Читать книгу Das Haus hinter den Magnolienblüten - Pam Hillman - Страница 10

Kapitel 5

Оглавление

Kiera verstand nicht ein bisschen von dem, was sich vor ihren Augen abspielte.

Aber eine Sache stand ihr klar vor Augen. Und das war die kalte Steinmaske, die sich auf Connors Gesicht gelegt hatte, ebenso wie der Schock, der alle Farbe aus Isabellas Gesicht wischte.

Irgendetwas lief gehörig schief – und es musste etwas mit Charlotte zu tun haben. Hatte es nicht immer etwas mit Charlotte zu tun?

Tief atmete sie ein, bereit, den Stier bei den Hörnern zu packen.

„Mr O’Shea. Ich sehe, dass Sie über diese Neuigkeit überrascht sind. Könnten Sie mir verraten, warum?“

Ohne zu antworten, blickte Connor auf Megan und Patrick, die dem Wortwechsel interessiert lauschten. Sein Kiefer verhärtete sich. Dann sagte er: „Jetzt ist nicht die richtige Zeit dafür.“

„Keine Zeit ist besser als jetzt.“ Bedächtig wählte Kiera ihre Worte.

Hatte Quinn nicht erzählt, dass sein Bruder seit neun Jahren in den Kolonien war? Was wusste er von Charlotte und ihren betrügerischen Spielchen?

Mistress O’Shea trat auf die Kinder zu. „Patrick … und Megan, oder? Unser Koch müsste gerade einen frischen Laib Brot aus dem Ofen gezogen haben. Würdet ihr ihn gerne einmal probieren?“

Megan wusste nicht genau, was sie wollte, und trat unsicher von einem Bein auf das andere, während ihr Blick weiter von Kiera zu Connor wanderte. „Ich bleibe hier. Danke trotzdem, Ma’am“, antwortete sie schließlich.

Kiera widerstand dem Drang, ihrer Schwester zu sagen, dass sie richtiges Englisch sprechen solle. Es gab wichtigere Dinge zu regeln, als Megan auf ihren irischen Dialekt hinzuweisen, der sich wie so oft in ihre Sprache mischte. Ohne ihre Augen von Connor zu wenden, befahl sie ihr stattdessen: „Nun geh schon. Sei ein braves Mädchen.“

„Aber, Kiera …“

„Tu, was ich dir sage.“

Isabella streckte dem jungen Mädchen eine Hand entgegen, doch Megan beachtete sie erst gar nicht. Wütend zischte sie an ihr vorbei ins Haus. Zögernd folgte Patrick mit besorgter Miene und warf dabei immer wieder einen prüfenden Blick über die Schulter auf Kiera und Connor.

Wankend trat Mr Bartholomew nach vorne und legte Wainwrights Stallburschen eine Hand auf die Schulter. „Jack, was hältst du davon, wenn wir derweil die Pferde zu den Stallungen bringen? Sie haben sich etwas Ruhe redlich verdient und sind sicher froh, endlich die Sättel loszuwerden. Außerdem will ich wissen, was es Neues aus Natchez zu berichten gibt.“

„Ja, Sir.“ Geschickt schnappte sich der Junge die Zügel der Pferde und führte sie gemeinsam mit dem alten Mann den Weg zu den Ställen hinab.

Rory blickte so entschlossen drein, dass er vermutlich nur an Händen und Füßen von hier weggezerrt werden konnte.

Amelia trat näher an Kiera heran. Erstaunlicherweise bewegte sich auch Quinn fast unmerklich in ihre Richtung. Dennoch hatte Kiera nicht das Gefühl, dass er auf ihrer Seite war. Mit verschränkten Armen stand Quinn vor seinem Bruder und blickte ihn verbissen an. Kiera kam der Verdacht, dass er vor allem anderen einfach nicht auf Connors Seite sein wollte. Warum stand er gegen seinen Bruder?

„Sie erinnern sich nicht an mich, habe ich recht?“ Prüfend betrachtete Connor die junge Frau ihm gegenüber.

Die Kinnlade fiel Kiera hinunter. „Sollte ich?“

„Vermutlich nicht. Es ist lange her.“ Connor zuckte mit den Schultern. „Zehn Jahre, um genau zu sein. Damals war ich ein Stallbursche auf der Farm Ihres Vaters. Ich weiß noch, dass Cinnamon Ihr Lieblingspony gewesen ist.“

„Wie …?“ Kopfschüttelnd versuchte Kiera, sich zu erinnern. Besonders viel Zeit hatte sie nie in den Ställen verbracht. Vor allem deshalb, weil Charlotte ihre meiste Zeit dort verbrachte. Wo immer Kiera ihrer Halbschwester begegnete, lief sie in den meisten Fällen nur weinend wieder davon. Aber sie erinnerte sich an Cinnamon. Nachdem Charlotte nach London gezogen war, hatte Kiera entsprechend viel Zeit in den Ställen verbracht und die Ausritte mit ihrem Pony genossen. „Sie sind wirklich bei uns in den Ställen zur Hand gegangen? Und Sie kannten Charlotte? Wie kam das?“

„Möchten Sie wirklich die Einzelheiten hören?“, erwiderte Connor seufzend. „Vielleicht sollten wir es hierbei belassen: Letzten Endes wurde Charlotte mit dem zukünftigen Lord von Manderly verlobt und ich auf die lange Reise als Knecht in die Kolonien geschickt.“

Die Erkenntnis traf Kiera wie ein Schlag ins Gesicht. Charlotte war schon immer ein Luder gewesen und war es heute noch. Auch wenn es Kiera mit großer Scham erfüllte, wusste sie, dass ihre Halbschwester auch nach ihrer Hochzeit mit George Liebschaften zu anderen Männern gepflegt hatte. In den letzten Jahren hatte Charlotte oft ohne ihren Mann den Sommer in Irland verbracht. Während Kiera sich nur vage vorstellen konnte, was George in Abwesenheit seiner Frau trieb, wusste sie umso besser, wozu Charlotte fähig war. Ohne Zweifel war George keinen Deut besser. Vermutlich passten sie deshalb so gut zueinander.

Kein Wunder, dass Connor die steinerne Maske aufgesetzt hatte, als Kiera ihren Nachnamen erwähnt hatte. So schnell er konnte, würde er sie von Breeze Hill wegschicken. Das war ihr klar. Versteckt in den Falten ihres stoffreichen Kleides ballte sie die Fäuste. Dazu würde sie ihm keine Möglichkeit geben.

„Das tut mir leid. Ich … wusste nichts davon.“ Kiera hob ihr Kinn. „Zusammen mit Jack werden wir wieder zurück nach Natchez gehen.“

„Nein“, spie Quinn aus. Seine Augen funkelten Connor an. „Nur über meine Leiche.“

Unbeeindruckt starrte Connor zurück. „Quinn, du hast keine Ahnung, wovon du redest. Es ist vermutlich für alle am besten, wenn Miss Young und ihre Schwestern auf schnellstem Weg nach Natchez zurückkehren.“

„Für wen am besten?“ Mit erhobenen Fäusten schritt Quinn langsam auf seinen älteren Bruder zu. Dieser richtete sich zu voller Größe auf, hielt seine Hände jedoch unten. Connor hatte Quinn nichts voraus. Beide Männer waren in etwa gleich groß und breitschultrig. Die Muskeln an Armen und Beinen zeugten von jahrelanger, harter Arbeit. Sorgen schlichen sich in Kieras Gedanken und ihr Magen zog sich zusammen. Bestimmt würden die zwei sich nicht einigen können. „Am besten für dich oder für Kiera? Weiß deine Frau, weshalb du Irland verlassen musstest?“

„Ja, sie weiß es.“

„Ach, sie weiß es jetzt also“, spottete Quinn. „Ich wette, sie weiß nicht, dass eure kleine Affäre genauso dein Verdienst war wie der von Charlotte.“

„Isabella weiß alles“, presste Connor zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe nichts vor ihr verschwiegen.“

„Quinn, bitte. Wir gehören nicht hierher.“ Kiera schüttelte den Kopf. „Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich gar nicht erst hierhergekommen.“

„Kiera? Wir können nicht zurück!“ Das blanke Entsetzen stand Amelia ins Gesicht geschrieben. Fest packte sie Kiera am Arm. „Dieser Mann. Er …“

„Connor, du meinst also, dass Charlotte ein böses Spiel mit dir gespielt hat?“ Vor Wut und Anspannung atmete Quinn schwer. Die beiden Brüder schlichen umeinander herum wie wilde Tiere. „Nun ja, was sie dir angetan hat, ist nichts im Gegensatz zu dem, was sie ihren eigenen Schwestern angetan hat.“

„Quinn, ich bitte Sie …“ Rot leuchtete Kieras Gesicht auf, als Connor nur kurz den Blick zu ihr schweifen ließ. Es war ihm egal, was Charlotte ihren Schwestern angetan hatte. Ihn interessierte nur, was sie ihm angetan hatte. „Es ist nicht nötig, dass Sie …“

„Und ob es nötig ist.“ Mit ausgestrecktem Zeigefinger zeigte Quinn abwechselnd auf Kiera, dann auf Amelia. „Ihre Schwester – ihr eigen Fleisch und Blut – hat ihrem Ehemann erlaubt, sie nach Natchez bringen zu lassen. Die gesamte Zeit über wurde Kiera in dem Glauben gelassen, dass in den Kolonien ein Ehemann auf sie warten würde. Ehemann? Ha! Als sie hier eintrafen, wartete nur der Besitzer eines Bordells auf sie.“

Connors Kiefer verhärtete sich. „Wie seid ihr in die Sache hineingezogen worden?“

Kurz schilderte Quinn die Ereignisse, die letztlich dazu geführt hatten, dass Kiera und ihre Schwestern aus den Fängen von Le Bonne befreit wurden.

„Bei der Rettung der Mädchen kam Mr Marchette tragischerweise ums Leben. Sie können einfach nicht zurück. Zumindest nicht, bis Mr Wainwright Licht in die Angelegenheit gebracht hat.“

Unschlüssig blickte Kiera von Connor zu Quinn und wieder zurück. „Habe ich nicht auch ein Wörtchen mitzureden?“

„Nein“, blaffte Quinn zurück.

Connor atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. Dann erst blickte er Kiera direkt an. „Miss Young, ich kann nicht leugnen, dass Ihre Anwesenheit mir großes Unbehagen bereitet. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, den Namen Charlotte Young nie wieder in meinem Leben hören zu müssen. Und jetzt soll ich auch noch Gastgeber für ihre Familienmitglieder spielen …?“

„Dann …“, setzte Kiera an, doch sie kam nicht weit.

Connor hob die Hand. „Es ist, wie es ist. Unter den gegebenen Umständen kann ich Sie und Ihre Schwestern auf keinen Fall zurück nach Natchez, geschweige denn zurück in den Blauen Reiher gehen lassen. Bis Mr Wainwright die Sache in Natchez geklärt hat, sind Sie auf Breeze Hill willkommen. Isabella wird sich um alles Weitere kümmern.“

Erst jetzt bemerkte Kiera, wie fest sie ihre Hände zusammengepresst hatte. Erleichtert nickte sie. „Ja, Sir. Vielen Dank.“

Mit einem letzten Blick auf Quinn drehte Connor sich um und verschwand. Mit schnellen Schritten lief er zur anderen Seite der Veranda und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war. Quinn starrte ihm nach. Sein Blick war genauso finster wie zuvor und sein Kiefer hart wie Stein.

Tränen sprangen Kiera in die Augen. Neun Jahre lang hatte Connor O’Shea darauf gewartet, wieder mit seinen Brüdern vereint zu sein. Neun lange Jahre der Trennung. Und innerhalb von wenigen Minuten hatte sie es geschafft, ihr lang ersehntes Wiedersehen zu ruinieren.


„Hier ist es. Ich hoffe ihr fühlt euch wohl.“

Isabella führte Quinn, Rory und Patrick in ein Zimmer, das die Größe ihres gesamten Hauses in Irland hatte.

„Es gibt gar keine Betten“, bemerkte Patrick.

„Das liegt daran, dass wir uns im Wohnzimmer befinden.“ Isabella zeigte auf zwei Türen. „Es gibt nur zwei Schlafräume. Ich fürchte also, dass ihr sie euch teilen müsst.“

Rory verschwand in einem der Schlafzimmer, Isabella geleitete Quinn in das andere, dicht gefolgt von Patrick. Der Geruch nach frisch verarbeitetem Holz lag in der Luft. Quinn drehte sich um die eigene Achse. Alles, vom Bett bis zu den Vorhängen, schien neu zu sein. „Das wurde erst vor Kurzem gebaut“, stellte Quinn fest.

„Vor einem Jahr hat ein Feuer diesen Flügel des Hauses zerstört. Dabei wurde mein Vater schwer verletzt. Vor allem Connor haben wir den Wiederaufbau zu verdanken. Er setzte ein weiteres Stockwerk auf. Darum haben wir so viel Platz für Gäste.“ Isabella zog die Vorhänge auf, um das blasse Licht des Wintermorgens hineinzulassen. „Zunächst war das untere Stockwerk für meine Schwägerin und ihr Baby vorgesehen. Doch nachdem sie William Wainwright geheiratet hatte, zog sie auf die Plantage der Wainwrights, etwa eine Stunde nördlich von hier.“ Sie lächelte. „Es war eine schwere Zeit. Für jeden von uns. Letzten Endes hat sich aber doch noch alles zum Guten gewendet. Und jetzt seid ihr hier.“

Zu gerne hätte Quinn gefragt, was mit Isabellas Bruder passiert war, doch er wollte nicht neugierig wirken.

„Wir haben Mr Wainwright getroffen“, rief Patrick ihr aus einer Ecke des Raumes zu, die er soeben erkundete. „Aber der war richtig alt.“

„Ja, das war Williams Vater.“

„Er hat Megan und ihren Schwestern dabei geholfen, von dem Bordell wegzukommen.“ Patrick nahm Anlauf und warf sich aufs Bett.

„Megan hat mir erzählt, dass die Frauen da nur …“

„Patrick, runter vom Bett. Du machst doch alles schmutzig mit deinen verdreckten Klamotten.“ Energisch griff Quinn nach dem Handgelenk seines kleinen Bruders und zog ihn hinter sich her, hinaus in den Vorraum. Ohne ihn loszulassen, blickte er zu Isabella. „Diese Räume sind ein wenig zu schön für uns. Gibt es nicht etwas anderes? Etwas Kleineres? Wir würden uns freuen, wenn wir in einer der Hütten vor dem Haus …“

„Nein, Quinn. Du, Rory, Patrick …“ Isabella trat einen Schritt näher und legte sanft eine Hand auf Quinns Arm. Flehend blickte sie ihn aus ihren dunklen Augen an. „… ihr gehört zur Familie. Was Connor in den letzten Jahren getan hat, diente alles nur dem Zweck, euch zu sich zu holen. Das ist nun auch euer Zuhause. Zumindest, bis der kleine Jonny erwachsen geworden ist. Bis dahin wird Connor jedoch Braxton Hall wieder aufgebaut haben …“ Isabella hielt kurz inne und kicherte dann verlegen. „Das wird wohl noch viele Jahre dauern. Bis dahin dürft ihr dieses Haus euer Zuhause nennen.“

Ein Zuhause? Wie würde Isabella wohl reagieren, wenn er ihr von seinen Plänen erzählen würde? Quinn würde keine Zeit haben, um sich in diesem Haus zu Hause fühlen zu können. So schnell es ging, würde er von hier fortgehen. Patrick versuchte, sich mit kräftigem Ziehen und Zerren aus Quinns festem Griff zu befreien. Kaum dass Quinn ihn losgelassen hatte, stürmte der Achtjährige davon, hinaus auf die Veranda. Seiner Gewohnheit folgend ging Quinn ihm nach, um ein Auge auf den Jungen zu haben.

Nun, da die Zeit gekommen war, würde er gehen können? Wer würde sich um Patrick kümmern? Würde er sich genauso verlassen fühlen wie Quinn damals, als Connor und Caleb ihn einfach im Stich gelassen hatten?

Missmutig wandte er sich ab. Er würde Patrick und Rory nicht im Stich lassen. Zumindest nicht so, wie Connor und Caleb es getan hatten. Im Gegensatz zu den beiden hatte er sie immerhin aufgezogen und sie um die halbe Welt begleitet, um sie sicher in die Obhut des ältesten Bruders zu bringen. Der ohnehin die Verantwortung hätte tragen sollen – auch damals schon.

„Patrick?“ Isabella hielt dem Jungen einen Eimer hin. „Würdest du so freundlich sein und diesen Eimer mit Wasser füllen? Neben der Küche befindet sich ein Wasserspeicher. Du musst also nicht bis zum Brunnen laufen.“

Patrick griff nach dem Eimer. „Klar.“

Während er die Stufen der Veranda hinunterhüpfte, trat Isabella an Quinn heran. „Ich möchte, dass du dich hier zu Hause fühlst. Und Connor wünscht sich das auch.“

Anstatt ihr zu antworten, stützte Quinn sich auf das Geländer und sog die frische Februarluft tief in seine Lungen. Lange blickte er auf den Hof, der von dem u-förmig gebauten Haus umgeben war. „Ich habe noch nie ein Haus wie dieses gesehen.“

Jedes einzelne Zimmer führte auf den Hof hinaus, der so früh im Jahr noch von vertrockneten Blättern und verwelkten Blumen bedeckt war.

„Das Haus zeugt von der spanischen Herkunft meiner Mutter. In den langen Sommermonaten wirst du dankbar für die Veranda sein. Egal wo du bist, du kannst einfach die Türen öffnen und manch kühle Sommerbrise genießen.“

Der Eimer, mit dem Patrick zurückkehrte, war nicht einmal halb voll. Das meiste hatte der Junge auf der Treppe verschüttet. Rasch griff Quinn danach und stellte den Eimer neben der Tür auf den Boden. Ungeduldig zog Patrick an Quinns Ärmel und zeigte auf die Ställe, die man zwischen den Bäumen hindurch erblicken konnte. „Ich habe Jack bei den Ställen gesehen. Kann ich zu ihm und den Pferden gehen?“

„Geh nur, aber bleib fern von Schwierigkeiten jeder Art. Hast du verstanden?“

„Ich pass auf ihn auf.“ Rory quetschte sich an ihm vorbei und lüftete im Vorbeigehen den Hut in Richtung Isabella. „Ma’am.“

„Wenn du mich entschuldigst, werde ich nun nach unseren anderen Gästen sehen.“ Schon wandte sich Isabella zum Gehen. „Wenn du Hunger hast – einfach der Nase nach. Martha hat einen wunderbaren Eintopf über dem Feuer.“

„Sie muss nicht …“ Beim Anblick von Isabellas hochgezogener Augenbraue hielt Quinn inne. Dann nickte er. „Vielen Dank, Ma’am. Ich sage den Jungs Bescheid. Patrick und Rory werden euch noch die Haare vom Kopf fressen, so viel kann ich versprechen.“

„Mach dir darum keine Sorgen. Zu gegebener Zeit werden die beiden schon das Ihre dazutun, um das Essen auf den Tisch zu bringen.“

Skeptisch ließ Quinn seinen Blick über die brach liegenden Felder gleiten. Nichts regte sich. Bis auf Jack, einen jüngeren Stallburschen und Marthas Summen, das leise von der Küche zu ihm herüberwehte, war alles still.

„Helfen wobei?“

Seine Schwägerin lachte. „Glaub mir. Ehe du dich versiehst, wird es mehr als genug Arbeit auf der Plantage geben. Sobald das Wetter es zulässt, wird Mr Mews zu pflügen beginnen. Und siehst du das Gebäude dort hinten?“ Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie in die Richtung, in die Connor zuvor verschwunden war. Aus der Ferne erkannte Quinn nicht mehr als ein Dach, von dem beständig Rauch in den Himmel stieg. „Das ist das Sägewerk. Den ganzen Winter über hat Connor Bauholz zugeschnitten, um es unten in Natchez verkaufen zu können. Es bleibt euch überlassen, wo ihr mitarbeiten wollt.“

Nachdem Isabella gegangen war, stand Quinn unschlüssig auf der Veranda. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch Quinn wusste weder, wohin er gehen, noch, was er tun sollte. Noch nie im Leben hatte er einen Moment ganz für sich allein gehabt. Den ganzen Tag über hatte er in den Minen nach Kohlen geschürft, bis der oberste Minenaufseher ihn als Lehrling in die Schmiede geschickt hatte. Obwohl die Arbeit dort heiß und nicht minder anstrengend war, befand er sich zumindest über dem Erdboden. Auch hier arbeitete Quinn verbissen vom Morgengrauen bis spät in die Nacht, doch wenigstens konnte er die Sonne auf- und wieder untergehen sehen. Quinn war sich sicher, dass Gott die Schönheit seiner Welt nicht gemacht hat, um tagein, tagaus vor ihr davonzulaufen.

Unbehagen beschlich ihn. Er war es nicht gewohnt, untätig herumzustehen, und so lief er los, um nach seinem Bruder Ausschau zu halten. Sein Weg führte ihn an den Weinhängen vorbei. Unter Stroh begraben schlummerten die Weinstöcke und warteten auf den Sommer.

Rory, Jack und der rothaarige Stallbursche führten gerade Mr Wainwrights Pferde auf die Weide. Wo war Patrick? Endlich entdeckte er ihn. Gemeinsam mit Kieras jüngster Schwester stand er neben einem rothaarigen Mädchen, das auf dem Boden kniete. Auf ihrem Schoß wand sich ein Welpe. Als Patrick sich neben sie setzte und das Mädchen ihm den Welpen überreichte, wusste Quinn, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Für den Rest des Tages würde Patrick mit dem Welpen beschäftigt sein.

In der Nähe lag ein Gemüsegarten. Während die meiste Fläche brach lag, wuchs in manchen Reihen grünes Wintergemüse – Kohl, Wirsing und Steckrüben. Um es vor den kalten Temperaturen zu schützen, hatte man es ebenfalls mit Stroh bedeckt.

Quinn schritt einen Weg entlang, der an den Holzhütten vorbeiführte, die er schon von der Veranda aus gesehen hatte. Die meisten von ihnen waren unbewohnbar. Scheinbar hatte sich lange schon niemand mehr darum gekümmert. Dann bog er auf den mit Bäumen gesäumten Weg ab und schlenderte in Richtung des Sägewerks.

Als er wieder aus dem Schatten der Bäume trat, blickte er auf aufeinandergestapelte Holzstämme, die zum Aushärten in der Sonne lagen. Niemand schien sich hier aufzuhalten.

Auf demselben Weg, den er gekommen war, kehrte Quinn zurück. Bei der Schmiede hielt er kurz inne. Die Hütte war schlicht. An beiden Seiten befanden sich Türen, die sich weit aufstoßen ließen. Im Sommer konnte man sie öffnen, um ein wenig Durchzug zu schaffen, im Winter geschlossen halten, um die Wärme im Inneren zu bewahren. Von dem, was Quinn bis jetzt vom Winter auf Breeze Hill mitbekommen hatte, konnte er sich kaum vorstellen, dass die Türen jemals geschlossen werden mussten. Dennoch waren sie zu.

Leise knarzten die Türflügel, als er sie weit genug aufzog, um hineinschlüpfen zu können. Alles war still. Ein paar Motten, die er durch sein Eintreten aufgescheucht hatte, flogen wild durch die Gegend.

Quinn schaute sich in der Schmiede um und hob ein paar der herumliegenden Zangen auf. Schweigend balancierte er sie in seiner Hand und überprüfte ihr Gewicht. Hämmer in sämtlichen Größen und Formen hingen aufgereiht an den Wänden. Auf einem Haufen in der Ecke stapelten sich kaputte Eisenteile und Werkzeuge – Schaufeln, ein Beil, Spitzhacken und Haken.

Eine von Motten zerfressene Lederschürze hing an einem Haken neben der Schmiedeesse. Daneben baumelten zwei ähnlich abgenutzte Handschuhe. Vorsichtig ließ er die Hand über das Leder gleiten. Es war hart und brüchig. Die Schmiede schien seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden zu sein. Quinn starrte verwundert auf die viele Arbeit, die sich vor ihm auftürmte.

Vom Boden klaubte er ein Stück Eisen auf, das nicht viel größer war als beide seiner Handflächen zusammen. Irgendjemand hatte damit begonnen, ein Ende zu plätten, um eine Hacke herzustellen. Die Arbeit wurde jedoch nie beendet. Mit einem guten, heißen Feuer würde Quinn nur wenige Stunden brauchen, um all die Arbeit fertigzustellen.

Allerdings würde er einen Assistenten brauchen. Vermutlich könnte er Rory oder Patrick beibringen, den Blasebalg zu bedienen.

Vielleicht …

Er ließ das aufgehobene Stück Eisen auf den Tisch fallen. Laut klang der Aufprall in der Stille wider. Was dachte er sich nur? Er würde nicht lange genug auf Breeze Hill bleiben, um die Schmiede wieder zum Laufen zu bringen. Lange bevor auch nur eine Hacke auf dem Feld gebraucht werden würde, würde er bereits über alle Berge sein. Und wenn es so weit wäre, würde Connor einfach einen Schmied einstellen, der diese Arbeit erledigte.

Um endgültig seiner Freude über die Arbeit mit Eisen den Deckel aufzusetzen, drehte Quinn sich um und ging entschlossenen Schrittes aus der Schmiede. Auf dem schnellsten Weg lief er zurück zur Scheune, wo er Patrick zum letzten Mal gesehen hatte.

Das Haus hinter den Magnolienblüten

Подняться наверх