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Erlauben Sie mir einleitend einige Worte dazu, wieso Sie dieses Buch lesen sollten. Texte zu verstehen, das haben Sie doch schon in der Schule gelernt. In der Tat: Das Deutschabitur haben Sie bestanden. Gegenstand der Prüfung war unter anderem ein Auszug aus Fontanes Effi Briest, der Roman wurde im Unterricht gelesen, schülergerecht aufbereitet, der Lektüreschlüssel hat die letzten Unklarheiten beseitigt und der neueste „Abiturtrainer Deutsch“ hat sein Übriges getan, um zu einem Erfolg in der Prüfung beizutragen. Der Deutschunterricht ist damit abgeschlossen.

Nach einigen Monaten nun beginnen die ersten Kurse an der Uni – Vorlesungsstart im Fach Rechtswissenschaften – und der Dozent behauptet gleich in der ersten Stunde, es gebe neben Goethes Faust und dem Nibelungenlied noch ein weiteres herausragendes Werk der deutschen Literatur: das BGB. Im Allgemeinen sei seine Sprache jedoch äußerst abstrakt, das Gesetz selbst wortkarg, von der Rechtsprechung vielfach anders verstanden als von der Wissenschaft, mit Blick auf den Sinn und Zweck einzelner Normen teleologisch zu reduzieren und ohnehin bestehe der Schwerpunkt der juristischen Tätigkeit in der „Auslegung“ des Gesetzes. Dem Geschichtsstudenten ergeht es wahrscheinlich nicht viel anders, wenn er erstmals Bismarcks „Blut-und-Eisen-Rede“ vor dem preußischen Abgeordnetenhaus untersucht, und auch der Philosophiestudent wird sich bei der Durchdringung der Camus’schen Romane oder der Sartre’schen Transzendenz des Ego in den Deutschunterricht zurückversetzt fühlen, der ihn mit ähnlichen literarischen Texten vertraut machen sollte. Von dieser Erfahrung mögen schließlich auch der Politikwissenschaftler, Linguist oder Theologe berichten, denn ihnen allen ist eines gemein: Sie beschäftigen sich im Studium und im Beruf mit Texten und haben Fontanes Effi Briest vielleicht längst vergessen.

Das wäre zwar durchaus schade, für den Erfolg im Studium aber nicht weiter schädlich, wenn nur die Essenz geblieben ist: die Fähigkeit, sich methodisch sicher jeden beliebigen Text zu erschließen. Problematisch ist dagegen, dass der Deutschunterricht, der den Schüler zu einem Studium befähigen soll, das den Umgang mit Texten wie selbstverständlich voraussetzt, bei vielen Schülern sein Ziel nicht erreicht – und das trotz des bestandenen Abiturs. Das mag etwa daran liegen, dass das Ziel des Deutschunterrichts weit über das hinausgeht, was in der Abiturprüfung für den Schüler tatsächlich relevant wird. Denkbar ist aber auch, dass der Deutschunterricht aufgrund seiner stofflichen Begrenzung den einzelnen Schüler nicht so ansprechen kann, wie es erforderlich wäre. Wer sich für das Verständnis von Schillers Räubern nicht sonderlich interessiert, sich aber mit Begeisterung der aristotelischen Glücksphilosophie widmen würde, der wird aller Voraussicht nach erst im Philosophiestudium die Motivation aufbringen, die zu einer Auseinandersetzung mit der Analyse und Interpretation (zusammenfassend: TexterschließungErschließen) notwendig ist. Zuletzt, doch von nicht minderer Bedeutung, ist da noch der Auslandsaufenthalt in Neuseeland, Kanada oder den USA – eine willkommene Abwechslung nach dem Schulabschluss –, der ganz andere Eindrücke und Herausforderungen brachte und das Wissen um die Erschließung von Texten möglicherweise in den Hintergrund rückte. Nach der Rückkehr aber fängt der Ernst des Lernens wieder an und das Problem fehlender Analyse- und Interpretationsfertigkeiten wird im Studienalltag spürbar. Tag für Tag sind in Vorlesungen und Seminaren Texte zu bearbeiten, und das Problem erfordert eine alsbaldige Lösung, zumal es im Studium nicht bei der bloßen Analyse und Interpretation von Texten bleibt.

Denn die Wissenschaft lebt vom Streit. Es wird etwa gestritten um die Auslegung einer europäischen Richtlinie oder den Begriff der Tugend, um die Erklärung kosmischer Phänomene in der Physik, um das Wesen und die Funktionsweise von Systemen in der Soziologie und sogar um die Person Jesu Christi unter dem Namen der Christologie. Der Student muss das weite Meinungsspektrum nicht nur überblicken, sondern dazu Stellung nehmen und seine eigene Meinung bei Vorträgen, in Hausarbeiten, Fachaufsätzen und möglicherweise in seiner Doktorarbeit behaupten und verteidigen. Die Grundlagen hierfür schafft wiederum der Deutschunterricht, der mit der Aufsatzgattung der Erörterung die Basis eines jeden wissenschaftlichen Meinungsbeitrages liefern soll. Daher ist es nicht nur für Studierende der Textwissenschaften, sondern auch in allen anderen Studiengängen von Bedeutung, sich auf die im Deutschunterricht vermittelten Basics zu besinnen.

Wenn Sie zu diesem Zwecke nun auf Ihre alten Schulbücher zurückgreifen, werden Sie schnell feststellen, dass diese von vornherein nur dem schulischen Lernziel verpflichtet sind und daher sowohl thematisch als auch methodisch nicht auf das abgestimmt sind, was Sie als Student erreichen wollen. Das Abitur haben Sie schon. Jetzt wollen und müssen Sie eine Doppelbelastung aus fachlichem Studium und der Wiederholung grundlegender methodischer Fähigkeiten vermeiden, die Sie zudem an den Erwartungshorizont im Studium anpassen müssen. Und das Studium ist insoweit gnadenlos: Es überhäuft den Neuling gleich zu Beginn mit einer ganzen Flut an fachspezifischem Wissen. An die im Deutschunterricht zu erwerbenden Fähigkeiten knüpft es bloß noch an; sie gelten als vorhanden. Dass Sie sie nach dem abgeschlossenen Deutschunterricht so schnell wieder benötigen, mag Sie vielleicht überraschen – und wieso auch nicht? Denn einen Eignungstest, wie er für Mediziner existiert und der Ihnen bewusst machen könnte, wie Sie sich auf das Studium am besten vorbereiten, gibt es für Juristen, Historiker, Politologen, Theologen und Philosophen nicht. Und auch den vorlesungsbegleitenden Kurs „Texterschließung und Argumentation“, der Sie für die tägliche Textarbeit in Ihrem Studienfach fit machen könnte, werden Sie zumeist vergeblich suchen. Sie brauchen daher ein Lehrbuch, das Ihnen in knappen und klaren Darstellungen aufzeigt, wo und wie Sie den Inhalt des schulischen Deutschunterrichts in Ihrem Studium umsetzen können müssen. Diese Darstellungen will ich Ihnen mit diesem Buch geben.

Analysieren, Interpretieren, Argumentieren

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