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3. Der Ritter, die Dame, die höfische Liebe

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Der Ritter

Ritterideal

Das idealisierte Ritterbild, das man bei der Rezeption der Gesänge als Bildprogramm im Hintergrund mitlaufen lassen sollte, diente, wie gesagt, der Stiftung einer kollektiven adligen Identität, ohne dabei die verschiedenen Ränge innerhalb der Adelsgesellschaft zu nivellieren. Walthers Liedkorpus enthält eine knappe Äußerung über die Bedingungen des Rittertums in der Form eines Palindroms (zu griech. pakímdqoloy ,rückwärtslaufend‘), d. h. eines Textes, dessen Verse spiegelbildlich wiederholt werden. Es ist übrigens auch unter dem Namen des jüngeren Spruchdichters Freidank überliefert; solche Mehrfachzuschreibungen von Texten waren im Mittelalter nicht ganz ungewöhnlich:

Nieman riter wesen mag

drîzzec jâr und einen tag,

im gebreste muotes,

lîbes alder guotes,

Lîbes alder guotes,

im gebreste muotes,

drîzzec jâr und einen tac

nieman ritter wesen mac. (W 58/VI)

Niemand kann über dreißig Jahre

(= jemals) Ritter sein,

wenn ihm Mut und Gesinnung,

Persönlichkeit und Gut fehlen.

Fehlen jemandem Persönlichkeit

und Gut, Gesinnung und Mut

über dreißig Jahre,

so kann er nicht Ritter sein.

muot, lîp, guot

Diese drei Bedingungen – muot, lîp, guot – nennt z. B. auch der wieder zu Verstand gekommene Iwein in Hartmanns von Aue gleichnamiger Geschichte (Iwein 3580–83; s. Wolf 2007, 86). Das mittelhochdeutsche muot ist schwer wiederzugeben, denn es referiert auf die breite Palette der geistigen und seelischen Kräfte des Menschen, auch, je nach Kontext, auf die Tapferkeit (s. Ehrismann/Dick 1995a), und lîp konnte, wie die Übersetzung zeigt, umfassender als das heutige ,Leib‘ gebraucht werden. Eines der anschaulichsten Ritterbilder, eingetaucht in das Licht der Ehre, findet sich in Hartmanns kleiner Erzählung „Der arme Heinrich“, die den Protagonisten wie folgt beschreibt (47–74; s. Wolf 2007, 110):

In seinem Herzen hatte er ehrlosem / und bäurischem Benehmen (dörperheit) abgeschworen, / und er hielt an diesem Eid stets / bis an sein Ende fest. / Ohne jeglichen Tadel waren / seine Ehre (êre) und sein Leben. / An weltlichem Ansehen (werltlîchen êren) besaß er, / was man sich nur wünschen konnte. / Dieses verstand er durch vielfältige / herrliche Eigenschaften gut zu mehren. / Er war eine Blüte der Jugend, / ein Spiegel weltlicher Freude, / ein Diamant fester Treue (triuwe), / die absolute Krönung höfischer Bildung (zuht). / Er war die Zuflucht der Bedürftigen, / seinen Verwandten ein Schutzschild, / eine gerechte Waage der Freigebigkeit (milte). / Er besaß weder zu viel noch zu wenig. / Er trug auf dem Rücken die / beschwerliche Last der Ehre (êre). / Er war ein Mann des Ausgleichs / und sang sehr schön von der Liebe (von minnen). / So konnte er gesellschaftliche / Anerkennung und Ruhm (der werlte lop unde prîs) erlangen. / Er war höfisch und gebildet (hövesch unde wîs).

Die höfische Dame und die höfische Liebe

frouwe, schœne, tugent, zuht

Die Autoren der Walther-Zeit entwarfen ,ritterliche‘, also männliche Welten, die auch dann männlich überformt blieben, wenn sie eine Frau zu Wort kommen ließen und eine weibliche Perspektive vorspielten. Im Sinne der Kalokagathie zeichneten sie gerne ein Traumbild der höfischen Dame (frouwe), das sie in die kräftigen Farben der Schönheit (schœne), Sittsamkeit (tugent) und höfischen Bildung (zuht) tauchten. Walther bildete keine Ausnahme, in seinen Gesängen ahmte er nicht die Wirklichkeit der weiblichen Aristokratie nach, die ihm und seiner Arbeit an dem facettenreichen Thema der höfischen Liebe (minne) wohl gerne lauschte. Dieses Thema wurde dabei nicht mithilfe einer konsistenten Theorie entfaltet, sondern im Rahmen einer unterhaltsamen und geistreichen Debatte über die Höflichkeit, wie nämlich die Beziehung der Geschlechter in der Öffentlichkeit zu gestalten sei. Nur am Rande sei bemerkt, dass dies alles unter den missbilligenden Augen der strengen Geistlichkeit geschah.

minne

Wenn man von der ,höfischen Liebe‘ (minne) spricht, naturalisiert man auch die Gestalt eines edlen Ritters, der begehrlichen Blicks eine schöne Frau verehrt, die ihn, wenn überhaupt, unter vornehmer Zurückhaltung anhört, ohne ihn zu er-hören. Dieser Ritus wurde nach einem Modell entwickelt, das von Frankreich ausging, ein literarisches Konstrukt war und sich hauptsächlich im Lied, dem ,Minnelied‘, wiederfindet. Im Zentrum stand die höfische Dame (lat. domina ,Herrin‘; mhd. frouwe, allgemeiner wîp), es referierte auf die beherrschende Stellung einer in der Regel verheirateten Aristokratin:

Ein Mann, ein ,Junggeselle‘ (jeune), erblickt sie. Das, was er von ihrem Gesicht sieht, was er von ihrem von der Haube verdeckten Haar und ihrem von erlesener Kleidung verhüllten Körper ahnt, betört ihn. Alles beginnt mit einem Blick. Es ist die Metapher eines Pfeils, der durch die Augen bis zum Herzen vordringt, es versengt und das Feuer der Begierde in ihm entzündet. (Duby 2006, 265)

Hin-Gabe

Ein männliches Spiel beginnt, in dem der Ritter die Dame, die er wie eine feindliche Burg belagert, ,erobern‘ will. Listig unterwirft und demütigt er sich, erniedrigt sich zum dienenden Vasallen der Herrin – eine vollkommene Hin-Gabe: sô gar bin ich ir undertân, / daz ich unsanfte ûz ir genâden mohte komen (DL 131/53: ,So vollständig bin ich ihr untergeben, dass ich ihre Gunst nur unter Schmerzen verlieren könnte‘), erklärt das Ich in einem Lied Reimars. Der Dienst gilt ausschließlich dieser Dame. Was immer der wankelmütige lîp rät: sô will iedoch das herze niender wan dar (DL 131/24: ,so strebt jedoch das Herz nur dorthin‘). Die Dame besitzt die Macht, den Ritter anzunehmen oder abzulehnen: Si ist mir liep, und dunket mich, / wie ich ir volleclîch gar unmære sî, / waz darumbe? Daz lîde ich (DL 131/413: ,Ich liebe sie, und scheint es mir auch, dass ich ihr vollkommen gleichgültig bin, was soll’s? Ich ertrage es‘). Solches Leiden gilt als süeze arbeit (DL 131/ 26: ,süße Qual‘), denn die Hin-Gabe verlangt nach der archaischen Logik der Zeit, wie jede Gabe, eine Gegen-Gabe. Ihr materieller Wert ist von einem ideellen überlagert. Die Dame muss den Ritter erhören, und so ist guot gebite (DL 132/66: ,geduldiges Warten‘) verlangt. Die höfische Liebe mag platonisch bleiben, ihrem Wesen nach ist sie es nicht. Spielerisch nennt Reimars Lied-Ich sein Ziel: ichn gelige herzeliebe bî, / ez hât an mînen fröiden nieman niht (DL 134/18: ,Wenn ich nicht bei der Liebsten liege, hat niemand Freude an mir‘).

der Körper der Dame

Die Dame beherrschte den, der ihr diente. Aber sie konnte über ihren Körper nicht frei verfügen, sei es nach der gerade skizzierten Modellsituation, dass sie verheiratet war, denn dann gehörte dieser ihrem Mann, sei es, dass sie noch Jungfrau war, dann gehörte ihr Körper dem Vater oder den Brüdern. Ihr Körper stand unter der Wachsamkeit (huote) des Hofes und war ein Teil von dessen Ehre (êre). Eine Verletzung dieser Ehre würde schwerste Strafen nach sich ziehen, und so blieb, auch dies war ein Teil des ritualisierten Spiels, der verehrende Ritter in steter Erwartung, quälte sich hoffend und lernte dabei/sollte dabei lernen, seinen Körper und seine Emotionen zu kontrollieren und – hier entstand eine frühe psychologische Kompetenz – zu beobachten:

Das Vergnügen gipfelte in der Begierde. Und hier zeigt die höfische Liebe ihre wahre Natur: Sie ist ein Traum. Sie gestand der Frau eine gewisse Macht zu. Aber sie begrenzte diese Macht innerhalb eines genau definierten Bereichs, dem der Phantasie und des Spiels. (Duby 2006, 267)

In diesem Spiel gewann der Liebende/Minnende „sein neues Selbstverständnis nicht ,neuzeitlich‘ aus sich selbst […], sondern aus der totalen Ausrichtung auf einen anderen, Höheren, Vollkommenen: die Minnepartnerin.“ (Hahn 1989, 96) So mochte die ,Erzählebene‘ der Lieder der Spiegel der einen oder anderen männlichen Disziplinierung und Selbstdarstellung sein, eine allgemeine Kultivierung der Höfe bewirkte sie allerdings nicht.

Ehe

Die höfische Liebe referierte nicht auf die Ehe. Das Recht auf Glück und die enge Bindung der Ehe an die Liebe, heute in der Regel selbstverständlich, leiteten den Alltag der mittelalterlichen Aristokratie nicht. Den Bund von Ehe und Liebe zu stiften, war das genuine Terrain der großen Narrative mit ihren virtuellen Welten; die Lieder dagegen loteten intensiv das Potenzial der höfischen Liebe aus.

Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide

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