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Der Menschenfreund
ОглавлениеOma Kunze, die drei Säufer Charly, Theodor und Werner sitzen in der Destille am großen, runden Stammtisch, spielen konzentriert ‘17 und 4’. Charly leckt sich die wulstigen Lippen, lächelt zahnlos, deckt triumphierend seine Karten auf: Herz- und Karo-Zehn. Theodor seufzt, reibt sich das schmale, ausgemergelte Gesicht, wirft zerknirscht seine Karten auf den Tisch.
„So eine Scheiße! 23, kaputt!“
Charly will gerade den Gewinn einstreichen, aber Oma Kunze hält ihn auf, grinst zufrieden, dreht ganz langsam ihre beiden Karten um, worauf der dicke Werner fassungslos den Kopf schüttelt und sich das unrasierte Kinn kratzt.
„Gibt’s doch gar nich’! Schon wieder zwei Asse!“
Gierig, mit beiden Händen grabscht Oma Kunze ihren Gewinn. Während sich vor ihr die Münzen und sogar einige Scheine stapeln, sind ihre drei Mitspieler fast pleite. Erstaunlich geschickt mischt sie erneut die Karten.
„Los, Jungs! Holt euch zurück, was euch gehörte!“
Paul sitzt abseits an einem kleinen Tisch hinter der Garderobe. Sein Bier verschalt, während er unauffällig die Spieler beobachtet. Käthe, die mit Karl hinter dem Tresen steht, lässt Paul nicht aus den Augen.
„Was meinst du, Karl, soll ich’s versuchen?“
Karl nickt überzeugt, gibt Käthe einen Klaps auf den Po. Käthe zieht ihr enges Schwarzes, das schon bessere Zeiten erlebt hat, glatt und richtete ihr liederlich hochgestecktes Haar. Gerade als sie den Tresen verlassen will, kommt Johanna mit zwei Portionen Bratkartoffeln aus der Küche. Karl reißt ihr die Teller aus den Händen, gibt sie Käthe.
„Nimm das mit!“
Käthe zieht mit den Tellern ab und wackelt dabei mächtig mit dem Po, würdigt Johanna keines Blickes, die mit weggetretenem Blick hinter dem Tresen steht. Karl stößt sie zurück in die Küche.
„Verpiss dich!“
Käthe bringt Oma Kunze, die schon wieder gewonnen hat, die Bratkartoffeln. Die anderen drei sind pleite; der dicke Werner jammert.
„Meine ganze Stütze is´ weg!“
Oma Kunze lächelt gekünstelt gütig.
„Kannst du ja morgen zurückgewinnen.“
„Womit denn?“
„Was weiß ich ... Ach Käthe, stell das Zeug doch da rüber.“
Oma Kunze zeigt auf Pauls Tisch. Käthe sieht sie schief an, zögert.
„Käthe, was ist nun?!“
„Wenn du meinst, Oma...“
Widerwillig gehorcht Käthe, Paul schiebt sie die andere Portion Bratkartoffeln hin. Paul nickt dankend und Käthe lächelt schelmisch, aber das gelingt ihr schon seit vielen Jahren nicht mehr. Es wirkt ordinär.
„Na, haben wir schon über das Dessert nachgedacht?“
„Lass ihn in Ruhe, Käthe!“
Oma Kunze rollt an den Tisch, lächelt Paul überfreundlich an.
„Sie ist bloß ein billiges Flittchen. Und so ein prächtiger Kerl wie sie, Herr Paul, hat doch wohl wirklich was Besseres verdient, oder?“
„Halt dich da raus, alte Schabracke!“
„Zieh endlich Leine, der Herr und ich vollen speisen.“
Pauls Augen wandern von Oma Kunze zu Käthe und wieder zurück. Aber er lässt sich nicht anmerken, was er denkt. Seine Stimme ist tief und ruhig als er Käthe antwortet.
„Nehmen sie’s mir nicht übel. Aber erstmal habe ich ziemlichen Hunger.“
Käthe zieht enttäuscht einen Schmollmund, schlendert zurück zum Tresen. Oma Kunze streckt Paul ihre rechte Hand hin.
„Ich bin die Frau Kunze. Aber alle sagen Oma Kunze zu mir. Der Gemüseladen an der Ecke ist übrigens meiner. Und sie? Sie machen in Schaschlik?“
Paul nickt und kaut. Oma Kunze wartete eine Weile, aber Paul schweigt.
„Gibt’s bei ihnen auch Pommes? Oder vielleicht brauchen sie frische Kartoffeln! Ich könnte ihnen ...“
„Bei mir gibt’s nur Schaschlik.“
„Nur Schaschlik, nichts dazu?“
„Toastbrot.“
„Aber für Schaschlik brauchen sie doch Zwiebeln, oder? Mit Zwiebeln kenne ich mich nämlich aus. Ich bin sozusagen Expertin. Ich könnte ihnen da ein ganz besonderes Angebot machen...“
Doch dazu kommt Oma Kunze nicht mehr. Die drei Säufer Theodor, der dicke Werner und Charly, geraten sich in die Haare.
„Ihr Idioten! Wie kann man der Alten nur so auf den Leim gehen! Sie hat euch gelinkt. Blödmänner!“
„Du warst doch auch nicht besser!“
„Doch bloß wegen euch, ihr dämlichen Arschgeigen!“
„Sag das noch mal!“
„Arschgeigen! Dumme, blöde Arschgeigen...!“
Der dicke Werner platziert seine Faust genau auf Theodors Nase. Aber Theodor ist zäh. Er springt über den Tisch und reißt Werner mit Charlies Hilfe zu Boden. Sofort ist eine heftige Keilerei im Gange. Aber Karl kennt das schon. Es scheint ihm Spaß zu machen, die Streithähne zu trennen und jedem noch ein paar kräftige Fausthiebe zu verpassen. Als die drei wieder ruhig und blutend am Tisch sitzen, ist er sehr zufrieden.
„So, Jungs, das war’s für heute. Ihr könnt zahlen und euch verdrücken!“
Werner wischt sich Blut aus dem Mundwinkel.
„Bezahlen? Wovon denn? Die Alte hat uns abgezockt!“
Oma Kunze dreht sich nach Werner um, will etwas Gehässiges sagen, aber Paul kommt ihr zuvor.
„Die Herren sind eingeladen. Ich übernehme alles. Und noch eine Lokalrunde dazu!“
Die Säufer grölen. Oma Kunze sieht Paul skeptisch an.
„Menschenfreund, was?“
„Kann man so sagen. Sie nicht, Oma Kunze?“
Wortlos reißt sich Oma Kunze ein paar graue Haare aus ihrem Dutt, mischt sie unter ihre Bratkartoffeln.
„Karl! Karl sieh dir das an! So eine Schweinerei...!“
Erschrocken zuckt Johanna zusammen, als Karl wütend in die Küche poltert, ihr Oma Kunzes Teller Bratkartoffeln vor die Füße schmeißt und das graue Haarbüschel unter die Nase hält.
„Kannst du mir das erklären, mein Täubchen? Nein, kannst du nicht? Dann will ich dir mal was erklären...!“
Er zieht seinen Gürtel aus der Hose, lässt ihn lässig hin und her schlingern. Ängstlich sieht Johanna Karl an, der, ein sadistisches Lächeln auf den Lippen, immer näher kommt. Johanna weicht zurück. Einen Schritt, zwei Schritte, dann verschwindet sie plötzlich nach unten. Verblüfft beugt sich Karl über die offene Bodenluke...
Die nächtlichen Straßen sind menschenleer. Kunze tritt in die Pedale, so kräftig er kann. Ein Hilfsgestänge, das mit Manschette und Fahrradrahmen verbunden ist, ermöglicht ihm, trotz seiner Behinderung, gleichmäßige Trittbewegungen. Er biegt in eine lange Wohnstraße ein. Die alten Pritschenlampen leuchten nur schwach oder gar nicht. Hinter wenigen Fenstern brennt Licht. Wind kommt auf, pustet Kunze Unrat und Zeitungsreste entgegen. Unbeirrt strampelt er weiter. Das rote Rücklicht wird kleiner bis es von der dunklen Straßenschlucht verschluckt wird...
Der kleine, glatzköpfige Arzt richtet sich auf, putzt seine Brille und sieht auf die bewusstlose Johanna herab. Sie liegt in der rechten Hälfte eines schäbigen Doppelbettes, die Hände auf der Daunendecke, die Augen im nun ruhigen, entspannten Gesicht weit aufgerissen, starrte sie ins Nichts. Ein dreiarmiger Leuchter verbreitet gelbliches Licht, das jede Falte, jeden kleinen Krähenfuß in hässliche Runzeln verwandelt. Karl steht mit vor der Brust verschränkten Armen am Fuße des Bettes, neben ihm Käthe, die nervös an ihren Fingernägeln knibbelt. Es klingt wenig besorgt, als Karl fragt:
„Was ist mit ihr?“
Der Arzt hebt die Augenbrauen, schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Gebrochen ist nichts. Sie ist nur bewusstlos. Der Sturz ...“
„Wann wird sie wach?“
„Schwer zu sagen. In einer Stunde, einem Tag, einer Woche ... Ich weiß es nicht. Sie muss ins Spital.“
„Unmöglich! Kann ich nicht bezahlen...“
„Aber ihre Krankenkasse...“
„Hat sie seit Jahren nicht mehr. Dafür hat sie ihrer Tochter, diesem Balg, das Hospiz bezahlt.“
Der Arzt zuckt die Achseln.
„Na schön. Ich lege eine Infusion.“
„Ist das teuer?“
„Sie muss ernährt werden. Oder wollen sie, dass ihre Frau verhungert?“
Karl sieht Käthe an. Käthe sieht Karl an. Der Arzt wird ungeduldig.
„Also, was ist nun?“
Die alte Pritschenleuchte, unter der Pauls Cadillac steht, flackert; der Schatten des Cadillacs tanzt. Ein leises Quietschen und Klappern wird allmählich lauter, dann erscheint Kunze. Er radelt mit dem Tandem quer über die Kreuzung zur Destille, deren Tür gerade auffliegt. Theodor torkelt, dicht gefolgt vom dicken Werner und Charly, auf die Straße. Die drei haben beste Laune. Immer wieder feiern sie lauthals ihren Gönner Paul, der, die Hände in den Hosentaschen, in der Tür der Kneipe steht und die drei amüsiert beobachtet. Als Theodor Kunze bemerkt, der soeben sein Fahrrad neben der Kneipentür abstellt, wankt er auf ihn zu und hält ihn beim Ärmel fest.
„Hör mal zu, Kunze, du hinkender Sack: Wenn du noch mal deine arme, alte Oma so lange alleine lässt, dann ... das sag ich dir aber, dann kannst du was ... aber wie! Ist das klar, Bürschchen?“
Er packt Kunze beim Kragen und schüttelt ihn.
„Sie hat uns platt gemacht, verstehste? Wenn du auf sie aufgepasst hättest... Alles deine Schuld. Gib mir mein Geld! Ich will mein Kohle zurück!“
Paul tritt einen Schritt zur Seite und Oma Kunze rollt aus der Destille. Sie rammt Theodor ihren Krückstock in den Rücken. Wütend fährt Theodor herum, aber seine Wut verpufft, sobald er Oma Kunze erblickt.
„Lass ihn los!“
Theodor gehorcht.
„Ist ja schon gut...“
Oma Kunze sieht Kunze böse an.
„Komm her!“
Kunze zögert.
„Du sollst herkommen!“
Kunze tritt zwei Schritte an Oma Kunze heran und erntet drei Schläge mit dem Krückstock. Die Säufer zollen lauthals Beifall. Dann trennen sie sich. Theodor zieht wankend nach links ab, Charly nach rechts und der dicke Werner torkelt geradeaus. Kunze schiebt seine schimpfende Oma quer über die holprige Kreuzung zum Gemüseladen. All dies hat Paul aufmerksam und wortlos beobachtet, nun umarmt ihn Käthe zärtlich von hinten.
„Willst du es dir nicht noch mal überlegen? Du verpasst was!“
Paul löst ihre Arme und lächelt unverbindlich.
„Vielleicht ein anderes Mal. Aber jetzt muss ich gehen.“
„Wo willst du denn hin um diese Zeit?“
„Zum Großmarkt.“
Er zückt den Zündschlüssel, geht zum Cadillac, steigt ein, lässt den Motor aufheulen und braust davon. Käthe sieht dem Wagen hinterher. Verächtlich murmelte sie in sich hinein.
„Zum Großmarkt. Zum Großmarkt...“