Читать книгу ich du er sie es - null DERHANK - Страница 13

7.

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Du bist pünktlich. Um neun Uhr fünfundzwanzig verabschiedest du dich von der Pfarrerin, die weiterfährt, die nicht zum Dom will, nicht mehr, seit sie im Ruhestand ist, seit sie wieder im Kloster lebt, bei den Benediktinerinnen, die ihr nichts übel nehmen, weder, dass sie mit ihrem Austritt aus der Gemeinschaft und der Annahme der Priesterweihe das getan hat, was Frauen 2000 Jahre nicht getan haben (nicht tun durften, ergänzt du für dich), noch dass sie in den kirchenpolitischen Wirren um die Zukunft des Doms eine wenig weiblich führende Rolle gespielt hat, noch dass sie am Ende das Bauernopfer oder vielmehr zum Judasopfer geworden war, gemacht worden war, Verräterin des Doms, und obwohl auch du ihr das immer ein wenig übel genommen hast, magst du sie, bewunderst sie sogar für ihre weltoffene Natur, Kämpfernatur sagt man dazu; eine Kämpferin bist du nie gewesen. Päpstin sollte sie werden, denkst du, worüber du lachen musst, Päpstin, sie? Zu spät, so alt geworden, so alt, denkst du - und denkst sogleich, dass du das immer öfter denkst, von anderen, von dir selbst, und dass man die Entscheidung darüber, wer alt ist, doch lieber Gott überlassen sollte. Du sagst Auf Wiedersehen, verlässt die Bahn, fährst die Rolltreppe hinauf und betrittst den Domplatz von O. Und wartest dort auf deinen Kompagnon. Der heißt Thomas Häreti, und ist ein Schulfreund aus alten Tagen. Tagen, die in die Zeit der Schwarz-Weiß-Fotografie reichen und die selbst schwarz-weiß sind, wenn man sie sich in Erinnerung ruft. Du hast solch ein Bild von Thomas im Kopf: Schwarz-Weiß, ein Junge in kurzen, die Knabenoberschenkel freilegenden Lederhosen, mit Lederlatz und Lederhosenträger, und darunter ein Kragenhemd und Kniestrümpfe und Sandalen; ein Junge, der sich das gefallen lässt, von seiner Mutter in diese alberne Kleidung gesteckt zu werden. Ach nein, das war nicht er, das war Willi gewesen; Thomas in Lederhosen?

Albern, das sind auch die Leute heutzutage. Die den Platz bevölkern, die heute, zum Maitag, den sie Tag der Arbeit nennen, Bierautomaten am Rande der Fußgängerzone aufbauen, und Wurstbuden und ein Rednerpult, für die Klassenkämpfer, wie auch Thomas einer war. Denen das mit dem Dom egal ist, die vielleicht sogar voller Häme sind darüber, und weil du das nicht sehen willst, schaust wenigstens du zum Dom hin, mit dem du dein ganzes Leben verbindest. Oder Willis ganzes Leben, vielmehr; dir wäre ein kleineres Haus als Sonntagskirche lieber gewesen. Aber auf den Dom hatte Willi bestanden, so sehr, dass er manchmal seine Krankheit mit dessen Verkauf an die Leasinggesellschaft in einen Zusammenhang gestellt hat. Sozusagen kausal und besonders oft dann, wenn ihn seine Verbitterung mehr quälte als seine physischen Schmerzen, seine Verbitterung über den Zerfall seines fleischlichen Körpers und dieses steinernen. Du gehst noch immer hierhin, Sonntag für Sonntag, du hast nicht gewechselt nach Willis Tod, und hast sogar an seiner statt versucht, deinen Frieden damit zu machen, dass der Freitag nun der muslimischen Gemeinde gehört, weil die - im Gegensatz zu deiner eigenen Kirche, zu EURER eigenen Kirche - die jährliche Rate aufbringt, und es der Leasinggesellschaft egal ist, wessen Glaube in dem Dom praktiziert wird. Und dir das auch egal sein sollte, und es das aber nicht ist, nicht wirklich, da nagt etwas in dir, als du neben dem Portal das Wort 'Cami' liest, das 'Moschee' bedeutet, als könne man den Dom einfach umbenennen, was wirklich zu weit ginge, du schaust nach oben, an den Domtürmen vorbei in den Himmel, wo ein unförmiger Zeppelin für Frittiertes wirbt.

Du wartest, du bist es gewohnt zu warten, gewohnt, dass man dich, dass man überhaupt jeden warten lässt, dass man das Wartenlassen ausreizt und einen ganz eigenen Sport draus macht, bis zum Geht-nicht-mehr, bis zum Abreißen des Fadens, der die Menschen gewöhnlich verbindet. Aber dein Faden reißt nicht so schnell, dein eigener Faden ist gewissermaßen von höherer Macht verstärkt. Du lässt niemanden warten, und wartest umso inniger, so man dich lässt.

Doch jetzt zupfst du mit einem von ungesundem Herzpoltern dirigierten Zittern an deiner Bluse, an der weißen Nelke, die du dir verabredungsgemäß - albern! - ins Brevier deiner bajuwarischen Trachtenjacke aus pfeffersalzgrauem Filz gesteckt hast. Albern. Das ist alles albern, was du hier tust, du bist viel zu alt dafür und der Rucksack, der schwere Leinenrucksack, mit dem bereits deine Mama nach dem Krieg Kartoffeln vom Feld gesammelt hat, der ist jetzt schon zu schwer. Lederriemen, nirgends richtige Polster oder gar ein Beckengurt, und dieses schlechte Schlafen, wenn man doch nur vernünftig - du musst grinsen, vernünftig? - schlafen könnte! Stattdessen träumst du Dinge, an die du dich gar nicht erinnern können dürftest - Dinge, die deine Kindheit vor deiner Kindheit betreffen, eigentlich ist dein Kopf diesbezüglich leer, du weißt nur abstrakt, dass Mama nicht deine leibliche Mutter ist, gewesen ist, und dass du - eigentlich - eine schwarze hast. Logisch, du weißt das, aber schon dieser Begriff - 'schwarz' - sitzt dir quer im Kopf. Du hast Erinnerungen und du hast Träume: Die Erinnerungen an deine Kindheit in diesem Land sind wie alte Schwarz-Weiß-Filme, und die Träume aus der Zeit mit deiner echten Mutter sind bunt.

Jetzt stehst du unweit des Doms und wartest und kommst dir vergessen vor; und weil dir vom Ohrrauschen der Kopf wehtut und dir die Last auf den Rücken drückt, setzt du den Rucksack ab, stellst ihn dir vor die Füße. Du könntest dich auch auf eine Bank setzen, aber du bleibst stehen und versuchst, dich nicht zu bewegen, wie ein Gargyl auf dem Domdach, als gehörtest du selbst zum Inventar des Platzes, als wärst du selbst eine der vielen tierisch menschelnden Steinfiguren, die den Dom bevölkern: ein schwarzer Stein mit grauer Mütze, die keine ist, das ist nur dein kurz geschnittenes krauses Haupthaar, im gleichen Grau wie die Jacke, und eigentlich bist du ganz nach der Mode, stellst du fest, die jungen Mädchen tragen doch selbst konservativ, neuerdings, nur bunter und vor allem nachlässiger, mit Absicht, ihre Sachen sehen aus wie Schulmädchenuniformen, aber wie Schulmädchenuniformen nach einer Rauferei, alles hängt schief und schlüpfrig - genau, das ist das Wort: schlüpfrig hängt alles herunter, und die Gesichter sind überhaupt nicht mehr deutsch! Meins auch nicht, ermahnst du dich, mein Gesicht am allerwenigsten, und wo ist er denn jetzt, der Schwarz-Weiß-Thomas aus der Schwarz-Weiß-Film-Zeit?

ich du er sie es

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