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3. Der Weg in die Gegenwart

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vom Erlebnis zur Performanz

In zahlreichen Monografien und Einzelstudien erarbeitete sich die Germanistik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert jeweils zeittypische, aber auch individuell geprägte Walther-Bilder in kompakten Lexikonartikeln (z. B. Burdach 1896; Bumke 1992; Wesseling 1998; Hahn 1999; Schulze 2002), Literaturgeschichten (z. B. de Boor/Hennig 101979; Wehrli 1980; U. Müller 1990; Johnson 1999) und umfangreichen Monografien (z. B. Schönbach 21895; Burdach 1896/1900; Böhm 1949; Halbach 11965, 21968, 31973, 41983; Kircher 1973; Ehlert 1980; Hahn 1986; Sievert 1990; Nolte 1991; Nix 1993; BHMS; Marzo-Wilhelm 1998; Scholz 11999, 22005; Willemsen 2006). Es würde zu weit führen, diese (repräsentativen) Studien hier im Einzelnen zu kommentieren und auf die vielfältigen Kontroversen und wichtigen Detailergebnisse gerade auch der kleineren Waltherstudien einzugehen. Einiges wird an Ort und Stelle, der Textsorte ,Einführung‘ angemessen kompakt, zur Sprache kommen. Die doch recht selbstsichere Arbeit an Walthers Persönlichkeit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde durch eine zunehmende Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeiten biografischer und psychologischer Interpretation abgelöst. Wegweisend wies Hugo Kuhn (1968) darauf hin, dass die Vortrags- beziehungsweise Aufführungssituation in die Textanalysen einzubeziehen sei. Formelhaft könnte man daher den Weg der Forschung als eine Abkehr von der Erlebnis-Analyse und Hinwendung zur Performanz-Analyse beschreiben.

Theodor Nolte

Auf der Schwelle zu diesem ,neuen Walther‘ steht Theodor Noltes Buch „Höfische Idealität und konkrete Erfahrung“ (1991). Hier sind die ältere Forschung, die sich – vor allem repräsentiert durch die Namen Kurt Herbert Halbach und Friedrich Maurer – u. a. intensiv mit den Fragen der Chronologie und der Gruppierung der Sangspruchstrophen beschäftigt hatte, ebenso kritisch aufgearbeitet wie die damals aktuellen ,linken‘ Lesarten. Nolte gab zwar der Waltherforschung neue Impulse, näherte jedoch noch das Autor-Ich stark an das Ich der Gesänge an und entwickelte auf diese Weise die These einer zunehmend verzerrenden Wiedergabe der Wirklichkeit durch Walther, einer zunehmenden Flucht ins Imaginäre.

Akzeptanz der Überlieferung

Die von Ulrich Müller initiierte Reihe „Litterae“ wurde 1971 mit der „Großen Heidelberger Liederhandschrift“ eröffnet (s. GHL), die den umfänglichsten Textbestand der Waltherlieder enthält (s. S. 31). Im 7. Band der Reihe wurde dann die gesamte Überlieferung der Walthertexte und -melodien abgebildet (s. BMS). Doch nur sehr langsam – und bis heute keineswegs selbstverständlich – wandte sich der Blick der Forschung von den gedruckten Ausgaben zur nun leicht zugänglichen handschriftlichen Überlieferung, die man freilich auch schon früher, wenn auch mühsamer, aus den Apparaten der kritischen Editionen und aus älteren Faksimiles hätte zur Kenntnis nehmen können. Wie auch immer, der neue Zugang zur Überlieferung beflügelte die Arbeit an der Textvarianz, d. h. der interpretatorischen Beachtung aller Überlieferungsvarianten (vgl. u. a. den Sammelband von Bein 1999 und die einschlägigen Beiträge in den „Walther-Studien“, namentlich Willemsen 2006). Doch sollte dies nicht, wie es die New Philology nahelegte, zu einer gleichwertigen Würdigung aller überlieferten Textvarianten führen, was nichts anderes als die Inthronisierung mehr oder weniger kompetenter Sammler und Schreiber und den Abschied vom Autor bedeuten würde.

Interessen der Forschung

An vorderster Stelle des Forschungsinteresses steht heute, wenn ein solches Ranking überhaupt statthaft ist, Walthers Werk, einschließlich des Werkbegriffs überhaupt, ist doch der geschlossene, auf einen Autor bezogene Werkbegriff für das Mittelalter nur bedingt brauchbar. Zurückgetreten, aber weiterhin im Blick, ist das Interesse an der Chronologie der Gesänge und das Interesse an der Biografie, dem Leben, dem sozialen Rang, den Aufenthalten sowie dem Verhältnis zu den Auftraggebern und Gönnern. Auf dem Hintergrund komplexer Textüberlieferung und reflektierter Ich-Analysen könnte sich das Walther-Bild auf eine neue Definition im Sinne eines ,instabilen Bildes‘ zubewegen, das wegen der verschiedenen Überlieferungsträger, der Unfestigkeit vieler Texte und den oft weiten Deutungsspielräumen nur aus einer sehr zarten Textur bestehen kann. Man arbeitet, wie schon erwähnt, an einem Palimpsest, dessen ursprüngliche Beschriftung erst unvollkommen zu erkennen ist.

Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide

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