatsächlich außer Kontrolle geraten und in kürzester Zeit den gesamten Wald abfackeln, wie du schon sagtest. Nun, nachdem das alles geklärt ist, willst du mir nicht mal erzählen, wer du bist?"

Julian blickte Hoën einen Moment verdutzt an, dann aber sammelte er sich und antwortete:"Ich grüße Euch, Hoën. Mein Name ist Julian und ich bin auf der Reise zur Nebelwiese. Allerdings liegt da noch ein weiter Weg vor mir und zunächst versuche ich, die Nacht zu überstehen. Wenn ich also bei Eurem Feuer übernachten könnte, wäre das wirklich toll."

"Hast du mir nicht zugehört? Jeder Reisende ist hier willkommen, solange er die Regeln befolgt. Du brauchst auch nicht so höflich zu sein. Alle Reisenden, die hierher kommen, sind meine Freunde. Wir sind doch alle Freunde, nicht wahr, Julian?"

"Nun, ja, wenn das für dich in Ordnung ist."

"Aber natürlich. Willkommen an meinem Feuer. Heißt alle mal Julian herzlich willkommen!"

Daraufhin riefen alle, die sonst noch um das Feuer versammelt waren im Chor:"Sei herzlichst willkommen, Julian!"

"Vielen Dank euch allen.", erwiderte Julian fröhlich. Was für ein warmherziger Empfang, ebenso warm wie das Feuer, an dem sie alle rasteten. Fürs Erste beschloss Julian, ein wenig zu schlafen und am Morgen mehr über Hoën sowie sein Feuer herauszufinden. Doch er fand es unhöflich, einfach zu schlafen, ohne vorher nachzufragen. Schließlich hatten ihn alle gerade so freundlich willkommen geheißen.

"Sag mal, Hoën, ist es in Ordnung, wenn ich nun noch ein wenig schlafe, bis es Morgen ist?"

"Selbstverständlich. Niemand zwingt dich hier zu irgendwas. Du kannst alles tun, was du willst, solange es nicht gegen meine Regeln verstößt und niemand anderem hier schadet. Wenn du also so laut wie ein Walross schnarchst, darfst du hier künftig wohl nicht mehr schlafen, weil das dann alle anderen hier stören würde. Hahaha, aber gehen wir einmal nicht davon aus, dass es so ist."

"Bestimmt nicht.", versicherte Julian. Bei dem Wort "Walross" war ihm wieder der dämliche Witz eingefallen, den Lilybeth ihm erzählt hatte. Ob der hier wohl gut ankam? Schließlich versuchte Julian es einfach.

"Hey, Hoën, ich hab einen Witz für dich."

"Dann leg los, ich liebe Witze, so wie jeder hier."

"Wie nennt man ein Pferd im Wasser?"

"Bestimmt nicht Seepferdchen, weil das zu einfach wäre, nicht wahr? Also, wie nennt man's?"

"Walross.", antwortete Julian und gerade, als er es aussprach, glaubte er schon, einen riesigen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht hassten ihn nun alle hier, weil er einen total miesen Witz erzählt hatte. Er hätte jede Reaktion verstanden, aber nicht jene, die wirklich folgte. Alle lachten lauthals auf. Vor allem Hoën, dessen Gelächter schallend durch die Nacht hallte.

"Haha, der war gar nicht mal schlecht, Julian. Vielleicht etwas dünn, aber durchaus der Brüller für gemütliches Beisammensein. Gut gemacht, dank dir sind alle hier nun noch fröhlicher. Das ist die richtige Einstellung."

Um zu zeigen, wie stolz Hoën war, klopfte er Julian auf den Rücken. Dieser freute sich, dass Lilybeths bescheuerter Witz so gut angekommen war und hoffte nur, dass sie ihm nicht dafür den Schädel einschlug, dass er ihren Witz weitererzählte. Dann fiel ihm wieder ein, dass sie ja nur jene ohne Humor tötete und kam zu dem Schluss, dass es ihr Freude bereiten würde, wenn Julian für sie auch den Humor der Leute testete. An diesem Feuer hatte jedenfalls für den Moment niemand etwas von Lilybeth zu befürchten. Glücklich legte sich Julian schlafen und innerhalb weniger Minuten schlief er tief und fest, obgleich die Lautstärke am Feuer enorm war. In den paar Stunden die er schlief, träumte Julian seltsame Dinge. Die Manifestation der Dummheit kam auch vor, diesmal war ihre Gestalt jedoch anders als in Wirklichkeit. Sie besaß keine Sicheln mehr als Hände, sondern geisterhafte, knochige Hände und zwei dunkelrot funkelnde, winzige Augen, die hinter ihrer Kapuze hervorstarrten. Als Julian das in seinem Traum nicht gefiel, zog er einfach ein seltsames Schwert aus der Erde, stach damit der Manifestation der Dummheit durch den Kopf und sie löste sich vor ihm auf. Hinter ihr wartete allerdings eine wüste Eislandschaft, in der alles gefroren und weit und breit außer Eis nichts zu sehen war. Dann bebte der Boden und eine schreckliche Gestalt erhob sich daraus. Anschließend wachte Julian auf.

Deadforce 2

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