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2. Glaubensschwund ohne Angst

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Neben dieser Spur der Verbindung von Glaube und Zwang, von Kirche und Angst gibt es die Spuren, auf denen der Glaube ohne Angst schwächer wird, bis dahin, dass er abhandenkommt. Viele Menschen wären gerne gläubig und können es nicht sein.

Nach Beendigung des letzten Examens sagte ein Theologiestudent zum Abschied, und ich gebe hier seine Gedanken in meiner Sprache wieder: ‚Ich habe meinen Glauben verloren. Nicht wegen des Theologiestudiums, das mir bis zum Schluss Freude gemacht hat, sondern einfach so. Es ist passiert im Zusammenhang verschiedener Ereignisse in meinem Leben. Und ich fühle mich nicht unglücklich. Ich kann gut auch ohne diesen Glauben leben und weiterleben. Natürlich fehlt mir etwas, es fehlt mir vor allem die Hoffnung über den Tod hinaus. Aber da gibt es noch einen Rest: Gibt es den Gott, über den ich im Theologiestudium nachgedacht habe, dann doch über meinen Unglauben hinaus, nimmt er es mir auf keinen Fall übel, wenn ich nicht mehr an ihn glaube. Er ist vielleicht traurig darüber, wie ich traurig darüber bin, dass ich nicht mehr auf ihn bauen kann, aber wenn es ihn dann doch gibt, wird er seine Liebe von mir niemals zurückgezogen haben.

Ich kann ja auch gar nichts dafür, es ist mir sehr klar geworden, dass der Glaube wirklich ein Geschenk ist, eine Gabe, die man bekommt oder nicht bekommt, die letztlich an keine Bedingungen gebunden ist. Weder für den einen noch für den anderen Fall muss ich Angst haben. Ich kann mich immer noch über die Gottesphantasie der Gläubigen freuen, denn solche Glaubensvorstellung ist kein Wahn, sondern ein wunderbares Bild der Hoffnung. Und kann auch niemandem schaden, wenn niemand ausgegrenzt wird. Gegen den Glauben an eine unendliche Liebe ist nichts zu sagen, wenn man ihn geschenkt bekommen hat.’

Ich treffe zunehmend kirchennahe ältere Menschen, auch Theologen und Theologinnen, die sich irgendwie als solche erfahren, die auf den Glauben verzichten können, ohne viel Schmerz dabei zu empfinden, einfach weil er sich irgendwie erübrigt. Dabei geht es nicht darum, mutwillig dagegen anzugehen oder aktiv etwas nicht mehr glauben zu können oder zu wollen, sondern darum, dass die Bilder des Glaubens verblassen, ihre Kraft verlieren, eine Schwäche bekommen. Eine Schwäche allerdings, die darin stark ist, dass sie alle Hoffnung, ohne sie zu verneinen, über den Tod hinaus an die Macht abzugeben vermag, die alles auffängt oder alles versinken lässt. Und Letzteres vielleicht doch in die abgrundtiefe Liebe Gottes? Dieses „Vielleicht“ eines „schwachen“ Glaubens,11 dem unwahrscheinlichen „Vielleicht“ des Propheten Amos ähnlich („… vielleicht wird der Herr, der Gott Zebaoth, doch gnädig sein …“, Amos 5,15), nämlich dass Gott vielleicht doch noch retten wird, wird nicht einer großspurigen Verneinung geopfert, die immer über ihre Verhältnisse lebt und diesbezüglich ziemlich besserwisserisch erscheint.

Diese eigenartige Erfahrung, dass gläubigen Menschen der Glaube irgendwie fern erscheint, fremd wird oder gar abhandenkommt, hat die Theologin Silvia Strahm Bernet folgendermaßen beschrieben: „Existiert in den Himmeln irgendetwas, das sich kümmert, um mich, um uns? Wieso gibt es etwas und nicht vielmehr nichts? Ich bin nicht weitergekommen, die Fragen sind nicht verschwunden, nur ihre Kraft hat abgenommen und die Dringlichkeit einer Antwort. Ich kann auch ohne leben. Im Nichtwissen kann man sich ein Leben einrichten, in dem der Schmerz über das Nichtwissen auszuhalten ist.“ Und: „Gott, Erlösung, Gnade, Sünde, Christus, Vergebung, Gericht, Heil, große alte Worte, die wie erratische Blöcke in der Welt stehen und Findlingen gleich noch an große Umwälzungen erinnern, an eine andere Welt, und doch Überbleibsel sind.“ Und so wird es schwer und schwerer, „anzuknüpfen an einer Welt, die so weit weg scheint, die in ihren Worten, Symbolen, Ritualen zwar noch immer Vibrationen erzeugt, aber nur schwache. … Ja, da lebt noch etwas, ganz weit weg, in den untersten Schichten des biographischen Sedimentes, und es ist noch da, es nährt nicht, es ist eher ein schmerzhaftes Ziehen, die Erinnerung, dass etwas war, wenn auch nur ein feuriger Wunsch, nun aber unaufhaltsam entgleitet. Tot ist es noch nicht, nicht solange es Lebenszeichen sendet, wenn auch ganz leise. … manch eine Pietà rührt mich noch immer zu Tränen und auch der Gekreuzigte mag ihn immer noch wieder hervorzuholen, den kindlichen Schmerz über die Grausamkeit der Welt, ein Schmerz, der geblieben ist und sich nicht mildern lässt und mit dem man dennoch leben lernt, ohne es sich je zu verzeihen.“

Und weiter: „Ich bin eine ungläubige Gläubige. Ich glaube nicht, was zu glauben ist, und bin doch in einem dauernden Gespräch mit ihm oder ihr. Ich lebe noch immer von religiösen Sätzen, Bildern und Musik, aber ich lebe nicht mit ihnen. Sie tauchen nur sporadisch auf und ich hole sie hervor und ich staune, wie viel Leben sie erzeugen und Begeisterung und Anregung. Aber ich lege sie wieder weg, und sie gehen vergessen wie Gegenstände, die man aufbewahrt, in Sichtweite, und doch nicht mehr sieht … Wenn alles in Bewegung ist, dann kann man nur noch den Kopf über Wasser halten, aber keine großen Visionen mehr entwickeln. Die Hoffnung reduziert sich darauf, nicht unterzugehen. Das klingt ein wenig erbärmlich. Und ist doch für eine wie mich nicht nichts, sondern der Angelhaken, der noch immer in dem steckt, wonach ich mich trotz allem sehne.“ Am Ende zitiert Strahm den Dichterphilosophen Emil M. Cioran: „Wie schade, dass man, um zu Gott zu gelangen, durch den Glauben hindurch muss.“12 Aus meiner Perspektive darf man demgegenüber auch sagen: Man muss gar nicht durch den Glauben hindurchgehen, um von Gott geliebt zu werden und zu Gott zu gelangen.

Hier wird deutlich: Die religiösen Symbole haben immer noch eine Wirkkraft in die Gegenwart hinein, und wenn es sich auch „nur“ um das symbolische Licht erloschener Sterne handelt. So gibt es viele Menschen, die dem kirchlichen Glauben fernstehen, bei denen aber die Rituale und Symbole noch eine Resterfahrung von dem bewahren, was der Glaube einst verheißen hat. Hier wird noch etwas von der Fülle der göttlichen Liebe, von seiner Geborgenheit gespürt: Die Symbole und Rituale lassen etwas von dem Überfluss erahnen, den die Gnade über das Wort und den Glauben hinaus bringt. Unsere Kirchen leben finanziell von den vielen Menschen, die ein Leben lang ihre Kirchensteuer zahlen und die Kirchen dafür nur einige Male beanspruchen, nämlich bei den Kasualien (Taufe, Kommunion, Firmung, Konfirmation, Trauung, Beerdigung u. a.):13 Sie lassen sich wenig viel kosten, weil sie darin den unverrechenbaren, weit über Tauschvorstellungen hinausgehenden „Überfluss“ der Gnade erahnen, wie er in diesen Symbolhandlungen zur Wirkung kommt. Die Fülle der künftigen Gnade „darf bereits vorweggenommen werden im sakramentalen Handeln der Kirche“14.

Denn es gibt ein Empfangen jenseits der überlegten Worte, „wie die gewaltige Wirkung eines Kunstwerkes, das bewegt, ohne dass der Rezipient jedes Detail zu verstehen in der Lage ist“15. Hier gilt allein der Vollzug der Sakramente („ex opere operato“), nämlich dass sie aus sich heraus, ohne Bedingungserfüllungen der Menschen, Gnade erfahren lassen. So rettet die Liturgie nicht nur die Erfahrung von Glaubensinhalten, die als solche entschwunden sind, sondern auch die Erfahrung von Glaubensinhalten, die als solche einmal offenbar werden. Die Liturgie hat also in diesem Sinn eine für Vergangenheit und Zukunft stellvertretende Eigenwirkung.

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