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Reinkarnation

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Die rostige Kuppel der alten Sternwarte, die sich über die bewaldeten Hügel am Stadtrand erhebt, erinnert in der Abenddämmerung an einen riesigen, vergessenen, hornlosen Wickingerhelm. Kunze hat ein schmales Grab ausgehoben, nimmt Jingle Bells Sarg - eine kleine Sperrholzkiste - vom Gepäckträger eines Tandems, das er gegen die Putz bröckelnde Sternwartenmauer gelehnt hat. Er öffnet den Sarg, krault zärtlich Jingle Bells zierlichen, steifen Körper und nimmt ihm das Halsband ab. Behutsam senkt er den kleinen Sarg ins Grab, blickt traurig hinab. Das Grab ist das fünfte in einer Reihe schmaler Hundegräber; in jedem steckt ein schlichtes Holzkreuz; auf jedem Kreuz steht „Jingle Bell“. Im Gebüsch hinter Kunze raschelt es. Er horcht auf und dreht sich um. Ein riesiger Mastinomischling schiebt sein mächtiges Haupt durchs Blattwerk. Aber statt erschrocken zurück zu prallen, zeigt sich Kunze glücklich, den furchteinflößenden Hund zu erblicken. Er geht in die Hocke - die Manschette quietscht – und tätschelt den Hals des Mastinos, der begrüßend, kurz und leise bellt.

„Mr. Charles! Ich habe sie schon erwartet!“

Mr. Charles schnüffelt am Grab, sieht Kunze fragend an. Kunze nickt.

„Es war wieder Oma.“

Mr. Charles bleckt die Zähne, knurrt gefährlich. Kunze flüstert ihm ins Ohr.

„Eines Tages erwischt ihr sie! – Wo sind eigentlich die anderen?“

Wie auf ein stilles Kommando hin springt eine Hundehorde aus den Büschen ringsherum. Straßenköter aller Rassen und Mischungen. Schweigend kommen die Tiere näher, umringen das Grab, bilden eine Gasse, durch die ein Jingle Bell aufs Haar gleichender Hund trippelt, der vor dem offenen Grab stehenbleibt, hinabschaut und leise winselt. Kunze nimmt den Kleinen auf den Arm, streichelt ihn. Mr. Charles knurrt. Kunze setzt das Hündchen wieder ab, nickt Mr. Charles zu.

„Sie haben recht, Mr. Charles, bei ihnen ist er besser aufgehoben.“

Durch eine vor langer Zeit aufgebrochene Tür betritt Kunze in Begleitung von Mr. Charles die Sternwarte. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe fällt auf ein einstmals teures Ledersofa, das in der Mitte der ehemaligen Oberservationsplattform steht, genau dort, wo das Teleskop installiert war. Kunze lässt sich nieder, lehnt sich zurück. Die Kuppel ist nicht ganz geschlossen. Durch einen Spalt, der früher für das Teleskop geöffnet wurde, betrachtet er den Himmel. Die ersten Sterne funkeln, Kunze verliert sich in ihrem Anblick und die Erinnerung an eine glücklichere Zeit steigt in ihm auf:

Im hellen, weißen Vollmondlicht stehen der vierzehnjährige Kunze, Mr. Charles und ein eigenartiger Mann auf der Galerie, die rund um die Observationskuppel führt. Der Mann trägt einen verknitterten Zylinder, einen viel zu engen, abgeschabten Frack, darunter ein rotweiß gestreiftes T-Shirt. Väterlich legt er Kunze einen Arm um die Schultern. Beide betrachten gebannt die große, weiße Vollmondscheibe. Kunze sieht mit leuchtenden Augen den Mann von der Seite an.

„Papa, wie lange sind wir unterwegs?“

Der Vater lächelt, streicht seinem Sohn durchs blonde Haar, auf dem das Mondlicht glänzt.

„Monate, mein Sohn. Vielleicht sogar Jahre. Wir wollen doch nicht hetzen, oder? Wir landen überall da, wo wir Lust haben zu landen. Und dort wo es am schönsten ist, bleiben wir, bis es uns irgendwann weitertreibt.“

„Und Oma?“

„Die bleibt hier.“

„Versprochen?“

„Großes Ballonfahrer-Ehrenwort!“

Kunzes Vater bückt sich, zieht aus einem Stoffbeutel eine lederne Pilotenkappe mit Windschutzbrille. Er setzt Kunze die etwas zu große Kappe auf.

„Die gehört dir. Jetzt bist du ein echter Ballonfahrer!“

Glücklich betastet Kunze das grobe Leder seiner Kappe, setzt die Brille auf.

„Und du?“

„Ich habe natürlich auch eine.“

Flink hat der Vater eine zweite, größere Kappe aus dem Beutel gezogen und aufgesetzt. Die beiden sehen sich durch die großen Windschutzbrillen an, müssen lachen; Mr. Charles bellt fröhlich und springt an ihnen hoch. Eine große Wolke schiebt sich vor den Mond.

Schaschlik

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