Читать книгу Kreatives Schreiben - Oliver Ruf - Страница 18
2.1.3. Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP)/National Writing ProjectNational Writing Project (NWP)
ОглавлениеEs zeigt sich, dass die Grenzen zwischen ›Composition‹, dem ursprünglich expositorischen Schreiben, und ›Creative Writing‹, dem literarischen Schreiben, in den Vereinigten Staaten im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts immer mehr aufgelöst werden – eine Tendenz, die verschärft wird, als beide Bereiche in der Ende der 1960er Jahre aufkommenden Bewegung des Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC) (WAC)Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC) (WAC) noch näher zusammengebracht werden sollen. GlindemannGlindemann, Barbara führt aus:
Von nun an kommen dieselben Methoden über die Kursgrenzen hinaus zum Einsatz. Kreatives Schreiben wird zum Leitbegriff einer auf persönliche Erfahrung der Studierenden ausgerichteten Pädagogik, die die schriftliche Geläufigkeit zunächst einmal generell fördert. Die zugrundeliegende These lautet, daß ein gutes schriftliches Ausdrucksvermögen dem Menschen in jedem künftigen BerufsfeldBerufsfeld zugute kommt. Zunächst wird das Lernen individualisiert. Die Studenten werden zum persönlich experimentellen Umgang mit dem Lehrmaterial angehalten. Die neue pädagogische Tendenz wendet sich ab vom faktisch-unpersönlichen Reproduzieren der Lehrinhalte als Leistungskontrolle und stellt die individuelle Verarbeitung des Fachwissens in den Vordergrund. Schriftliche Geläufigkeit verbessert die soziale Kommunikationsfähigkeit in umfassender Hinsicht.196
Der soziale Aspekt des Kreativen SchreibensDer soziale Aspekt des Kreativen Schreibens sei, so GlindemannGlindemann, Barbara weiter, hier rein methodologisch zu verstehen und nicht mehr an bestimmte Inhalte – schon gar nicht an literarische – gebunden; es zeige sich erneut diskursbildender Einfluss der Schriften DeweysDewey, John:
DeweyDewey, John betont das kognitive Moment der SchreiblehreSchreiblehre, das besagt, daß akademische Inhalte besser verinnerlicht werden können, wenn sich der Lernende ihrer schriftlichen Ausformulierung widmet. Der Student erlebt seine Erkenntnisaneignung als Prozeß und lernt Inhalte besser begreifen durch die persönliche Erfahrung der Verschriftlichung. Deweys umfassendes pädagogisches System stellt eine Theorie bereit, aus der zwei unterschiedliche Schienen des Kreativen Schreibens hervorgehen. Die themenübergreifenden, auf kreativen Selbstausdruck ausgerichteten Kurse verstehen Schreiben als Lernmedium [61]der sozialen Kommunikation. […] Die gleichen personalisierten Lehrmethoden kommen in den stärker literarisch, rhetorisch und kritisch orientierten Programmen zum Einsatz. Allerdings verschiebt sich hier die Zielsetzung in Richtung themenabhängiger literarischer Kommunikation.197
Schreib-Zentren (Writing CentreWriting Centres) werden jetzt immer häufiger an Universitäten gegründet, nicht zuletzt auch zu dem Zweck, ein ums andere Mal die allgemeinen Schreibfähigkeiten der StudierendenAllgemeine Schreibkompetenzen verbessern zu verbessern.198 Weiterführende Schreibseminare ergänzen die Basiskurse in KompositionslehreKompositionslehre und Kreativem Schreiben; Organisationen und Konferenzen bauen ein Netzwerk auf, um die unterschiedlichen Interessen und neuen Erkenntnisse dieser Schreibförderungs-›Welle‹ auszutauschen und zu verbreiten – Gerd BräuerBräuer, Gerd hat dieses Gefüge näher beschrieben und festgestellt, wie neben der oben bereits erwähnten WAC-Bewegung auch universitäre WAC-Programme aufgekommen sind, die 1967 in der Dachorganisation Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP) (AWP, gegründet 1967) und 1974 im Lehrerfortbildungsinstitut National Writing ProjectNational Writing Project (NWP) (NWP) münden, die mit der jährlich stattfindenden Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC) (CCCC)Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC) (CCCC) eine neue US-amerikanischer Schreibpädagogik auf den Weg gebracht haben.199Bräuer, Gerd
Daran wird der Fluchtpunkt der Geschichte des Kreativen Schreibens in den USA ersichtlich: Gestartet aus dem Bedürfnis, eine grundlegende Reform der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft zu erreichen, hat dieses eine wechselhafte Karriere in der dortigen Hochlandschaft hinter sich gebracht; das Schreiben für jedermann wurde ebenso sein Thema wie die literaturhistorisch fundierte Hervorbringung [62]von literarischen AutorenAutor; auf seiner Basis zudem ausgebildet haben sich letztendlich pädagogische Tendenzen, die ganz im Geiste DeweysDewey, John eine Lernforschung für die schulische und die universitäre Didaktik bedingen, zu der das Kreative Schreiben mitunter als Unterbereich hinzu gezählt wird – ein Unterbereich, der, so GlindemannGlindemann, Barbara mit BräuerBräuer, Gerd, ein breites Spektrum von Bildungsfunktionen therapeutischer NaturBildungsfunktionen (auch kunst- bzw. poesietherapeutischer Natur) umfasst:200Glindemann, BarbaraBräuer, GerdPoesie
Eine derartige didaktische Methodik minimiert den Unterschied zwischen kreativen und expositorischen Texten. Andere Bereiche, in denen die selben produktions- und erfahrungsorientierten personalisierten Methoden zum Einsatz kommen, sind z.B. Psychologie, Malen, Musik, Theater, PerformancePerformance und die übrigen bildenden und darstellenden Künste.201Glindemann, Barbara
Eine Konsequenz dieser Erfolgsgeschichte ist seit den 1960er und 1970er Jahren die Konstruktion solitärer Literaturseminare an Hochschuleinrichtungen in den USA, die ausschließlich literarische Schreibstudiengänge anbieten.202 An den Universitäten bildet sich dadurch auch eine neue literarische KulturLiterarische ZirkelLiterarische Zirkel und literarische Szene, indem SchriftstellerSchriftsteller und Publizisten Dozentenstellen und sogar Lehrstühle besetzen, die das künstlerische Moment des Kreativen Schreibens mit professionellen Ansprüchen und Forderungen in Hinsicht auf formale und adressatenorientierte Qualitäten präferieren.203 Literarische Zirkel und eine literarische Szene entfaltet sich und blüht [63]dort gleichsam bis heute, durch Lehraufträge und Lesungen wie durch so genannte poet in residence-Programme.204
Der professionelle Charakter dieser Studiengänge lässt sich mit der Gleichberechtigung von handwerklicher Schreib-Methodik, rhetorisch-stilistischen Techniken und literaturwissenschaftlicher Theorie auf den Punkt bringen. Wie GlindemannGlindemann, Barbara prognostiziert, muss dieses Gleichgewicht unbedingt gegeben sein, um literarischen Standards wie akademische Erwartungen in gleicher Weise zu entsprechen, mithin Literatur-Praktiker und Literatur-TheoretikerLiteratur-Praktiker und -Theoretiker versöhnen miteinander zu versöhnen; dies garantiere die Ausgewogenheit der Beschäftigung mit eigenen und fremden kreativen Texten im Studium,205Glindemann, Barbara was aber auch bedeutet, dass das Kreative Schreiben keine ›Spaß‹-Disziplin, sondern ein ernst zu nehmendes Studienfach mit ›harten‹ Studieninhalten geworden ist. Die, wie Greg KuzmaKuzma, Greg sie nennt, ›Katastrophe des Kreativen Schreibens‹206Kuzma, GregThe Catastroph of Creative Writing tritt dann ein, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen den genannten ›Säulen‹ des Kreativen Schreib-Studiums kommt:
Die hastige Einrichtung von immer mehr Schreibprogrammen an allen möglichen Universitäten konfrontiert die Lehrenden mit administrativer Arbeitslast – sie verlieren Zeit für ihre eigene kreative Arbeit und den Kontakt zur außeruniversitären literarischen Welt. Die Studenten eines hastig eingerichteten Studiengangs driften in die Selbstreferentialität ab und sind vornehmlich an ihren eigenen Texten interessiert, ohne ein allgemeines Literaturverständnis zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, daß Lehrende und Studierende unter diesen ungünstigen Bedingungen sogenannte »workshop poetry« verfassen. Es handelt sich um selbstreferenzielle Texte, die den kreativen Akt thematisieren und die offenen Optionen, mit denen der Schreibende sich verzweifelt konfrontiert sieht. Solchen Texten fehlt jedoch die Essenz, die Literatur ausmacht, sie sind nicht an sich einzigartig, sondern formelhaft simpel und imitierbar. Die unmittelbare Reaktion des Lesers auf diese workshop poetry ist: »Das kann ich auch!«»Das kann ich auch!«.207Glindemann, Barbara
Jegliches Kreatives Schreiben bildet den Höhenkamm zwischen Kunst und Kitsch mit geradezu gefährlichem Risiko ab: Entweder [64]man erreicht als Könner die andere, die ›gute‹ Seite, – oder man stürzt unhaltbar ab.