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Tag 6 der Isolation, 21. März 2020
ОглавлениеLiebes Tagebuch,
in Zeiten wie diesen ist es am besten, man geht gar nicht mehr raus.
Ich sage mir: Amalie, du bist jetzt eine brave Staatsbürgerin und hältst dich an alle Vorgaben der Regierung, das ist jetzt einfach erforderlich. Ich nehme mir also vorbildlich ein gutes Buch, setz’ mich auf das Sofa und lese. Ich bleibe zu Hause mit Doktor Schiwago. Ärzte-Romane habe ich immer schon geliebt. Sie sind einfach geschrieben und voller Leidenschaft!
Ja, die Ärzte, das sind die wahren Helden! Und die Krankenschwestern! Wie sie alle an und über ihre Grenzen gehen, um zu helfen! Also wahrscheinlich nicht ganz alle. Die Zahnärzte haben grad wahrscheinlich deutlich weniger zu tun als die Kassiererinnen unten im Supermarkt. Und auch die meisten Augenärzte befassen sich grad mehr mit Netflix als mit der Netzhaut. Aber bei den Helden und Heldinnen wollen wir uns bedanken: Jeden Abend um 18 Uhr betreten die dankbaren Mitbürger ihren Balkon und klatschen laut Applaus. Also halt die, die einen Balkon haben. Manche klatschen auch aus dem Fenster. Die haben halt nicht verstanden, worauf es ankommt. Berührend ist das, und ein bisserl zum Fremdschämen.
So, liebes Tagebuch, ich schreibe später weiter, ich muss jetzt Schluss machen. Ich muss nämlich wieder weg, meine Freundin treffen. Da fahre ich eine halbe Stunde mit der Straßenbahn zum Einkaufszentrum, wo wir uns auch früher immer getroffen haben, vor dem Karona. Das ist die Freundin, von der ich mir den Doktor Schiwago ausgeborgt habe. Am Vormittag. Sie hat im Gegenzug etwas über Tiere haben wollen. Sie kriegt Die Dornenvögel von mir. Das muss ich ihr unbedingt bringen. Das habe ich gelernt: Eine Hand wäscht die andere. Hygiene muss sein, und zwar in jeder Hinsicht.