Читать книгу Politische Justiz - Otto Kirchheimer - Страница 19
2. Zeitalter der Rechtsstaatlichkeit
ОглавлениеIn weitem Rahmen vollzog sich ein umwälzender Wandel im 18. Jahrhundert. Die erste Englische Revolution hatte es erreicht, dass dem Staatsbürger die Freiheit zugebilligt wurde, für seine beruflichen, besitzrechtlichen und auch – was allerdings zweifelhaft blieb – religiösen Interessen einzutreten.
Den Auftakt zu Englands Glorreicher Revolution von 1688 bildete der Freispruch der sieben Bischöfe, die Jakob II. aus Gewissensgründen den Gehorsam verweigert hatten. In seiner Schlussansprache an die Geschworenen gab sich Richter Richard Allybone, der den Prozess leitete, die größte Mühe, zwischen dem legitimen Interesse der Einzelperson und den Angelegenheiten des Staates, über die der Privatmann nicht zu befinden habe, eine klare Grenze zu ziehen: »Niemand«, schärfte er den Geschworenen ein, »darf sich anmaßen, gegen die tatsächliche Ausübung der Regierungsgewalt zu schreiben, sofern er keine Erlaubnis von der Regierung hat, sonst begeht er eine Verunglimpfung, möge das, was er schreibt, wahr oder falsch sein. Keine Privatperson darf sich anmaßen, über die Regierung zu schreiben, denn sind wir erst einmal dazu gekommen, die Regierung durch Diskussion in den Anklagezustand zu versetzen, so entscheidet die Diskussion darüber, ob sie die Regierung ist oder nicht die Regierung ist … Was hat denn ein Privatmann mit der Regierung zu tun, wenn sein Interesse weder angefochten noch angetastet wird? … Geht die Regierung daran, meine besonderen Interessen anzutasten, so steht mir der Rechtsweg offen, und ich kann auf dem Rechtsweg Abhilfe erlangen … Es ist Sache der Regierung, Angelegenheiten zu verwalten, die zum Regierungsgeschäft gehören, und es ist Sache der Untertanen, nur auf ihr Eigentum und ihre Interessen bedacht zu sein.«12
Der Richter hatte sich vergebens abgemüht: Die Geschworenen lehnten es ab, auf ihn zu hören. Dennoch blieb das Recht auf politische Abweichung – außer im Parlament – ein Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten. Noch 1773 konnte Boswells Orakel erklären: »Kein Mitglied der Gesellschaft hat das Recht, eine Lehre zu verkünden, die dem, was die Gesellschaft für wahr hält, widerspricht. Der Richter, sage ich, kann mit dem, was er denkt, unrecht haben; aber solange er selbst glaubt, er habe recht, darf er und soll er das durchsetzen, was er für richtig hält.«13
Auch wenn die Grenzen des erlaubten politischen Andersdenkens weiterhin umstritten blieben, war der großen uneingezäunten Domäne der maiestas-Vergehen ein weiteres Stück Boden entrissen worden. Englische Gesetzgeber und Geschworenengerichte, der unsterbliche Beccaria und die Leuchten der deutschen akademischen Wissenschaft setzten sich einmütig für eine deutliche Scheidung ein: Von der grundsätzlichen Gegnerschaft zum bestehenden politischen Organisationsgebilde sollten, meinten sie, die zahlreichen geringeren Vergehen gegen die Staatsautorität (und auch gegen ihr generelles Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) unterschieden werden.14 Die Französische Revolution, die dem politischen Menschen Freiheit brachte, indem sie ihm volle Teilnahme am politischen Leben zubilligte, bürdete dem Individuum neue Verpflichtungen auf: Sie verlangte von ihm Treue zu den jeweiligen politischen Visionen der Mehrheit und Wohlverhalten gegenüber den entsprechend interpretierten Sicherheitserfordernissen des Staates. Zum Wirbel des Revolutionsgeschehens musste wenigstens ein gewisser, wenn auch noch so kleiner Abstand gewonnen werden, ehe sich ein noch so labiler Ausgleich zwischen politischer Freiheit und Ansprüchen der Staatssicherheit herstellen ließ.
Dazu boten einige Prozesse Gelegenheit, die zu den englischen Nachwehen der Französischen Revolution gehörten. An manchen Stellen war die Umgestaltung des englischen politischen Systems nach dem revolutionären Vorbild Frankreichs befürwortet worden; eine bewegte Diskussionskampagne hatte sich angeschlossen. Wegen Teilnahme an dieser Kampagne stand 1794 Thomas Hardy unter der Anklage des Hochverrats vor Gericht. Sein Verteidiger Thomas Erskine, später einmal Lordkanzler, versuchte, dem Gericht die Anerkennung des Menschenrechts auf Umänderung der gesellschaftlichen Verfassung abzuringen, war aber damit nicht an den richtigen Richter gekommen: Sir James Eyre legte den Geschworenen eine wesentlich andere Maxime nahe. Bedächtig sagte er in seiner Schlussansprache: »Erneut wurde hier die Überlegung vorgetragen, daß die Menschen das Recht haben, ihr Regierungssystem zu ändern. Diese These mag unter bestimmten Umständen richtig sein. Sie hätte aber nicht einem Gerichtshof unterbreitet werden dürfen, der verpflichtet ist, das Gesetz der bestehenden Staatsordnung anzuwenden und nicht zu dulden, daß ihm Neuartiges unterlegt werde … {Diese These} ist nur dazu angetan, das Denken der Menschen zu verwirren, das Verlangen nach Neuerungen hervorzurufen und alle Regierungsfundamente zu erschüttern.«15
Ganz sicher war, wie man sieht, der Richter seiner Sache nicht. Seine nicht ganz logische Vorstellung, dass das Recht auf politische Neuerungen bedingt akzeptabel, das Gericht jedoch außerstande sei, sich darauf einzulassen, fand bei den Geschworenen keine Gegenliebe: Hardy wurde freigesprochen.16
Das 19. Jahrhundert, das mit Angstreaktionen auf die Französische Revolution begonnen hatte, zeigte sich dennoch denen gegenüber, die von der geltenden politischen und sozialen Norm abwichen, in zunehmendem Maße nachsichtig. Und keineswegs insgeheim oder auf Umwegen. Das Recht der Menschen, die Grundlagen der bestehenden politischen Gebilde in Zweifel zu ziehen, wurde nach und nach, wenn auch bisweilen in unsteten Sprüngen, offen anerkannt.
Der Oberflächenanblick des Strafgesetzes vermittelt dabei nicht immer die richtige Sicht. So war in England im 19. Jahrhundert das Verratsgesetz Eduards III. aus dem Jahr 1351 immer noch in Kraft. Es musste mit jüngeren Auslegungsbestimmungen und mit einer neuen Aufruhrgesetzgebung konkurrieren; für Zwecke der politischen Strafverfolgung ließ sich freilich die altertümliche Waffe der Verratsanklage besser verwenden als die neueren Gesetze. Über die Handhabung des Verratsgesetzes in der Gerichtspraxis hat Sir James Stephen, selbst ein führender Strafrechtspraktiker und ein hervorragender Kenner der englischen Strafjustiz, mit trockener Ironie geschrieben: »Der Gesamteffekt des Ganzen ist, daß das so viel gepriesene Gesetz ein ungehobeltes und stümperhaftes Werk ist, das ebenso viele Fragen aufgeworfen hat, wie es gelöst haben kann, und das sich nur dann als erfolgreich erwies, wenn es nicht angewandt zu werden brauchte. Von der einen Partei wurde es gepriesen, weil sich seine Bestimmungen nicht auf verräterische Verabredungen und Verbindungen bezogen, und von der anderen, weil ihr das gefiel, was sich, wie sie feststellte, auf Grund dieses Gesetzes an gekünstelten Konstruktionen hervorbringen ließ. Die Tatsache, daß das Gesetz seit 530 Jahren in Kraft ist, zeigt, wie mir scheint, nur die äußerste Gleichgültigkeit des Publikums gegenüber der Art, wie die Gesetze, die es angehen, abgefaßt sind, ebenso wie die Anhänglichkeit des Juristenberufs an Formulierungen, die seit langem in Gebrauch sind und denen man einen gemachten Sinn beilegt. Sehen wir aber davon ab, wie das vorliegende Ergebnis zustande gekommen ist, und wenden wir uns diesem Ergebnis selbst zu, so läßt es sich, meine ich, nicht als übel bezeichnen, außer insofern, als der Begriff des Kriegführens {›gegen den König in seinem Reich‹ nach dem Wortlaut von 1351} in so weitem Sinne ausgelegt worden ist, daß auch große auf ein politisches Ziel gerichtete Unruhen darunter verstanden wurde.«17
Sowohl in England als auch in den Vereinigten Staaten, wo die gegen Ende des 18. Jahrhunderts wiederbelebte Aufruhrgesetzgebung18 auf Bundesebene nur von begrenzter Lebensdauer war, lag der Bestrafung von Verrat und Aufruhr eine unvorstellbar weite Definition der Delikte zugrunde. Überwiegend sah indes die Praxis anders aus: Rechtsdenken und Rechtsprechung der angelsächsischen Länder konzentrierten sich in den hundert Jahren von Waterloo bis zur Marne-Schlacht auf ergiebigere und verheißungsvollere Gebiete.19
Auf dem europäischen Kontinent richtete das juristische Denken des 19. Jahrhunderts seine Energien auf die Demontage der traditionellen perduellio- und maiestas-Vorstellungen. Unter dem mächtigen Einfluss der Aufklärungsströmungen bemühte man sich um die gegenseitige Abgrenzung der einzelnen im Komplex der »Staatsverbrechen« enthaltenen Bereiche, während vordem die Aufzählung der verschiedenen möglichen Situationen eher dazu gedient hatte, die weite Ausdehnung dieser Deliktsphäre zu veranschaulichen als sie zu begrenzen.20 Nunmehr neigte man immer mehr dazu, den gewaltsamen Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung, Verbrechen also gegen die innere Sicherheit des Staates,21 von der Gefährdung seiner äußeren Sicherheit, von der Beschädigung seines militärischen oder diplomatischen Schutzpanzers zu unterscheiden. Außerdem wurden diese beiden Typen von Delikten vom verbleibenden Inhalt des maiestas-Begriffes abgegrenzt, der für beleidigende Angriffe oder tätliche Anschläge auf die Person des Monarchen (manchmal auch auf Mitglieder des Herrscherhauses oder Regierungsangehörige) beibehalten wurde.
Eindeutig kam die Trennung der Verbrechen gegen den Fürsten von anderen politischen Delikten, die sich bereits in Preußens Allgemeinem Landrecht von 1786 (1794 in Kraft gesetzt) abgezeichnet hatte, im Code Napoléon zum Ausdruck, der der revolutionären Gesetzgebung von 1791 den letzten Schliff gab. Eine weitere Verfeinerung fand das neue Prinzip in den Schriften Anselm Feuerbachs. Auf Bemühungen um die gesonderte Klassifizierung der verschiedenen Kategorien politischer Delikte folgten schließlich Vorstöße gegen die wiederholten Versuche der Regierenden, die Gerichte für den Abwehrkampf gegen den Vormarsch »umstürzlerischer« Ideen zu mobilisieren. In seinen vielgelesenen Schriften Des Conspirations et de la Justice politique (1821) und De la Peine de Mort en Mutière politique (1822) warnte namentlich François Guizot, Historiker, Staatsbeamter und später Minister Ludwig Philipps, die Inhaber der Regierungsgewalt davor, die eigene Führungsaufgabe mit der ganz andersartigen Aufgabe der Gerichte zu vermengen, die darin bestehen sollte, konkrete Beschuldigungen aus Anlass strafbarer Handlungen – nicht aus Anlass anstößiger Meinungen – zu prüfen. Zunehmend regelte die rechtsstaatliche Ordnung die Ausübung der politischen Macht, und als strafbar wurden vorwiegend nur noch Handlungen angesehen, die einen gewaltsamen Angriff auf die Gesamtstruktur dieser Ordnung darstellten.
Unter einer Voraussetzung wird somit die Umgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung zum legitimen Vorhaben: Zur Erreichung des angestrebten Ziels dürfen ausschließlich legale Mittel angewandt werden. Schon im 19. Jahrhundert wurde politischen Gruppierungen in größerem Maße erlaubt, sich auf eine totale Umwandlung der bestehenden Ordnung zu orientieren. Solange sie sich an die vorgeschriebenen Mittel der Neugestaltung hielten und sich nicht in den Bannkreis der Gewalt hineinziehen ließen, wurde der Ummünzung der Gedanken in Propaganda ein gewisses Maß an Freiheit gewährt. Die neue Art der Behandlung politischer Verbrechen wurzelte in der Vorstellung von der Verfassung als Vertrag, wie sie sich über Kant und Rousseau bis Feuerbach fortgepflanzt hatte; sie wurde kaum angefochten.
In dem Maße, wie die Regierungsgeschäfte zur legitimen Angelegenheit der Allgemeinheit werden, fangen die Gerichte an, einen Unterschied zwischen erlaubten Methoden der Opposition und strafbaren, an Gewalt grenzenden Handlungen und Äußerungen zu machen. Sogar ein gegen die Sache der Angeklagten besonders voreingenommener Richter wie der Irenfeind Pennefather, unter dessen Vorsitz 1843 in Irland Daniel O’Connell und Genossen unter der Beschuldigung der Teilnahme an einer aufrührerischen Verbindung abgeurteilt wurden, sprach den Rebellierenden nicht grundsätzlich das Recht ab, radikale politische Neugestaltungsideen zu erörtern und sich in Eingaben an Königin und Parlament für sie einzusetzen;22 und im englischen Oberhaus wurde die Verurteilung O’Connells von den richterlichen Mitgliedern mit einer Mehrheit von drei liberalen gegen zwei konservative Stimmen aufgehoben.23 Was meistens umstritten bleibt, ist die Grenze zwischen legaler Propaganda und nicht-gewaltsamen Bemühungen um die Errichtung eines neuen Regierungssystems, mit denen die bestehende Ordnung so unter Druck gesetzt wird, dass sie im Endeffekt zusammenstürzen kann. Diese Grenze war schon bei der Chartistenpropaganda fraglich. Anders als unter den irischen Rebellen ließ sich unter der bunt zusammen gewürfelten Menge der Chartisten keine strenge Disziplin durchsetzen, und die Vieldeutigkeit ihres Programms, die einerseits auf geistige Konfusion, anderseits auf taktische Entscheidung zurückging,24 kam den Angeklagten auch vor Gericht nicht zustatten.25 Blickt man allerdings auf die Dinge von der Warte des 20. Jahrhunderts aus zurück, so tritt besonders anschaulich die nachsichtige Geduld hervor, mit der die englische Regierung die Chartisten mit ihrer Agitation und den daraus erwachsenden Unruhen gewähren ließ.26 Die im 19. Jahrhundert gezogene Toleranzgrenze mutet den heutigen Beobachter unwahrscheinlich großzügig an.
Viel ernster wurde der als Bedrohung der äußeren Sicherheit des Staates angesehene Verrat genommen. Sofern die Schuldigen fremde Staatsangehörige waren, wurde er oft, wenn auch nicht durchgängig, als Spionage bezeichnet und behandelt. Landesverrat in diesem Sinne traf nicht eine bestimmte verfassungsmäßige Ordnung, deren Umgestaltung bei der nächsten Wendung des politischen Geschicks oder mit dem Anbruch eines neuen Stadiums der gesellschaftlichen Entwicklung fällig sein mochte. Landesverrat bedrohte die Existenz des politischen Gesamtgebildes, nicht die vergängliche und wandelbare Form des Staatswesens, sondern den Nationalstaat selbst, und unterlag entsprechend schwerer Bestrafung.27
Seit sich der Nationalstaat als die endgültige Form der politischen Organisation der Gesellschaft durchgesetzt hatte, wurde Einvernehmen mit dem Feind mit den Merkmalen der schlimmsten aller Todsünden ausgestattet, wie sich beispielhaft in der Dreyfus-Affäre gezeigt hat. Umgekehrt wurden Politiker wie Boulanger oder Déroulède, die ja nur Komplotte schmiedeten, um sich in den Besitz der Macht zu setzen, eher als Gestalten aus einer komischen Oper behandelt. So wurde Déroulède, damals Führer der rechtsradikalen Patriotenliga, nach seinem missglückten Versuch von 1899, den General Roget zum Marsch auf den Elysée-Palast zu bewegen, lediglich eines Vergehens angeklagt und dementsprechend von einem Schwurgericht abgeurteilt. Vergebens verlangte er, wegen versuchten Umsturzes vor die Haute Cour gestellt zu werden. Erst nachdem er von den Geschworenen freigesprochen worden war, versuchte die Regierung, die Haute Cour für zuständig zu erklären, hatte jedoch damit keinen Erfolg.28 Prinzipiell hatten sich im 19. Jahrhundert der Liberalismus und der Nationalismus als Partner zusammengefunden und als einzig denkbare Daseinsform des politischen Gebildes den nach außen abgegrenzten Nationalstaat aus der Taufe gehoben. Damit war aus der Freiheit eine eingehegte Bahn geworden, auf der man sich innerhalb der Schranken der nationalen Ordnung zu bewegen hatte.
Strafbestimmungen gegen die Verunglimpfung des gekrönten Herrschers wurden beibehalten oder durch neue Bestimmungen zum Schutze des ungekrönten Staatsoberhauptes ersetzt. Jedoch galt der Schutz jetzt mehr der öffentlichen Funktion als der Person des Herrschers; das Gesetz behütete die personifizierte Staatsautorität, nicht mehr das symbolische Bild einer von Vertretern der göttlichen Macht gesalbten Majestät.29 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erfuhr dieser weniger bedeutende Teil des Schutzpanzers der Staatsgewalt häufigere und heftigere Angriffe als alle anderen Bestandteile der staatlichen Rüstung. Da die Institution, die da geschützt wurde, die konstitutionelle Monarchie, besonders empfindliche Schwächen aufwies, konnte es wohl kaum anders sein.
Strafverfolgungen wegen Majestätsbeleidigung gab es noch in Hülle und Fülle in Ländern, an deren Spitze konstitutionelle Monarchen standen; in Deutschland allein wurden 1894 622 solche Fälle, 1904 noch 275 Fälle registriert.30 Das ergab sich aus der Struktur der Staatsform. Angriffe auf Kabinette, die dem Parlament nicht verantwortlich waren und nicht den Willen einer Parlamentsmehrheit repräsentierten, trafen automatisch die Person oder Institution, der es oblag, das Kabinett einzusetzen. Und jedes Mal wenn es vor Gericht verteidigt werden musste, wurde das Prestige der Monarchie von neuem heftig angenagt. Es machte nicht viel aus, dass der Wahrheitsbeweis für die beleidigenden Äußerungen nicht angetreten werden durfte31 oder dass die Aburteilung der Majestätsbeleidiger durch Geschworenengerichte mit allen Mitteln verhindert wurde.32 Mochte das Gericht aussehen, wie es wollte: Die Öffentlichkeit der Verhandlungen gestattete eine weithin publizierte Kritik an der Regierung. Von der Parlamentstribüne aus hätte sie nicht wirksamer vorgetragen werden können.
Angesichts der rückläufigen Welle der Verbrechen gegen den Staat mochte die Flut der Strafverfolgungen wegen Beleidigung des gekrönten Herrschers wie eine Anomalie anmuten. Was sich in ihr widerspiegelte, war die charakteristische Tatsache, dass die politische Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf die Mängel und Gebrechen der mitteleuropäischen Verfassungssysteme mit Sanftmut, ja fast mit verspielter Duldsamkeit reagierte.