Читать книгу Raban und Röiven Die Figur der Hekate - Norbert Wibben - Страница 11
ОглавлениеVersammlung in Munegard
Eine Woche zuvor in Munegard.
Flackernde Kerzen und Fackeln beleuchten eine Szene, die wie aus der Vergangenheit heraufbeschworen erscheint.
In einem karg eingerichteten Raum dieses alten Gebäudes hängen an den vier Wänden aus Sandsteinquadern große Teppiche mit Szenen aus der Geschichte. Es werden darauf Schlachten dargestellt. Zu erkennen sind Römer, Kelten, Griechen, Hunnen, Germanen und Wikinger.
In den Raum führt nur eine schmale, dunkle Tür. Fenster scheinen nicht vorhanden zu sein. Einen Kamin mit Feuerstelle gibt es nicht. Von der Decke hängt ein einfacher Kronleuchter herab, der mit vielen brennenden Kerzen bestückt ist. Zu beiden Seiten der Tür und verteilt an allen vier Wänden, brennen blakende Fackeln in eisernen Halterungen.
Mehrere Eichenstühle sind in der Zimmermitte kreisförmig angeordnet. Der innere Kreis besteht aus fünf wuchtigen Stühlen, die mit Löwenköpfen, an den Enden der Armlehnen und Löwentatzen, als unterer Teil der Beine, verziert sind. Die oberen Teile ihrer Rückenlehnen stellen eine Mondsichel dar, die über einer Sonne angeordnet ist. Das Holz ist dunkel, ebenso wie das Leder der Sitzflächen. Um sie herum sind zwei weitere Kreise aus insgesamt dreißig einfachen Stühlen gruppiert, die aber allesamt die Mondsichel als Verzierung auf der Rückenlehne tragen.
Gavin ist stolz, nicht nur die Stühle, sondern auch die Wandteppiche auf dem Dachboden des Hauptgebäudes gefunden und sie wieder hergestellt zu haben. Da er über Zauberkräfte verfügt, konnte er dafür den Zauber »Renovo« nutzen. Mit Oskars Hilfe hat er sie anschließend in den ehemaligen Versammlungsraum der obersten Dubharan gebracht und angeordnet. Der Raum ist jetzt mehr als übervoll, aber das stört den Zauberer nicht. Damit der Sauerstoffgehalt der Luft nicht zu sehr von den Fackeln und den Anwesenden aufgebraucht wird, steht die Eichentür offen, die den einzigen Zugang zu dem Raum bildet.
Der Zauberer erhebt sich von seinem Sitz, einem der fünf in der Mitte. Er lässt seinen Blick über die Versammlung schweifen, während er sich auf der Stelle dreht. Ihm gegenüber sitzt Oskar auf einem der fünf Löwenstühle, die anderen drei sind nicht besetzt. Die Plätze der äußeren Ringe sind etwa zur Hälfte genutzt. Dort sitzen sowohl Männer als auch Frauen. Alle haben dunkle Gewänder umgelegt, auf die an unterschiedlichen Stellen silberne Mondsicheln gestickt sind. Auf Gavins schwarzem Umhang sind ebenfalls Mondsicheln zu erkennen, aber auch je ein Vollmond auf beiden Kragenspitzen.
»Meine Freunde!«, beginnt Gavin mit leicht erhobener Stimme. Sofort herrscht Stille im Raum. Das leise Gemurmel der Anwesenden hat schlagartig aufgehört. »Ich freue mich, so viele Urenkel der glorreichen Zauberer des Mondes hier zu sehen!« Er macht eine Pause und schaut in die Runde der Anwesenden. »Leider kann meine Cousine Morgana heute nicht bei uns sein. Sie ist derzeit auf der Suche nach weiteren unserer Freunde.« Erneut legt der Zauberer eine kurze Pause ein.
»Ihr kennt unsere Geschichte. Unsere Ahnen bildeten eine erfolgreiche Vereinigung, deren Bestehen weit in die Vergangenheit zurückreicht. Denkt daran, wo wir sind. Dieser Raum befindet sich im sichersten Teil von Munegard, in dessen zentralem Turm.«
Blitze leuchten in seinen Augen, sein Mund lächelt verzerrt. »Genau hier fand vor mehreren Jahrhunderten ein Überfall statt. Die Zauberer mit dem Sonnensymbol wollten unsere Vorfahren vernichten! Aber einige von ihnen haben das Massaker überlebt. Nach langer Wartezeit war es vor etwas über 100 Jahren endlich so weit, dass unsere Ahnen sich das ganze Land unterworfen hatten. Nur noch wenige Bereiche wagten sich zu widersetzen. Dazu gehörte auch der geheime Wald mit der Elfenfestung Serengard. Dort kam es zu der letzten, großen Auseinandersetzung, die wir sicher gewonnen hätten.« Gavin macht eine lange Pause.
»Doch eine junge Zauberin der Sonne, mit Namen Eila, gab in ihrer Verblendung die Gabe der Elfen an diese zurück. Dadurch verloren alle Zauberer ihre Magie und unsere Ahnen unterlagen. Viele unserer Vorfahren wurden bestraft und ihre Besitztümer enteignet.«
Es entsteht Unruhe unter den Versammelten.
»Das wissen wir!«
»Schnee von gestern!«
»Das ist doch nichts Neues!«
»Und, was soll uns das helfen?«
»Deshalb hast du uns die weite Reise hierher machen lassen?«
Als Gavin weiterspricht, herrscht sofort wieder Ruhe.
»Ihr wisst noch nicht, weshalb ich euch zusammengerufen habe.« Er macht erneut eine kurze Pause, um mit leiserer Stimme fortzufahren: »Morgana und ich besitzen wieder Zauberkräfte!«
Obwohl er fast flüstert, werden seine Worte von allen verstanden. Vor Überraschung herrscht anschließend Stille im Raum, bis eine verwunderte Stimme fragt:
»Wie kann das sein? Willst du uns veräppeln?«
»Ha, ha, guter Witz«, erklingt es sofort danach von anderer Stelle.
Gavin murmelt etwas, worauf ein Sturmwind die Fackeln und Kerzen verlöschen lässt.
»Was soll das?«
»Was war das denn?«
»Wie kann denn hier ein Sturm aufkommen?«
»Das ist mittels ZAUBERKRAFT möglich!«, antwortet Gavin mit lauter werdender Stimme, um die Unruhe zu übertönen.
»Erzähl nicht. Vermutlich steckt irgendein Trick dahinter!«, wagt einer der Versammelten zu widersprechen.
Mit: »Colorata pila«, schickt der Zauberer ein kleines Flammengeschoss zur ersten Fackel, die sofort zu lodern beginnt. Gavin fährt damit fort, bis alle Fackeln und Kerzen wieder brennen. Jeder kann sehen, dass er die Flammengeschosse losschickt. Die Stille im Raum ist überwältigend. Alle Anwesenden sind verblüfft und starren ihn an.
»Das war kein Trick. Er kann zaubern, wie ihr gerade gesehen habt«, unterbricht Oskar die Ruhe.
»Aber warum?«
»Wie ist das möglich?«
»Hatten damals doch einige Zauberer ihre Kräfte behalten?«
»Nein«,widerspricht Gavin sofort. »Diese dumme Eila sorgte dafür, dass nur noch Elfen zaubern konnten.«
»Aber wieso vermagst du jetzt zu zaubern?«
»Deine Cousine, also Morgana, kann auch zaubern, stimmt das?«
»Redet nicht so durcheinander«, fordert der Zauberer. »Ich erkläre es euch. Es begann damit, dass Oskar und Morgana von einem Rechtsanwalt informiert wurden, sie sollten das Erbe Barans antreten. Baran war auch ein Nachfahre der Zauberer des Mondes. Er erlangte als erster von uns Zauberkräfte.«
Jetzt erzählt der Dubharan, was er für wichtig und angemessen hält.
Als er endet, fragt nach einer kurzen Pause eine Stimme: »Werden wir auch bald über Zauberkräfte verfügen können? Du hast aber noch nicht erklärt, wie das möglich sein wird.«
»Das ist leider nicht so einfach realisierbar und das »Wie« wird vorläufig noch ein Geheimnis bleiben. Wir müssen vorher die von uns wählen, die unsere Anführer sein sollen. Diese werden den Vorrang vor den anderen haben, wenn Zauberkräfte vergeben werden.«
Sofort geben alle ihren Unmut kund. Sie sehen nicht ein, warum nicht alle gleich behandelt werden sollen. Obwohl sie erst aufbegehren, lassen sie sich dann aber schnell beruhigen, als der Magier auf seine Macht hinweist. Sie wagen es dann doch nicht, einem Magier zu widersprechen. Notgedrungen signalisieren sie ihr Einverständnis.
Gavin schlägt natürlich Morgana und sich, aber auch Oskar als zu wählende Führer vor. Die Zustimmung der anderen erfolgt sofort. Die verbliebenen zwei Plätze werden nach erhitzten Wortwechseln und längeren Diskussionen an Nachfahren ehemaliger Führer vergeben. Die beiden Gewählten sind Ylva, eine Urenkelin Gunnars, sowie Dustin, der von Olaf abstammt.
»Du bist der mächtigste Zauberer, unser gewählter Führer, Gavin! Mit dir an der Spitze werden wir unsere Gegner besiegen und endlich die rechtmäßigen Herrscher sein.«
Kalte, dunkle Augen richten sich auf den Sprecher der schmeichlerischen Worte. Sie fixieren dessen Blick. Der Angesprochene spricht langsam, aber mit scharfem Unterton:
»Wenn du, Dustin, einen Vorschlag machen willst, wie wir das erreichen werden, höre ich mir diesen gerne an!«
Sich an die Versammlung wendend, fordert er diese auf: »Alle, die nicht gewählt worden sind, bitte ich nun, ihre Zimmer aufzusuchen. Bis vor kurzem war Munegard noch ein Hotel. Ich habe die Zimmer unverändert gelassen, also könnt ihr sie auch nutzen. Ihr solltet euch nur einigen, wer von euch die Versorgung übernimmt. Personal habe ich keines hier. Aber die Vorratskammern sind noch gefüllt, die ich euch auf unserem Rundgang ja gezeigt habe.
Wir werden jetzt zu viert die nächsten Schritte beraten und festlegen. Morgen früh kommen wir hier erneut zusammen und werden sie euch mitteilen. Bitte schließt die Tür hinter euch.«
Die drei Männer und die Frau warten, bis sie allein sind.
»Ich werde euch jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf die Möglichkeiten des Zauberns geben. Wir wechseln an einen anderen Ort. Berührt meine Arme, dann werden wir mittels magischem Sprung nach Mynyddcaer wechseln. Morgana wird sich vermutlich dort aufhalten. Mit ihr zusammen werden wir unser Vorgehen abstimmen.«
Oskar, der schon Erfahrung mit dieser Art zu reisen hat, steht sofort neben ihm. Seine linke Hand ruht bereits auf Gavins rechtem Arm, als die anderen beiden noch etwas zögern.
»Keine Angst«, fordert er sie auf, »es passiert euch nichts. Ihr werdet vielmehr überrascht sein, wie einfach das geht.«
Ungeduldig fügt Gavin hinzu: »Na, wird’s bald? Wer Großes erreichen will, darf nicht zögerlich vorgehen!« Er lächelt in sich hinein, als Dustin und Ylva tief Luft holen und den Atem anhalten, während sie seiner Aufforderung folgen.
Der Zauberer spricht: »Portaro!«
Der Raum ist verlassen. Die Kerzen brennen herunter und auch die Fackeln erlöschen nach und nach.