Читать книгу Fräulein Quakis Versuche, ein Mensch zu werden - Otto W. Bringer - Страница 9
ОглавлениеAm folgenden Tag spielen Kinder in ihrer Nähe. Niedliche kleine Dinger, aber aus ihrer Perspektive Riesen. „Guck mal Lisa, ein Frosch.“ Bückt sich, tastet vorsichtig mit den Fingerspitzen über Quakis Rücken. Quaki empfindet es höchst angenehm, gestreichelt zu werden. Als die kleine Hand vorsichtig ihren Leib umfasst, hoch hebt, kommt ihr vor als flöge sie höher als alle Vernunft. „Dich nehme ich mit auf die Reise“ ruft das kleine Mädchen. Öffnet ein glänzendes Aluminiumköfferchen. Legt einen Haufen frisch gemähten Grases hinein und Blätter. „So, da ist dein Bett. Wie heißt du eigentlich?“
Dass das Mädchen sie gefragt hat, sieht Quaki ihrem Gesicht an. Aber verstanden hat sie es nicht. Zur Höflichkeit erzogen, sagt sie, das was sie am besten kann: „Quak.“
„Du heißt Quak! Das finde ich toll.“ Quaki ist enttäuscht. Das ist nur der erste Teil ihres Namens. Warum kann ich nicht noch das i dranhängen. Quaki rufen. Dann wüssten alle Kinder und ihre Eltern wie mein Name ist. Aber Fröschen ist es nicht gegeben – im Gegensatz zu Menschen – zu lernen und ihre Natur zu korrigieren.
Sie weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Im Koffer ist immer Nacht. Viermal am Tag öffnet das kleine Mädchen den Koffer und füttert sie mit Regenwürmern. Nicht gerade ein Festessen, aber sie machen satt. „Quak“ sagt sie, soll danke heißen.
Reckt sich hoch bis an den Kofferrand und sieht mit sehnsuchtsvollen Augen. Wasser, Wasser hätte sie gern. Als ahnte das kleine Mädchen was sie wollte, schleppt es eine Schüssel herbei. Hält einen Gartenschlauch hinein, füllt sie mit sauberem Leitungswasser. Setzt Quaki hinein. „Ist es so recht?“ Fragt sie freundlich. „Quak, quak“. Es könnte danke, danke heißen. Die Schüssel steht auf der Wiese hinter dem Haus. Und alles Grün schaut zu, wie Quaki und das kleine Mädchen miteinander reden. Menschen verstehen es nicht.
„Morgen fliegen wir nach Rom, das Kollosseum angucken. Im Tiber soll es auch Frösche geben. Da lass ich dich schwimmen, wenn du mir versprichst wiederzukommen.“ Wieder muss Quaki raten, was sie gesagt hat. Ihr fällt nichts ein.
Rutscht wieder zurück ins Gras und wartet der Dinge, die da kommen werden. Nickt ein und schläft tief und fest. Es war ein anstrengender Tag in fremder Umgebung.
Als sie aufwacht ist immer noch Nacht. Kann ja nicht anders sein im geschlossenen Koffer. Als ahnte das kleine Mädchen ihre Gedanken, hebt es den Deckel des Koffers hoch. Blickt in das erstaunte Gesicht Quakis: „Guten Morgen, meine Liebe. Wir sind bereits in der Luft. Hoch in 8000 Meter über dem Meer. Sieh aus dem Fenster.“
Erkennt, dass man aus dem Köfferchen nicht hinaussehen kann. Nimmt das Froschfräulein in die Hand, hebt es hoch vor die Fensterscheibe. Als Quaki dieses unendliche Blau sieht, wird ihr schwindelig. Kein Zweig an dem sie sich festhalten kann. Kein grünes Blatt, unter dem sie sich verstecken kann. Und das Schlimmste, das Wasser ist weit, weit weg.
„Fräulein Stewardess haben Sie vielleicht eine Schüssel mit Wasser für meine Freundin Quak“. Zeigt mit glänzenden Augen auf das Froschfräulein in ihrer Hand. „Bitte, bitte!“ Ihre Eltern auf den Sitzen rechts und links von ihr lächeln. Sie lieben ihr Töchterchen und lassen sie tun was sie tut. „Pass gut auf Linda, ein Tier ist ein lebendes Wesen so wie du.“ Sie soll Lebenserfahrung sammeln. Selber erfahren, dass Denken und Handeln Folgen haben.
Schneller als erhofft ist die Stewardess wieder da, stellt eine rosa Plastikschale mit Wasser auf den ausgeklappten Tisch vor das Mädchen. Jetzt wissen wir, dass sie Linda heißt. Fräulein Quaki hat es auch verstanden. Versucht ihrer Stimme einen anderen Tonfall zu geben. Quetscht sie zu einem „Quiak“, wenn sie Linda anspricht.
Übt von da an alle Varianten des Quak. Quaak, Queak, Quark, Quoak, sogar das griechische Koax. Wenn sie sich bemerkbar machen wollen, setzen griechische Frösche noch ein krekekekex davor. Es klingt alles so ähnlich, bedeutet aber anderes. Linda hört ihr gut zu und weiß schon nach kurzer Zeit, was ihr Froschmädchen meint. So verstehen sie sich, als sprächen sie dieselbe Sprache.
Linda behält das Köfferchen auf ihrem Schoß. Wie Mama ihre Handtasche. Den Deckel lässt sie offen, damit sie sich mit Quak unterhalten kann. Jedes Mal, wenn sie Quak sagt zuckt es in Quaki. Wie kann ich es anstellen, dass sie Quaki sagt? Als sie so intensiv an ihren richtigen Namen denkt, sieht sie plötzlich etwas Helles fliegen. Hell wie ein i. Reißt erstaunt das Maul auf. Schwupps fliegt das i hinein und hängt sich an ihre Stimmbänder. Als sie es ausspucken will, klingt es wie Quaki. „Quaki, Quurra, ich kann meinen Namen aussprechen.“
„Sieh Quaki, die Erde kommt näher.“ Die ist überglücklich, dass Linda sie mit ihrem vollständigen Namen anspricht. „Gleich werden wir landen“. Hopphopphopp setzen die Räder auf. Und schütteln alle Fluggäste, als müssten sie aus dem Schlaf geweckt werden. Vorsichtshalber hatte Linda ihre kleine Freundin wieder in das Köfferchen gesetzt. Sie könnte beim harten Aufschlagen ihr aus der Hand rutschen. Nicht auszudenken. Selten nur gelingt den Kapitänen der Luft eine weiche Landung.
Linda hält das Köfferchen offen, damit ihre kleine Freundin alles mitbekommt. Ogottogott, was für ein Lärm. Und eine Hast. Menschen, viele Menschen rennen wie um ihr Leben. Quaki guckt ängstlich über den Kofferrand und vergisst zu quaken.
Linda erklärt es ihr: „Jeder will der erste sein am Laufband. Seinen Koffer zu entdecken. Unter den vielen, die sich ähnlich sehen wie ein Ei dem anderen. Aber beruhige dich, ich passe auf, dass dir nichts passiert. Bis gleich!“
Klappt den Deckel zu und verschließt ihn vorsichtshalber. Jetzt aber schnell an die Bar. Wasser brauche ich für Quaki. Der freundliche Afrikaner hinter dem blanken Tresen mag Tiere. Gibt ihr einen Wink: „ Setze dein Fröschlein für zehn Minuten ins Spülbecken. Ich lasse leicht angewärmtes Wasser einlaufen, damit es sich wohl fühlt.“ Sicher haben sie in seinem Kral auch Frösche. Denkt Quaki. Verscheucht die Vorstellung von ausgerissenen Schenkeln. Hier sieht es nicht danach aus. Afrikaner bevorzugen größere Tiere. Römer lieben gegrillte Sardinen.