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Wütende Dubharan

Wenige Wochen zuvor in Munegard.

»So eine Sauerei! Verflucht! Elende Schlamperei! Wie konnte die Elfe entkommen?«, schäumt Gavin vor Wut. »Hast du etwa ihre silbernen Fesseln gelöst? Vielleicht, um dich bei ihr einzuschmeicheln?« Seine Augen schleudern Blitze in Richtung des verdattert dastehenden Oskars. Dieser ist gerade von einem Kontrollbesuch in Sorchas Gefängniszelle zurückgekommen. Die Tür hatte er wie immer verschlossen vorgefunden, aber der Raum war leer. Die in der Mauer verankerte Kette, mit der die Gefangene zusätzlich am Verlassen des Raumes gehindert werden sollte, war gesprengt worden. In der ersten Aufregung hatte Oskar den Raum durchsucht, in der verzweifelten Hoffnung, die Elfe doch noch irgendwo zu entdecken, obwohl es für sie dort kein Versteck gab. Erfolglos rannte er zu Gavin zurück, um zu berichten.

Jetzt schluckt und schluckt Oskar nervös. Er ringt seine Hände und versucht vergeblich, zu Wort zu kommen. Als Gavin endlich aufhört, sinnlose Verwünschungen auszusprechen oder ihn zu beschuldigen, holt er tief Luft und sprudelt los.

»Warum sollte ich so eine Dummheit begehen? Wer hat denn die Elfe überwältigt? Das war ICH. DU verfügst bereits über Zauberkräfte, hat das etwa das Entkommen der Elfe verhindert? Nein! Wer erleidet einen Verlust? ICH, da ich Zauberkräfte von der Elfe erlangen wollte, was jetzt unmöglich ist. Wer hätte also einen Grund, sich zu empören? ICH. Aber tue ich das? NEIN! Es ist eines wahren Zauberer des Mondes unwürdig, sich derart aufzuregen und haltlose Beschuldigungen auszustoßen. Und du willst sogar unser zukünftiger Anführer sein? Ein wirklicher Führer poltert nicht einfach los, ohne vorher sorgfältig die Fakten zu prüfen. Um dann gezielt zu überlegen, was in der Situation angemessen ist, das Problem zu lösen. Wir sind doch nur zu zweit hier. Ich habe der Elfe NICHT zur Flucht verholfen, weder bewusst noch unabsichtlich. Aber du warst zuletzt bei ihr. Bist du sicher, dass für dich das Gleiche zutrifft?« Nach dieser langen Rede schweigt Oskar. Seine Lippen sind zusammengekniffen und seine Augen blicken forschend in Gavins Gesicht. Zuckt dort vielleicht ein verräterischer Muskel?

»Du kleiner, unverschäm…«, beginnt der Zauberer, um dann doch innezuhalten. Aufgewühlt eilt er mit langen Schritten durch den Raum, den er als sein Lieblingszimmer betrachtet. Hier gibt es Bücherregale und einen alten Schreibtisch. Wenn Gavin die Geschichte über Eila gelesen hätte, wüsste er, dass dies die Bibliothek Bearachs war, der der letzte Anführer der Dubharan vor 100 Jahren gewesen ist.

Nachdem er sich etwas beruhigt hat, beginnt er erneut: »Ich habe keine ihrer Fesseln gelöst! Sie war außerdem schon sehr geschwächt. Selbst ich hätte die Ketten nicht sprengen können. Jedenfalls nicht ohne Hilfsmittel oder Zauberei. Hm. Sollte ihr Befreier ungesehen hier eingedrungen sein? Und wenn das so ist, wer könnte das gewesen sein?«

»Ob das vielleicht Morgana …«, beginnt Oskar zaghaft, wird aber sofort unwirsch von Gavin unterbrochen.

»Nein. Warum sollte Morgana so etwas tun? Außerdem ist sie meine Cousine, der ich – vertraue.« Erst wollte er »völlig vertraue« sagen, schwächte das dann aber doch ab. Auch wenn sie vom gleichen Blut sind, wer kann schon sagen, aus welchem Grund sie möglicherweise diese unsinnige Tat durchführen sollte. Aber wenn das für sie einen Vorteil bedeuten würde, wäre das vielleicht … Hier wird er in seinen Grübeleien unterbrochen.

Oskar hat sein kurzes Stocken nicht bemerkt und fragt: »Wenn wir Morgana also ausschließen können, muss das eine andere Elfe mit Zauberkräften gewesen sein. Aber woher wusste diese, dass wir eine von ihnen hier gefangen halten? Oder sollte …?«

Jetzt schweigt Oskar und grübelt, als Gavin sofort nachhakt.

»Was meinst du mit: »oder sollte …?« Hast du eine Idee?«

Oskar will ihm den Verdacht, der plötzlich in seinem Kopf aufblitzte, nicht mitteilen. Er hatte Gavin nichts davon gesagt, dass er vor wenigen Tagen in den geheimen Wald eingedrungen war und ihn einige der Elfen verfolgt hatten. Sollten sie ihn weiter als bis zum Auto verfolgt haben, sogar bis hierher? Auch wenn er das für unwahrscheinlich hält, will er das dem Zauberer lieber nicht erzählen, um sich nicht dessen Spott auszusetzen.

Laut bietet er geschickt eine andere Möglichkeit an: »Wir hatten doch die Raben und ihre Nester geraubt. Sollte uns einer von ihnen beobachtet und die Elfe aus Rache befreit haben?« Ihm kommt diese Möglichkeit wenig plausibel vor, doch anders weiß er die Situation nicht zu retten.

Erstaunt blickt er nun in Gavins Gesicht, als dieser entgegnet: »Du bist gar nicht so … Ich will sagen, du besitzt zwar keine Zauberkräfte, aber dafür offenbar einen klaren Verstand. Ich stimme dir zu, das wäre eine Möglichkeit. Ich weiß zwar nicht, wie ein normaler Rabe das anstellen sollte, aber vielleicht war das einer, der zaubern kann. Ja, so wird es gewesen sein.« Obwohl er diese Möglichkeit bereits als bewiesen betrachtet, läuft er noch einige Zeit grübelnd in seinem Zimmer auf und ab.

Die beiden Nachkommen der Dubharan wissen nicht, dass sie zum Teil mit dieser Vermutung Recht haben. Der Kolkrabe Röiven hat Raban geholfen, Sorcha zu befreien. Doch es geschah nicht aus Rache, sondern aus Freundschaft zur Elfe und zum Wohl aller guten Menschen und Elfen.

Raban und Röiven Die Figur der Hekate

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