Читать книгу ich du er sie es - null DERHANK - Страница 34

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Aaron Menachem vom Stamm der Lemba aus Südafrika ist homosexuell. Sein natürliches, von klein auf gelebtes Interesse an Nagellack und Mädchenkleidern war seinem wohlwollenden Oheim Jakob Menachem daher Anlass gewesen, ihn frühzeitig aus seinem elterlichen Dorf herauszunehmen und in ein Internat nach Tel Aviv zu schicken, in der irrigen Annahme, dort wäre man dem Jungen gegenüber toleranter als in Johannisburg, wo man Aaron schon in der Highschool angemeldet hatte. In Tel Aviv kämen ja nur eine jener drei Todsünden, die ein Mensch gebürtig mit auf die Welt bringen kann, zum Tragen: Dort, in der 'Gay Capital of Middle East', wäre Aaron mit seinem PG von fast 99 lediglich schwarz - aber nicht mehr schwul und sowieso kein Jude mehr. In Johannisburg dagegen wäre es genau andersherum: Aaron wäre zwar dort kein Schwarzer, aber unverkennbar schwul - und obendrein ein Jude, was seit zweitausend Jahren oder länger außerhalb des Kibbuz immer irgendwie ein Problem darstellt.

Für Aaron ist Tel Aviv allerdings nur das Sprungbrett in die eigentliche Welt gewesen, die zuerst Berlin hieß, wo er nach dem Schulabschluss Architektur studierte und von allem nur noch ein bisschen war, und dann New York, wo sich auf angenehmste Weise seine verteufelten Stigmata in indifferentes Wohlgefallen auflösten. Für Aaron ist das schwule, schwarze, jüdische New York zur eigentlichen Heimat mit dauerhafter IDEA geworden, zum fleischlichen Fundament eines ansonsten bevorzugt virtuellen Daseins.

In seinem Manhattaner Schachtelzimmer, das in einer von einem durchtriebenen Immobilienmakler zu einer Schachtelzimmerbatterie umgebauten Wohnung eingeklemmt liegt oder beinahe hängt, und für dessen Finanzierung Aaron anfangs im Dreischichtbetrieb Hotdogs verkauft, Taxi gefahren und Hausflure geputzt - und inzwischen diese Tätigkeiten in die wesentlich annehmlicheren virtuellen Jobs des himmeLs verlagert hat, in diesem brutalst überteuerten, keine sechseinhalb Quadratmeter winzigen Kabuff zzgl. eines von acht weiteren, zumeist weißrussischstämmigen Schachtelzimmermietparteien genutzten Duschklos am Ende eines nach süßem Kohl riechenden und immer von irgendwoher konfliktbeschallten Gangs, in dieser Abstellkammer, deren einziges Fenster aus dem nachträglich verglasten Durchbruch einer ehemaligen Lüftungsanlage besteht (direkt unter der zum Glück nicht allzu hohen Decke und von daher auf Zehenspitzen durchaus erreichbar) und durch das man schräg seitlich die neue, wesentlich leistungsfähigere Lüftungsanlage sehen und auch ziemlich gut hören kann, und das sich überhaupt nur deshalb öffnen lässt, weil Aaron die Scheibe herausgenommen und durch eine mit einem Klettband umsäumte Plastikfolie ersetzt hat, in diesem quasi Loch also entwirft er nun Freudenhäuser und Lusttempel für alle, denen die sogenannte Reale Welt nicht das Glück bietet, das man sich von ihr erhofft haben könnte. Gegen echtes Geld natürlich und nur im himmeL, natürlich, je nach Budget und auch je nach persönlichen Vorlieben beinhalten Aarons Entwürfe echte oder nur künstliche Virte, Herren und Sklaven, Liebkosende und Liebkoste, Schändende und Geschändete, Anbetende und Angebetete, Tretende und Getretene, meist eine Mischung aus allem, im himmeL treiben sich genug rum, die das auch unentgeltlich machen und froh über jeden neuen seiner Paläste sind, in denen sie sich austoben dürfen.

Aaron braucht für seine Arbeit lediglich eine Matratze als Körperschlafunterlage und eine halbwegs weiße Zimmerwand, auf die sein FRIEND nach alter Beamerschule Skizzen und Entwürfe projiziert, und selbstverständlich alle erforderliche Nanoattitüden wie Ear- und Eyesticks und fürs Haptische ein Paar gebrauchte sensible Manschetten, die man sich wahlweise um die Waden oder Ellenbogen schlagen kann, und die einem Bewegungen und Wahrnehmungen im himmeL ermöglichen, wie sie sich auch realphysisch kaum echter feelen lassen.

Im himmeL ist Aaron nicht schwarz, sondern lackweiß, nicht Jude, sondern Atheist und nicht schwul, sondern eine Frau. Im himmeL trägt Aaron den Namen Vanessa und beim Business stets silbergraue Businesskostüme und eine Frisur, so stahlblond, dass man meint, sich daran schneiden zu können - und auch kann, sensuell zumindest. Und ist verheiratet mit Big Jim, einem sich selbst überschätzenden, in Wahrheit aber depressiven Gynäkologen, der es nicht einmal schafft, gewaschen und rasiert herumzulaufen. Als würde Big Jim das mit Absicht tun, was natürlich Unsinn ist, Schuld daran ist selbstredend GOD, weil GOD es zulässt, dass die Bereitstellung von virtuellen Leben und Existenzen seit deren Privatisierung immer auch mit einer einprogrammierten Verfälligkeit einhergeht, mit einer Art Ersatzentropie des Daseins, gegen die seitdem auch die Geister anzukämpfen haben, dabei war doch genau DAS einmal die eigentliche Idee des Ganzen gewesen: Ein Leben zu leben ohne dessen alltägliche Mühsal, frei von den Zwängen der Schwerkraft oder räumlicher Begrenzung, und vor allem frei von ungewolltem Bartwuchs, Körpergeruch oder Altwerden, und vor aller aller allem aber frei von Schmerz, Angst oder gar Gewalt. Aber nun lässt GOD unerwünschten virtuellen Bartwuchs zu, und nicht einmal eine Scheinfrau wie Vanessa ist gegen monatliche Regelblutungen gefeit, trotz regelrechter Blood-Blizzards aus millionenfach gebündelten Beschwerden gegen GODs unergründliche Politik.

Big Jim, der Aaron nie verraten hat, wes burgerlicher Existenz er seine virtuelle zu verdanken hat, der ein solches Geheimnis um dieselbe macht, dass es Aaron als Frage der Loyalität betrachtet, dem NICHT nachzuforschen (was vielleicht ja möglich wäre, so gut, wie man immer meint, kann man seine IDEA gar nicht verheimlichen - glaubt Aaron), hinter Big Jim vermutet er in seinen sentimentalen Momenten dasselbe, was Vanessa für ihn ist: das Gegenteil dessen, als was man auf Erden geboren wurde. In Big Jims Fall also vermutlich so etwas wie eine magersüchtige Lesbe mit Nikotinsucht und verkorkster Kindheit, womöglich von ihrem Nazigroßvater bis in die späte Pubertät hinein missbraucht und nie drüber weggekommen, derweil der Nazigroßvater ganz prima drüber weggekommen ist und als geifernder alter Sack unter den warmen Fittichen einer blutjungen Pflegeheimschwester auf die entspanntest denkbare Art das Zeitliche segnet. Oder gar noch rechtzeitig selbst in den himmeL transhumiert ist und nun dort sein Unwesen treibt, ja möglicherweise nach seiner Nichte sucht und überhaupt der Grund dafür ist, weshalb Big Jim so hinterm Berg hält, was seine Burger-Existenz betrifft.

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