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Kapitel 4

Atos, der 2. Tag, gelbe Sonne

Sternenmeer: Auf dem Weg nach Triton

„Das Sternenmeer ist langweilig. Hier oben ist nichts los. Weit und breit sind nur die Monde und Atlantis zu sehen. Aber nach dem dritten langen, ätzenden Tag wurde das schon langweilig. Wo sind denn die Abenteuer, von denen der Kapitän in der Kneipe erzählt hat? Die halsbrecherischen Manöver und Sternenmeerkämpfe?“, sprach Tyrna leise vor sich hin. Sie lag auf vier Bärenfellen und genoss ihre Pause. Den ganzen Tag durfte sie in der Kombüse stehen und jede niedere Arbeit machen, für die normalerweise der Schiffsjunge zuständig gewesen wäre. Vor einer knappen halben Stunde hatte sie das Abendessen, wie immer allein, zu sich genommen, das Geschirr gespült, die Kombüse wieder aufgeräumt und die Vorräte wieder in den Vorratsraum zurückgebracht. „Mir tut alles weh. Ich glaube, dieser blöde Sonnentempel hat mich weichgemacht. Und meine Hände erst, die fühlen sich an, als wären sie aus Holz.“ Ein gequältes Seufzen entkam ihr, als sie sich auf den Rücken drehte und alle Gliedmaßen von sich streckte. Und plötzlich schien die Welt für wenige Augenblicke einfach nur herrlich, sehr entspannend zu sein. Doch Tyrnas Ruhe wurde sofort wieder gestört, als die Lagertür aufgerissen wurde und ihr Bruder in der Tür stand. „Los, steh auf. Der Kapitän will dich sehen“, blaffte er sie etwas stärker an, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Tyrna stand auf, begab sich zu ihrem Bruder und folgte ihm stumm und müde. Es dauerte für Tyrna eine gefühlte Ewigkeit, bis Tyrnon an die Kajüte des Kapitäns klopfte und beide nach einer Erwiderung eintreten durften. „Ich grüße euch, Meister Ramirez“, begann er sofort damit, seine Schwester vorzustellen. „Das ist meine Schwester Tyrna. Ich habe sie hergebracht, so wie ihr es wolltet.“ Beide traten näher an den Kapitän heran. „Kapitän heißt das, Zauberlehrling. Wenn du dir das gemerkt hast, werde ich dich auch bei deinem Namen nennen. Nun gut.“ Der Blick des Kapitäns wanderte zu Tyrna herüber. „Ich grüße dich, Tyrna. Du wirst dich wahrscheinlich fragen, warum ich dich erst jetzt sehen will. Fünfzehn Tage später. Die Antwort ist einfach. Ich hatte keine Lust, mich mit dir zu beschäftigen, und wollte dir gleichzeitig eine kleine Lektion erteilen. Ich weiß, wer du bist, und ich hatte schon von dir gehört, bevor dein Bruder mein Schüler wurde. Du bist das kleine freche und ungehorsame Mädchen aus dem Tempel der Sonne. Und statt jetzt dort zu sein, stehst du vor mir. Viele Tage entfernt von deinem Lernort.“ Die Miene des Kapitäns verfinsterte sich. „Ich hätte das Recht, dich über Bord werfen zu lassen. Auch dürfte ich dich auspeitschen lassen, als Sklavin und Dienstmädchen behalten oder sogar verkaufen, weil du ohne meine Erlaubnis auf dieses Schiff gekommen bist. Ich hoffe, die Tage der Ruhe haben dich etwas nachdenken lassen und dir deine unverschämten Taten vor Augen geführt?“ Der Kapitän schloss die Augen und lehnte sich zurück. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich den Nasenrücken und schaute dann wieder auf die beiden Geschwister. Er musterte beide und war erstaunt, wie wild Tyrna immer noch dreinblickte, obwohl sie abgeschlafft und müde wirkte. Ihre zotteligen roten Haare, die Lederkleidung, die eigentlich nur aus verschiedenen Lederriemen bestand, und die schweren alten Soldatenstiefel. Sie war eine Kämpferin, das merkte der Kapitän sofort, aber jeder gute Kämpfer sollte auch wissen, wann es sich lohnt zu kämpfen und wann es sich lohnt, einfach nur still zu sein. Die Kleine war hübsch, auch das musste der Kapitän ebenfalls zugeben, auch wenn die Kleine jetzt keine Prinzessin oder eine dieser Dirnen war, die jeden Tag etwas für ihre Schönheit taten, obwohl sie bereits mit einem gewissen Glanz geboren wurden. Nein, sie war einfach nur hübsch, nicht mehr und nicht weniger. Und ihr Bruder? Etwas größer als sie. Man konnte an seinen Augen und der Nase sofort erkennen, dass er der Bruder von Tyrna war. Ein recht tüchtiger, gehorsamer und begabter Schüler. Und wie die meisten Magier in der Akademie kaum stark genug, einen Stein zu heben. Umso erstaunlicher war es doch, dass sich dieser „Junge“ dafür entschieden hatte, das harte und raue Leben eines Seemanns zu führen. Gut, zugegeben, als Magier erhielt man automatisch das Kommando über ein Schiff, das an Prunk und Größe jedes andere in den Schatten stellte, dennoch musste auch ein angehender Kapitän viel lernen, um seiner Mannschaft ein gutes Vorbild zu sein. Es gab schon genug Kapitäne, die sich einen Dreck um ihre Mannschaft scherten und das nur, weil sie einen höheren Stand in der Gesellschaft hatten. Man denke nur an Kapitän Karlos von der fliegenden Meereskönigin. Seine Arroganz und Überheblichkeit sollten seine ganze Mannschaft in Monster verwandelt und zu einem ewigen Überlebenskampf im Sternmeer verdammt haben. Aber er würde Tyrnon schon beibringen, was er tun konnte und was nicht, wenn dieser über die Meere und Ozeane der Monde segelte. Was es bedeutete, dreißig, siebzig oder sogar zweihundert Mann unter sich zu haben und alles zu tun damit ihr Leben geschont werde. Was es bedeutete, harte Arbeit zu verrichten. Aber Tyrnon würde wahrscheinlich alles tun, um die Aufgaben zu meistern, die ihm auferlegt wurden. „Was tue ich jetzt nur mit dir, Mädchen?“, hauchte Ramirez mehr zu sich selbst als zu Tyrna, bevor er sie mit milden Augen ansah und etwas lauter wieder zu sprechen begann. „Geh wieder zu deinem Schlafplatz. Nimm all deine Sachen die du dort hast und such dir einen Platz in der Kammer deines Bruders. Den Lagerraum werden wir noch brauchen. Morgen schon bei Sonnenaufgang sind wir auf Derun. Dann werden wir noch auf Para und Triton landen. Bis du wieder daheim bist, werden vielleicht noch vierzig Tage vergehen, bis dahin will ich, dass du von Ritter Marun weiter unterrichtet wirst. Du wirst tun, was er von dir verlangt und keine Widerworte haben, so wie du es bis jetzt getan hast. Wenn er will, dass du dir mit einem Messer in die Hand schneidest, tust du das. Wenn er will, dass du den ganzen Tag auf einem Bein hüpfst, dann wirst du es machen. Und wenn er will, dass du über Bord springst, dann wirst du auch dies tun, Tyrna, Heilerin von Attika. Und nun geh. Ich will, bis wir morgen von Bord gehen, nichts mehr von dir sehen oder hören.“ Sein Blick schwang zu Tyrnon zurück. „Kümmere dich um deine Schwester. Zeig ihr alles, was sie wissen muss, um an Bord leben zu können ...“, er atmete langsam aus, „...und zu arbeiten.“ Tyrnon nickte dem Kapitän zu, nahm seine Schwester beim Arm und führte sie wieder hinaus. „Wir holen jetzt deine Sachen und versuchen, dir noch etwas zum Essen zu holen. Du siehst abgemagert aus. Und wenn der Hunger dich plagt, wird das Arbeiten schwer werden. Und keine Angst vor Ritter Marun. Ihm liegt das wohl der Mannschaft und aller, die sich an Bord befinden, sehr am Herzen. Genau wie Kapitän Ramirez auch. Die beiden sind gute Leute. Etwas rau, aber gut.“ Beide gingen schweigend nebeneinander her, bevor Tyrna die Stille durchbrach. „Warum? Warum bist du hier?“, fragte sie und blieb dabeistehen. Ihre Augen waren weit geöffnet und ihr Blick entschlossen, nur ihrer Stimme schien es an Kraft zu fehlen. „Weil ich schon ein guter Luftmagier und Alchemist bin. Ich kann mich zwar noch nicht mit den höheren Klassen der Magierakademie messen, aber mir fielen die Übungen, die wir hatten, nicht schwer. Und ...“, Tyrnon wurde still, senkte den Kopf und sprach mit leiser Stimme weiter, „...weil du gerne die Welt sehen wolltest. Ich dachte, wenn ich irgendwann ein eigenes Schiff haben werde, könnte ich den König fragen, ob ich eine Heilerin an Bord nehmen darf. DICH, Tyrna, ich wollte den König darum bitten, DICH an Bord meines Schiffes zu lassen. Es hätte vielleicht ein paar Jahre gedauert, vielleicht fünf oder sechs Jahre, aber wir wären noch jung genug für Abenteuer, gemeinsam.“ Tyrnon schaute seiner Schwester direkt in die Augen und lächelte. Kein verschmitztes Lächeln oder gar ein trauriges. Einfach nur ein Lächeln, warm und freundlich. „Und weil ich etwas körperliche Arbeit und einen neuen Meister gut gebrauchen konnte.“ Daraufhin begann er so lautstark zu lachen, dass Tyrna erschrak und ihren Bruder entgeistert anguckte. Das Lachen hallte den kleinen hölzernen Gang bis zum Lagerraum entlang und war von mindestens einem Dutzend Matrosen gehört worden. Tyrna jedoch war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Sie dachte über die Worte nach, die ihr Bruder gerade zu ihr gesagt hatte. Er hatte seine Ausbildung an der Akademie gewechselt, um sie eines Tages mit auf sein Schiff nehmen zu können. Er wollte ihr die Chance geben, die Welt zu sehen. Aber wie lange sollte das im Endeffekt dauern? Fünf oder sechs Jahre schienen ihr nicht richtig. Tyrnon wollte sie damit bestimmt nur aufheitern. Eher zehn oder zwanzig Jahre, wenn nicht sogar noch mehr. Wie alt wäre sie dann, 37 oder 47? Solange konnte sie nicht warten, solange durfte sie nicht warten. Tyrna schaute auf ihren Bruder, der immer noch lachte, und dann in den Gang zum Lagerraum herunterging. Nein, solange durfte sie nicht warten.

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