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2.3.2. Die SchreibbewegungSchreibbewegung der 1980er Jahre
ОглавлениеDie 1980er Jahre sind im Hinblick auf die (Erfolgs-)Geschichte des Kreativen Schreibens in Deutschland die Zeit freier, d.h. (hoch-)schulisch unabhängiger ›Schreibbewegungen‹›Schreibbewegungen‹, die sich beispielsweise 1982 in der Gründung des so genannten Segeberger KreisSegeberger Kreises, einer vereinsmäßig organisierten Gesellschaft für Kreatives Schreiben, konzentrieren und die den Charakter von Gruppenzirkeln annehmen, in der gemeinsam kreativ geschrieben werden soll.250 Es bildet sich eine Art zurückgenommener oder ›reduzierter‹ Öffentlichkeit, die sich ausdrücklich gegen den etablierten (marktgerecht organisierten) literarischen Betrieb wenden will.251Werder, Lutz von [76]Wertung und Beurteilung der entstehenden Texte treten deshalb in den Hintergrund – zugunsten einer ›Gelegenheitsschriftstellerei‹›Gelegenheitsschriftstellerei‹, in der die »traditionellen Gesetze«252 der Literatur umgangen werden sollen und die durch eine antiautoritäre Tradition das literarische Establishment ablehnen.253 Das Bestreben, durch das Kreative Schreiben zu sich selbst zu finden, ist hier besonders deutlich ausgeprägt,254 um eine Gegen- und Alternativkultur zum kommerziellen Literatursystem zu inszenieren. Gleichzeitig rückt die therapeutische Funktion des Kreativen Schreibens in den Vordergrund. Dieser ist darum zu tun, psychische Erkrankungen mit Hilfe angeleiteten, vor allem autobiographischen Schreibens (etwa zur Stabilisierung des Ichs) zu behandeln.255
Nach und nach wird dennoch das Kreative Schreiben in Deutschland in die eigentliche Literaturproduktion überführt.256Glindemann, Barbara Dem gegenüber stehen zwar nach wie vor die Vorbehalte der deutschen Universitätsgermanistik, doch allmählich werden SchreibworkshopsSchreibworkshop im akademischen LehrbetriebSchreibworkshopsSchreibworkshop im akademischen Lehrbetrieb häufiger,257 um das herkömmlich philologische Studium mit einer Produktionsperspektive zu ergänzen. Kreatives Schreiben wird allerdings noch nicht als eigenes Fach unterrichtet und es wird eher ein theoretischer sowie didaktischer Zugang betont. Eine Ausnahme stellt Hermann Kinder dar, der seit 1983 Schreibseminare an der Universität Konstanz anbietet, um sprachliche KreativitätKreativität, Textsensibilität und eine gemeinsame Schulung des literarischen Geschmacks zu vermitteln.258Schreibgruppe
An den Universitäten formiert sich im Zuge dessen eine vorsichtige Annäherung an das Konzept und die IdeeIdee des Kreativen Schreibens. Literarisches Leben findet nicht nur verstärkt Anschluss an das akademische MilieuAnschluss an das akademische Milieu; es bilden sich schließlich auch Strukturen, die am Ende eigene Creative Writing-Sudiengänge ermöglichen. Sie bleiben zunächst lange Zeit auf die schulische [77]Praxis des Deutschunterrichts über alle Schulformen hinweg bezogen; sie beziehen dennoch ebenfalls literaturwissenschaftliche und rhetorische Ansätze mit ein:
Diese deuten die Entwicklung vom Ergänzungsstudium zum eigenständigen Fachbereich an. Immer mehr aufeinander aufbauende Seminarkomplexe in Kreativem Schreiben werden angeboten. Die Studierenden sehen ihre Texte nicht länger als Repräsentanten einer Alternativkultur; sie schließen die Möglichkeit nicht aus, mit Texten, die in der kleinen Öffentlichkeit der Werkstatt bestehen, an die große literarische Öffentlichkeit zu treten. Literatur wird als phantasievolle symbolische Entsprechung innerer Befindlichkeit, eingebettet in HandlungHandlungsschemata betrachtet, nicht mehr als Verlängerung oder Resultat eines psychologisch subjektiven Prozesses der Betroffenheit. Erzählerische oder literarische Texte schreibt man nicht nur für sich selbst, sie werden komponiert, um von einem (fiktiven oder realen) Publikum gelesen zu werden. Der Erzähler erfindet Konzepte und sendet ImpulseDer Erzähler erfindet Konzepte und sendet Impulse an seine Leser, er gewinnt Kontrolle und wird nicht länger vom Zwang zur Selbstentblößung kontrolliert. Der AutorAutor literarischer Texte nimmt »Anleihen« bei der Wirklichkeit auf und macht diese zu seinem Arbeitsmaterial, die literarisch dargestellte »Wirklichkeit« muß nicht auf die reale Wirklichkeit verweisen. Indem er literarische Mechanismen einsetzt, verwandelt der Verfasser sein MaterialMaterial in literarisch-fiktionale Erzähltexte. Der Schreibende wählt bewußt bestimmte Sprach- und Formmittel aus und kombiniert Wirklichkeit und Phantasie anhand von literarischen Regeln.259Glindemann, Barbara
Die SchreiblehreSchreiblehre der 1990er Jahre in Deutschland findet somit wiederum Anschluss an den literarischen Diskurs; neben therapeutischem und pädagogischem Effekt findet zunehmend eine Betonung des ursprünglich hohen künstlerischen Potentials des Kreativen Schreibens statt.260Glindemann, BarbaraWerder, Lutz von Dessen ›Abstand‹ zur LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft wird geringer, auch wenn es jenen bis heute nicht überwunden hat.