Читать книгу Der Junge aus der letzten Reihe - Onjali Q. Raúf - Страница 7
Was Mr Brown und Mrs Grimsby sagten
ОглавлениеMein Dad sagte immer, dass, wenn man etwas wirklich, wirklich will, man es immer wieder versuchen muss. Und weil er außerdem immer sagte, dass er alles hatte, was er sich nur wünschen konnte, glaube ich, dass er genau wusste, wie man sich seine Wünsche erfüllt.
Ich wusste jedenfalls, dass ich mit Ahmet befreundet sein wollte. Ich wusste zwar nicht genau, wieso, aber ich wollte es einfach. Ich versuchte nicht mehr, während der Schulzeit mit ihm zu sprechen – wegen des Rückzugsraums –, aber ich fand, dass es nach der Schule in Ordnung wäre, weil mich Mrs Khan bei meinem ersten Versuch angelächelt und mir zugezwinkert hatte. Zwei ganze Wochen lang wartete ich also nach der Schule am Schultor.
Sobald Ahmet und Mrs Khan herauskamen, um sich mit der Frau mit dem roten Schal zu treffen, rannte ich zu Ahmet und gab ihm einen Zitronendrops, manchmal auch einen ganzen Schokoriegel. Aber egal wie viele Süßigkeiten ich ihm schenkte oder wie sehr Mrs Khan ihn auch ermutigte, mit mir zu reden – Ahmet sagte kein einziges Wort und lächelte mich kein einziges Mal an. Nicht mal, als ich ihm eine ganze Tüte voller weißer Mäuse schenkte, die ich am liebsten mag. Er nahm sie nur schweigend an, starrte zu Boden und stellte sich hinter die Frau mit dem roten Schal.
»Vielleicht mag er keine Süßigkeiten«, überlegte Michael am Freitag der zweiten Woche.
»Sei nicht albern«, sagte Josie und kaute auf einer Haarsträhne herum. »Jeder mag Süßigkeiten!«
»Vielleicht hat er eine Allergie?«, schlug Tom vor. Ich hatte noch nie davon gehört, dass man allergisch gegen Schokolade und Süßigkeiten sein konnte, aber andererseits war ich auch allergisch gegen Hunde, obwohl niemand sonst das war.
Danach beschloss ich, Ahmet das Obst zu schenken, das wir immer zum Mittagessen bekamen. Also nahm ich am nächsten Montag die dickste Orange, die ich in der Kantine finden konnte, und wartete nach der Schule vor dem Schultor. Ich war besonders aufgeregt, weil ich ein Smiley auf die Schale gemalt hatte, und Tom hatte mir einen Dinosaurier-Sticker geschenkt, den ich daraufklebte – also war die Orange etwas ganz Besonderes. Tom sammelt Sticker und hatte noch nie einen an jemanden verschenkt, den er nicht sehr gut kannte, also hoffte ich, dass Ahmet das Geschenk mögen und wissen würde, wie besonders es war.
Aber als wir darauf warteten, dass Ahmet herauskam, hörten wir etwas über ihn, was wir überhaupt nicht verstanden. Tatsächlich war es sogar noch verwirrender als die Sache mit dem Rückzugsraum.
Ganz viele Erwachsene standen hinter uns am Schultor – das ist immer so nach Schulschluss. Manchmal reden sie über die neuesten Nachrichten oder was sie zum Abendbrot kochen wollen. Aber meistens sprechen sie übers Wetter. Ich weiß nicht, warum, denn es gibt nichts Langweiligeres, als über etwas zu reden, das jeder schon kennt. Aber ich glaube, dass Erwachsene so etwas eben tun.
Normalerweise hören wir nicht zu, weil wir Wichtigeres zu besprechen haben, zum Beispiel, was wir zu Hause im Fernsehen schauen wollen oder wer unser Lieblingssportler ist. Aber an diesem Nachmittag, direkt nachdem jemand gesagt hatte, wie sonnig es sei und wie wunderbar, sagte jemand anders: »Haben Sie von dem neuen Flüchtlingsjungen gehört, der jetzt auf unsere Schule geht? Er ist in Mrs Khans Klasse. Sie finden einfach keinen Schulassistenten, der seine Sprache spricht. Armes kleines Kerlchen!«
Josie, Michael, Tom und ich sahen uns an, und dann wurden wir ganz still. Ich weiß, dass wir alle haargenau dasselbe dachten: Wir fragten uns, was ein Flüchtlingskind in unserer Klasse machte.
Dann sagte die Dame, die über die Sonne gesprochen hatte: »Das wird noch Ärger geben – das kann ich Ihnen sagen. Die kommen doch nur, um uns die Arbeitsplätze wegzunehmen!«
Vorsichtig schauten wir über unsere Schultern und sahen, dass es Mr Brown und Mrs Grimsby waren, die da miteinander sprachen.
Mr Brown zuckte die Achseln und sagte dann: »Wenn er aus dem schrecklichen Krieg kommt, von dem immer in den Nachrichten die Rede ist, tut mir der Junge leid. Kann gut verstehen, dass die Leute aus dieser Todesfalle rauswollen.«
»Hmpf«, machte Mrs Grimsby. »Mit denen hat man doch nur Ärger. Würde ihnen auf keinen Fall über den Weg trauen. Warten Sie’s nur ab – unsere Kinder werden noch darunter leiden, weil diese Leute hierherkommen und hier machen, was sie wollen …«
Ich merkte, dass es Mr Brown nicht gefiel, was sie da sagte, weil er die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte und dann zur Seite trat.
Ich mag Mr Brown. Er ist Charlies Dad. Charlie geht in die Stufe über uns. Jeder kennt ihn, weil er sich in der Mittagspause immer mindestens drei Portionen vom Nachtisch nimmt und deshalb nicht alle etwas abbekommen. Er ist außerdem bekannt dafür, den Feueralarm auszulösen, um seine Klassenarbeiten in Biologie nicht schreiben zu müssen. Er macht ständig Ärger. Aber ich glaube, Mr Brown weiß das gar nicht.
Mrs Grimsby schaute säuerlich drein. Ihr Gesicht war ganz rot und wütend. Ich mochte sie nicht besonders. Sie ist die Großmutter von Nelly, die in die Stufe unter uns geht und eins der beliebtesten Mädchen auf der Schule ist. Hauptsächlich, weil sie jeden Rülpswettbewerb gewinnt. Sie kann sogar bekannte Songs rülpsen und fordert ständig alle heraus, sie darin zu schlagen.
Ich dachte noch darüber nach, was Mrs Grimsby gesagt hatte, als mich Josie plötzlich in den Arm pikte. »Guck mal!«
Durch das Zaungitter sahen wir, dass Mrs Khan und Ahmet auf dem Schulhof standen und mit der Frau mit dem roten Schal sprachen. Also rannte ich, so schnell ich konnte, und gab Ahmet die besondere Orange.
Wie immer bedankte er sich nicht, aber ich sah, dass seine Augen größer wurden, als er das Smiley und den Sticker auf der Orange entdeckte. Und zum ersten Mal überhaupt schaute er mich mit seinen Löwenaugen an und wandte den Blick nicht ab. Ich wusste sofort, dass er keine Angst mehr vor mir hatte.
Ich lächelte ihn ein wenig an. Ich wollte, dass er wusste, dass es mir völlig egal war, ob er ein Flüchtlingskind war oder nicht. Ich wollte einfach seine Freundin sein. Ich glaube, er verstand es, denn er nickte mir so leicht zu, dass es niemand anders sehen konnte. Ich hätte es lieber gehabt, wenn er zurückgelächelt hätte, denn du weißt erst, dass jemand wirklich dein Freund ist, wenn er dich genug mag, um zurückzulächeln. Aber es war schon in Ordnung. Das Nicken war wie ein Versprechen, und ich wusste, dass ich nicht mehr allzu lang würde warten müssen, bis das Lächeln kam.