Читать книгу Wo springt die Zeit wohl hin? - Norbert Rahn - Страница 10

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Tiefgründige Pappeln

Am Sommermorgen im Wiesenhain,

da standen Pappeln, wedelnd mit langen,

bewegten Ruten im Sonnenschein,

als wollten sie Wolken winkend fangen.

Die schmalen silbrigen Blätter sirrten

im gleißenden Lichtspiel sacht dahin.

Kaum hörbar rauschten, flüsterten, flirrten

sie fröhlich Freude in meinen Sinn.

Was sich so schnurstracks nach oben reckt,

sich über Jahre empor arbeitet,

hat sich auch tiefgründig weit erstreckt,

ein starkes Wurzelwerk ausgebreitet.

Gewaltige Wurzeln, stark und alt,

zersprengten Wege, warfen sie auf,

beschädigten Pflaster und Asphalt.

Wer nimmt schon Zerstörung gern in Kauf?

Drei Laster keuchten heran, erschienen

mit schweren, stählernen Arbeitstieren,

modernen Baum-Vernichtungsmaschinen.

Ihr Zweck war banales Baum-Rasieren.

Kettensägen, sie kreischten und dröhnten,

husteten giftiges Auspuffgas.

Zweige und Äste knirschten und stöhnten,

Fontänen von Spänen spritzten ins Gras.

Immer aufs Neue heulten Motoren,

dumpf plumpsten Ruten, Stämme zu Boden -

wieder war eine Pappel verloren.

Endlich war Schluss mit dem grausamen Roden.

Was eben hochragte in die Luft,

das wurde von Lastern abtransportiert.

Ein Hauch von Harz, ein würziger Duft

hat mir die Stämme reminisziert.

Wo einst die Pappeln wogten, sich wiegten,

verblieben nur ein paar helle Späne.

Die Natur unterlag, die Maschinen obsiegten -

die Pappeln wurden zum Opfer der Pläne.

Hier könnte das Gedicht bereits enden,

doch wird es hier erst richtig beginnen.

Zum Glück hin soll sich das Unglück wenden -

durch Kahlschlag darf kein Leben verrinnen!

Nach ein paar Wochen mit kahlen Wiesen,

da sah man mitten im Wiesenhain

recht seltene Pflanzen tausendfach sprießen

mit glänzendem Blatt, noch zart und klein.

Die Pflanzen wuchsen und trieben schnell

und brachten Zweiglein, Ästchen hervor.

Die Pappelwurzeln waren ihr Quell;

das Leben strebte zum Licht empor.

Zu solcher Wurzelkraft fiel mir ein:

Verstehen wir nur, was wir auch sehen,

den kleinen, sichtbaren Augenschein

und lassen uns tieferes Sein entgehen?

Verpassen wir den wichtigen Teil?

Pulsiert hier unterirdisch das Leben

in Erdreich, Seen, Tiefsee, derweil

wir unseren Blick zum Himmel erheben?

Im Boden wimmelt es ohne Licht

vor Wurzeln, Insekten, Maulwürfen, Maden.

Die Wesen erfüllen ihre Pflicht

auf den ihnen angestammten Pfaden.

Im Meer rumoren alte Vulkane

mit ungeahnter Vielfalt des Lebens.

Die tiefsten Tiefen der Ozeane

sind Forschungsziele, oftmals vergebens.

Dort existieren Riesenkalmare

und transparentes Meeresgetier,

perfekt getarnte Prachtexemplare.

Die Wiege des ersten Daseins war hier.

Ja, einem Spaziergang dort im Hain

gelingt's, Gedanken neu zu entfalten:

Natur wohnt selbst im dunkelsten Sein,

wo wohlverborgene Kräfte walten.

Aus Sein wird Werden, Wachsen, Vergehen,

im ewigen Daseinszyklus Leben.

Wir werden wohl nie zur Gänze verstehen,

doch voller Hoffnung nach Wahrheit streben.

Wo springt die Zeit wohl hin?

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