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ОглавлениеMein Beruf
Am 2. August 1992 trat ich in Basel meine Stelle beim damals größten Schweizer Logistik- und Speditionskonzern an. Aus heutiger Sicht kann man dieses Unternehmen als größeren Mittelständler bezeichnen. Der Konzernumsatz betrug ca. 6 Milliarden Schweizer Franken, der von 16.000 Beschäftigten in 42 Ländern erwirtschaftet wurde. Die Kultur des Unternehmens war bodenständig und familiär.
Allerdings herrschte an vielen Stellen dringender Modernisierungsbedarf. So verfügte das Unternehmen bei meinem Eintritt noch über kein funktionierendes Controlling und über keine Konzernrechnungslegung. Das Schweizerische Obligationenrecht forderte die Veröffentlichung einer konsolidierten Konzernrechnung, d.h. einer zusammenfassenden Rechnungslegung sämtlicher zum Konzern gehörenden Gesellschaften, von Schweizer Kapitalgesellschaften erst ab dem Geschäftsjahr 1993. Deshalb musste das Unternehmen 1992 mit Volldampf daran arbeiten, diesen Auflagen zu entsprechen.
Ich begann meine Arbeit in Basel mehr oder weniger zeitgleich mit zwei weiteren Kollegen. Der Zufall wollte es, dass wir uns wunderbar verstanden.
Wir ergänzten uns in unseren Stärken, waren alle ehrgeizig und fleißig und bildeten ein starkes Team.
Die Zusammenarbeit mit diesen Kollegen gehört bis heute zu den besten Team-Erfahrungen meines Lebens. Mit den Kollegen, die schon etwas länger in der Abteilung arbeiteten, kam ich ebenfalls gut zurecht. Die Abteilung wurde angeführt von einem extrem ehrgeizigen Konzernfinanzvorstand, einem Mitvierziger, der vor wenigen Jahren von der Konkurrenz abgeworben worden war. Er hatte klare Vorstellungen, was er in seinem Bereich erreichen wollte. Der Handlungsdruck, in dem sich das Unternehmen befand, mit unbedingtem Zwang, einen konsolidierten Konzernabschluss hinzubekommen, verschaffte dem Konzernfinanzvorstand eine gewaltige Macht.
Die Finanzen diktierten zu dieser Zeit das Geschehen der Firma. Unsere ehrgeizige junge Truppe kam ihm in diesem Zusammenhang gerade recht. Wir alle erkannten die Chance des Augenblicks und arbeiteten wie die Verrückten. Bis spät in die Nacht und an Wochenenden. Morgens telefonierten wir mit den Finanzchefs unserer Tochtergesellschaften in Asien und am Abend mit der amerikanischen Westküste, wo sich unsere Nordamerika-Zentrale befand. Um den Konzern über die Anforderungen des neuen Finanz- und Controlling Systems zu informieren, richteten wir weltweit Seminare auf Englisch, Deutsch und Französisch aus. So umrundete ich bereits im ersten Jahr meiner Einstellung den gesamten Globus. Am Ende dieser gut zwei Jahre dauernden Periode stand ein Konzernrechnungswesen und ein Konzerncontrolling, um das uns seinerzeit die Konkurrenz beneidete und dessen grundlegende Substanz noch heute, mehr als 25 Jahre und etliche Akquisitionen später, Bestand hat. Dieser Erfolg brachte dem Konzernfinanzvorstand die Beförderung zum Konzernvorstandsvorsitzenden ein. Uns jungen Mitarbeitern verschaffte er einen hervorragenden Ruf und entsprechend attraktive Beförderungen.
Die Arbeit machte mir in dieser Zeit einen Heidenspaß. Mir fiel der Part zu, das gesamte Controlling-Konzept und die dazu gehörigen Richtlinien so zu gestalten, dass sie zum Speditionsgeschäft passten. Die Kombination aus konzeptioneller Arbeit, praktischer weltweiter Umsetzung und Organisation unseres Arbeitsbereichs lag mir. Was mir an der Arbeit am meisten gefiel, war die Gründlichkeit, mit der wir die Dinge damals angehen konnten. Kein ‚Quick and dirty‘-Verfahren, sondern es war noch möglich an den Details zu feilen. Ich habe oben von der Irritation und Frustration berichtet, die ich in meiner Ausbildungszeit empfunden hatte und die aus dem Umstand resultierte, dass die Organisation damals nichts ändern wollte, sondern auf kollektives Durchwursteln setzte. Genau das Gegenteil erlebte ich jetzt.
Der Anspruch an meine Arbeit, die Dinge gründlich, langfristig, kompetent und praktisch relevant anzugehen, ist für mich zum unverrückbaren Prinzip geworden. In dieser Beziehung habe ich einen gewissen Fanatismus entwickelt. Kurzfristiges, schlampiges, inkompetentes, für die praktische Arbeit der Organisation irrelevantes Durchwursteln war und ist mir zutiefst verhasst. Bestärkt wurde ich in dieser Auffassung, als ich 1994 die Chance hatte, dem „Managerial Effectiveness Seminar“ von Fredmund Malik beizuwohnen. Malik hat die Inhalte dieses Seminars im Jahr 2000 in seinem Buch „Führen, Leben, Leisten“4 zusammengefasst. Jahrelang lag dieses Buch auf meinem Nachttisch und es ist bis heute mein Leitfaden in Sachen Management.
Maliks Mission ist es, die Idee vom guten und richtigen Management zu verbreiten. Dabei stützt er sich auf die Gedanken von Peter Drucker, dem Erfinder des modernen Unternehmensmanagements.
Richtiges und gutes Management ist laut Malik erlernbar und basiert auf sechs zentralen Grundsätzen:
(1) Beim Management kommt es nur auf die Resultate an. Ein Management ohne Resultate ist wertlos. Das heißt nicht, dass der Zweck alle Mittel heiligt. Resultate sind selbstverständlich unter Einhaltung aller gültigen Regeln einschließlich denen von Anstand und Respekt zu erzielen. Darin liegen die Aufgaben und die zentrale Verantwortung eines Managers.
(2) Gutes Management leistet einen Beitrag „zum Ganzen“. Entsprechend ist bei jeder Entscheidung und Handlung darauf zu achten, dass das „Ganze“, d.h. die gesamte Organisation oder das Unternehmen an sich dadurch besser wird. Dieser Grundsatz wendet sich gegen die verbreitete Tendenz einzelner Unternehmensbereiche oder Abteilungen, nur sich selber optimieren zu wollen, ggf. auch zu Lasten anderer Unternehmensbereiche und Abteilungen. Er wendet sich auch gegen egoistisches Karrierestreben und schädliche Profilierung. Idealerweise nimmt ein guter Manager auch persönliche Einbußen in Kauf, wenn es der Sache als Ganzem dient.
(3) Gutes Management konzentriert sich auf wenige, wichtige Dinge. Nur wer sich auf Weniges, Wichtiges konzentriert ist zum Erzielen konkreter Resultate in der Lage. Je schwieriger die Herausforderung, desto wichtiger die Konzentration. Im Getümmel des Alltags besteht die große Gefahr der Verzettelung. Die Fähigkeit an den richtigen Stellen „nein“ sagen zu können unterscheidet den Könner vom Anfänger.
(4) Herausragende Resultate, d.h. solche, die notwendig sind, um im globalen Wettbewerb zu überleben, lassen sich nur erreichen, wenn man sich auf seine Stärken konzentriert. Die Beseitigung von Schwächen befähigt allenfalls zu durchschnittlichen Leistungen. Insofern ist Stärkenorientierung ein wichtiges Prinzip von gutem Management. Malik schreibt dazu: „Wenn man der Frage nachgeht, wie wirklich große Leistungen tatsächlich zustande gekommen sind oder erbracht wurden, fallen immer wieder zwei Dinge auf: Das erste ist eine klar erkannte Stärke und das zweite die kompromisslose Konzentration darauf.“5 Also aus der Kombination des 3. und 4. Grundsatzes.
(5) Gutes Management basiert auf Vertrauen. Gute Manager sind verlässliche, kompetente und anständige Menschen. Keine selbstsüchtigen Karrieristen, keine Lügner und falschen Hunde. Nur wer in seinem Umfeld Vertrauen schafft, ist in der Lage, die volle Leitungsfähigkeit seiner Kollegen und Mitarbeiter abzurufen.
(6) Gutes Management erfordert positives Denken. Malik definiert positives Denken als das Gebot „….in den Problemen die Chancen wahrzunehmen, als auch …, wo immer möglich und vor allem, wo immer nötig, sich selbst zu motivieren ….“6. Diese Erkenntnis sei zwar einfach, sagt Malik, doch die Umsetzung verlange einem einiges ab. „Man steckt in Problemen, hat Schwierigkeiten und leistet sich nicht den Luxus, diese zu ignorieren. Aber man erduldet sie auch nicht einfach, sondern tut etwas, damit die Lage sich ändert. Meiner Meinung nach sprechen genügend Indizien dafür, dass genau diese Haltung bei anderen den Eindruck hervorruft, es mit einer reifen Persönlichkeit zu tun zu haben.“7
Als ich diese Grundsätze 1994 zum ersten Mal vernahm, ließen sie mich enthusiastisch werden. Die Begeisterung für diese sechs Grundsätze ist mir bis zum heutigen Tag erhalten geblieben, denn sie entsprechen haargenau meinen persönlichen Wertvorstellungen. Auch wenn diese Grundsätze alle sehr einfach und einleuchtend klingen, so ist ihre Umsetzung jedoch ungemein schwierig. Davon kann ich ein Lied singen. Denn wie sich jugendlicher Überschwang und ein naives Verständnis der Ideale des Managements zu schwerwiegendem Fehlverhalten führen können, durfte ich bei meinem nächsten Karriereschritt in aller Deutlichkeit und Härte erfahren.
4 Fredmund Malik, Führen, Leisten, Leben, Deutsche Verlag-Anstalt GmbH, Stuttgart / München, 2000
5 ebenda, S. 133
6 ebenda, S. 155-156
7 ebenda, S. 156