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2.2.2. Kritische Positionen
ОглавлениеGlindemannGlindemann, Barbara weist in ihrer historischen Darstellung des Kreativen Schreibens zu Recht darauf hin, dass dessen skizzierte Entwicklung in Großbritannien zu einer wenn nicht vollends kommerzialisierten, dann doch zumindest zu einer auf kommerziellen Erfolg abzielenden universitären Ausprägung zuläuft. Damit sind Konflikte mit den bestehenden PhilologienKonflikte mit den bestehenden Philologien vorprogrammiert, da deren Erforschung literarischer Traditionen sich lange Zeit auf kanonische literarische Werke konzentriert hat. Nur solche Texte, die Eingang in einen literaturwissenschaftlich begründeten KanonKanon gefunden haben, werden als relevant und d.h. als forschungswürdig akzeptiert.229
Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass nicht nur ursprünglich in Deutschland, sondern vor allem auch in Großbritannien kanonisierte ›Groß‹-AutorenAutor wie ShakespeareShakespeare, William oder Jane AustenAusten, Jane die Lehrpläne dominieren und wiederum auch nur dieser literarische Höhenkamm akademische Anerkennung findet. Das Kreative Schreiben mit seiner Infragestellung eines eigentlichen KanonsKanon und seiner Stärkung gegenwärtiger Literatur läuft diesem Wissenschaftsdiskurs naturgemäß entgegen. Dessen Ablehnung seitens der britischen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaftAblehnung seitens der britischen LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft fußt zugleich darauf, dass die Kompetenz der britischen Schreibdozenten angezweifelt wird, da sie sich, so die Sicht ihrer Kritiker, »Shakespeare oder Jane Austen ebenbürtig zu halten« scheinen, »sonst würden sie nicht schreiben«, dabei seien »sie ganz offensichtlich (bisher) völlig unbedeutend«; wenn ein Literaturprofessor »wahrhaftig« zum Schreiben berufen sei, was mache er dann »immer noch an der Universität«?230
Der Grundkonflikt, der sich hinter derartigen Vorbehalten und Vorwürfen gegenüber dem hochschulisch institutionalisierten [70]Kreativen Schreiben verbirgt, liegt in einem Streit um Zu- und Abhängigkeiten begründet. Die Hochschulentwicklung in Großbritannien ist hierfür das beste Beispiel, denn wenn die Vertreter kreativen Schreibens hier dasselbe Lehrgebiet wie die LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft bzw. der Literary CriticismLiterary Criticism beanspruchen und dabei aber über deren Inhalte in praktischer Hinsicht hinausgehen, sich als unabhängig von diesen erklären, entsteht zwangsläufig eine konfliktgeladene Situation. Wie kann sich ein Student des Kreativen Schreibens auf eine literaturgeschichtlich verbürgte literarische Tradition beziehen und zugleich mit dieser brechen, sie in Frage stellen und sich auf sich selbst fixieren? Die Antwort vieler Creative Writing-Lehrer lautet, es handele sich lediglich um einen Perspektivenwechsel; betrachtet werde die LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte mit den Augen der Literaturproduzenten, wobei jeder Schreibende der Literaturtradition notwendigerweise kritisch gegenüberstehen müsse, um seine eigene Position als Literaturschaffender klar zu definieren.231Glindemann, Barbara
Daneben stellt es auch in Großbritannien ein Problem innerhalb des akademischen Lehrsystems dar, dass mit dem Kreativen Schreiben und dessen den SchreibprozessSchreibprozess entauratisierenden Strukturen gleichsam das Allerheiligste der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaftDas Allerheiligste der Literaturwissenschaft (das Numinose der Literatur) unwesentlich wird. Gefragt wird gegen das Kreative Schreiben nach der Authentizität des Geschriebenen:
Woher genau nimmt der literarisch kreativ schreibende Mensch seinen StoffStoff und ist dieser aus dem Leben gegriffen oder frei erfunden? Diese Frage wird immer wieder an die Lehrenden und Studierenden des Creative Writing gerichtet, genau wie sie auf jeder Autorenlesung unvermeidlich die Diskussion einleitet. Wie hat in der Literatur überhaupt das Verhältnis von Realität und Fiktion auszusehen? Inwieweit befindet die zeitgenössische Gesellschaft das Erfundene moralisch fragwürdig oder zumindest verdächtig? Und inwieweit gilt das Reale als zu persönlich, um archetypische Bedeutungen zu transportieren? Ein Text, in dem Objektivität und überprüfbare Fakten überwiegen, gilt als journalistisch, während ein fiktiver Text von subjektiv-imaginativer Färbung als literarisch gilt. Dennoch gibt es fließende Übergänge zwischen diesen Bereichen.232Glindemann, Barbara
[71]Zu den diskursiven Verfahren, die einen AutorAutor hervorbringen, gehört auch die Erwartung, dass dieser etwas Authentisches, Ehrliches, Glaubhaftes hervorbringt – eine Tendenz, mit der GlindemannGlindemann, Barbara die immer weiter zunehmende Popularität narrativer »Non-fiction«Popularität narrativer »Non-fiction«,233Glindemann, Barbara d.h. von Autobiographien und Memoiren, sowie die abnehmende Nachfrage nach rein fiktiver Erzählliteratur begründet, da diese erfinde bzw. lüge.234 Ob dies allerdings tatsächlich ein Vorwurf ist, der gegenüber dem Kreativen Schreiben geäußert werden kann (oder eher ein Trend, der gesellschaftliche Umorientierungen aus rezeptionsorientierter Sicht widerspiegelt) bleibt zu hinterfragen. Letztendlich handelt es sich bei dem »Schreibstudium nach britischem Modell« in jedem Fall um eine wichtige Weiterentwicklung gegenüber seinen US-amerikanischen Ursprüngen: Indem hier nicht die Erziehung »zur Unabhängigkeit von der Literaturtradition, sondern zum selbstbestimmten Umgang mit literarischen Techniken und Genres« im Mittelpunkt steht,235 können handwerkliche und literaturwissenschaftliche Herangehens- bzw. Umgangsweisen mit Literatur und literarischem Schreiben stärker miteinander verbunden werden. Sie bereiten das vor, was den Erfolg des Kreativen Schreibens in Deutschland avant la lettreKreatives Schreiben avant la lettre vorbereitet.