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DER HEILIGE MARTIN UND FRAU MÜLLER

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(Susannens Aufzeichnungen vom 20. März 1945)

»Vorhin ist eine hier jewesen«, sagte Margot, als ich vom Luftschutzkurs heimkam.

Sie war damit beschäftigt, Klinke und Schild der defekten Eingangstür mit Sidol zu putzen. Die offenkundige Sinnlosigkeit dieser Handlung verursachte mir ein inneres Kopfschütteln. Auch die strahlendsten Beschläge können die Kistenbretter, die rostigen Nägel und das Vorhängeschloß nicht vergessen machen. Aber ich sagte nur matt:

»Steht es dafür, Margot, daß Sie sich so plagen?«

»Das muß sein«, meinte sie. »Wie sieht denn das aus, ’ne unjeputzte Klinke? Was möchten da die Leute sagen?«

Margot fußt felsenfest auf ihren Grundsätzen. Ich wagte also nicht einzuwenden, daß es mir unter den gegebenen Umständen gleichgültig ist, was die Leute zu meiner Wohnungstür sagen.

»Wer ist denn dagewesen?« fragte ich.

»Och, so ’ne olle Pupp. Es liecht ohnedies ’n Zettelchen drin am Tisch.«

Das »Zettelchen« erwies sich als zierliche Visitenkarte und trug auf einer Seite die gedruckte Aufschrift: »Mausi Freiin von Sperl« und auf der anderen die eilig mit Bleistift hingekritzelten Worte: »Könnten Sie mich nicht besuchen, liebe Frau Sedlak? Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu besprechen. Herzlichst Ihre …«

»Die Baronin Sperl wäre sehr gekränkt, wenn sie wüßte, daß Sie sie eine olle Pupp nennen, Margot. Sie ist höchstens vierzig.«

Margot zuckte unbestimmt die Achseln. »Ach nee!« sagte sie, und es blieb dahingestellt, ob sie die Besucherin für älter gehalten hatte oder ob ihr eine Vierzigjährige sowieso betagt genug erschien. »Jedenfalls ’ne rechte Nichtstuerin. Kommt daher, setzt sich breit hin und fängt an zu klönen, wo man doch gar nich weeß, was man zuerst tun soll. Hat se mir doch zujeschaut beim Bodenschrubben! Glauben Sie, daß se mir einen Eimer Wasser jebracht hätte? Nicht die Bohne! Und sowas nennt sich Freiin! Und Mausi och noch! Gott, wie niedlich!«

»Sie tun der Sperl unrecht, Margot. Vielleicht versteht sie vom Haushalt nicht viel, aber sie arbeitet seit Jahren bei einem Rechtsanwalt, und man soll sehr zufrieden mit ihr sein.«

Das stimmt. Mausis Vater, ein Industrieller, dem es 1898 anläßlich des Kaiserjubiläums unter Aufwendung von viel Geld gelungen war, in den Freiherrnstand erhoben zu werden, hatte sein Vermögen in Kriegsanleihen angelegt und war daher nach dem Weltkrieg nicht in der Lage gewesen, seiner Tochter, die nicht sehr hübsch zu werden versprach, einen ebenbürtigen Ehepartner zu verschaffen, da heiratsfreudige reiche Männer rarer sind als geldknappe Baronessen. So hatte Mausi sich bald mit dem Altjungferndasein abfinden müssen. Sie tat es sogar mit gewisser Grazie, indem sie einen Posten antrat und die Religion zu ihrer Privatliebhaberei erwählte.

Mausi ist eine flinke und gewissenhafte Bürokraft, legt aber Gewicht darauf, daß ihr Chef und ihre Mitarbeiter sie als Fräulein von Sperl anreden, und freut sich insgeheim darüber, daß man auch hinter ihrem Rücken von ihr als von der Baronin spricht. »Die Baronin ist zu Gericht gegangen.« »Die Baronin ist beim Diktat.« »Bringen Sie der Baronin den Akt Plunzengruber contra Gschiergl!« – Es ist, als läge ein wenig von dem Glanz, den dieser Titel in sich trägt, über den staubigen Aktenregalen der Kanzlei und als färbe der Adel auf die übrigen Angestellten des Rechtsanwaltes ab. Jeder von ihnen fühlt das deutlich – unbeschadet seiner sonstigen politischen Einstellung.

»Wenn man zur halbwegs besseren Wiener Gesellschaft gehört«, pflegt Mausi zu mir zu sagen, »dann kann man verschiedene Dinge nicht tun.« Sie meint: mit belegten Broten einen Ausflug in den Wienerwald machen, auf einen Stehplatz ins Theater gehen, ohne Hut und Handschuhe die Gasse betreten und dergleichen »proletarisches Gehaben« an den Tag legen. »Man ist zu bekannt. Man muß dem Rechnung tragen. – Da haben Sie es viel besser, meine Liebe«, meint sie gönnerhaft, aber man spürt deutlich, daß sie um keinen Preis der Welt mit mir tauschen würde.

Ich habe im Lauf der Jahre öfters kleine Aufträge von ihr erhalten, verbunden mit einer Unzahl von sterilen Weisungen, wie ich meine Arbeit anpacken solle. Denn Mausi ist natürlich eine Kunstmäzenin. Was aber konnte sie jetzt wollen? Es war nicht der Augenblick für die Anschaffung von zerbrechlichen Tonwaren. Ich nahm jedenfalls an, daß es sich wirklich um etwas Wichtiges handelte, und machte mich sofort auf den Weg.

Mausi Sperl hat durch die Fliegerangriffe doppelt zu leiden gehabt: zuerst sind ihre überzähligen Zimmer für Ausgebombte beschlagnahmt worden, und nun hat das Haus auch noch einen kleinen Treffer abbekommen. Die Scheiben sind sämtlich herausgefallen, die Gas- und Wasserleitungen defekt und auch die Kamine eingestürzt, so daß nicht geheizt werden kann. Nur das elektrische Licht ist intakt geblieben.

Diese Einzelheiten erfuhr ich, als ich das erste der drei Zimmer betrat, denn unpraktischerweise gelangt man in Mausis altmodischer Wohnung nur aus einem Raum in den anderen. Die bombengeschädigte Hofratswitwe, die in diesem Gelaß logiert, hat mir das alles erzählt und dazu auch noch, daß sie seit vorgestern nur trockenes Brot esse, was ihrem Magen äußerst unzuträglich sei, und daß sie angesichts der mit Papier verklebten Fensterhöhlen angezogen zu Bett gehe. – Arme Mausi, dachte ich, nicht bloß Bomben, sondern auch noch eine geschwätzige Mieterin!

Im nächsten, völlig kahlen Raum haust eine junge, farblose Kriegswitwe mit ihren zwei Kindern. – Die Kleinen saßen fröstelnd zusammengedrückt im einzigen Bett. Jedes hielt eine ungeschälte Kartoffel in der Hand. Die Frau war in Tränen.

»Seit elf Uhr bin ich unterwegs, und jetzt erst komme ich nach Hause«, schluchzte sie. »Ich war bei meiner Schwester in Hacking. Die hat einen Holzherd, auf dem man kochen kann. Was sich auf der Stadtbahn tut, ist unbeschreiblich. Man steht stundenlang im Gedränge; dann fährt man ein Stückchen, und dann muß man wieder zu Fuß gehen. Den Topf mit Erdäpfeln hab ich in eine Decke eingeschlagen, damit sie warm bleiben. Aber woher denn! Ganz kalt sind sie. Nicht einmal die Finger können sich die Kinder dran wärmen. Es ist nur ein Glück, daß der Frühling kommt … Vielleicht dauert’s doch nicht mehr lang.«

Es fiel mir schwer, Trostworte angesichts einer Welt zu finden, in der es außer dem Herannahen der warmen Jahreszeit nichts Tröstliches gibt. Aber kaum hatte ich ein paar konfektionierte Redensarten, wie etwa: daß man den Mut nicht sinken lassen dürfe und daß wir das Schlimmste vielleicht schon hinter uns hätten, hervorgestottert, als sich Mausi Sperl im Türspalt vernehmen ließ:

»Da sind Sie ja! Ich habe Sie an der Stimme erkannt. Kommen Sie schnell herein, damit mir die Wärme nicht davonzieht.«

Ich nickte der Witwe aufmunternd zu und trat bei Mausi ein. Welch ein anderes Bild zeigte sich! Die Fenster waren mit Sperrholzplatten ordentlich vernagelt. Darüber hatte die Sperl altmodische Plüschvorhänge drapiert. Auf dem Boden lagen Wolldecken. Im Zimmer war es warm, und es roch herrlich nach Gebackenem. Auf dem Tischchen neben dem Diwan lag ein offenes Büchlein: Die Nachfolge Christi.

»Nicht wahr, da staunen Sie, meine Liebe! Ich habe es relativ gemütlich. Natürlich muß man sich heute bescheiden und alle Prüfungen in Demut tragen.« Sie warf einen Blick in die Runde. »So muß ich mich jetzt mit diesem Plüsch-Greuel behelfen, der noch von meiner Großmama stammt. Meine guten Sachen habe ich zur Gräfin Hartenstein nach Kärnten geschickt.«

Ich nahm das Büchlein zur Hand.

»Ja, mein geliebter Thomas von Kempen«, plauderte Mausi weiter. »Die Welt wäre anders, wenn die Menschen in der Nachfolge Christi leben wollten.«

Das war nun auch meine Meinung. Ich freute mich, der Baronin in diesem Punkt beipflichten zu können, und tat es.

»Nicht wahr, nicht wahr, Frau Sedlak, Sie teilen meine Ansicht? Die Menschen haben leider ihre Ohren für die Gebote der Liebe verschlossen, und das ist nun der Erfolg …«

Ich fand, nun sei genug über diesen Gegenstand gesagt, und suchte nach einem anderen Stoff.

»Schön warm haben Sie es hier«, meinte ich schließlich, da mir dies Thema angesichts der allgemeinen Verfrorenheit aktuell schien.

»Mhm, ja«, gab Mausi unbestimmt zurück. »Wir sind als drei Haushalte gemeldet, da treffen mich die Stromsparmaßnahmen nicht so empfindlich. Übrigens kommen wir zur Sache: Ich möchte bei Ihnen etwas bestellen. Das war der Grund meines Besuches. Sie arbeiten doch noch nebenberuflich in Ihrem Fach, nicht wahr?«

»Jetzt? – Aber liebe Baronin, wie soll ich denn jetzt arbeiten? Es gibt in ganz Wien keine Glasuren, und den Ton muß man sich auf einem Handwagen vom Wienerberg holen. Bei meiner körperlichen Verfassung ist das nicht möglich. Abgesehen davon, daß kein Kachelbrenner eine Zuteilung von Holz für den Brand von Luxusgegenständen bekommt.«

»Wie dumm! Das habe ich nicht gewußt. Können Sie sich nicht hintenherum das nötige Material beschaffen? Man soll doch alles kriegen, sagen die Leute. Ich bin so unerfahren in diesen Dingen. Wissen Sie, ich brauche nämlich ein Geschenk für mein Patenkind, die kleine Monika Agathe Scholastika Müller. – Ja, denken Sie nur, Müller heißt der arme Wurm! Seine Mutter war meine beste Freundin im Sacré-Coeur, eine geborene Komtesse zur Linde. Das ist nun schon das dritte ›Müllerkind‹ meiner armen Vilma. Übrigens sind die Kleinen reizend – reizend, sage ich Ihnen …«

Ich weiß es. Ich kenne Frau Obersturmbannführer Müller, die geborene zur Linde. Vielleicht kenne ich sie besser als Mausi, obgleich ich durchaus nicht im Sacré-Coeur erzogen worden bin. Und ihre zwei älteren Kinder, die Zwillinge … Nein, nein, ich durfte mir um keinen Preis etwas anmerken lassen! So sagte ich nur beiläufig:

»Ich glaube mich an Frau Müller zu erinnern. Sie hat – wenn ich nicht irre, auf Ihre Empfehlung hin, liebe Baronin – vor mehreren Jahren bei mir etwas bestellt. Und womit kann ich Ihnen nun gefällig sein? Was gedachten Sie, der kleinen Monika – verzeihen Sie, ich habe die anderen Namen nicht behalten – zu schenken?«

»Agathe Scholastika Müller!« ergänzte Mausi lachend und schüttelte sich komisch vor innerem Schauder bei dem Familiennamen, dessen »ü« sie verächtlich wie »ö« aussprach und über Gebühr betonte.

Auch gut, überlegte ich. Die vorigen Kinder hatten Horst-Dieter und Siegrun geheißen. Vielleicht bereut Vilma heute schon … Ich dachte meinen Gedanken nicht zu Ende, denn Mausi hatte begonnen, das in Aussicht genommene Patengeschenk zu beschreiben.

»Wissen Sie, meine Liebe, ich denke an einen Weihwasserkessel. Natürlich etwas ganz Apartes. Sie kennen ja meinen Geschmack. Und recht groß muß er sein. Nicht eines von diesen kleinen Vogelnäpfchen, in die man kaum andeutungsweise einen Finger hineinstecken kann. Kinder muß man von klein auf zur Frömmigkeit erziehen.«

»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht«, sagte ich. »Aber an einen Termin kann ich mich jetzt nicht binden.«

»Gar keine Rede davon. Sie machen alles, wie Sie es für richtig halten, und ich werde es Vilma schon erklären, warum das Patengeschenk ein wenig auf sich warten läßt. Wissen Sie, Beste, man muß Gott danken, daß einem nur die Rolle der Patenmutter zugefallen ist. Sie sind doch sicher meiner Meinung: Wir sind jetzt im Vorteil gegenüber den verheirateten Frauen. Wir brauchen für niemanden zu sorgen, um niemanden zu zittern.«

Ich hätte gern erwidert, daß ich gerade diese Sorge um nahestehende Menschen am meisten entbehrte. War sie nicht gleichbedeutend mit dem Begriff: Liebe? Aber ich sagte nichts dergleichen, sondern entgegnete, indem ich auf meinen schiefen Rücken wies:

»Mein Gott, für mich ist das ja überhaupt nie in Frage gekommen. Von mir müssen Sie ganz absehen. Aber eigentich ist es doch nur selbstverständlich, wenn eine Frau einen Mann für sich haben will, einen Hausstand, eine Familie. Es möchte doch jeder gern seinem Herzen nachgeben – ohne Vorbehalt …«

Ich ahnte nicht, was für Aufschlüsse mir diese nur gesprächsweise hingeworfene Bemerkung bringen sollte. – Mausi lachte.

»Seinem Herzen nachgeben! Haha. Nein, das Herz ist etwas viel zu Unzuverlässiges. Sentimentalität war nie meine Sache. Ich habe mich immer vom Verstand und von meinem Ethos leiten lassen.« Sie wurde plötzlich nachdenklich. »Nur einmal, noch als ganz junges Ding, wäre ich fast so albern gewesen, meinem Herzen ohne Vorbehalt nachzugeben. – Zu gelungen, diese Wendung! – Da sähe ich heute gut aus! Eine Bäuerin wäre ich jetzt wohl – nein, nicht einmal das, eine Chauffeursgattin, vor lauter Vorbehaltlosigkeit. Das war noch in der Zeit, als wir unseren Besitz bei Berndorf hatten. Das Objekt meiner großen Leidenschaft gehörte dem dienenden Stande an. Haha! Seine Mutter war eine Untergebene in unserem Haus. Na, meine Eltern wuschen mir gehörig den Kopf – noch heute danke ich ihnen dafür! –, und damit war diese Herzensangelegenheit aus der Welt geschafft. Übrigens hat sich Papa als der vollkommene Gentleman gezeigt, der er war. Den jungen Burschen, der begreiflicherweise aus dem Hause mußte, ließ er auf seine Kosten einen Autofahrkurs machen und brachte ihn dann irgendwo in der Lebensmittelindustrie unter. Ich habe nie mehr von ihm gehört.«

Ich hatte Mausi mit wachsender Spannung gelauscht. Also sie war das gewesen? Mausi war das nie mit Namen genannte junge Mädchen aus Berndorf? Eine plötzliche Wut kochte in mir auf. Pah! »Seine Mutter war eine Untergebene …« – statt einfach und geradeheraus zu sagen, daß sie Aushilfsköchin war, die im Sommer, wenn Sperls in ihrer Villa bei Berndorf residierten, für die freiherrliche Familie arbeitete. »Er gehörte dem dienenden Stande an.« Jawohl, Hilfslakai hätte er werden sollen und überdies dem gnädigen Fräulein Schwimmunterricht erteilen. Er war ein entzückender, sonnengebräunter Bursche von sechzehn, mit weißblondem Haar und einem fast noch kindlichen Stierkalbnacken, und sie eine häßliche, frühreife Siebzehnjährige, die, anstatt schwimmen zu lernen, auf dem besten Weg war, von diesem Kind in andere Umstände gebracht zu werden. Vielleicht ist sie schuld an Ernstls unseligem Streben nach gesellschaftlicher Vollwertigkeit. Vielleicht ist sie überhaupt die Ursache von allem, allem, was dann gekommen ist …

Ich rang nach Beherrschung, um nicht aufzuspringen und die Tür hinter mir ins Schloß zu werfen. Aber Mausi schien meine Erregung nicht bemerkt zu haben. Sie lächelte immer noch voll innerer Genugtuung darüber, daß sie schon als Backfisch so viel Vernunft bewiesen hatte und daß ihr Vater ein vollkommener Gentleman gewesen war.

Mit Ernstls Augen gesehen und von ihm erzählt, hatte sich die Geschichte ganz anders dargestellt.

»Ja, ja«, sagte ich schließlich, wieder gefaßt, »so macht halt jeder im Leben andere Erfahrungen«, und ich bemerkte mit Staunen, wieviel Wahrheit plötzlich in dieser fertiggekauften Phrase lag. »Es riecht übrigens herrlich bei ihnen, wie in einer italienischen Rosteria.«

Mausi machte ein verschmitztes Gesicht.

»Ihnen kann ich es ja sagen«, meinte sie, »aber natürlich ganz im geheimen. Ich besitze einen Elektroofen. Das heißt, er gehört – genau genommen – meiner Kusine, die in Zürich lebt. Und jetzt habe ich endlich herausgefunden, daß man auf diesem Ofen auch zur Not kochen kann, wenn man ihn auf die Seite legt. Vorhin habe ich mir Frittaten gebacken. Köstlich, sage ich Ihnen! Tja, ich habe lange mit mir gekämpft, ob es nicht meine Pflicht sei, den Ofen auch meinen Untermietern zur Verfügung zu stellen. Die Ärmsten frieren ja so und haben nichts Warmes zu essen. Aber ich bin zur Überzeugung gekommen, daß ich dies nicht tun darf. Ja, verstehen Sie mich recht: Der Ofen gehört doch nicht mir. Wenn er verdorben wird – und das wird er bestimmt, wenn drei Haushalte damit heizen und darauf kochen –, so kann ich ihn jetzt gar nicht ersetzen. Man darf nur das Eigene mit dem Nächsten teilen. Das lehrt schon die Legende vom heiligen Martin und dem Bettler. Fremdes Eigentum, das uns anvertraut ist, darf nicht angetastet werden. Finden Sie das nicht auch?«

»Oh, ja, natürlich, gewiß. Aber jetzt muß ich gehen, Baronin«, sagte ich, denn ich wußte mich am Ende meiner Kräfte.

»Ich gehe mit Ihnen. Für mich ist es nämlich Zeit zur Abendandacht. Ich fühle mich nirgends so sicher wie in der Kirche. Und dann … Sie werden mich verstehen: Man hat heutzutage so sehr das Bedürfnis, für die vielen Unglücklichen zu beten, die es jetzt überall gibt … Also, ich werde meiner Freundin sagen, daß sie sich noch ein wenig gedulden muß«, schloß sie. »Ist es Ihnen recht, Frau Sedlak?«

Freundin! dachte ich. So sehen die Freundinnen aus! Deine Vilma läßt ihr Kind von dir aus der Taufe heben, aber darüber hinaus vertraut sie dir nichts an, sonst wüßtest du … Oder weißt du vielleicht? – Nein! Das hat dir deine Freundin gewiß nicht erzählt. Du ahnst nicht, welche Hilfslakaienrolle dein Hilfslakai in ihrem Leben gespielt hat. Anscheinend wart ihr nicht immer so intim wie jetzt.

»Ja, bitte«, sagte ich müde. »Bereiten Sie Frau Müller darauf vor, daß es noch einige Zeit dauern wird.«

Wir gingen durch die Zimmer der Untermieterinnen. Die Kinder schliefen bereits. Die junge Witwe saß da, mit gesenktem Kopf und aufgestützten Ellbogen, die Hände ins Haar gewühlt. Die Hofrätin wandte uns den Rücken, als bemerke sie uns gar nicht. Auch unseren Gruß überhörte sie.

Ich tappte durch die völlig verdunkelten Straßen nach Hause.

Du frittatenfressendes Kerzlweib! dachte ich grimmig, du Betfunsen, du bigottes Rabenvieh! – Heiliger Martin, laß die Kirche einstürzen über diesem Weibsbild!

Talmi

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