Читать книгу ich du er sie es - null DERHANK - Страница 23

17.

Оглавление

Warum redest du nicht darüber? Willi ist auch mal Thomas' Freund gewesen. Spätestens heute Abend wird er es wissen. Es gibt Fotos, an den Wänden, die ganze Wohnung riecht noch nach Willi, und jetzt holst du dir einen anderen Mann da rein? Wie der dich festhält, fest im Griff, nicht mal diesen dummen Spruch nimmst du ihm übel, er hat kräftige Hände, nicht groß, aber wie er dein Handgelenk umschließt, das ist alles andere als zögerlich. Du merkst, dass deine Augen feucht geworden sind, und dass dir heiß wird, du hältst seinem forschen Blick nicht stand, schaust auf deinen Arm und seine Hand, die nicht loslässt, die so hell ist, wie die von Willi, aber anders, dürr, und beinahe gelblich, haarig, und unglaublich runzelig, und zwischen Zeige- und Mittelfinger hat sie einen großen, braunen, Ableger bildenden Fleck. Und beim Danke drückt die Hand noch einmal richtig zu. Hab dich, will er dir sagen, denkst du, Unsinn, denkst du gegen den Gedanken an, niemand hat mich, Gott hat mich, hoffentlich, und er?

Warum?, fragst du ihn, Warum machen wir das eigentlich? Warum machst DU das?

Was?, fragt er zurück.

Na, wandern, pilgern … und warum nimmst du mich mit?

Sein Blick tastet dich ab, als wolle er prüfen, ob du seine Erwartungen erfüllst. Bin genauso alt wie du, denkst du. Und: Was dachtest du denn, dass ich noch ein Teenager bin?

Thomas nuschelt was von Alterssehnsucht, nostalgischen Gefühlen und sein Leben rundmachen, er könnte auch sagen, dass er dich mal geliebt hat, aber stattdessen verstrickt er sich in eine theoretische Abhandlung darüber, warum man ab einem bestimmten Punkt im Leben retrospektiv denkt.

Dieser Pilgerweg wird mein persönlicher Walkabout, sagt er, Und du? Er lässt deine Hand los, schiebt dir das Gerät unter die Nase. Du schaust auf die elektronische Karte, eine rote Linie, ziemlich gerade, schnurstracks, und eine blaue, die sich krakelig mäandrierend um die rote herumwindet, ist das der Weg?, fragst du dich, sagst aber nichts, schaust nur auf die Linie.

Vielleicht ist das Pilgern was Urmenschliches, sagt er, Am Ende des Lebens - er grinst - Na ja, nach einem langen Leben, vielleicht braucht es da dieses 'Back to the Roots', immerhin sind wir, genetisch betrachtet, immer noch dieselben Nomaden, die ihr ganzes Leben durch die Pampas gelaufen sind, immer auf der Suche, früher nach Nahrung, heute nach Erkenntnis, was letztlich dasselbe ist, nur virtueller, alle Religionen haben das institutionalisiert, das Pilgern …

Du …, unterbrichst du ihn, Du bist … religiös?

Er senkt den Kopf und schaut dich dabei mit weit offenen Augen gleichzeitig an, wie von unten herauf, er versucht ein schlaues Gesicht, fasst sich an den flusenbärtigen Unterkiefer, es könnte eine Pfeife in seinem Mund stecken, er drückt mit den Fingern die Unterlippe zusammen, quetscht sie förmlich, und sagt, während sein Blick in die leere Kaffeetasse abwandert, Bin nicht katholisch, oder Anhänger einer Kirche, keiner Kirche, keiner Institution des Glaubens oder so was, bin also Atheist, sogar Materialist, aber - er betont das 'aber' als hättest du versucht, ihn zu unterbrechen, als wolle er sagen, lass mich den Gedanken zu Ende bringen – aber ich bin Buddhist! Er sieht dich an, provozierend, als wäre das eine Ungeheuerlichkeit, Ich bin überzeugter Buddhist!

Schweigen.

Ja?, fragst du, und?

Ich glaube, das Leben ist ein Rad.

Deine Nicht-Empörtheit scheint ihn zu irritieren.

Doch keines an einem Wagen!, sagt er, … du kennst das?, das Symbol des Buddhismus, das Rad, der Wagen …?

Ja, kenne ich, sagst du, Wieso dann nicht an einem Wagen? Der Wagen ist doch …

Jaaa, er hebt seinen Zeigefinger, Darin unterscheidet sich meiner vom traditionellen Buddhismus!

Thomas lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, sieht dich abwartend an, und beugt sich gleich wieder vor, immerzu bemüht, eine schlaue Figur zu machen. Die nächsten Sätze mit einer Nachdenklichkeit gesprochen, die man ihm fast abnehmen kann:

Vielleicht aber auch nur ein formaler Unterschied, ich denke, das Rad an sich ist ein treffendes Bild, das der gute alte Prinz Gautama da kreiert hat, aber für mich ist es ein sich drehendes Mühlrad, halb unter Wasser, das ist der Tod, und halb darüber, das Leben, erst auftauchend, dann aufsteigend, und auf dem Zenit glaubend, alles sehen zu können, alles verstanden zu haben, doch dann geht es wieder hinab, und man taucht am Ende wieder ein ins Unbewusste, bis es wieder von vorne losgeht.

Und nichts verändert sich?, fragst du, Keine Entwicklung, alles auf ewig immer dasselbe? Der Wagen hätte doch wenigstens noch den Weg, also ein Ziel …

Ziel? Er presst die Lippen zusammen, geht mit dem Löffel in die leere Tasse, hebt ihn wieder hinaus, dreht ihn vor seinen Augen; ein kleiner dunkler Tropfen, der sich an der Kante sammelt, fällt zurück ins Gefäß. Wenn hier wer ein Ziel hat, dann das Wasser, sagt er, Wir aber, wir Individuen, wir sind die Paddel des Mühlrads, jeder eines, und alle bleiben wir bei der Mühle, schaffen sogar irgendwas, Mehl, Brot für die Welt, haha!, was Sinnvolles sicher, aber für wen? FÜR WEN, frage ich dich?!

Du sagst nichts. Du stellst dir eine Wassermühle vor, die sich dreht und dreht und dreht, aber da ist keiner, weil niemand mehr das braucht, das Drehen, die Mühlsteine schaben aneinander ohne ein einziges Getreidekorn dazwischen, eine stillgelegte, langsam verfallende Mühle, und nur das Mühlrad dreht sich und dreht sich und hat die Hoffnung nicht aufgegeben …

Ganz oben, fährt er fort, Da können wir - vermeintlich - die Quelle sehen, flussaufwärts, oder - schauen wir abwärts in die andere Richtung - das Meer, aber selbst das ist schon Spekulation, wer weiß, was wir da wirklich sehen, vielleicht steht auch überall Wald und wir können lediglich wilde Theorien aufstellen, wo das Wasser herkommt, und wohin es fließt, ja, wir haben keinen blassen Schimmer, was das Wasser eigentlich ist!

Du weißt nicht, ob dich sein Sarkasmus amüsieren soll: Und das Leben ist immer dasselbe?

I wo!, sagt er, Jeder Tag ist doch anders! Mal regnet's, mal scheint die Sonne, mal Winter, mal Sommer, und für die Hälfte aller Lebensumdrehungen ist es Nacht …, die letzten Worte leise geraunt, absichtlich theatralisch: Und unendlich finster …

Er strafft seinen Körper, richtet sich auf, seine Augen funkeln, belustigt: Tolles Bild, oder?

Er bekommt seinen frischen Kaffee. Schwarz.

Aber du bist doch immer unterwegs gewesen!?, fragst du.

Er wirkt auf einmal wie weggetreten, schaut der Bedienung nach.

Hm?, hakst du nach.

Wer was?, Thomas schüttelt den Kopf, dann: Und du? Immer am selben Ort geblieben …?

Nun müsst ihr beide lachen, nicht laut, eher verhalten, aber ihr lacht.

ich du er sie es

Подняться наверх