Читать книгу Schatten der Vergangenheit - Das verfluchte Dorf - Norbert Zagler - Страница 11

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Es war fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit, als Verena das Café Diglas betrat und sich suchend umsah. Das Café war gut besucht und die vielen Wienbesucher aus dem In- und Ausland erzeugten einen Geräuschpegel, der mit der ruhigen Stille eines Wiener Cafés der früheren Zeiten nichts gemein hatte. An einem Tisch an der Wand saß ein Mann. Vor ihm auf dem Tisch lag die PRESSE. Dunkelblaues Leinensakko, flaschengrüne Krawatte mit kleinen goldenen Wappen. Der musste es sein.

Der Mann stand auf, er war gut einen Kopf größer als Verena. Ein Mann zum Anlehnen.

„Es freut mich, dass Sie gekommen sind!“

„Ich habe mich ein wenig verspätet.“

„Kein Problem, auf eine schöne Frau wartet ein Mann gerne! Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, Carl Cornelius Otto von Scheuchenstein, hier ist meine Visitenkarte.“

„Danke!“

Verena war aufgeregt. Als der Mann aufgestanden war, hatte es Klick gemacht. Sie wusste sofort, der musste der ihre werden. Das war ein Mann mit Manieren. Der Mann, den sie so lange gesucht hatte. Und dieses neue Gefühl zauberte eine feine Röte auf ihre Wangen.

Nach einigen Minuten waren die ersten Förmlichkeiten absolviert, der Ober hatte ihr eine Melange serviert und Verena hatte einen Blick auf die Visitenkarte geworfen.

Carl Cornelius Otto von Scheuchenstein, Ph.D.

Dem Mann war das nicht entgangen, „Mein Großvater war ein Verehrer des Kaiserhauses, mein Vater wurde auf Franz Joseph getauft, mir ist Carl und Otto zugeteilt worden. Aber lieber ist mir Cornelius, das kann man schwer abkürzen oder verhunzen.“

Sie plauderten eine Weile über das Geschick der Eltern, für den Nachwuchs mehr oder weniger glückliche Namen zu wählen. Der Mann berichtete über Studien, die aussagten, dass bei schriftlichen Bewerbungen gewisse Vornamen ungünstig eingestuft werden.

„Ist die Bezeichnung von in Österreich nicht verboten?“

„Ja, aber es ist halt eine so schöne alte Tradition. Mein Großvater war Bezirkshauptmann in Olmütz und wurde vom letzten Kaiser Karl anlässlich eines Besuchs in der mährischen Stadt geadelt. Der Kaiser ist mit dem Zug angereist, hat sich von den lokalen Honoratioren der Treue zum Kaiserhaus versichern lassen und hat dafür Adelstitel verliehen. Man nennt es auch Seh-Adel oder Bahnhofs-Adel. Aber mir gefällt es trotzdem. Halten Sie mich nun für einen Angeber?“

„Aber nein! Ich finde das von den Sozialisten sowieso lächerlich. Es ist einfach Teil unserer österreichischen Vergangenheit. Das Gesetz gehört schon längst abgeschafft. Und der Titel ist ein wichtiger Teil Ihrer Familiengeschichte.“

„Da haben Sie recht. Und in Amerika hat das niemanden gestört.“

Zwei Stunden vergingen im Fluge. Der Mann war fesch, eloquent und gescheit. Verena wusste jetzt vieles über ihn. Er hatte von Amerika erzählt, wo er den Ph.D., den doctor philosophus, erworben hatte. Für sie, als magistra rerum socialium oeconomicarumque, war der Titel noch ein Punkt obendrauf, aber auch ohne den Ph.D. hätte sie diesen Mann zum Menschen für den Rest ihres Lebens erwählt. Nach dem Kaffee hatten sie ein Glas Prosecco getrunken und sich glänzend unterhalten. Ein Gespräch quer durch Politik, Gesellschaft und Kultur, und sie entdeckten so viele Gemeinsamkeiten, es war ein Nachmittag voller Harmonie.

„Ich glaube, ich muss mich schön langsam auf die Socken machen!“

Verena bedauerte das, wollte aber nicht nachfragen, warum und wieso. Das stand ihr nicht zu, das wäre zu plump gewesen. Sie wollte ihre Konsumation selbst bezahlen, aber er ließ das nicht zu. Vor der Tür des Diglas verabschiedeten sie sich mit einem innigen Händedruck und er versprach, sich in Bälde telefonisch melden zu wollen. Er ging die Wollzeile hinunter zum Stubentor, Verena entschwebte in Richtung Rotenturmstraße.

Es hatte keiner besonderen Vereinbarung bedurft, dass es ein Wiedersehen geben würde. Carl würde sich bei ihr melden, morgen oder übermorgen. Für Verena war alles klar und herrlich, die Welt ein einziger Garten voller Rosen und jeder Mensch, der ihr begegnete, war sympathisch und Carl der beste von allen!

Otto rekapitulierte die beiden letzten Stunden. Attraktiv war sie schon, auch witzig, aber er war sich nicht sicher, ob es die Richtige war. Vielleicht zu gescheit, vielleicht zu unvermögend, wenn sie alles Geld für Designerklamotten und sündteure Kosmetika ausgab. Denn diese Details waren ihm als Fachmann für Frauen und deren Gepflogenheiten nicht entgangen. Sie hatte kurz erwähnt, dass sie in staatlichem Dienst sei. Mit dem Magistra Titel also in der Gruppe A besoldet, aber das hieß noch nicht, dass sie Vermögen besaß. Wie auch immer, jetzt musste er noch zum nächsten Termin ins Prückl, aber es freute ihn gar nicht. Er fragte sich, ob das eine Alterserscheinung sei. Wie gerne hatte er früher mit Frauen geplaudert, sich produziert, seine Lügengeschichten aufgetischt, ihre Anbetung genossen. Heute, auf einmal, wurde ihm alles mühsam. Die Termine gestern, die hatte er auch noch nicht analysiert und in seinem System kategorisiert. So vieles musste man bedenken. Nicht nur die ökonomische Situation, sondern auch die familiären Verhältnisse. Gab es Kinder oder andere Verwandte, die konnten nämlich beim Aufbau des Geschäftes sehr stören. Ungünstig waren auch Frauen, die Alkohol ablehnten. Am liebsten hätte er den nächsten Termin sausen lassen. Aber wer weiß, vielleicht wartet gerade jetzt im Prückl die steinreiche Witwe eines Industriellen. Otto konzentrierte sich auf die nächste Arbeit. Nichts Anderes bedeutete es heute, gestern und in den Jahren davor. Aber zumindest amüsanter als jede andere Tätigkeit.

Es musste sein. Heute war das Wetter günstig. Die Sonne wärmte mit jedem Tag mehr und diese Frühlingsstimmung gab John die Kraft, die Renovierung der Küche anzugehen. Der kalte Hauch, der manchmal durch das Haus zog, war heute nicht zu spüren. Der Frühling veränderte die Dinge. Er hatte die Arbeit in Gedanken so lange geplant und dann die Ausführung immer verschoben, weil irgendwas nicht gepasst hatte. Ein Anfall von Aktivität heute. Die versaute Küche erinnerte ihn jeden Tag an die Frau, die ihn vor größerem Ungemach bewahrt hatte. Jedes Mal, wenn er vom Haus hinaus ins Freie ging, sah er hinauf zum Pfad, ob die Kirstie Alley mit ihrem Hund kam. Wie die Frau genau aussah, wusste er nicht mehr. Bei der ersten Begegnung hatte sie ihn an die amerikanische Filmschauspielerin erinnert, so dass er ihr diesen Namen gegeben hatte. Dieses ein wenig herbe Gesicht, vielleicht ein bisschen slawisch wirkend durch die breiteren Wangenknochen, das strahlte etwas aus, das ihn anzog. Er konnte diese Empfindung nicht definieren, es war einfach so. Aber er glaubte nicht, dass sie noch einmal kommen würde. John war sich bewusst, welchen schlechten Eindruck sie von ihm haben musste. Ein versoffener, ungepflegter Mann in einem verdreckten Haus. Kirstie war eine einmalige Erscheinung. Egal, eine Frau in seinem Leben, das wollte er doch nicht mehr. Er hätte nicht angeben können, warum ihn diese Frau gedanklich nicht losließ. Vielleicht war es ihr Lächeln. Wenn eine Frau so lächeln kann, muss man sie einfach gernhaben, ganz gleichgültig wie sie sonst aussieht. Mit dem Einzug in dieses alte Haus hatte er das alles ablegen wollen. Mit Frauen kam er schlecht zurecht, sein Leben lang. Er wusste nicht, woran das lag. John hatte immer Selbstkritik geübt, aber nur an seinen Fehlern allein konnte es nicht gelegen haben. Alles gescheitert, also besser, nichts Neues anzufangen.

Seit dem Brand in der Küche waren einige Tage vergangen. John hatte das Mikrowellengerät und den kleinen Absorberkühlschrank im Vorzimmer auf einem alten Tisch platziert. Dazu die Teller, Tassen und Töpfe, das Besteck und diverse andere Küchenutensilien. Den kärglichen Bestand an Nahrungsmitteln, Knäckebrot, Keks, Kochbeutelreis, Teigwaren und Konservendosen schichtete er auf dem Küchentisch, den er ebenfalls ins Vorzimmer gestellt hatte. Die wenigen Regale in der Küche hatte er abgebaut. Die alte Kredenz konnte er nicht wegbringen, die war zu schwer. Chaos. Egal. Besucher waren nicht zu erwarten. Sowieso unerwünscht. Auf die Mäuse musste er achten, da war die offene Lagerung nicht optimal. Wein, Bier und Mineralwasser stapelte er im Windfang, dort war es kühler. Also alles irgendwie geregelt. Nur den alten Herd konnte er nicht entfernen, der war zu schwer. Das Abwaschbecken auch nicht, das war an der Wand montiert.

Die kleine Villa stand auf einem Fundament aus massiven Naturstein Quadern und war in die Hangschräge hineingesetzt. Der Eingang an der Rückseite lag ebenerdig. Von der unteren Wiese aus betrachtet, wirkte es wie ein Haus mit zwei Geschossen. An der Seite zur Sonne und zum Tal war ein kleiner Balkon angebaut, der von dicken Holzpfosten gestützt wurde.

Vor den Fenstern des Wohnzimmers verlief die Grünfläche bis zur unteren Grenze des Grundstücks. Von diesen Fenstern und vom Balkon aus bot sich ein Bild der kleinen Stadt mit ihrem Gewirr von Dächern und Straßenzügen. Das Tal war nicht sehr breit. Nach dem Einschnitt des Flusses und der Eisenbahn stiegen die bewaldeten Hügel steil an und bildeten eine Vorstufe zu den Wiener Hausbergen Rax und Schneeberg. Nach Nordosten hin konnte man bis zu den ersten Ortschaften im Wiener Becken sehen.

John begann, den Linoleumbelag an einer Ecke der Küche aufzureißen und abzuheben. Es stank nach Moder, es ekelte ihn. Da hörte er die Tür im Windfang und das Bellen eines Hundes. John war irritiert und zugleich dankbar für die Unterbrechung. Er erhob sich von den Knien und ging ins Vorzimmer. Er wusste, wer da kam.

„Hallo, wollte nur mal schauen, wie es Ihnen geht?“

Kirstie Allie in Jeans und Leinenbluse stand im Vorzimmer, neben ihr der Beagle, der neugierig an allem schnupperte.

John war überrascht und wusste auf die schnelle nichts Anderes zu sagen als: „Heute brennt es aber nicht.“

„Das sehe ich!“

„Wie heißt der Hund?“, fragte John und kam sich ungeheuer dämlich vor, weil ihm nichts Originelles einfallen wollte.

„Bertl!“

„Ein schöner Hund!“

„Ja, ein treuer Gefährte“, sagte Iphi und dachte, im Gegensatz zu den Männern.

John war fast gerührt, dass ihn diese Frau aufsuchte, bewusst mit der Absicht, ihn zu sehen. Zugleich irritierte es ihn auch. Diese Frau und ihr Hund waren die ersten Eindringlinge in sein Refugium, abgesehen von dem zufälligen Besuch wegen des Brands.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

Iphi zögerte. Sie hätte nicht erklären können, warum sie heute nach einigen Tagen wieder den Weg über die Höhe gewählt hatte. Fast unbewusst und doch auch nicht. Gut, dieser Weg oberhalb des Dorfs war der sonnigste. Es gab mehrere Routen um das Dorf, viele führten durch schattige Wälder, wo nur an kleinen Lichtungen Sonne durchkam. Das war angenehm, man konnte je nach Jahreszeit und Temperatur den Weg auswählen. Wenn die Prognosen der zunehmenden Erderwärmung stimmten, dann boten sich hier die besten Bedingungen zum Leben.

Heute war sie wieder diesen Weg gegangen, die Jahreszeit allein war nicht der Grund dafür. Iphi war neugierig. Dort, wo der Pfad zum Haus abzweigte, war sie unschlüssig stehen geblieben. Bertl hatte an der Leine gezerrt und zu verstehen gegeben, dass er zum Haus wollte. Also waren sie hinunter gestapft.

„Darf ich ihn streicheln?“

„Aber ja, ich glaube, er mag Sie.“

Bertl ließ es gnädig über sich ergehen, die Sympathie zwischen Mann und Hund war offensichtlich.

Diese Beobachtung löste augenblicklich auch bei Iphi Sympathie aus. Verstärkte sie, denn sympathisch war ihr der Mann von Anfang an gewesen.

„Sie müssen entschuldigen, dass hier so ein Chaos herrscht. Ich wollte gerade beginnen, den Belag in der Küche zu entfernen.“

„Ich geh´ dann wieder.“

„Nein, bitte bleiben Sie, ich habe keinen Druck, ich habe jede Menge Zeit!“

„Na gut, aber nur für ein paar Minuten.“

„Sehen Sie sich um, genießen Sie die Aussicht.“

Sie gingen ins Wohnzimmer und Iphi war überrascht von dem Anblick. Ein großer Raum, eingerichtet in englischem Landhausstil, diesen Eindruck hatte sie.

„Ich komme gleich wieder.“

Iphi sah ihm nach und dachte, eine gute Figur hat er. Obwohl ihm der Hosenboden bis zum Arsch hängt.

Bertl beschnupperte die neue Umgebung und drehte einige Runden im Zimmer. Dann schien er zufrieden zu sein, denn er legte sich vor einem alten Sofa auf den Teppich, ganz so, als wäre er hier zu Hause.

Iphi konnte sich von der herrlichen Aussicht auf Dorf, Tal und die umliegenden Höhenzüge nicht trennen. Was für ein wunderbarer Platz!

John kam herein, er hatte eine saubere Hose angezogen. „Ich hoffe, Sie mögen Rotwein?“ Er hatte zwei mit Rotwein gefüllte Henkelgläser mitgebracht.

Iphi zögerte kurz. Ein fremder Mann, ein fremdes Haus, da schien Vorsicht geboten. Aber die Situation war auch reizvoll. Sie spürte, dieser Mann würde ihr nichts Böses tun. Sie verließ sich auf Bertls Urteil. Der hätte geknurrt und sich nicht so ruhig niedergelassen. Seit sie das Haus betreten hatte, nahm sie alles mit geschärften Sinnen auf. Es war etwas Neues, eine Abwechslung in zu den gleichförmigen Tagen der letzten Zeit. Sie nahm das Glas und nippte vorsichtig. Ein roter Spritzer, eh schwach gemischt.

„Ich glaube, es wäre an der Zeit, mich vorzustellen. Johann Leitgeb, aber alle nennen mich John.“

„Aha, ich bin Iphigenie Lewandowski, mich nennen alle Iphi.“

John dachte, mich nennt niemand mehr John, weil es die alle nicht mehr gibt - und Iphigenie, was für ein verschraubter Name.

„Warum nennt man Sie John?“

„Ich hatte schon immer eine Vorliebe für den englischen Lebensstil und alles, was damit verbunden ist. Nur den Whiskey habe ich nicht übernommen. Bin beim Rotwein geblieben.“

Iphi blickte im Wohnzimmer herum. Ein Chesterfield Sofa, ein Sessel in braunem Leder, ein Sekretär mit geöffneter Schreibplatte, die Wände mit einer Holztäfelung. Dafür keine Bilder an den Wänden. Ein Kaminofen in der hinteren Ecke. Passte alles zu dem Mann. Sie konnte sich ihn im Tweed-Sakko und Pfeife unter der Nase gut vorstellen.

„Warum gefällt Ihnen der englische Stil so gut?“

„Wahrscheinlich bin ich altmodisch. Aber für mich ist es eine Lebenseinstellung, die Altes bewahren will. Die Möbel sind echt. Die waren schon da, als ich eingezogenen bin. Ich habe mich gleich wohlgefühlt.“

„Und wie kommen Sie zu so einem ungewöhnlichen Vornamen?“

„Mein Vater war Professor für Deutsch und Griechisch.“

„Das erklärt alles! Prost!“

Keiner von beiden wusste, was mit dieser Unterhaltung beginnen oder enden sollte. Iphi war vorsichtig und John unschlüssig, ob er sie aus dem Haus haben wollte oder nicht.

Der Einzige, der sich seiner Sache sicher war, war Bertl, der vor dem Sofa selig schlummerte.

John beschloss, eine Attacke zu reiten. „Eigentlich wundere ich mich, dass Sie sich her trauen.“

„Ich mich auch. Ohne Hund wäre ich nicht gekommen.“

„Sie glauben, der kann Sie schützen?“

„Ja, schon, der würde mich verteidigen.“

„Und wenn ich Ihnen K.O. Tropfen in das Glas gegeben habe, was könnte Ihnen der Hund dann helfen?“

Iphi war bei diesen Worten erschreckt. Wer so etwas sagte, hatte sich das vorgestellt. Aber sie war eine Kriegerin, so einfach konnte er mit ihr nicht fertig werden. Sie hatte von dem Wein nur genippt.

„Bertl, auf, wir gehen!“

Der Hund öffnete nur widerwillig seine Augen.

„Tut mir leid. Wir tauschen die Gläser. Das war blöd von mir.“

John nahm ihr das Glas aus der Hand und trank davon. „Ich bitte um Entschuldigung! Eine dumme Bemerkung.“

Iphi musste jetzt an die drei kleinen Grabhügel denken, die sie gesehen hatte. Eine unangenehme Assoziation in diesem Moment. Aber gut, die Dimension war so gering, ein Mensch passte nicht hinein. Iphi beschloss erneut, diesem Mann zu trauen. Bertl gab ab und zu einen Schnarchlaut von sich. Die Szene wandelte sich zur Idylle.

„Ok, geben Sie mir Ihr Glas.“

„Warten Sie, ich werde das vorkosten.“ Er trank und reichte das Glas weiter. „Nun wären wir mit der mittelalterlichen Sitte durch. Wer zuerst umfällt, hat verloren!“

„Sehr witzig!“ Iphi nahm einen tiefen Schluck.

„Wir leben in einer scheußlichen Zeit. In den Medien wird nur mehr über Bösartigkeiten und Abartiges berichtet, darum komme ich auf so einen Blödsinn wie K.O. Tropfen.“

„Und was ist mit den drei Gräbern draußen?“ Der Wein hatte Iphi mutig gemacht.

John ging zur Balkontür und drehte ihr den Rücken zu. „Da habe ich meine Feinde eingescharrt.“

„Aha! Groß können die aber nicht gewesen sein.“

John drehte sich um. „Es liegen die Kadaver eines Marders, einer Ratte und eines Vogels drinnen, die ich beim Aufräumen des Gartens gefunden habe. Und ein paar Blätter Papier mit Namen.“

„So eine Art von Voodoo Zauber.“

John nickte nur mit dem Kopf. „In Gedanken habe ich die ein paar Mal getötet, aber sie leben alle noch. Es ist mir jetzt peinlich, dass Sie es bemerkt haben und wir darüber reden. Sie müssen mich für verrückt halten!“

Iphi trank aus. „Geben Sie mir noch einen Schluck, vielleicht sollte ich so was auch probieren.“

„Wie viele Grabstellen brauchen Sie?“

Iphi lachte. Dieses Lachen zauberte Grübchen in ihre Wangen und John hätte diese Frau am liebsten sofort in die Arme genommen.

„Darf ich du sagen?“

Iphi zögerte, ein Rest von Vorsicht.

„Na gut! Aber nur weil wir quasi Nachbarn sind.“ „Ins Dorf komme ich selten. Eigentlich meide ich die Menschen.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Wer sonst, als ein Einzelgänger, würde in dieses Haus ziehen, noch dazu, wo es einen schlechten Ruf hat.“

„Wie meinst du das?“

„Ich hätte nichts sagen sollen.“

„Jetzt ist es zu spät, also heraus damit.“

„Angeblich hat sich hier einer umgebracht. Aber das war vor langer Zeit, wenn es überhaupt stimmt.“

John zuckte nur mit den Schultern. „Der wird mir nichts tun. In vielen Häusern sind Menschen gestorben und andere Menschen danach eingezogen.“

„Ist dir nicht unheimlich so allein mitten im Wald?“

„Nein, der Wald ist nicht unheimlich, das ist nur der Mensch, der ihn für böse Taten benützt.“

„Wer nennt Sie noch John?“

„Eigentlich niemand mehr. Du bist die Erste seit langem, wenn du nicht auf das du vergisst.“

Iphigenie dachte, ein Sonderling ist der schon, und einsam. Was kam zuerst über einen Menschen, die Verwirrung oder die Einsamkeit? Sie konnte ihn nicht richtig einschätzen und ihr eigenes Tun auch nicht. Warum war sie wirklich in dieses Haus gegangen?

„Ich zeige dir das Haus. Es ist ein schönes Haus, abgesehen von den notwendigen Renovierungen.“

John führte sie herum. Es war eine kleine Villa mit symmetrischem Grundriss. Der Balkon mit den Schnitzereien gefiel Iphi besonders. Alles im Stil der im vorigen Jahrhundert im Semmering Gebiet erbauten Sommersitze. Ein Hauch von Nostalgie in den Räumen. Die Kastenfenster, die Türen, die Fußböden - alles erinnerte an eine andere Zeit.

Durch ein Zimmer voller Gerümpel und Übersiedlungskartons waren sie in die geräumte Küche gelangt.

„Da wollte ich endlich anfangen mit der Renovierung.“

„Ich habe dich aufgehalten.“

„Du warst willkommen, mich freut es eh nicht. Aber wie so vieles im Leben, das einen nicht freut, muss man es angehen, damit man sich wieder freuen kann.“

„Dann gehe ich jetzt. Bertl komm!“

Der Bertl war nur ungern aufgestanden.

„Dem gefällt es gut hier.“

„Mir auch!“

„Kommst du wieder?“

„Ich weiß es nicht, mal sehen, vielleicht.“

Sie verabschiedeten sich. John hielt lange ihre Hand und Iphi entzog sie ihm nicht. Es war ein eigenartiger Moment, fast eine Intimität. Er streichelte noch den Hund, dann stapfte sie mit Bertl den Pfad hinauf zum Höhenweg.

John sah ihnen nach und war enttäuscht, weil sie ging. Er hätte aber nicht sagen können, was er sich von diesem Besuch erwartet hatte. Er empfand ein Verlangen nach der Gesellschaft dieser Frau. Das war noch kein sexuelles Begehren, sondern etwas Anderes. Sie halten, ihre Haut riechen, sie nicht weggehen lassen. Er hatte sich wohl gefühlt in ihrer Anwesenheit. Erklären konnte er dieses Empfinden noch immer nicht. Es beunruhigte ihn. Sein ganzes Leben lang hatte er mit Frauen schlechte Erfahrungen gemacht oder sie mit ihm, wie auch immer. Zuerst war alles Wonne und Waschtrog. Nach einiger Zeit begannen die Streitereien, bis der siebente Himmel in der Vorhölle zerbröselte.

John ging ins Haus und zog wieder die Arbeitshose an. Arbeit, das beste Mittel gegen unnütze Gedanken.

Der alte brüchige Belag ließ sich mühelos abheben. Einmal aufbiegen, und das Linoleum zerbrach in Stücke. Darunter kam ein roher Bretterboden zum Vorschein. John arbeitete sich durch und trug nach und nach die Reste hinaus. In einer Ecke des Grundstücks hatte er einen Platz vorbereitet. Wie er das Zeug von dort wegschaffen sollte, wusste er noch nicht. In der Küche muffelte es. Einige Stellen des Bodens waren verfärbt. Besonders jene vor dem Herd und knapp vor der Abwasch. Als John ein großes Teil in der Mitte aufrollte, sah er eine Falltür, etwa zwei mal ein Meter groß. John war überrascht. Gab es doch einen Keller? Bisher hatte er keinen Abgang entdeckt. Er packte den eisernen Ring und öffnete die Tür. Nichts zu erkennen. John holte eine Taschenlampe, kniete sich vor die Öffnung und leuchtete hinunter. Mit jähem Erschrecken fuhr er hoch. Da unten lagen zwei Menschen, die aus leeren Augenhöhlen zu ihm hinauf starrten, als würden sie von ihm eine Erlösung erwarten. Gesicht und Hände wie aus braunem Leder über die Knochen gespannt. Ein Mann und eine Frau.

In einer Abwehrreaktion ließ John die Klappe zufallen. Jäh wurde ihm übel. Fast hätte er da in die Grube hinunter gekotzt. Er richtete sich auf, ging ins Vorzimmer und trank ein Glas Wasser und danach eines mit Wein. John atmete schwer. Er fühlte einen kalten Hauch in seinem Rücken. Etwas war aus dem Keller gekommen und ihm gefolgt. John drehte sich um. Da war nichts.

Welche bösen Götter taten ihm das an?

Zwei Mumien unter dem Haus, das er sich als Refugium für den Rest seines Lebens ausgesucht hatte!

Er füllte das Glas nach und nahm es mit ins Wohnzimmer. Dabei sah er sich um, weil er wieder das Gefühl hatte, jemand sei hinter ihm.

Der Wein konnte ihm nicht helfen. Es war, als hätte er mit dem Anheben der Falltür das Böse ins Haus gelassen.

Oben am Weg hatte Bertl ein kleines Geschäft zu verrichten. Sie waren beide stehengeblieben und Iphi blickte hinunter in die Richtung des Hauses, das von diesem Standpunkt aus aber nicht zu sehen war. Warum hatte sie John von der Geschichte des Hauses erzählt? Sie konnte sich die Frage nicht beantworten. Die Freude an dem Haus wollte sie ihm nicht verderben. Sie würde Elli nochmals fragen, was damals wirklich geschehen war.

Was hat mich hierher gezogen, fragte sie sich. Sie hatte doch einen Entschluss gefasst, der ihr Leben ändern sollte. Weg von Eugen. Endlich einen echten Partner finden für ein harmonisches Leben in Gemeinsamkeit. Einen Mann, der mit ihr leben wollte, und nicht mit sich selbst und ihr daneben. Einen Mann, für den die Beziehung zu einer Frau mehr als ein Hobby war, das man nach Belieben ausübt. Freie Männer in einem zu Iphi passenden Alter gab es nicht viele. Die guten waren vergeben, so behauptete es Elli immer. War John ein guter? Vielleicht schon, wobei sich Iphi über die Definition, was einen guten Mann ausmachte, nicht klar war. Es könnte auch sein, dass er ein Mörder war. Die kleinen Gräber, vielleicht hatte er einen Körper in drei Teile gestückelt. Schwarze Gedanken, der Besuch hatte sie verwirrt. Wenn John ein guter war, so war er ganz augenscheinlich auch ein gestörter. Iphi ermahnte sich selbst. Das war keine Option. Sie hatte in der vorigen Woche auf eine Anzeige in der PRESSE geantwortet. Ein an Kultur und Natur interessierter Akademiker suchte eine Frau. Die technischen Daten passten. Am kommenden Samstag würde sie ihn in der Kurkonditorei Oberlaa am Wiener Südbahnhof kennenlernen. Vielleicht was er der Mann fürs Leben. Wenn nicht, würde sie weitersuchen, das war ihr fester Entschluss. So ein Verhältnis wie mit Eugen würde sie nicht mehr eingehen.

Über den Bergen zogen dunkle Wolken auf. Ein scharfer Wind kam auf. Iphi beeilte sich heim zu kommen. Was unten im Haus gerade geschah, konnte sie nicht wissen. Aber es fröstelte sie. Nur zu Hause gab es eine Zuflucht.

Als sie vom Höhenweg aus schon die Kirche sehen konnte, begann nach dem Schlagen der fünften Stunde die Totenglocke zu läuten. Iphi horchte auf. In zwei Intervallen sandte die Glocke ihre Klage in den Himmel der Abenddämmerung. Eine Frau war gestorben. Und alle Lebenden sollten an die Tote und ihre eigene Sterblichkeit erinnert werden! In einigen Tagen würde der Chor die Totenmesse für die Frau singen.

Schatten der Vergangenheit - Das verfluchte Dorf

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