Читать книгу Stojan findet keine Ruhe - Norbert Möllers - Страница 5

Оглавление

Prolog

Er hatte das Bild noch vor seinen Augen. Wie er dagestanden hatte, auf die große Bahnhofsuhr geblickt, seinen Gedanken nachgehangen. Wenn der Zug Verspätung hätte, die Türen nicht rechtzeitig schlössen, ein Rollstuhlfahrer oder ein Kinderwagen im Weg wären: das sei alles sein Pech, hatten sie ihm klargemacht. War gar nicht nötig gewesen, blöd war er ja nun mal nicht, nicht umsonst hatten sie ihn aufs Internat geschickt. Richtig die Sprache lernen, Benehmen lernen, Umgang mit den Wichtigen und den Richtigen. So wie Dejan, hatte er gedacht, das würde er schon schaffen. Und die Alte, natürlich, unwillkürlich musste er lachen, als er sich daran erinnerte. Was hatte er sich erschrocken, als sie ihn plötzlich ansprach: "Junger Mann, können Sie mir mal helfen? Ich muss da rein!" Er konnte sie gut imitieren, die Alte mit ihrem Rollator, er hatte schon so einiges mitgekriegt am Theater. Das war so komisch gewesen und die war so krumm und verbogen, und er hatte es niemandem erzählen können, dass er, Yasha, den Tag mit einer guten Tat begonnen hatte, bloß weil weit und breit kein anderer junger Mann zu finden war, der gemeint sein konnte. Er hatte noch oft daran gedacht, irgendwann musste er das mal jemandem erzählen. Überhaupt die ganze Geschichte.

An Dejan hatte er gedacht, der hatte schon sein Viertel in Dortmund. Wo würde er mal der Boss sein? Und an Carlotta hatte er gedacht und den Spider, den er noch abzahlen musste, den sie sich verdient hatte. An Afrim hatte er nicht gedacht, Afrim war der Älteste von ihnen dreien. Vor Afrim hatte er Angst, früher nur Respekt vor dem großen Bruder, jetzt Angst.

Er hatte nach der kleinen Kühltasche in seiner Jacke gefühlt, dem Insulinfläschchen auch, der Spritze, noch gedacht: „Warum nimmst du das Zeug eigentlich mit?“ Carlotta hatte nichts gemerkt, ihr Opa sowieso nicht. Er hatte sich einfach sicherer gefühlt so. Mit der Spritze. Wer weiß, wofür sie gut war. Sonst hätte er nur seine Hände gehabt.

Der Zug war voller gewesen als die Woche zuvor, lauter Loser in Loserklamotten. Trotzdem war das easy gewesen, keiner hatte ihn richtig angesehen, höchstens die krumme Alte auf dem Bahnsteig. Wieder musste er lachen bei dem Gedanken, die hätte gegen ihn ausgesagt. Aber trotzdem easy, das Pferd auf dem Arm, hübsches Foto, er hätte es gerne behalten. Aber er hatte es in seinem Schädel eingebrannt, das komische Pferd. Was dann kam, hatte er nicht mehr so präsent, sicher, die Sporttasche, er glaubte, er hätte schließlich noch gute Reise gesagt, aber ja, doch, auch das wusste er wieder, das konnte er nicht vergessen, dass das gar keine Loserlady war, längst noch nicht.

„Ich bin ein Losergirl“ hatte er gedacht, dass sie das hätte sagen können, ganz zum Schluss, wenn sie dann noch etwas hätte sagen können.

Immer noch muss er warten. Immer noch im zweiten Glied. Das Losergirl reichte denen nicht. Die wollten auch die Loserlady. War ein bisschen dumm, die Gute. Und jetzt war er ihr bereits ziemlich nahe. Diesen Sommer, okay, den brauchte er noch. Dann aber ganzes Viertel, nicht nur halbe Straße. Hallo Loserlady, zeig mir dein Pferd, du hast doch auch eins? Lass es uns reiten. Im Theater vielleicht? Was darf ich dir mitbringen?

Stojan findet keine Ruhe

Подняться наверх