Читать книгу Schaschlik - null Possenbach - Страница 7
Paul
ОглавлениеWachtmeister Schäfer nimmt seine Kleinbildkamera hoch, geht in die Hocke, bewegt sich schnaufend nach links und nach rechts, bis er endlich den richtigen Bildausschnitt gefunden hat, fotografiert.
„So, Beweisaufnahme abgeschlossen. Du kannst anfangen!“
Mit einem fetten, Wasser triefenden Schwamm bearbeitet Kunze den ersten Buchstaben, der widerstandslos zerfließt und bald ist das Wort „Schäfer“ verschwunden. Schäfer selbst beobachtet Kunzes ungelenke Bewegungen ganz genau. Mit jedem Buchstaben, der verschwindet, legt sich sein Ärger und weicht einer eigenartigen Melancholie.
Tiefes, manchmal röhrendes Brummen nähert sich durch eine der Wohnstraßen. Wachtmeister Schäfer schaut sich um, Kunze auch. Kunze ist so erstaunt, dass er vergisst weiterzuwischen. Ein riesiger, weißer Cadillac-Kombi, der einen kleinen, braunen Imbisswagen im Schlepp hat, rollt auf die Kreuzung. Auf den Flanken des Cadillacs - die Fenster zur Ladefläche wurden durch weiße Bleche ersetzt - steht in großen, roten Buchstaben:
Pauls Schaschlik Paradies
Der Cadillac zieht einen kleinen Bogen, hält am Straßenrand. Sein Achtzylindermotor röhrt tief und laut auf und verstummt. Stille. Nur eine Drossel zwitschert. Der verchromte, an ein breites Grinsen erinnernde Kühler blitzt in der Märzsonne und die schräg stehenden Scheinwerfer verleihen dem imposanten Fahrzeug ein gefährliches Aussehen. Gemächlich steigt Paul aus. Er verschränkt die Arme vor der Brust, sieht sich abschätzend um, zeigt dabei sein erstklassiges Gebiss: Ein goldener Schneidezahn blitzt in der Sonne. Pauls graues Haar ist kurz geschoren, seinen Hals schmückt ein Stiernacken, auf seiner üppig behaarten Brust prangt eine goldene Panzerkette und im linken Mundwinkel wippt ein Zahnstocher langsam auf und ab. Aus seiner weißen Hose - alles an ihm ist weiß - holt Paul einen ledernen Tabaksbeutel, schüttelt etwas Tabak auf ein Blättchen, dreht einhändig eine Zigarette, steckt sie in den rechten Mundwinkel, lässt ein riesiges Benzinfeuerzeug aufschnappen, zündet die Zigarette an, raucht genüsslich.
Aus blinzelnden Augen beobachtet Wachtmeister Schäfer den eigenartigen Gesellen.
„Da ist Halteverbot.“
Doch gerade, als Schäfer sich mit energischem Wachtmeisterschritt in Bewegung setzt, schlendert Paul zur Eckkneipe und verschwindet darin...
Karls Augen treten aus den Höhlen.
„Uuuuuuuuuuuuhhhhhhhhhhh. Ah!“
Er bläht die unrasierten Wangen, stöhnt laut, betrachtet sich dabei im feuchten Spiegel über dem Waschbecken. Er lässt von Käthe ab, die ihren kitschigen Morgenmantel über den entblößten Po zieht und gähnt.
„Zufrieden?“
Karl reckt sich.
„Es geht doch nichts über einen guten Morgenfick!“
Käthe fährt sich mit einer Hand, an der splitternde, knallrote, billige Kunstfingernägel kleben, durch ihr ungekämmtes, fettiges, rotes Haar.
„Du bist die größte Sau, die ich kenne.“
Karl grinst verschmitzt und knöpft sein Hemd zu.
„Ich weiß, mein Mädchen, ich weiß!“
Käthe bückt sich unter das Waschbecken, kommt mit einer Schnapsflasche hoch, nimmt einen tiefen Schluck, bietet Karl die Flasche an. Karl lehnt ab. Käthe sieht in den Spiegel, betrachtet ihr verkatertes Gesicht.
„Scheiße.“
„Das kommt vom Saufen, mein Mädchen.“
Käthe wird böse.
„Oder vom Ficken.“
Aus der Kneipe dringt Johannas Stimme ins Badezimmer.
„Karl? Karl, komm doch mal bitte! Kaharl!“
Karl verdreht die Augen.
„Was will das Miststück wieder?“
Käthe legt ihm beide Arme um den Hals, gibt ihm einen zärtlichen Kuss, den Karl nicht erwidert.
„Schick sie weg, Karl. Schick sie endlich weg!“
Unsanft löst sich Karl aus der Umarmung.
„Du weißt genau, dass ich das nicht kann. Der ganze Laden gehört ihr... Und jetzt lass das, du hast Mundgeruch.“
Käthe schüttelt deprimiert den Kopf.
„Dass ich immer an so Arschlöcher wie dich geraten muss!“
Als Karl gemächlich die Treppe runter kommt und die dunkle Kneipe betritt - die Rollläden sind noch geschlossen - hört er durch die offen stehende Küchentür die brummende Stimme eines Mannes.
„So, Gnädigste, das wär’s. Aber aufpassen, dass sie da nicht reinfallen.“
„Oh vielen Dank.“
„Keine Ursache.“
Karl braucht keine drei Sekunden bis er in der Küche steht.
„Was soll das denn werden, wenn es fertig ist?“
Paul hockt am Boden. Gerade hat er eine stählerne Kellerluke geöffnet.
„Die Scharniere sind eingerostet. Das muss geölt werden.“
Karl grinst gemein.
„So, so, die Scharniere. Pass bloß auf, dass ich dich nicht öle!“
Paul verzieht keine Miene und steht auf. Sofort bereut Karl seine Worte. Paul ist einen Kopf größer als er und doppelt so breit. Johanna lächelt als sie sieht, dass Karl Angst hat.
„Karl, der Herr möchte ein Zimmer mieten.“
Karl sieht Paul erstaunt an.
„Und wie lange?“
„Zwei Wochen.“
„Zwei Wochen? Donnerwetter, das haben wir lange nicht gehabt. Darf ich fragen, warum so lange?“
Paul legt Karl die rechte Pranke auf die Schulter, beugt sich zu ihm herab und flüstert geheimnisvoll.
„Ich bin geschäftlich hier...“
Eineinhalb Minuten später stößt Karl die Tür zum Gästezimmer auf, versucht eine einladende Geste.
„Bitte, nach ihnen.“
Paul tritt ein und sieht sich um. Das Zimmer ist nicht viel größer als eine Besenkammer. Im klapprigen Messinggestellbett biegt sich eine braune Matratze. Die Wände sind dunkel getüncht, dennoch kann man die Wasserflecken erkennen. Als Paul den Kleiderschrank öffnet, kommt ihm die Tür entgegen und eine Kakerlake flitzt heraus. Ungerührt hängt er die Tür wieder ein, dreht sich nach Karl um, der immer noch in der Zimmertür steht und Paul beobachtet.
„Das ist unsere Kaisersuite. Was anderes ist leider nicht frei.“
„Ich nehm’s.“
Karl lächelt ironisch.
„Ich habe nichts anderes erwartet!“
Paul öffnet ein kleines, gesprungenes Fenster, dass sich die löchrigen Vorhänge im Luftzug blähen und wirft einen Blick in den schattigen Hinterhof, wo eine wilde Müllkippe entstanden ist. Karl tippt Paul von hinten auf die Schulter.
„Eine Kleinigkeit noch. Bezahlung im Voraus.“
Paul greift in seinen weißen Mantel, holt eine Geldscheinrolle heraus, steckt Karl mehrere Scheine in die Brusttasche.
„Ich glaube, das dürfte reichen.“
Karl kann es nicht fassen. Sofort zieht er die Scheine aus der Brusttasche, zählt nach, zählt erneut, sieht Paul erstaunt an. Soviel Geld verschlägt ihm die Sprache...
Im gelblichen Licht einer Petroleumlampe, die auf einer alten Holzkiste steht, tastet Karl die feuchten Ziegelsteine der Kellerwand ab. Schließlich findet er einige lockere Ziegel, zieht sie aus der Wand, langt mit einem Arm in den dahinter liegenden Hohlraum und zieht eine Stahlkassette heraus. Glücklich und gierig zugleich öffnet er die Kassette mit einem kleinen Schlüssel. Einige Ringe und drei silberne Broschen glitzern schwach im Petroleumlicht. Nachdem Karl die Geldscheine in der Kassette verstaut, diese wieder ins Versteck gelegt und das Loch mit den Ziegeln verschlossen hat, nimmt er die Petroleumlampe, lässt ihr Licht über eine im Eigenbau erstellte Destillationsanlage streifen. Unter einem Kolben, in dem eine klare Flüssigkeit blubbert, brennt ein aus einer Gasflasche gespeister Bunsenbrenner. Karl dreht die Flamme hoch, öffnet einen kleinen Hahn und lässt etwas frisch gebrannten Schnaps in einen Blechbecher tropfen. Er probiert, nickt zufrieden und klettert schließlich über eine schmale Leiter hinauf zur Luke im Küchenboden...
Unterdessen umkreist Wachtmeister Schäfer das Cadillac-Gespann zum dreizehnten Mal. Er hält etwas Abstand, als umschleiche er eine schlafende Raubkatze. Endlich kommt Paul aus der Destille, Schäfer bleibt stehen und wippt ungeduldig auf den Zehenspitzen auf und nieder. Paul lächelt breit genug, dass sein Goldzahn blitzt.
„Alles in Ordnung, Herr Wachtmeister?“
„Hier können sie nicht stehenbleiben! Hier ist Halteverbot.“
Schäfer zückt seinen Strafzettelblock. Er liebt diese Augenblicke, die das Klicken des Kugelschreibers so wunderbar krönt.
„Ich muss sie leider verwarnen!“
Paul blickt amüsiert auf den Polizisten herab.
„Falls es sie interessiert: Ich habe eine Sondergenehmigung.“
„Eine Sondergenehmigung? Die möchte ich aber gerne mal sehen!“
Paul zieht seine Geldscheinrolle aus der Hosentasche, zählt einige Scheine ab, stopft sie Wachtmeister Schäfer in die Hand, der sofort verständnisvoll nickt.
„Ach so, so eine Sondergenehmigung... Gehe ich recht in der Annahme, dass sie diesen Imbisswagen hier irgendwo aufstellen möchten?“
„Treffer ins Schwarze, Herr Wachtmeister.“
„Und wo genau?“
„Da!“
Paul zeigt zur Mitte der Kreuzung, auf eine kleine Verkehrsinsel. Sofort plustert sich Schäfer auf.
„Mitten auf der Kreuzung? Unmöglich! Hochgradig verkehrsgefährdend.“
Paul seufzt, zählt noch einige Scheine ab, wedelt damit.
„Sind sie sicher, Herr Wachtmeister?“
Schäfer wiegt nachdenklich den Kopf hin und her, dann fasst er wohlwollend seinen Entschluss.
„Ach, wissen sie, wo kein Verkehr ist, kann er auch nicht gefährdet werden.“
„Na also, Herr Wachtmeister!“
Flink lässt Schäfer, die zusätzlichen Einnahmen in seiner Aktentasche verschwinden und legt verabschiedend einen Zeigefinger an die Schirmmütze.
„Dann wünsche ich ihnen gutes Gelingen, Herr... äh, wie war ihr Name?“
Paul deutet auf den Schriftzug am Cadillac.
„Paul, Herr Paul.“
„Natürlich. Und wann fangen sie an?“
„Gleich morgen. - Ach, Herr Wachtmeister, bevor sie gehen... vielleicht können sie mir helfen ...“
Kunze hat den letzten Buchstaben abgewaschen. Nun beobachtet er staunend, wie Paul mit Schäfers Hilfe, den Imbisswagen vom Cadillac abkoppelt und zur Verkehrsinsel schiebt. Schäfer rutscht die Mütze vom Kopf, Paul hebt sie auf, klopft den Staub ab und übergibt sie dem Wachtmeister.