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Eine kalte Nacht im März
ОглавлениеDas Tretgetriebe klappert; der Treibriemen quietscht; die grobe, alte Nähmaschinennadel ächzt und frisst sich mühsam durch einen grausilber flimmernden Stoff. - Kunze näht schon seit Stunden. Seine Augen sind gerötet, seine Finger weiß vor Kälte, sein linkes Knie schmerzt vom ewigen Treten des Pedals. Er hält inne und beugt sich über eine monströse, das schmerzende Knie umklammernde Ledermanschette, aus der ein die Gelenkfunktion unterstützendes Stahlgestänge starrt, dessen Verbindungen aus Scharnieren und kleinen Zahnrädchen an das Pleuelgestänge einer Dampflok erinnern. Kunze richtet eine Schraube, erhebt sich von einem einfachen Holzschemel - wobei das Gestänge leise quietscht - nimmt die an einem Balken hängende Arbeitsleuchte und lässt ihren Lichtschein über den Dachboden streifen. Das Gebälk ist morsch. Riesige, Staub beladene Spinnweben schlingern im Luftzug und durchs baufällige Dach blinken einige Sterne. Aus großen, funkelnden Augen betrachtet Kunze ein silbernes Gebirge aus Stoff, dessen längste Bahn wie ein Gletscher bis in die Nähmaschine reicht. Kunze schiebt zwei Finger zwischen die Lippen, pfeift leise, worauf es im schimmernden Gebirge raschelt und sich augenblicklich eine Beule formt, die rattenflink auf Kunze zurast. Die vorwitzige Schnauze eines kleinen Hundes erscheint unter dem Saum. Er verharrt eine Sekunde, springt an Kunze hoch, der ihn auffängt, und zärtlich streichelt. Zwei zierliche, goldene Initialen glänzen auf dem schmalen Hundehalsband:
J
für Jingle und
B
für Bell.
Über eine schmale, eiserne Trittleiter gelangt Kunze zu einer hölzernen Dachluke. Er hat Mühe hinaufzukommen: Die quietschende Manschette behindert ihn sehr, zumal er Jingle Bell auf den Schultern balanciert. Aber Jingle Bell kennt die Prozedur. Gekonnt hält er das Gleichgewicht, bis Kunze die Dachluke geöffnet hat und den flachen Giebel des Daches betritt.
Die kleine Stadt liegt noch im silbrigen Licht des zunehmenden Mondes. Im Westen ragen die Ruinen und Skelette verrotteter Fabrikanlagen in den nachtblauen Himmel. Einige Straßenlaternen flackern und irgendwo schreit eine Katze. Sogar im Zauberlicht des Märzmondes bleibt der Anblick dieses kleinen Städtchens trist und fade. Mit steifen Fingern schlägt Kunze den Kragen seines grauen Wintermantels hoch, knotet seinen dicken, roten Wollschal, setzt sich schließlich vorsichtig in einen knarrenden Korbsessel, vor dem ein gezimmertes, nach allen Richtungen schwenkbares Holzstativ steht. Die beachtliche Konstruktion trägt ein betagtes, bleigraues, eineinhalb Meter langes Fernrohr. So kann Kunze bequem Himmelszelt und Umgebung betrachten, ohne eine üble Halsstarre davonzutragen. Er klopft sich auf die Oberschenkel; und darauf hat Jingle Bell mit aufmerksam gespitzten Ohren schon gewartet: Sofort hüpft er auf Kunzes Schoß und kuschelt sich flink in den Wintermantel. Kunze richtet das Fernrohr gen Osten, wo hügelige Wälder an die kleine Stadt grenzen. Auf einer kahlen Kuppe steht ein eigenartiges Gebäude. Kunze nimmt es ins Visier, korrigiert die Schärfe bis er die dunkelgrauen Umrisse einer Sternwarte klar und deutlich erkennen kann. Allmählich steigt die Morgenröte über den gewellten Horizont. Fasziniert lässt Kunze den Blick des Fernrohrs über die aufglühenden Morgenwolken schweifen bis ihn nach einer Viertelstunde ein gewaltiges Gähnen übermannt. Er lehnt sich zurück, seufzt leise und schläft sofort ein.