Читать книгу Der Schreiberling - Patrick J. Grieser - Страница 9
3
ОглавлениеDie Blue-Lodge-Ranch lag versteckt in einem Valley, das den gleichen Namen trug wie das Anwesen der Familie Slater. Sie war umgeben von uralten mächtigen Schwarzpappelbäumen, wie sie typisch für die Gegend um Kansas waren. Das Blue-Lodge-Valley war umsäumt von Bergen, sodass es einen gigantischen Talkessel bildete. In der Ebene grasten Tausende von Rindern, darunter die majestätischen Longhorns mit ihren gewaltigen, leicht aufwärts gebogenen Hörnern. Die aufgehende Sonne tauchte das Tal in ein geradezu idyllisches Licht, das der Cowboy sonst nur von Fotos aus den Reisekatalogen kannte. Ein sanfter Wind ließ die großen Blätter der Schwarzpappeln auffällig flattern.
Überrascht pfiff der Cowboy, als er die große Herde sah, die sich von einem Rand des Tales bis zum anderen mit ihren rotbraunen Leibern ergoss. »Donnerwetter! Sie sind ein sehr reicher Mann, Jeremy Slater!«, sagte der Cowboy anerkennend.
»Du kannst mich erst einen reichen Mann nennen, wenn wir die Tiere zu den großen Verladebahnhöfen in Kansas gebracht haben. Momentan kosten mich die Rinder nur bares Geld!«
Slater zeigte auf das Haupthaus der Ranch, das sich inmitten der Schwarzpappelbäume erhob. Es war ein mehrstöckiges Holzhaus, bestehend aus einem grau gestrichenen Gambrel-Dach mit gekrümmtem Dachvorsprung entlang der Länge des Hauses. Dahinter erhob sich ein Kamin aus Backsteinen. »Willkommen auf der Blue-Lodge-Ranch, der Heimat der Maverickjäger von Kansas!«
»Das heißt, ich darf für Ihr Team reiten?«
»Darüber reden wir nach dem Frühstück.« Slater streckte sich auf seinem Sattel, um die Müdigkeit zu vertreiben. Sie waren die ganze Nacht durchgeritten, um bei Anbruch des neuen Tages die Blue Lodge-Ranch zu erreichen. »Und ich werde eine ordentliche Portion Schlaf benötigen!«
»Aaah, ich würde jetzt alles für eine Mahlzeit und ein weiches Bett geben. Ja, erst ein paar Eier mit Speck und danach ein schönes Daunenbett!« Die Strapazen des langen Rittes machten sich bei dem Cowboy jetzt deutlich bemerkbar. Die letzte Meile wäre er fast im Sattel eingeschlafen. Seinen Hintern spürte er schon gar nicht mehr – wahrscheinlich waren alle Nerven abgestorben. Ihm graute davor, von seinem Gaul zu steigen. Wahrscheinlich würde er es nicht bis zur Veranda der Blue-Lodge-Ranch schaffen.
»Du kannst im Badehaus ein Bad nehmen und dich frisch machen. Du siehst aus, als hättest du seit einer halben Ewigkeit kein frisches Wasser mehr gesehen. Und ehrlich gesagt, hat Stella eine sehr empfindliche Nase.« Dabei tippte er sich mit der Fingerspitze an seine schiefe Nase, die schon viele Male gebrochen und nie richtig wieder zusammengewachsen war.
Stella, Slaters Ehefrau, war die gute Fee der Blue-Lodge-Ranch – soviel hatte der Cowboy auf ihrem langen Ritt schon herausgehört. Slater war ein sehr schweigsamer Bursche, die meiste Zeit über hatte nur der Cowboy gesprochen. Irgendwann war aber auch dem Cowboy die Lust an der einseitiger Konversation vergangen, und so waren sie die meiste Zeit ohne große Worte nebeneinander geritten, während sie der nächtlichen Geräuschkulisse, wie dem monotonen Zirpen der Grillen und dem lang gezogenen Heulen der Kojoten, gelauscht hatten.
Am Tor der Blue-Lodge-Ranch hatten sich Slaters Männer versammelt, denn die Kunde, dass der Boss zurückgekehrt war, hatte sich bereits herumgesprochen. Der Cowboy hatte bemerkt, dass Slater Männer am Eingang des Canyons postiert hatte, die seine Ankunft der Ranch gemeldet hatten. Inmitten der Maverickjäger stand eine kleine, zierliche, attraktive Frau, die allem Anschein nach Slaters Frau war, denn sie warf sich ihm um den Hals, kaum dass dieser aus seinem Sattel gestiegen war.
Stella Slater hätte durchaus auch als Jeremys Tochter durchgehen können, denn sie war mindestens halb so alt wie ihr Ehemann. Und sie war eine wahre Schönheit! Das feuerrote Haar glänzte im Licht der aufgehenden Sonne. Ihr sommersprossiges Gesicht und ihre Augen, zwei leuchtende Smaragde, verliehen ihr ein verführerisches Aussehen.
Mein Gott, was für ein Prachtweib, dachte der Cowboy und er beneidete seinen Weggefährten dafür. So eine Frau an seiner Seite, das war es, was dem Cowboy zum absoluten Glück noch fehlte. Seit der Trennung von seiner Frau hatte er nie mehr so etwas wie Liebe empfunden. Hastig verdrängte er die schmerzhaften Erinnerungen an damals, als er seine Frau mit einem anderen Kerl im Bett erwischt hatte. Es war ein anderes Leben gewesen …
»Howdy!«, begrüßte ihn Stella Slater herzlich, und der Cowboy ließ es sich nicht nehmen, ihr einen Kuss auf die ausgestreckte Hand zu hauchen. Sie lachte auf und es klang wie bei einem Engel.
»Das ist meine Stella«, sagte Slater und stellte die beiden kurz vor.
Während Stella Arm in Arm mit Jeremy vorausging, folgte der Cowboy den beiden und ließ es sich nicht nehmen, ein altes Lied anzustimmen, das ihm just in diesem Moment in den Sinn kam. Es war Your Kiss is on my list von Hale & Oates. Leise sang er die einzelnen Verse vor sich hin, denn obwohl das Lied erst mehr als hundert Jahre später in den Charts erscheinen würde, so würde Jeremy Slater doch den Inhalt verstehen und es ihm vielleicht sogar übel nehmen.
»Your kiss is on my list, because your kiss is on my list of the best things in life …«
Sie stiegen die Stufen zur Veranda herauf und wurden von weiteren Mitarbeitern der Blue-Lodge-Ranch begrüßt.
»Because your kiss, your kiss is on my list, because your kiss, your kiss I can’t resist …«
Nachdem der Cowboy ein kurzes Bad in einem Holzbottich genommen hatte (denn vorher ließ ihn Stella Slater nicht an den Esstisch), fand er frische Kleider in dem kleinen Zimmer vor, das man ihm zugewiesen hatte. Hastig kleidete er sich an, denn er verspürte großen Hunger. Sein Magen fühlte sich wie ein harter Klumpen an, der sich immer öfters schmerzend zusammenzog.
Das großzügig geschnittene Esszimmer verfügte über Panoramafenster, von denen man einen herrlichen Blick auf das Valley und die grasenden Rinder hatte. Jeremy und der Cowboy nahmen an dem Holztisch vor den Fenstern Platz, während die schöne Stella ihnen eines der besten Frühstücke zubereitete, die der Cowboy je gegessen hatte. Es gab gebackenes Brot (das noch warm war) mit Rührei und Speck, dazu reichte sie gebratenes Gemüse, deftige Rauchwurst sowie wilden Honig. Sie schenkte ihnen einen Kaffee ein, der so kräftig war, dass wahrscheinlich ein Hufeisen darin schwimmen konnte. Weiterhin gab es ein Glas frische Milch, die einfach nur köstlich schmeckte und den Staub der Straße herunterspülte und die ausgetrocknete Kehle beruhigte.
»Wir werden morgen ausreiten und noch ein paar Mavericks jenseits des Flusses einfangen. Danach treiben wir unsere Stammherde in die großen Verladekorrals von Kansas. Von dort werden sie mit der Bahn in den Osten des Landes verfrachtet«, erklärte ihm Slater, während er den Honig von seinen Fingern ableckte. »Hast du schon einmal Rinder getrieben?«
»Nicht, dass ich wüsste …«, meinte der Cowboy und kratzte sich verlegen hinter dem Kopf.
»Morgan Elroy soll dir eine Einweisung geben. Er ist mein bester Viehtreiber.«
»Yeah, das klingt gut.«
Jeremy Slater fuhr sich durch seine lockige Mähne. In diesem Moment sah er in der Tat wie die menschliche Ausgabe eines Löwen aus. Selbst das herzhafte Grollen, das aus seiner Kehle drang, passte dazu. »Dann sind wir uns ja einig!«
Langsam stellte der Cowboy seine Tasse wieder ab. »Eine Frage hätte ich noch!«
»Raus mit der Sprache!«
»Gibt es hier in der Gegend Schnecken?«
»Schnecken?«
»Ja, insbesondere Nacktschnecken.«
»Wie kommst du darauf?«
»Gab es in der letzten Zeit irgendwelche besonderen Vorkommnisse? So eine Art groß angelegtes Schneckensterben?«
Slater schüttelte den Kopf. »Du bist echt ein verrückter Mann, Rainer! Was ist bei dir nur schiefgelaufen?«
»Ne Menge …«
»Warum interessieren dich die Schnecken?«
»Sagen wir es so, ich bin ein sehr abergläubischer Mensch und von dort, wo ich herkomme, sind tote Schnecken ein sehr schlechtes Omen!«
»Hier in der Prärie findest du keine Schnecken. Dazu ist der Boden zu trocken. Aber in den Wäldern gibt es welche«, erwiderte Jeremy Slater unsicher, weil er nicht wusste, ob ihn der Cowboy auf den Arm nahm.
»Kein Schneckensterben?«
»Nicht, dass ich wüsste!«
»Das hört sich gut an!«
»Was ist das für ein Omen, von dem du gesprochen hast?«
»Ach, es gibt da so eine Legende, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt. Wenn die Schnecken sterben, dann bekommen wir Besuch von einer Bande von Seemännern, die uns nicht ganz wohlgesinnt sind.«
»Seemännern?«, wollte Slater wissen. »Junge, seid ihr in der Alten Welt alle so durchgeknallt?«
»Kann man wohl sagen. Wenn Sie Ihre Millionen in Kansas in der Tasche haben, dann nehme ich Sie mal mit in den Odenwood. Es würde Ihnen sicher gefallen!«
»Schiffsreisen sind nichts für mich. Ich werde schon auf einem beschissenen Mississippidampfer seekrank.«
In diesem Moment betrat ein muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper das Esszimmer. Er hatte sich so lautlos bewegt, dass seine Präsenz erst von den beiden Männern bemerkt wurde, als er vor dem Holztisch stand. Auf seinem kahl geschorenen Schädel gab es nur von der Stirn bis zum Nacken einen schmalen Streifen Haare, der nach oben stand. Dies erweckte bei dem Cowboy Assoziationen an einen Punker. Das ausdruckslose Gesicht des Mannes wirkte wie in Stein gemeißelt. Seine Haut hatte einen leichten Stich ins Gelbliche; die Augen standen eng zusammen.
Ja, dachte der Cowboy, vor mir steht wahrhaftig ein echter und stolzer Prärieindianer!
»Gerade eben haben wir noch über dich gesprochen«, sagte Slater zu dem Indianer und wandte sich dann an den Cowboy: »Darf ich vorstellen? Das ist mein bester Mann: Morgan Elroy! Scout und Viehtreiber in einer Person.«
»Morgan Elroy?«, fragte der Cowboy überrascht, als er die Hand des Indianers schüttelte, der so fest zudrückte, als wolle er ihm alle Knochen brechen.
»Ich bin ein Pawnee, aber meine Zieheltern waren Weiße. Die Arapahoes haben meine Eltern getötet. Ich bin nicht unter den Rothäuten groß geworden«, sagte Morgan Elroy in tadellosem Englisch. »Seit mehr als sechs Jahren arbeite ich für die Familie Slater auf dieser Ranch!«
»Ich möchte, dass du Rainer zeigst, wie man ein paar Mavericks zusammenhält. Er möchte bei uns als Viehtreiber anheuern.«
»Kein ungefährlicher Job«, erwiderte der Pawnee ernst. »Wir haben McAllister und seine Jungs keine zwanzig Meilen von der Blue-Lodge-Ranch gefunden.«
Slaters Gesicht verfinsterte sich, als er den Namen hörte.
»Desmond Pickett?«
Der Indianer nickte. »Er hat sie mit Klaviersaiten an einem Baum aufgeknüpft.«
»Dieses kranke Schwein!«
»Du solltest endlich gegen Pickett vorgehen. Wie lange sollen wir uns das noch gefallen lassen?«
»Warum macht dieser Pickett so etwas Widerliches?«, hakte der Cowboy nach.
Es fiel Slater sichtlich schwer, sich wieder zu beruhigen. Er atmete tief durch, dann sprach er mit belegter Stimme: »In der Gegend um Cheops gibt es zwei Großfamilien: die Picketts und die Slaters. Unsere Väter waren Rancher. Es kam damals zum Streit, als die Picketts einen Zaun errichten ließen, der über unser Land führte, weil sie Angst hatten, dass Viehdiebe den Weg nutzen würden, um sich mit ihren Rindern davonzumachen. Mein Vater war ein stolzer Mann und sah dies als unglaublichen Affront an. Ein Zaun durch unser Land! Eine Frechheit. Er rieß ihn dann eigenhändig mit seinen Männern nieder. Seit dieser Zeit sind unsere Familien verfeindet. Die Picketts werfen uns vor, dass wir mit Viehdieben kooperieren und ihre Rinder stehlen.«
Der Cowboy ließ sich von Stella Slater eine weitere Tasse Kaffee einschenken. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Sie mit Viehdieben zusammenarbeitet«, meinte er und schüttelte den Kopf.
»Wir sind ehrliche Leute!«, antwortete Slater stolz. »Nach dem Bürgerkrieg haben sich die Rinder in den Tälern wie Unkraut vermehrt. Sie tragen kein Brandzeichen und gehören dem, der sie als Erstes findet! Doch die Picketts beanspruchen diese Rinder für sich.«
»Da hat wohl noch jemand anderes das große Geld gewittert!«
»Desmond Pickett geht es nicht darum, irgendwelche Rinder in die Verladebahnhöfe zu bringen. Ihn interessieren die Rinder überhaupt nicht.«
»Aber warum lässt er dann die Maverickjäger aufknüpfen?«
»Weil er keine Siedler auf dem Regierungsland möchte. Wenn die Rinder erst einmal weg sind, dann werden die Siedler kommen und die Prärie für sich beanspruchen.«
»Und was sollte daran schlimm sein?«
»Desmond Pickett hat sich hier in der Gegend sein eigenes Königreich geschaffen. Es gilt das Gesetz von Pickett! Wenn die Siedler, Goldsucher und Händler hier eintreffen, dann ist es mit seiner Herrschaft bald vorbei.«
»Aha, verstehe!«
Slater richtete das Wort an Morgan Elroy: »Wegen Pickett muss ich mir etwas einfallen lassen. Lass uns später darüber reden. Nimm diesen Gentleman mit auf die Weide und zeig ihm, was es heißt, ein Maverickjäger zu sein!«
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte der Cowboy und erhob sich grinsend von seinem Stuhl.
»Ich werde dich brechen und aus den Scherben einen neuen Mann zusammensetzen«, meinte der Pawnee mit ausdrucksloser Miene und verließ ohne ein weiteres Wort das Esszimmer.
»Ich sehe, wir werden die allerbesten Kumpels«, sagte der Cowboy lakonisch und folgte Morgan Elroy nach draußen.
Katerina vermied es, ihren nackten Körper dem direkten Sonnenlicht auszusetzen. Durch ihre Gefangenschaft hatte ihre Haut einen sehr hellen Farbton angenommen; die lodernde Mittagssonne würde heftige Brandblasen auf ihrer Haut hinterlassen. Sie war nackt und um ihren Hals baumelte eine eiserne Kette. Einer von Desmonds Männern hielt das Ende der Kette in der Hand und führte sie wie einen Hund Gassi. Es war eine weitere Demütigung von Pickett. Obwohl Katerina eine wunderschöne Frau war, schenkte ihr der Mann keinen Blick. Pickett hatte ihm nach einer durchzechten Nacht den kompletten Hodensack mit einem glühenden Messer abgeschnitten. Als Mann war Terry Quade nun nicht mehr an Frauen interessiert. Seine sexuellen Triebe waren ihm von Pickett genommen worden.
Die anderen Männer auf der Ranch vermieden es ebenfalls, Blickkontakt mit der Gefangenen aufzunehmen. Nicht weil Pickett ihnen die Männlichkeit geraubt hatte, sondern weil Pickett die junge Frau als sein persönliches Eigentum betrachtete und mit keinem Mann teilen würde. Der kleinste gierige Blick konnte mit einer stundenlangen Folter oder einer Kugel im Kopf enden.
Katerina hatte an diesem Morgen ein Bad im Haupthaus der Three-Pearls-Ranch nehmen dürfen. Sie hätte stundenlang im Wasser verweilen können. Der Ekel und die Scham darüber, was Pickett ihr angetan hatte, waren so groß, dass sie diese Schande niemals wirklich würde abwaschen können. Katerina würde das nie öffentlich zeigen, denn sie war eine stolze Frau. Ihre Mutter aus St. Petersburg hatte ihr schon früh beigebracht, dass Gefühle ein Zeichen von Schwäche sind. Trotzdem gelang es Pickett immer wieder, sie rasend zu machen. Ihr Blick glitt zu einem der Männer, die am Zaun der Ranch Wache schoben. Das Gewehr des Mannes blitzte im Sonnenschein mehrere Male auf, wenn das Licht auf die Büchse fiel.
Wenn ich doch nur dieses Gewehr hätte, dachte sie sehnsuchtsvoll. Sie malte sich vor ihrem geistigen Auge aus, wie sie Pickett den Lauf der Waffe ins Maul rammen und dann abdrücken würde, wie die Hitze des Schusses das Fleisch seiner Backen zerschmelzen und seinen kompletten Hinterkopf in ein unförmiges Etwas verwandeln würde.
Terry Quade zog an der Kette des eisernen Halsbandes. »Los, lass uns weitergehen!« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schleifte er sie mit. Wie ein Hund musste sie ihm folgen. In diesem Moment hätte sie diesem eierlosen Bastard am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt.
Die Luft hier draußen ist so klar – viel besser als in dem feuchten nach Exkrementen stinkenden Loch im Weinkeller des Haupthauses, dachte sie. Desmond Pickett hatte ihr versprochen, dass sie, wenn sie sich ihm freiwillig hingeben würde, mit ihm im Haupthaus wohnen könnte. Doch das würde dieser elende Hurensohn niemals erleben! Pickett würde ihren Willen nicht brechen.
Sie drehten einen Bogen um die Gebäude, wobei sie immer im Schatten der Häuser blieben.
»Halt! Stopp!«, sagte sie plötzlich. Terry Quade drehte sich um und blickte die schöne Frau fragend an.
»Ich muss mal!«
»In Ordnung!« Quade drehte sich wieder um und tat so, als würde er ein paar Männer beobachten, die eine alte Kutsche auf dem Hof reparierten.
Katerina ging in die Hocke und augenblicklich ergoss sich ein warmer Strahl auf den Boden. Was für eine Demütigung! Aber ihre Rache würde kommen, da war sie sich sicher. Irgendwann würde Desmond Pickett unaufmerksam sein und diesen einen Moment würde sie ausnutzen, um ihn zu töten.
Als sie fertig war, führte Quade sie zurück ins Haupthaus, wo man sie wieder in ihre Gruft einsperrte. Raus aus der klaren Luft, zurück ins modrige Gefängnis. Dort war sie wieder mit ihren Dämonen allein.
Desmond Pickett beobachtete, wie einer seiner Männer Katerina auf dem Hof Gassi führte. Beim Anblick der schönen nackten Frau mit den großen wohlgeformten Brüsten spürte er die Erregung in seiner Hose. Ja, diese slawische Raubkatze hasste ihn aus tiefstem Herzen, aber er würde ihren Willen schon noch brechen. Keine Frau konnte Desmond Pickett widerstehen! Früher oder später würde sie sich ihm hingeben als gäbe es keinen anderen Mann auf der Welt.
Als Willard das Wohnzimmer betrat, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Wie immer war dieser vollkommen in Schwarz gekleidet, selbst der verbeulte Stetson auf seinem Kopf war schwarz. Er sah aus wie ein Racheengel, den der Teufel geschickt hatte.
Willard tippte kurz an die Krempe seines Hutes, um seinen Boss zu begrüßen. Nachdenklich musterte er seinen besten Mann. Willard war ein hervorragender Schütze, neben ihm wirkten seine Männer wie blutige Anfänger. Der Mann konnte einer Fliege im Flug die Flügel einzeln wegschießen. Manchmal war er auf so viel Talent eifersüchtig. Aber Willard gehörte zu ihm und mit ihm hatte er sein blutiges Königreich aufgebaut. Der schwarzgekleidete Mann war mehr als nur ein Mitarbeiter. In all den Jahren war dieser so etwas wie ein Freund für ihn geworden. Und das war in der Tat außergewöhnlich, denn ein Mann wie Pickett besaß keine Freunde. Er erinnerte sich daran, wie er in der Schule früher gehänselt worden war. Es war der Sohn des Storehalters gewesen, der sich immer über seine fehlenden Haare lustig gemacht und die anderen Jungen gegen ihn aufgestachelt hatte. Doch am schlimmsten war das Lachen der Mädchen. Mädchen, zu denen sich Desmond mit dem Erwachen seiner Sexualität hingezogen fühlte. Sie hatten ihn ausgelacht!
Skull-Boy! Skull-Boy! Skull-Boy!
Wie im Traum hörte er die Stimmen der Mädchen, während die anderen einen Kreis um ihn bildeten und ihn hin- und herschubsten. Hin und her … Hin und her …
»Alles okay, Desmond?« Willards Stimme klang verzerrt und seltsam gedämpft. So als käme sie von irgendwo weit her.
Die Jungen hatten ihm eingeredet, dass er niemals eine Freundin haben würde. Skull-Boy war eben ein verdammter Loser! Und dann die Faustschläge. Sie wurden zwar nicht gut ausgeführt, dennoch brannten sie wie Feuer auf seiner Wange. Einer dieser Jungen – Ron Jenkins – war mit den Siedlern aus Wake County gekommen und spuckte ihm immer ins Gesicht, was noch mehr Gelächter hervorrief. Eines der Mädchen schrie laut, dass man ihm die Hose ausziehen solle, weil sie seinen Pimmel sehen wolle. Die Hände der Jungen griffen nach seiner Hose. Er wollte sich wehren, doch es waren so viele …
»Desmond?« Die Stimme von Willard riss ihn aus seinen Gedanken.
»Äääh … was?« Pickett kam es vor, als erwache er aus einem Traum.
»Alles okay mit dir?«
»Ja, ich war nur etwas … abgelenkt. Was gibt’s?«
»Ich habe über Slater nachgedacht.«
»Lass uns ein wenig ausreiten und dann darüber reden!«, schlug Desmond vor und trat zusammen mit Willard hinaus ins Freie.
Eine halbe Stunde später ritten sie auf ihren Pferden, die tausend Dollar gekostet hatten, hinaus in die Prärie. Das Land war ausgetrocknet und sehnte sich nach Regen. An manchen Stellen gab es Ansammlungen von Cottonwoods und Salbeisträuchern – ein Zeichen dafür, dass die trockene Erde doch noch kleine Reservoirs an Wasser gespeichert hatte.
Sie ließen die Pferde eine Weile nebeneinander galoppieren und kehrten dann zu einem leichten Trapp zurück.
»Was ist dein Plan wegen Slater?«, wollte Pickett wissen, während sein Blick über die Ebene schweifte.
»Slaters Herde ist zwischenzeitlich riesig geworden und füllt das ganze Valley aus. Er muss bald mit seinen Rindern zu den Verladecorrals in die Stadt. Jetzt bekommt er die besten Preise, weil die Leute auf Fleisch angewiesen sind.«
»Ich sehe, worauf du hinauswillst«, sagte Desmond Pickett nachdenklich. »Also kein direkter Angriff auf die Blue-Lodge-Ranch?«
Willard schüttelte den Kopf. »Zu riskant! Slater hat genauso viele Männer wie wir. Die Ranch sitzt strategisch gut, man kann das gesamte Land überblicken und wir säßen wie auf dem Präsentierteller. Zu viele gute Männer müssten für so ein Wagnis ihr Leben lassen.«
»Männer kann man ersetzen«, warf Pickett gleichgültig ein.
»Zu riskant, Desmond!«
»Du willst ihn also überfallen, wenn er sich mit seiner Herde auf den Weg nach Kansas macht?«
»Ganz genau! Da ist er dann am verwundbarsten! Seine ganze Aufmerksamkeit wird seiner Herde gelten.«
»Dann lass es uns ganz schlau anfangen. Unsere Dollarwölfe warten vor den Toren von Kansas, um jedem Herdenboss zehn Dollar pro Tier abzuknüpfen. Wir kassieren seine Kohle und danach metzeln wir ihn nieder. Im Anschluss bringen wir die Rinder zurück nach Cheops.«
»Jeremy Slater wird sich von deinen Dollarwölfen nicht beeindrucken lassen. Und du musst eines bedenken: In Kansas gibt es zu viele Gesetzeshüter, Desmond. Wir würden zu leicht die Aufmerksamkeit eines Marshalls oder Sheriffs erregen. Am Ende landen wir alle auf einem gottverdammten Steckbrief.«
»Dann also hier draußen auf der Prärie?«
»Keine Zeugen … Niemand wird die Bande vermissen. Wir verscharren ihre Kadaver im Nirgendwo!«
»Sag Gary und dem Bohnenfresser Bescheid, dass wir Scouts vor dem Blue-Lodge-Valley brauchen. Sobald er sich mit der Herde in Bewegung setzt, sollen sie uns informieren.«
»Alles klar, Desmond!«
Und damit war das weitere Vorgehen beschlossene Sache. Zufrieden ritten die beiden Männer zur Three-Pearls-Ranch zurück.