Читать книгу Wer's glaubt, wird selig ... Wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel - Ottmar Fuchs - Страница 16
2. Gottes Herunterkommen
ОглавлениеDie unglaublichste Entgrenzung Gottes in die Welt und der Welt in Gott hinein geschieht aus christlicher Perspektive in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Für mich persönlich, für meinen Glauben und meine Theologie, wird immer mehr klar: Genau das, was Judentum und Islam niemals akzeptieren können, nämlich dass Gott Mensch wird, ist angesichts dieser so leidvollen und gewaltvollen Welt überhaupt noch die einzige Möglichkeit, an einen Gott zu glauben, ihm zu vertrauen und ihm überhaupt ein Wort abzunehmen. Wenn Gott uns schon keine Antworten gibt, dann doch wenigstens jene Solidarität, die Gott auch die Erfahrung leidvoller Leiblichkeit und des Todes selbst zufügt. Ein Gott, der über dem Sternenzelt bliebe, hätte alle Glaubwürdigkeit verloren und könnte mir gestohlen bleiben, mag es ihn geben oder nicht.
Gott hat sich in Christus selber in die Pflicht genommen, uns auf dem Niveau unseres Leidens, auch des Bösen zu begegnen. Gott begegnet uns nicht von oben nach unten. Gott ist nicht nur in seiner unerschöpflichen Geheimnishaftigkeit, sondern auch in seiner menschgewordenen Selbsthingabe unendlich unübertreffbar. Der radikalste Beweis seiner Liebe ist also die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth. Hier steht Gott mit seinem Leben und mit seinem eigenen Leib für eine solche Barmherzigkeit ein. In seiner Verkündigung ist es ihm wichtig, dass Gott den Menschen zugewandt ist. Obgleich Jesus die Absicht hat, dass alle das Reich Gottes annehmen und gerettet werden, muss er das Scheitern dieser Verkündigung erleben. Am Kreuz hält die Welt den Atem an: Wird nun Gott die Welt, da sie seine Barmherzigkeit nicht angenommen hat, endgültig in den Abgrund stürzen lassen, oder ist seine Barmherzigkeit so groß, dass sie auch diesen Abgrund des menschlichen Neins zu Gott überwindet? Hierin liegt die Heilsbedeutung des Kreuzes, denn vom Kreuz her betet Jesus zum Vater, dass er den Gegnern vergeben möge.
Hier begegnet ein Mensch, der gegenüber der Gewalt keine Gegengewalt setzt und ihr, in einer bestimmten Situation, auch nicht mehr entflieht, sondern sich ihr stellt und standhält. Der Gewalt wird etwas tatsächlich ganz anderes entgegengesetzt: der eigene schutzlose Leib, an dem sie sich austobt; aber damit nicht genug: Die Gewalt wird nicht nur erlitten, sondern als unerschöpflich verstärkte Liebe zurückgegeben:41 „Sie kamen zur Schädelhöhe; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den anderen links. Jesus aber betete: ‚Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun‘“ (Lk 23,33–34). „Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39).
Der Kreuzestod Jesu ist nicht nur die Folge eines solidarischen Lebens, sondern offenbart die Unerschöpflichkeit göttlicher Gnade. Denn vom Kreuz her ist das Reich Gottes nicht nur, wie im bisherigen Leben Jesu, denen geschenkt, die das Reich Gottes annehmen, sondern auch denen, die es ablehnen. Im Scheitern scheitert das Erlösungswerk gerade nicht, sondern offenbart darin erst den unendlichen Horizont der unbedingten Liebe Gottes auch denen gegenüber, die ihn zum Scheitern bringen: den Tätern, den Sündern und Sünderinnen – und das sind immer wieder die Gläubigen selbst. „Das … Handeln Gottes erweist sich vielmehr gerade im Tode seines Repräsentanten als wirksames Geschehen, in dem Gott den Tod seines … Boten zum Akt der Sühne werden ließ.“42