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[87]3.1.2. ›SpurenSpur‹ zum Kreativen Schreiben

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Der Begriff der ›SpurSpur‹303SpurGrimm, Jacob taucht in der Philosophie des 20. Jahrhunderts an prominenter Stelle in BenjaminsBenjamin, Walter Passagen-WerkPassagen-WerkBenjaminsBenjamin, Walter Passagen- WerkPassagen-Werk auf; er wird darin dem Begriff der ›Aura‹ gegenüber gestellt:304Spur »Spur und Aura. Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.«305Benjamin, WalterPassagen-Werk ›Spur‹ und ›Aura‹ opponieren bei Benjamin, sind aber wenigstens in gleichem Maße aufeinander verwiesen;306 sie bilden eine »dialektische Einheit«, sofern Benjamin »hinter den Spuren und Zeugnissen des Vergangenen das Lebendige des Augenblicks gegenwärtig zu machen sucht«.307SpurBenjamin, Walter Der ›Spur‹-Begriff bei Benjamin bezieht sich, wie er in seinem Passagen-Werk weiter erläutert, auf etwas, das – als »Witterung einer Schwelle« oder eines »Tastbewußtseins«308Benjamin, WalterPassagen-Werk – nahe ist und gleichzeitig auf etwas Fernes verweist, von dem es herrührt; es handelt sich um die »Spur eines Abwesenden«,309 die »entziffert«310 werden muss. ›Spuren‹ sind, so Benjamin, »Winke und Weisungen«, die ein »Ort«, »schon rege geworden, sprachlos, geistlos gibt«; sie zeigen nicht auf etwas ihnen »Vorgängiges«, sondern wecken »eine erstaunliche Resonanz«.311Benjamin, WalterPassagen-Werk

Ob ›SpurenSpur‹ solchermaßen zu einem Anderen ihrer selbst führen312 oder ob darin, um eine Überlegung DerridasDerrida, Jacques aus La differánceDerridas La differánce aufzugreifen, der Ausdruck einer sich jeweils entziehenden bzw. niemals vollständig einholbaren ›Präsenz‹ zu sehen ist, ist [88]zu unterscheiden; Derrida spricht von etwas sich Aufschiebendem, von etwas aus Differenzen Gewebtem, das Repräsentanten entsendet, wobei keine Möglichkeit besteht, »daß der Vertretene ›selbst‹ irgendwo ›existiert‹, gegenwärtig ist, und noch weniger, daß er bewußt wird«: »Diese radikale Andersheit im Verhältnis zu jeder möglichen Gegenwart äußert sich in irrediziblen Effekten des Nachher, der Nachträglichkeit«.313Derrida, Jacques ›Spuren‹ können für Derrida »selbst nie auftreten, erscheinen und sich als solche in ihrem Phänomen offenbaren«:314

Da die SpurSpur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur. Nicht nur jenes Erlöschen, dem sie stets muß unterliegen können, sonst wäre sie nicht Spur, sondern unzerstörbare und monumentale Substanz, vielmehr jenes Erlöschen, welches sie von Anfang an als Spur konstituiert, als Ortsveränderung einführt und in ihrem Erscheinen verschwinden, in ihrer Position aus sich hinausgehen läßt. […] Paradox an einer solchen Struktur ist […]: das Anwesende wird zum Zeichen des Zeichens, zur Spur der Spur. Es ist nicht mehr das, worauf jede Verweisung in letzter Instanz verweist. Es wird zu einer Funktion in einer allgemeineren Verweisungsstruktur. Es ist Spur und Spur des Erlöschens der Spur.315

›SpurenSpur‹ setzt DerridaDerrida, Jacques in ein Bild, indem er sie mit dem »Draußen eines Textes«Das »Draußen eines Textes« vergleicht, das er »[m]ehr oder minder als sein[en] eigene[n] Rand« denkt316 – auch dies ein deutlicher Hinweis auf deren theoretische Bedeutung für das Kreative Schreiben. Es geht Derrida um die Bezeichnung der endlichen Anwesenheit des ›supplementierten‹ Abwesenden, was »weder als bloßes Anzeichen noch als – bereits unmöglich gewordener – Ausdruck [89]angesehen wird«317Spur – und dies innerhalb der ›Schrift‹.318Derrida, JacquesKulturtechnik In De la grammatologie führt er aus:

Es gilt […] zu erkennen, daß die Differenzen im spezifischen Bereich jenes Eindrucks und jener SpurSpur – in der Temporalisation eines Erlebten, welches weder in der Welt noch in einer »anderen Welt« ist, und in der Zeit nicht eher als im Raum ist – hier zwischen den Elementen in Erscheinung treten, besser noch, sie produzieren, sie als solche an die Oberfläche dringen lassen und Texte, Ketten und Systeme von Spuren konstituieren. Diese Ketten und diese Systeme können sich nur im Gewebe jener Spur, jenes Abdrucks einzeichnen. Die unerhörte Differenz zwischen dem Erscheinenden und dem Erscheinen (zwischen der »Welt« und dem »Erlebten«) ist die Bedingung für alle anderen Differenzen, alle anderen Spuren, sie ist selbst schon eine Spur. Und dieser Begriff ist schlechthin und rechtens »älter« als das ganze physiologische Problem der Natur des Engramms, als das ganze metaphysische Problem des Sinns der absoluten Präsenz, deren Spur sich damit entschlüsseln läßt. In Wirklichkeit ist die Spur der absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen […]. Die Spur ist die Differenz, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen.319Derrida, Jacques

Emmanuel LevinasLevinas, Emmanuel bedient sich des Begriffs der ›SpurSpur‹, um den Unterschied zwischen einer dem Ich wahrnehmbaren Welt und Eine unbegreifliche Transzendenzeiner unbegreiflichen Transzendenz zu beschreiben (darin ist er sich mit BenjaminBenjamin, Walter und DerridaDerrida, Jacques – grundsätzlich – einig); gleichwohl grenzt ihn Levinas ab vom Zeichenbegriff, um die ›Spur‹ »aus der Fixierung auf begreifbare Phänomene herauszulösen«320 [90]und die Begegnung mit dem transzendent ›Anderen‹ zu denken.321Levinas, Emmanuel In De Dieu qui vient à l’idéeLevinas’ De Dieu qui vient à l’idée heißt es entsprechend:

Das Andere des Anderen ist nicht eine verstehbare FormForm, die im Prozeß des intentionalen ›Enthüllens‹ an andere Formen gebunden ist, sondern ein Antlitz, die proletarische Nacktheit, die Mittellosigkeit; das Andere ist der Andere; das Herausgehen aus sich selbst ist die Annäherung an den Nächsten; die Transzendenz ist Nähe, die Nähe ist Verantwortung für den Anderen, Stellvertretung für den Anderen, Sühne für den Anderen, Bedingung – oder Un-Bedingung – der Geiselschaft; die Verantwortung als Antwort auf das vorgängige Sagen; die Transzendenz ist Kommunikation […].322Levinas, Emmanuel

Die wahrgenommene Andersheit ist für LevinasLevinas, Emmanuel ›spurenhaft‹; der Andere, der, so Levinas in Le Temps et l’Autre, »erreicht wird, ohne sich als berührt zu erweisen«,323Spur offenbart sich als »Bedeuten jenseits von Bedeutsamkeit«, als ›Antlitz‹: »Kraft seiner Epiphanie als Antlitz hört der Andere auf, eine wahre Vorstellung, ein Zeichen zu sein, über welches das Identitätsprinzip des Bewusstseins zu verfügen in der Lage wäre.«324 Nach dem Antlitz des Anderen zu sein, bedeutet für Levinas, »sich in seiner SpurSpur [zu] befinden«; zu »ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, [zu] folgen, sondern auf die Anderen zu[zu]gehen, die sich in der Spur halten.«325Levinas, EmmanuelSpur

Derartige ›SpurenSpur‹ als ›Winke und Weisungen‹ im Sinne BenjaminsBenjamin, Walter, als ›anwesendes Abwesendes‹ im Sinne DerridasDerrida, Jacques wie als ›Zugehen auf die Anderen‹ im Sinne LevinasLevinas, Emmanuel sind in der PoetikPoetik der GegenwartsliteraturGegenwartsliteraturPoetikPoetik der GegenwartsliteraturGegenwartsliteratur und damit für eine Theorie des Kreativen [91]Schreibens auf verschiedenen Ebenen identifizierbar; derartige ›Spuren‹ kommen darin auf zweifache Weise vor: ganz konkret, wenn diese namentlich benannt und/oder von ihnen aus Reflexionen zur Konstitution von Schrift, Sprache und Schreiben unternommen werden, und sozusagen getarnt, wenn Topoi der SchreibtheorieSchreibtheorie als MedientheorieMedientheorie aufgerufen sind. Diese poetologischen Ausführungen sind mehr oder weniger dicht durchzogen von direkten und indirekten Zitaten, die im engeren oder weiteren Zusammenhang mit schreib- bzw. medientheoretischen IdeenIdee stehen.

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