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2.3.1. Aufsatzlehre und kommunikative Wende
ОглавлениеDie Forschung betont in diesem Zusammenhang in der Regel die kommunikative Wende der SprachdidaktikSprachdidaktikDie kommunikative Wende der Sprachdidaktik in den 1970er Jahren, die – parallel zur Entwicklung in Großbritannien – eine erste Etablierung kreativen Schreibens in Deutschland initiiert:242Glindemann, Barbara
In einem zugegebenermaßen kühnen Bogen könnte man ›Praxis‹ dem auf den Erwerb einer ›kommunikativen Kompetenz‹ ausgerichteten Deutschunterricht der 70er und 80er Jahre zuordnen: Ob im ›Umgang mit Texten‹ oder bei der Förderung mündlicher Kommunikation – im Vordergrund stand und steht das Lernziel, Schülern ›Kommunikation im Vollzug‹ erfahrbar zu machen. So wichtig dieses Lernziel ist, so ergänzungsbedürftig ist es durch einen ›herstellungsorientierten‹, einen ›poietischen‹ Ansatz: Ziel dieses Ansatzes ist es, Schüler eigene Texte herstellen und damit schriftliches Formulieren als wichtigste FormForm angewandter Sprachreflexion einüben zu lassen. Nichts kann die Auseinandersetzung mit der eigenen, aktiv betriebenen TextproduktionTextproduktion ersetzen. Denn sie erfordert und fördert zentrale allgemeine Fähigkeiten: Planen einer komplexen HandlungHandlung, Antizipationsfähigkeit bezüglich der Wirkungsintention, selektive Bereitstellung und Strukturierung von Wissen […], Kritikfähigkeit bei der Revision des Geschriebenen und schließlich Identitätsbildung qua »Selbstbetrachtung des Schreibers in seinem Produkt« […]. In der Ausbildung dieser Fähigkeiten liegt der eigentliche Sinn des Schreibens.243
Im Verlauf der 1970er Jahre entsteht in Deutschland mithin ein neuer AufsatzunterrichtAufsatzunterrichtEin neuer Aufsatzunterricht unter kommunikativen Vorzeichen; das Konzept dieser Aufsatzdidaktik akzentuiert die »soziale Funktion der schriftlichen TextproduktionTextproduktion.«244Glindemann, Barbara Kreatives Schreiben hat hier (noch) nichts mit einer universitär geleiteten Ausbildung professionell [74]Schreibender gemeinsam; vielmehr geht es, wie 100 Jahre zuvor in den Vereinigten Staaten, um die Schulung allgemeiner Schreibfertigkeiten, die jedoch von einer solitären, ein Gegenüber oder eine Gruppe von Lesenden ignorierenden SchreibtätigkeitSchreibtätigkeit streng abgegrenzt wird.
Da es sich bei einem schulischen SchreibseminarSchreibseminar stets um eine geschlossene, überschaubare KommunikationssituationKommunikationssituation, eine »Gruppenkonstellation des literarischen Schreibens«»Gruppenkonstellation des literarischen Schreibens« handelt, lassen sich bei diesem leicht weitere Anschlüsse an seine US-amerikanischen Vorläufer finden. Die Aufsatzlehre, die kreative Schreibaufträge aufgreift und aufgibt, findet im Rahmen jener literarischen Geselligkeit statt, die bereits um 1880 die ›Erfindung‹ des Kreatives Schreibens als akademische Disziplin in den USA hervorgebracht hat. Eine derartige Situation gilt als Basis aller historischen FormenForm der literarischen Geselligkeit, mit der sich auch im Klassenzimmer Arbeitsatmosphären bilden, die die Schreibenden wechselseitig inspirieren und sie zu einer eigenen Schreibsprache führen.245
Absicht und Anliegen der DeutschdidaktikDeutschdidaktik ist es daher nicht, mittels Kreativem Schreiben schriftstellerische Talente zu suchen oder zu finden und auch nicht, Unterstützung bei potentiellen Veröffentlichungen zu leisten. In den einzelnen Unterrichtseinheiten soll regelgeleitet und kreativ-spontan geschrieben werden, um auch die Wahrnehmungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu schulen; literarische Ansprüche an die entstehenden Texte werden bewusst ausgeklammert; Schreibhemmungen und -blockadenSchreibhemmungen und -blockaden sollen erst gar nicht aufkommen: »Die Didaktiker prüfen beide Linien und erklären die Kombination von Bindung und Freiheit zum konzeptionellen Grundstein des Kreativen Schreibens.«246Glindemann, Barbara
Es entsteht, befördert durch schreibtheoretische Arbeiten in England und den USA, in Deutschland letzten Endes eine interdisziplinäre SchreibforschungSchreibforschung, an der sich Fachvertreter der Linguistik wie der Sprach- und LiteraturdidaktikLiteraturdidaktik sowie der Psychologie intensiv beteiligen.247SchreibdidaktikBecker-Mrotzek, MichaelBöttcher, IngridSchreibkompetenz Einzig die Neuere Deutsche LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft [75]verhält sich wie schon ihr britisches Pendant skeptisch und vorsichtig gegenüber einer fachlich vertretbaren Ansicht, eine Produktfixiertheit und Orientierung an ›fertigen‹ literarischen Texten vollständig zu überwinden; man tut sich schwer damit, Literatur grundsätzlich als im Entstehen begriffene ästhetische Erscheinung aufzufassen, wenn auch die Editionsphilologie seit jeher Textvorstufen, HandschriftenHandschrift und EntwurfsprozesseTextvorstufen, HandschriftenHandschrift und Entwurfsprozesse in ihren Forschungen berücksichtigt.248 Insbesondere die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur aus der Perspektive des Literaturproduzenten ist dem Kreativen Schreiben auch in Deutschland inhärent.249 Dort hat dieses also zwar einen didaktisch guten Ruf, sieht sich zugleich aber einer Reihe von Vorurteilen seitens der Literaturwissenschaft ausgesetzt. Dem steht eine zunehmende Popularität gegenüber – auch und besonders außerhalb des Hochschulsektors.