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Viele unserer Führungsgrundsätze basieren auf veralteten Denk- und Verhaltensmodellen

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»Chef, du bist das Problem!« Überzeugen Sie sich selbst und googeln »mein Chef ist …« und Sie erhalten die folgenden Autovervollständigungen angezeigt: »eine Niete«, »ein Blender«, »ein Kontrollfreak«, »inkompetent«, »ein Narzisst«, »ein Idiot«, »doof«, »unfair«, »ein Choleriker« und »faul«. Kaum eine der vorgeschlagenen Autovervollständigungen ist eine positive Ergänzung4. Zufall? Kaum, denn verschiedene empirische Untersuchungen gelangen zu den identischen Ergebnissen. Gemäß Gallup, einem der führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitute, wechseln 70 % der Menschen ihren Job aufgrund ihres direkten Vorgesetzten5. Eine andere empirische Untersuchung besagt, dass 65 % der Mitarbeitenden aussagen, dass sie lieber ihren Vorgesetzten austauschen würden als eine Lohnerhöhung zu erhalten6. Der größte Unzufriedenheitsfaktor ist bei vielen Mitarbeitenden der direkte Vorgesetzte.

Ein Hauptgrund hierfür ist, dass die gelebten Führungsgrundsätze auf veralteten Denk- und Verhaltensmustern aufbauen und unnütze Chef-Attitüden die Mitarbeitenden unnötigerweise demotivieren.

»Wir verbringen viel Zeit damit, Führungskräften beizubringen, was sie tun sollen. Wir verbringen nicht genug Zeit damit, den Führungskräften beizubringen, was sie nicht tun sollen. Die Hälfte der Führungskräfte, die ich kennengelernt habe, muss nicht lernen, was zu tun ist. Sie müssen lernen, was sie anders machen sollten.«7

In der Folge stelle ich einige weitverbreitete Führungsprinzipien und Führungsverhaltensmuster sowie die daraus resultierenden Folgen dar:

 »Command & Control«: Das Führungsprinzip von »Weisung und Kontrolle« war jahrzehntelang in klassisch hierarchisch aufgestellten Organisationen weit verbreitet. Vor dem inneren Auge formt sich ein schwarz-weißes Bild von einem autokratischen Chef, der auf einem Podest hinter einem riesigen Schreibtisch sitzend wachsam und streng auf seine an Pulten im Stehen arbeitenden Mitarbeitenden herabschaut, die vor Angst gebeugt emsig über ihrer Arbeit hängen. Diese Darstellung ist maßlos überzeichnet. Streng genommen basieren auch heute viele Unternehmen noch auf Misstrauen, was eine Command-and-Control-Logik notwendig macht. Es wird eine Hierarchie installiert, die unter anderem dafür da ist, Mitarbeitende beherrschbar und kontrollierbar zu machen. Auf die Führungspositionen setzt man Mitarbeitende mit loyaler Gesinnung, die gekonnt mit dem Machtinstrument Angst zu operieren wissen und die keine Skrupel kennen, um die gesetzten Ziele zu erreichen.Die meisten internen Instrumente und Prozesse werden in der Folge über die Hierarchie gespielt: Aufgaben und Projekte werden über die Hierarchie im Unternehmen verteilt. Berichtswege gehen über die Hierarchie. Urlaub, Bestellungen, Reiseanträge, Reisekostenabrechnungen und noch vieles mehr müssen von Führungskräften freigegeben werden. Zielvereinbarungen, Incentivierungen, Leistungsbeurteilungen, Entwicklungsvereinbarungen führen die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden durch.In vielen Fällen hat sich dieses Prinzip in der Vergangenheit auch bewährt. In der Schweiz haben etliche Führungskräfte ihre erste Führungserfahrung als Unteroffiziere in der Schweizer Armee gemacht und sind dabei in der »3-K-Regel« (Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren) ausgebildet worden.Zur Generation Y und Z, zu den Digital Natives und den Knowledge Workern der Gegenwart, passt dieser Führungsstil nicht mehr. Die Leitwerte der Mitglieder der Y- und Z-Generation sind von ihrer Biografie geprägt und drücken sich in ihrem Streben nach Offenheit, Unabhängigkeit, Individualität, Sinnmaximierung, Leistung und persönlicher Entwicklung aus. Das macht sie unabhängig und bisweilen desorientiert. In Führungsbeziehungen entziehen sie sich damit in verstärktem Maße der Kontrolle8. Eine Haltung »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« schafft eine Kultur des Misstrauens. »Man muss sich Respekt erst verdienen«-Mentalität stößt bei jungen Arbeitskräften auf Unverständnis.

 »Null-Fehler-Toleranz«, »Null-Fehlerkultur« oder »Null-Fehler-Management«: Dieses Prinzip macht in Organisationen und Funktionen, in welchen ein winziger Fehler im Zweifelsfall zu katastrophalen Auswirkungen führen kann, Sinn. Zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt. Selbst mit der kleinstmöglichen Fehlerrate besteht für Passagiere oder Astronauten ein hohes Sicherheitsrisiko, das es zu beseitigen gilt. Hier wird das Gesamtsystem so konzipiert, dass es mögliche Fehler direkt kompensieren kann. Genauso, wenn der Produktionsprozess selbst gefährlich ist – beispielsweise, weil mit hochgiftigen Chemikalien gearbeitet wird –, kann jeder Fehler, jede Änderung im Ablauf katastrophale Folgen haben.Durch sorgfältige Arbeit und mehrfache Kontrolle können Fehler reduziert werden. Ganz ausbleiben werden sie nie. Dafür steigen die Kosten zur Fehlervermeidung umso stärker, je mehr sich der Arbeitsprozess der Perfektion annähert. Diese Kosten bestehen nicht nur im Kontrollaufwand. Noch mehr ins Gewicht fällt, dass bei größtmöglicher Fehlervermeidung auch Kreativität und Eigenständigkeit der Mitarbeitenden gegen Null gedrückt werden. Die Anwendung dieses Prinzips hat in den meisten Organisationen negative Auswirkungen in Form einer verminderten Produktivität und höherer Kosten.

 »Kommen Sie nicht mit einem Problem zu mir, ohne dass Sie dafür eine Lösung haben« ist eine weitverbreitete Haltung von Vorgesetzten. Problemdenken will doch keiner. Im Gegenteil, Lösungsdenken muss man fördern. Solche Führungskräfte erziehen ihre Mitarbeitenden zu eigenverantwortlichem Denken und Handeln. Daran ist ja grundsätzlich nichts verkehrt.Die dezidierte Haltung von Vorgesetzten jedoch, nichts von Problemen hören zu wollen, ist meiner Überzeugung nach selbst ein großes Problem. Und zwar aus drei Gründen:Erstens: Vorgesetzte schaffen damit eine Kultur des Wegschauens! Wer sagt: »Bringt mir keine Probleme, bringt Lösungen!«, impliziert damit: »Von all den Problemen, die euch begegnen, will ich nur von denen hören, für die ihr auch eine Lösung parat habt.« Aber gerade die schwierigsten und herausforderndsten Probleme haben keine Sofort-Lösung und kommen so nie proaktiv zur Sprache. Und gerade die hartnäckigsten Probleme bergen zuweilen, wenn sie gelöst werden können, die weittragendsten und umfassendsten Wirkungen.Zweitens: Vorgesetzte schaffen damit eine Kultur, die frustriert! Ein Problem zu erkennen, aber nicht sofort eine Lösung dafür parat zu haben, löst in Menschen Stress aus. Zunächst einmal positiven Stress, weil sie die Ressourcen aktivieren, die zur Problemlösung gebraucht werden: Mitarbeitende tun sich zusammen, diskutieren, strengen sich gemeinsam an, es entsteht eine Motivation, eine Dringlichkeit, die notwendig ist, um das Problem zu lösen. Die Schwierigkeit ist aber oft die verordnete Unmöglichkeit, über das noch ungelöste Problem zu reden. Gerade bei den wertvollsten, engagiertesten Mitarbeitenden wird so aus Stress echter Frust: Sie sehen, was gebraucht würde, um eine Lösung zu finden, können diesen Pfad aber nicht offen verfolgen.Drittens: Diese Haltung schafft eine Kultur, die Chancen ungenutzt lässt! Die Lösungen, die im Wettbewerb heute den Unterschied machen, sind selten geniale Geistesblitze Einzelner. Meistens sind es Lösungen, die in komplementären Teams mit dem Ideenreichtum und der Intelligenz von vielen gefunden werden. Probleme zu identifizieren mag ein Sport für Einzelkämpfer sein, aber Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln, ist heute mehr denn je ein Team-Sport.Das bedeutet: Den größten Unterschied am Markt machen Unternehmen mit der höchsten kollektiven Problemlösungskompetenz. Im Umkehrschluss verträgt sich Problemblindheit nicht mit Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit.Wenn Mitarbeitende auf Probleme hinweisen, für die es heute noch keine Lösung gibt, dann heißt das nicht automatisch, dass sie zu faul oder unselbstständig sind, eine Lösung zu präsentieren. Sondern es bedeutet schlicht, dass es sich um eine Herausforderung handelt, die einfach eine Nummer zu groß für eine Instant-Lösung ist. Aber genau diese großen Probleme, die Einzelne überfordern, sind die lohnendsten Chancen.

»Probleme sind Chancen in Arbeitskleidung.«9

 »Die immer gewinnen wollen«-Attitüde ist auch eines dieser veralteten, aber weit verbreiteten Verhaltensmuster von Führungskräften. Diese Haltung ist eine besondere Herausforderung für Führungskräfte, weil sie fast jedem anderen weiteren Verhaltensproblem zugrunde liegt10. Wenn wir zu viel streiten, dann deshalb, weil wir wollen, dass sich unsere Sichtweise durchsetzt. Mit anderen Worten: Wir wollen gewinnen. Wenn wir andere niedermachen, ist es unsere Art, sie unter uns zu positionieren – und so wieder zu gewinnen. Wenn Führungskräfte Informationen zurückhalten und dadurch einen Vorteil gegenüber anderen erlangen, dann, um zu gewinnen. Wenn Vorgesetzte andere gezielt begünstigen, um Verbündete zu finden, geht es letztlich wieder ums Gewinnen. Für erfolgreiche Menschen ist es mitunter herausfordernd, nicht ständig gewinnen zu wollen. Für ihr Umfeld ist das ständige Gewinnen-wollen hingegen anstrengend und demotivierend.

Zusammengefasst: Viele, insbesondere ältere Führungskräfte, agieren mit veralteten Führungsprinzipien. Diese stoßen bei jüngeren Arbeitnehmern auf großes Unverständnis und lösen Frustrationen aus. Zudem eignen sie sich nur beschränkt, um der Dynamik und den Unsicherheiten der VUCA-Welt wirksam zu begegnen.

Das Phönix-Prinzip

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