Читать книгу Zu Gast im Dritten Reich 1936. Rhapsodie - Olavi Paavolainen - Страница 11
ОглавлениеVorwort zur ersten Auflage
Allen Lesern und Kritikern meines Buches möchte ich mit André Gide sagen: Verstehen Sie mich nicht zu schnell.
Ich weiß selbst recht gut, dass es ein kühnes Unterfangen ist, ein solches Buch zu schreiben. Ich bin mir bewusst, dass ich mich damit entschließe, in ein echtes Wespennest zwiespältiger Meinungen zu stechen. In Finnland wurde nur in Zeitungen und Zeitschriften über den Nationalsozialismus geschrieben. Die Einen haben ihn bewundert, ohne zu begreifen, worum es sich eigentlich handelt, Andere haben sich das journalistische Maul zerrissen, ihn zu beschimpfen. Die Dritten haben versucht, ihn totzuschweigen.
„Zu Gast im Dritten Reich“ will keine Erläuterung zum Nationalsozialismus sein – noch nicht einmal eine Art Deutungsversuch. Der Autor hat keinerlei Voraussetzungen zu einem solchen Unternehmen. Ich habe beim Schreiben dieses Werkes versucht, auf die Angabe von „Quellen“ zu verzichten. Ich erzähle nur, was ich selbst gesehen, gehört und erfahren habe. Fast alle Zitate stammen aus Zeitungen oder Veröffentlichungen, die während meiner Reise erschienen sind, sowie von Reden, die ich mit eigenen Ohren gehört habe. Die von mir gezogenen Schlussfolgerungen und eröffneten Perspektiven – häufig sehr mutig und immer sehr subjektiv – gründen daher auf eigenen Erlebnissen. Ich habe so viele Eindrücke gesammelt, dass sich der Leser damit eine summarische Vorstellung davon bilden kann, wie das nationalsozialistische Welterlebnis, das Weltbild, eigentlich aussieht. Deshalb ist mein Buch eher als eine umfassende Reportage zu betrachten, und deshalb steht dafür der Untertitel „Rhapsodie“.
Ich weiß, dass sich viele darüber wundern werden, warum ich dieses Buch geschrieben habe und sich fragen, ob es „notwendig“ ist. Darauf kann ich nur mit einem sehr persönlichen Geständnis antworten. Mich hat niemals etwas mehr interessiert als die lebendige Gegenwart. Ich war und werde stets „auf der Suche nach der Neuzeit“ sein. Ich verbeuge mich vor der Zeit und vor dem Leben.
Der Nationalsozialismus ist derzeit lebendige Wirklichkeit.
Ich würde mich nicht wundern, wenn rechtsgerichtete Kreise mein Buch als Werbung für Antichristlichkeit betrachteten, Linke es für Nazipropaganda hielten. In gewisser Weise hätten beide recht. Ich empfehle Arvi Järventaus1) ebenso wenig eine Predigt in der evangelischen Kirche des Dritten Reiches wie Erkki Vala2) Konzentrationslager als Sommerurlaubsplatz. Ich wollte aufzeigen, dass es ein ebenso großer Irrtum ist, sich einzubilden, das Dritte Reich pflege die von den Vätern überkommenen Traditionen, wie es als Wiege neuer Barbarei zu sehen.
Obwohl ich Gast war, habe ich zu dem Gesehenen und Gehörten kein Blatt vor den Mund genommen, und zwar ohne Furcht. Mein Buch ist einseitig, denn ich betrat das Dritte Reich durch das Paradetor und nicht über die Treppe zur Küche. Ich kritisiere weder die Konzentrationslager noch die Judenverfolgung, denn beides wurde mir nicht gezeigt. Aber ich darf behaupten, dass die deutsche Kultur nicht tot ist, auch wenn Lion Feuchtwanger ausgewiesen wurde.
In aller Kürze: Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, auch wenn das Wasser vielleicht schmutzig und dazu möglicherweise noch blutig wäre.
Auch der folgende Umstand mag meine Schilderung des Dritten Reiches stilistisch einseitig erscheinen lassen. Ich schloss gerade vor der Reise ein Werk ab, an dem ich bereits sieben Jahre gearbeitet hatte. Daher habe ich in meinem Buch dem neuen, vitalen und einfachen Menschentypen weitführende Aufmerksamkeit gewidmet, der Antichristlichkeit und dem Wandel in der Geschlechtsmoral. Diese drei Phänomene sind die Leitthemen meines neuen Buches, und sie zu untersuchen bot mir die Reise ins Dritte Reich außerordentlich reichhaltiges Material.
Den Hauptteil meines Buches bildet die Beschreibung der Nürnberger Parteitage 1936. Die Notwendigkeit gerade deren detaillierter Schilderung trennt die Meinungen dazu am schärfsten. Ich selbst halte das für das Wichtigste von allem. Beim Lesen finnischer Zeitungen in Deutschland erfasste mich oft Verzweiflung. Mir schien, dass man in Finnland im Allgemeinen gar nicht recht begriffen hat, was in der Welt heute vor sich geht. Wir nähern uns mit rasender Geschwindigkeit dem vielleicht größten Wendepunkt in der Geschichte Europas. Es ist ein verhängnisvoller Fehler, diese Geschehnisse jetzt mit kleinlichen Spitzfindigkeiten erledigen zu wollen. Man muss jetzt den Mut haben apokalyptisch zu denken.
Das Schicksal Europas liegt im Augenblick in den Händen Deutschlands. Absolut wortwörtlich ist Deutschland heute das Herz Europas. Es ist völlig gleichgültig, ob die unseren Kontinent erschütternden Schicksalsschläge von der neuen Lebenskraft dieses Herzens herrühren oder wie viele behaupten, lediglich von einer plötzlichen Kampferspritze. Das Herz Europas schlägt jedenfalls kräftig. Erschreckend kräftig.
Tuusula, Onnela, 19.11.1936