Читать книгу Unendliche Energie - Patrick Bock - Страница 6

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Kapitel 2

Kaleos, der 8. Tag, grüne Sonne

Mond: Ataris

„Verdammtes Aas. Bleib endlich stehen“, schrie ein junges rothaariges Mädchen über den gesamten Marktplatz. „Ich habe nur gesagt, dass du verdammt stolz darauf sein kannst, zu einer Heilerin ausgebildet zu werden. So kannst du deine starken Leylinien für die Gesellschaft nutzen“, antwortete ihr daraufhin ein junger dürrer Mann, der vor dem rothaarigen Mädchen davonlief, was ihm sichtlich schwer fiel in seiner blaugrünen Robe. Dennoch schien er gut voran zu kommen, als auch schon ein Stein so groß wie einer dieser Lederbälle dem jungen Mann entgegenflog. „Ich will aber ein Ritter werden. Keine blöde kleine Heilerin, die Tempelböden schrubbt, Kerzen entzündet und sich das Gejammer der anderen anhört. Und du als mein Bruder solltest mich lieber unterstützen, DU, DU, du blöder dürrer Zweig!“ Der Stein traf und brachte den jungen Mann sofort zu Fall. Sein Sturz war so heftig, dass er noch gut einen Meter über den staubigen Boden rutschte und reglos liegen blieb. Das rothaarige Mädchen blieb neben ihm stehen, beugte sich über ihn und fing auf einmal an zu weinen. „Ich will doch nur mehr können als Heilen. Ich könnte so viel tun für unser Dorf. Nur weil ich ein Mädchen bin, darf ich nicht. Du bist wenigstens an der magischen Akademie in der Stadt aufgenommen worden.“ Sie schluchzte. „Du Idiot. Kannst du mir nicht helfen, ein Junge zu werden? Du kannst doch Zaubern.“ Tränen liefen ihr über die Wange und Tropfen für Tropfen fand ihren Weg zum staubigen Boden. Das rothaarige Mädchen setzte sich neben den bewusstlosen jungen Mann hin und schaute sich mit Tränen in den Augen und mit beinahe schon konzentrierter Ruhe die große Beule und das Blut an, das aus ihr herausrann. Der junge Mann atmete flach, regte sich aber sonst nicht. „Ich kann doch schon Heilen“, sagte sie leise und berührte den Kopf des jungen Mannes, sammelte ihre inneren Kräfte und gab sie dann als einen weißblauen Stoß reiner Energie wieder ab, direkt in den Kopf des Mannes. Die Energie waberte über den Kopf des Mannes, bevor sie in seine Wunden eindrang und die Wunde am Kopf zu bluten aufhörte und sich ganz langsam schloss. Das ausgetretene Blut floss plötzlich rückwärts wieder in den jungen Mann hinein und selbst das Blut, das bereits damit beschäftigt war, in den staubigen Boden zu versickern, lief Dank der weißblauen Energie gereinigt wieder in den Körper zurück. Die Beule verschwand mit jeder Sekunde, die das rothaarige Mädchen die weißblaue Energie in den Kopf des Mannes hineinsickern ließ. Langsam ließ sie die Energie über den ganzen Körper strömen und sofort verschwand jede noch so kleine Schürfwunde, die sich beim Sturz aufgetan hatte. „Siehst du“, sagte sie ganz leise, beinahe schon gehaucht. „Ich kann heilen, Tyrnon.“ Ihre immer noch in weißblaue Energie getauchte Hand schwebte langsam zu Tyrnons Brust und verharrte einige Sekunden über dieser, bevor sie sich langsam auf die Brust legte und das Leuchten der Energie verschwand. So blieb das rothaarige Mädchen eine Weile sitzen und wartete darauf, dass ihre Tränen zu fließen aufhörten. Noch völlig in Gedanken versunken erschrak sie dann, als ein Mann in einer silberglänzenden Rüstung sie an der Schulter berührte. Der Mann war groß und hatte schwarzes lockiges Haar. Seine Augen strahlten eine große Milde aus und hatten einen freundlichen Farbton. Dann griff er an ihr vorbei und packte sich den jungen, immer noch bewusstlosen Mann und warf ihn sich über die Schulter. „Lass uns nach Hause gehen, Tyrna. Dein Bruder braucht ein besseres Bett als den staubigen Boden unserer Hauptstraße.“

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Daheim angekommen zog sich Tyrna erst mal um. Ihre Klamotten waren total verstaubt und dreckig. Hätte sie sich bloß nicht unter dem Zaun des kleinen Tempels im Dorf gequetscht und war mal wieder abgehauen. Die Tatsache, dass sie kein Ritter wie ihr Vater werden durfte, obwohl sie das Potenzial dafür hatte, deprimierte sie von Tag zu Tag mehr. Nächte lang hatte sie nur geweint wegen dieser „Tatsache“. Aber immer, wenn die Tränen Überhand nehmen wollten, hatte sie Edward wieder getröstet und ihr Mut gespendet. Ihr kleiner treuer Freund Edward. Es war ein Segen der Sonne, wie Tyrnas Mutter einst zu ihr sagte, als das Flekon-Baby sich von ihr aufpäppeln und großziehen ließ, nachdem sie es im Wald gefunden hatten, halb verhungert und völlig schutzlos am Boden kauernd. Nach vielen Diskussionen über einen passenden Namen nannten sie das kleine Flekon-Baby nach Tyrnas Großvater Edward. Alle waren sich einig, dass das kleine Flugtierchen genauso zäh war, wie er es einst gewesen war. Ihr Großvater, den alle für einen Idioten gehalten hatten, weil er den Rekrutierungsbescheid zum Ritter ignoriert hatte und lieber ein ruhigeres Leben führen wollte, statt als Ritter für Land und Krone das Sternenmeer zu bereisen oder den Kampf gegen anderen Länder oder Räuber aufzunehmen. Ganz zu schweigen von den Privilegien die ein Ritter erhielt. Für ein ruhiges Leben hatte er jeden Spott in Kauf genommen und die Arbeit als Feldbauer genossen. Nachdem er jedoch eines Tages Luftpiraten mit nur einem Wink seiner Hand aus dem Dorf gejagt hatte, wurde er als Held und weiser Mann gefeiert, der sich nur geweigert hatte, Ritter zu werden, um seine Heimat zu verteidigen. Im hohen Alter von 75 Jahren hatte er Tyrna erzählt, die von nichts Anderem als vom Ritterturm träumen konnte, dass Ritter sein nicht alles wäre. Man könne seine inneren Kräfte auch mit harter Arbeit und viel Disziplin verbessern und so im Herzen ein Ritter werden. Nach dem Tod ihres Großvaters und der Rekrutierung ihres Bruders zum Magier kam in Tyrna jedoch wieder der Drang auf, mehr haben zu wollen. Und so dauerte es nicht lange, bis man bei ihr das gleiche Talent wie bei ihrem Großvater und Vater erkannte und sie im Schrein der Sonne aufgenommen wurde, um zur Heilerin ausgebildet zu werden. Die Übungen als Heilerin fielen ihr nicht schwer und sie wäre bereits viel weiter in ihrer Lehre, wenn sie nicht fast jedem Unterricht fernbleiben würde. Ihr inneres Feuer und der Drang, eines Tages als mächtigster Ritter an der Seite einer ganzen Armee in die Schlacht für Krone und Heimat zu reiten, wurden immer stärker. So stark, dass ihr Vater beschlossen hatte, sie zum Tempel in die königliche Stadt zu schicken. Weit weg von ihrer Familie und allem was sie ablenken könnte.

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Die Wochen vergingen und Tyrna lernte unter der Aufsicht der Ersten Priesterin die Kunst der Heilung und die Suche nach der inneren Ruhe. Ein Tagesablauf glich dem anderen und wurde für Tyrna schnell langweilig. Tyrna hatte wie alle anderen auch die Aufgabe Fische zu heilen, die Fischer durch ihre Arbeit verletzten. Bereits zwei Wochen dauerte diese Übung an und Tyrna war drauf und dran, den Verstand zu verlieren.

Nicht nur, weil der Fisch sehr streng roch und einige der Fische bereits einen modrigen Geruch aussandten, sondern auch weil sie diese Übung in ihrer Länge für totale Zeitverschwendung hielt. Sie war gut, das wusste auch die Priesterin. Andere quälten sich mit einfachsten Heilungen ab, während es für Sie spielend leicht war, und dennoch war die Priesterin genauso wenig mit Tyrna wie mit den anderen zufrieden. Die Hohe Priesterin ermannte Tyrna, dass nicht nur das Leiten der Energie, sondern auch die Genauigkeit bei der Heilung eine sehr große Rolle spiele und sie sich in Geduld üben solle, um sich mehr zu konzentrieren. Sie hatte daraufhin der Hohepriesterin vorgeworfen, dass sie sich selbst in ihrer Macht einschränke und doch ein genauso guter Magier sein könne wie die ganzen Roben Träger im Magierturm. Nur ihr Geschlecht würde das verhindern und sie wäre dumm, dass sie sich so in die Schranken weisen ließ. Zur Strafe durfte sie die Latrinen putzen. Eine der milderen Strafen, die Tyrna in ihrer Zeit für jeden weiteren Wutausbruch und Aufmüpfigkeit erhalten hatte. Nach der sechsten Strafe drohte man ihr sogar mit der Auslöschung ihrer Emotionen, was ihre Aufmüpfigkeit im Keim erstickte.

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„Vater?“ sprach Tyrna ihren Vater auf dem Weg nach Hause an „Was ist Tyrna?“ Tyrna schaute auf ihre Füße, den ihren Vater in die Augen schauen oder sich den schlafen Körper ihres Bruders angucken konnte sie nicht. „Ich finde unsere Gesellschaft Unfair. Ich finde die Hohe Priesterin unfair. Sie weiß wie gut ich bin. Dennoch hält sie mich klein. Ich könnte viel nützlicher sein, wenn ich genau wie die ein Ritter wäre.“ Tyrnas Vater sagte nichts. Sein Blick schaute zum Stadtrand hinaus. „Weißt du Tyrna. Dein Großvater dachte es wäre besser ein Bauer zu sein als ein Ritter. Was stimmt den jetzt Tochter?“ Darüber musste Sie erstmal nachdenken.

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Kaleos der 11. Tag, grüne Sonne

Mond: Ataris

„Eine wunderbare Erkenntnis, sage ich euch. Wenn ihr mit vollen Segeln über das Meer rauscht, das salzige Wasser am Bug eures Schiffes regelrecht in zwei Hälften geschnitten wird, als ihr plötzlich mit einem einzigen Satz die Fluten verlasst und euch in die höchsten Höhen unseres Mondes begebt. Ihr spürt, wie die Luft dünner wird und ihr glauben müsst zu erfrieren, bevor der magische Schutz sich um das Schiff legt und eine warme Meeresbrise eure müden und kalten Knochen wieder in Bewegung bringt. Und genau dann werdet ihr euch bewusst, dass ihre eure Heimat, den Mond Ataris, hinter euch gelassen habt und in das Sternenmeer eingetaucht seid. Ein Meer, das so schwarz ist wie die Seele eines Meuchelmörders. Ihr seht nur endlose Weite, unsere hellstrahlende Sonne und die kleinen und großen Inseln des Sternenmeers, die so weit entfernt sind, dass sie noch keiner bereisen konnte. Ihr seht die anderen Monde und den prachtvollen Planeten Atlantis. Der Weg zu diesen gewaltigen Planeten hat schon so viele tapfere Männer das Leben gekostet. Und wieder sprach ich die Worte, die ich hier in unserer schönen Stadt gelernt hatte und ein starker Nordwind erfasste die Segel und trieb uns vorwärts. Unser Ziel war Para. Seine weiten Steppen, die steilen Klippen, rauschende Wasserfälle, grüne Wälder mit Stämmen aus schwarzem Holz und die vielen kleinen Flüsse bieten einfach zu wenig Platz, um ein so prachtvolles Schiff wie die Nebulus Primus Magnifikat sanft und vorsichtig in dieser Fremde zu landen. Aber wir hatten vom König persönlich den Auftrag erhalten, die geheimnisvollen blauen magischen Lampen zu ertauschen, damit unsere prunkvolle Stadt nicht durch die offenen Feuer unserer Laternen einem weiteren schlimmen Brand zum Opfer fällt. Wir waren bereit, alles zu tun, um an diese Lampen zu kommen. Unser Schiffslager war voller Gold, als wir an dem bakaranischen Trümmerfeld entlang segelten und einen Zwischenstopp auf Triton wagten. Wer von euch diesen wasserüberfluteten Mond schon einmal erblickt hat, weiß, dass er für einen alten Seebären ein wunderbarer Traum ist. Man kann kilometerweit mit seinem Schiff segeln, bis man an eine kleine Insel stößt, die gerade groß genug ist, um seinen Rumrausch auszuschlafen. Ein wunderbarer Mond mit vielen Geheimnissen und der endlosen friedlichen und erbarmungslosen See. Wir gingen runter und setzten mit vollen Segeln auf dem Meer auf. Wir hatten den Ort unserer Begierde schon längst aus den Wolken gesichtet. Neu-Stausee, die Stadt, die in Wirklichkeit ein einziger riesiger Staudamm auf Tritons größter Insel ist. Beim Anlegen zählten wir sieben weitere Schiffe, doch keines sah auch nur im Entferntesten unserem ähnlich. Da waren die mit Kohle und Öl betriebenen Stahlschiffe der Kaufleute von Triton, die kleinen, aus Schrott zusammen genagelten Stahlsegler der ärmeren Bewohner, die Solarsegler der Bewohner von Derun. Diese Pflanzenschiffe sollen angeblich aus einem einzigen Samen geformt worden sein. Für mich sehen die immer aus, als hätten die Wilden einen Baum gefällt und reiten diesen wie einen wild gewordenen Stier über das Sternenmeer. Wir vertäuten also unseren schönen Segler und gingen von Bord, um unsere Vorräte aufzustocken. Die Leute dort waren zu Reichtum gekommen, weil so viele Händler dort andockten, aber man findet immer etwas was man mit ihnen tauschen kann. Und wenn es die Liebe einer Frau gegen ein paar Goldstücke ist. Har har har. Wir verbrachten also drei Stunden in diesem aus Stein, Glas und Stahl erbauten Haus, bevor wir aufbrachen. Die Leute von dort freuen sich immer, wenn wir ihnen Wolle mitbringen. Schließlich fressen Schafe ja Gras und nicht Wasser. Die wussten noch nicht mal, was Wolle ist, bevor wir kamen und ihnen die prachtvollste Wolle von ganz Ataris brachten. Wenn man so viel gereist ist wie ich, glaubt man irgendwann, dass man auf Ataris die einzige richtige Zivilisation findet. Nur die Leute von Vulkan scheinen noch zivilisiert zu sein, dafür verpesten sie ihren Mond mit stinkender Kohle und mit der Verbrennung von übelriechendem Müll. Ich dachte einst auch, dass die Wilden von Derun zivilisiert seien, aber die wissen ja nicht mal, was richtige Kleidung ist. Die laufen da alle halb nackt rum. Man fühlt sich beinahe wie in einem AMÜSIERLADEN. JA HAR HAR HAR. Doch dann geschah es. Wir verließen diese Staudamm-Stadt und wollten wieder zu unserem Schiff, als uns ein paar von diesen tritonischen Ölpiraten auflauerten. Ein heftiger Kampf entbrannte. Ich zog mein Rapier und meinen Langdolch und tötete sofort drei ihrer Männer, indem ich jedem von ihnen mein Rapier über die Brust zog und ein dickes Loch mit meinem Dolch hinterher bohrte. Sie stürzten zu Boden wie kleine armselige Schmeißfliegen. Wir waren nur zwanzig Mann und die waren mindestens sechzig. Doch wir Ataraner wissen zu kämpfen. Schließlich haben die minderen Völker keine Ahnung von Kampfkultur. Und so töteten wir einen nach dem anderen. Ihr Blut drang schon tief in die Planken des Piers ein und färbte das einst helle Holz dunkel. Die Leichen traten wir ins Wasser und lockten so die Haie an, damit diese elendigen Piraten wenigstens im Tod etwas Nützliches tun konnten. Ich war nur einen Moment nicht aufmerksam genug, da stach mir doch so ein ölverseuchter Pirat sein Messer in die Seite. Ich schrie auf und spaltete ihm sofort den Schädel als Antwort auf seinen Angriff. Das Blut rann mir aus der Seite und färbte meine Uniform tief dunkelrot. Unter Schmerzen kämpfte ich mich weiter zum Schiff vor und tötete dabei noch vier weitere krähenverfluchte Ölpiraten. Ein Blick ließ mich schnell erkennen, dass noch zu viele dieser Bastarde am Leben waren und ich beschwor einen gewaltigen Blitz herauf und ließ ihn von Feind zu Feind springen, damit er ihre Seelen zu Asche verbrannte. Bei einigen dieser Feiglinge traten bereits die Augen hervor, doch ich ließ nicht locker und beschwor immer mehr Blitze herauf und ließ sie den Tanz des Todes tanzen. Einige der Ölpiraten fingen Feuer, aber meine Männer waren bereits zur Stelle, um ihnen beim Löschen zu helfen, indem sie diese Ölqualen ins haiverseuchte Wasser traten. Der Kampf endete mit zwanzig nicht mal ins Schwitzen geratenen Ataranern zu null Ölsardinen. Wir hatten gesiegt und nur kleine Wunden davongetragen. Ohne mit der Wimper zu zucken, so als wäre nichts geschehen, luden wir unsere Vorräte auf und machten uns weiter auf den Weg nach Para. Unser erster Offizier Ritter Marun beschwor wieder den magischen Schutz herauf und ließ heilende Energie durch sich hindurchfließen, damit wir wieder zu Kräften kamen und diese kleinen nervigen Wunden loswurden. Weitere fünf Tage vergingen, als wir durchs Sternenmeer segelten, ohne dass wir den Gefahren des schwarzen Nichts begegneten. Es ist eine Sache, ob man durch das endlose Nichts segelt, keine Fische um einen herum sieht oder ob man von den Gefahren des schwarzen Nichts angegriffen wird. Sie sind wie lebendige Alpträume, die ihre Knochen außen tragen und nicht durch ein Aufwachen aus dem Traum zu vernichten sind. Nein, sie können dir die Eingeweide herausreißen, dir so grauenvolle Schmerzen bereiten, dass dir die Schreie ausgehen werden und deine Seele nach dem Tod verlangen wird. Es wurde also Zeit zu landen und unsere Waren, das königliche Gold, gegen die magischen Lampen zu tauschen. Wir steuerten Para an. Der gewaltige Wasserfall, der sich in die Felsspalten im Norden des Mondes gefressen hatte, war unser Ziel. Wir verlangsamten unser Schiff bei der Landung aber nicht, sondern flogen direkt auf den Wasserfall zu. Der Wind peitschte uns ins Gesicht und hinterließ dort, wo er auftraf, rote Striemen. Wir flogen direkt auf den Wasserfall zu. Unser Schiff ächzte unter der gewaltigen Belastung, doch die Nebulus Primus Magnifikat ist kein gewöhnliches Schiff, Nein, sondern das beste Schiff unserer fantastischen Heimat. Mit einem riesen Aufprall schlugen wir auf dem Wasser auf und segelten vom Wasserfall weg. Die uns zurückziehende Strömung verhöhnten wir und legten daraufhin bald am Hafen der stolzen Stadt am Endersee an.“ Der Kapitän verstummte und trank einen Schluck von seinem Bier. Tyrna saß mit ihrem Bruder in einer Ecke der Kneipe und hörte gespannt den Abenteuern von Kapitän Ramirez zu. Ihre Gedanken schweiften in die Welten, die der Kapitän beschrieben hatte, ab und sie sah sich selbst im Krähennest stehen, den Wind des Meeres im Haar und nach Feinden Ausschau haltend. „Kapitän? Alles okay?“, fragte Ritter Marun, als er bemerkte, wie der Kapitän gedankenverloren auf seinen Humpen Bier schaute „Ja. Mir geht es gut. Zeit wieder aufs Schiff zu gehen.“

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Kaleos, der 22. Tag, rote Sonne

Mond: Ataris

Die Sonne ging an diesem Morgen in ihrer wunderbaren roten Pracht am Himmel auf. Man konnte förmlich die Kraft spüren, die sie ausströmte. Die Stärke und das Gefühl, alles zu schaffen, der >>BESTE<< zu sein. Tyrna war ganz früh aufgestanden und hatte sich einen kleinen Rucksack mit ihren Sachen gepackt. Sie schlich sich aus dem Tempel und marschierte im Schatten der Häuser zum Hafen. Kapitän Ramirez hatte sie mit seinen Geschichten über die Welten außerhalb ihrer Heimat Ataris stark begeistert und das innere Feuer wieder entfacht, das vor langer Zeit auf Sparflamme gestellt worden war. Sie wollte einfach mehr sein als nur eine kleine Heilerin, die in einem Tempel versauerte. Tyrna schlich von Pier zu Pier und suchte das Schiff des Kapitäns. Noch müsste es vertäut im Hafen liegen. Nach etwa zehn Minuten wurde sie fündig. Sie lief leise die Planke hinauf und schaute schnell aufs Deck. Keiner war zu sehen, die Matrosen mussten noch schlafen oder von Bord sein. Noch bevor jemand überhaupt merken konnte, dass jemand aufs Schiff gekommen war, sprang Tyrna durch die Lucke des Lagerraums ins Innere des Schiffes. Ihr Aufprall war nicht so weich, wie sie es sich erhofft hatte. Sie landete auf zwei Holzfässern und versuchte sich an einer Öllampe festzuhalten, als sie drohte von diesen noch weiter in die Tiefe zu rutschen. Die Öllampe rutschte jedoch vom Haken und schlug Tyrna gegen den Kopf, ihr wurde schwarz vor Augen. Alles was sie in diesem Augenblick noch mitbekam, waren die Rufe eines Matrosen. Das Schiff stach in See. Als sie wiedererwachte, konnte sie einen schwarzen Himmel sehen. Es muss Nacht sein, war ihr erster Gedanke. Ihre Augen blickten zum Himmel hinauf, doch ihr Verstand schien immer noch vom Schlag auf den Kopf benommen zu sein. Ihr Blick schwankte nach rechts. Die Öllampe lag neben ihr. Sie lag eingeklemmt zwischen zwei Fässern und verströmte weiterhin ihr warmes Licht. Tyrna drehte sich wieder zurück zum Himmel. Langsam nahm sie die Konturen eines Lochs wahr und da dämmerte es ihr plötzlich. Sie war auf dem Schiff von Kapitän Ramirez in eine Luke hineingesprungen und bewusstlos geworden. Tyrna sprang auf die Beine und versuchte zur Luke hinauf zu klettern, was sich als schwieriger herausstellte, als sie gedacht hatte. Ihr Blick fiel auf einen der Stützbalken, an dem vor kurzem etwas gehangen haben musste, die Öllampe vielleicht. Sie bahnte sich einen Weg zum Balken, kletterte ihn gekonnt hinauf und steckte den Kopf aus der Luke, um sich etwas umzuschauen. Noch bevor sie den Kopf ganz aus der Luke hatte strecken können, wurde sie von einer muskulösen Hand am Kragen gepackt und nach oben gezogen. „Na, was haben wir den da Feines. Ein kleines Mädchen, das sich verirrt hat?“ „Lass mich los, du Riesenidiot. Na mach schon. Dann zeig ich dir, wer das kleine Mädchen ist.“ „Das kleine Mädchen ist meine Schwester“, sagte ein junger Mann, der vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein musste und den der Stimmbruch anscheinend vergessen hatte. „Ty-Tyr-n-non?“, stammelte Tyrna. „Ja. Der bin ich. Dein Bruder. Und ich bin der neue Schüler von Kapitän Ramirez. Und die Männer werden nicht begeistert sein, dass sich eine Frau auf ihrem Schiff herumtreibt. Ich werde gleich mit dem Kapitän sprechen, dass wir umkehren, um dich abzusetzen.“ „Das wird nicht möglich sein, Zauberlehrling. Wir sind schon zu weit gesegelt. Wir müssten neuen Proviant laden. Wir wären somit zu stark unter Zeitdruck. Deine Schwester wird wohl mitfahren müssen“, widersprach Ritter Marun. Er hatte sich zu Tyrnon gestellt, ohne dass ihn jemand bemerkt oder gehört hatte, was eine beeindruckende Leistung war, da Ritter Marun in einer massiven Plattenrüstung steckte. „Der Kapitän weiß schon Bescheid. Gebt der Kleinen einen Wischmopp und Wasser. Sie soll das Deck schrubben und nachher beim Kartoffelschälen in der Kombüse helfen. Wenn sie was essen will, muss sie es sich verdienen. Komm, Zauberlehrling. Deine Lehrstunde hat vor drei Minuten angefangen.“ Das war auch schon alles, was Tyrna zu hören und von ihrem Bruder für die nächsten fünfzehn Tage zu sehen bekam. Ab und zu sah sie ihn am Steuer des Schiffes oder Zauberformen rezitieren. Aber das waren seltene Momente und weit weniger als flüchtige Blicke. Sie fühlte sich sehr einsam. Niemand sprach mit ihr. Eine Ausnahme bildete Ritter Marun, wenn er ihr neue Arbeit gab. So hatte sie sich ihr neues Leben nicht vorgestellt. Holzböden schrubben, Kartoffeln schälen, Latrinen putzen und Kleider waschen. Niemand sagte ihr, wann es Essen gab und wo sie schlafen durfte. Also aß sie immer alleine, bevor sie das Geschirr spülen sollte, und schlief im Lagerraum zwischen einigen Fellen und Holzkisten. Zum ersten Mal in ihren Leben musste sie feststellen, dass die Ausbildung zur Heilerin etwas Gutes gehabt hatte. Leute zum Reden und ein warmes, gemütliches Bett.

Unendliche Energie

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