Читать книгу Ein letzter Tag mit dir - Patrick Osborn - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеEmma kam sich immer noch dämlich vor, als sie am Montag wieder auf der Arbeit erschien. Von Josh hatte sie seit ihrer stummen Rückfahrt nichts mehr gehört. Sie hatte auch keine Lust, ihn zu sehen. Zum Glück war er nicht im Aufenthaltsraum. Also ging sie zu Lucy, um mit der Versorgung ihres Schützlings zu beginnen. Auf dem Weg dorthin begegnete sie Brian, der als Tierpfleger arbeitete und eine Futterbox zu den Gnus brachte. Er schien ein Auge auf Emma geworfen zu haben, denn er hatte die unterschiedlichsten Anmachsprüche durchprobiert. Heute schien er darauf zu verzichten.
„Hi Emma, wie war dein Wochenende?” Mühelos trug er die Box auf der rechten Schulter.
Emma konnte seinen angespannten Bizeps erkennen. „Geht so.” Niemand hier wusste, dass sie mit Josh unterwegs gewesen war.
„Warst du nicht mit Josh auf Coney Island?”
Erstaunt blickte Emma ihn an. „Woher …?”
„Ich hab da was aufgeschnappt.” Ein selbstgefälliges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Läuft da was zwischen euch?”
„Quatsch!” Emma war überrascht, wie energisch sie Brian widersprach.
„Dann ist ja gut.” Er machte eine kurze Pause. „Vielleicht hast du ja Lust, mit mir was trinken zu gehen.” Er betrachtete sie mit einem Blick, der nichts anderes als Zustimmung duldete. Einen Moment zögerte Emma. Erneut kam ihr Joshs Ausdruck „kleine Schwester“ in den Sinn, und sie sagte: „Klar. Warum nicht?”
„Super. Heute nach Feierabend?”
„In Ordnung.”
Brian blickte sie zufrieden an. „Ach, bevor ich es vergesse. Josh hat dich gesucht. Heute ist doch der wöchentliche Untersuchungstermin von Lucy.”
„So ein Mist! Den habe ich ja total vergessen.” Emma beeilte sich und machte sich mit Lucy sofort auf den Weg.
„Da bist du ja endlich”, rief Josh, als sie die Krankenstation erreichte. „Wo bist du gewesen?”
„Ich hatte den Termin nicht mehr auf dem Schirm. Entschuldigung.”
„Und ich dachte schon, du hast die Nase voll von mir.” Emma hatte das Gefühl, dass er eine Spur zu aufgesetzt klang.
„Ich will ja niemandem zur Last fallen”, murmelte Emma vor sich hin.
„Was soll das denn heißen?” Joshs Stimme nahm einen bösen Tonfall an. In diesem Augenblick kam Doktor Miller in das Behandlungszimmer.
„Guten Morgen, ihr zwei.” Sofort schaltete Josh sein Verhalten auf Normalbetrieb um.
„Hi Doc.”
„Wie geht es der Kleinen?“ Der Arzt deutete auf Lucy. „Sie hat zugenommen, nicht wahr?” Der Arzt nahm Lucy auf den Arm und bugsierte die quirlige Affendame auf die Waagschale.
Emmas Blick wanderte zu Josh und haftete einen Moment länger als nötig an ihm. Ein Kribbeln machte sich in ihrem Magen breit, als Josh den Blick erwiderte.
„Sie hat tatsächlich zugenommen.” Doktor Miller zerstörte die Magie des Augenblicks.
Für den Rest der Untersuchung vermied Emma jeglichen Blickkontakt mit Josh. Mittags nahm sie ihren Imbiss draußen ein und suchte dafür ihren Lieblingsplatz auf: eine Bank abseits des Löwengeheges. Dort packte sie ihr Essen aus. Allerdings verspürte Emma keinen großen Hunger. Schon seit Tagen rumorte ihr Magen, und irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu. Er ist zu alt für dich. Warum sollte er sich ausgerechnet in dich verlieben? Ramama, die elegante Löwendame, erhob sich und lenkte Emma ab, sodass sie Josh nicht näherkommen hörte.
„Gehst du mir aus dem Weg?”
Emma ließ beinahe ihr Sandwich fallen und verlor vor Schreck jegliche Gesichtsfarbe.
„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.” Josh nahm neben Emma auf der Bank Platz. „Und – gehst du?” Er zwinkerte ihr mit seinen grünen Augen zu.
„Wohin soll ich gehen?” Es schien Emma, als würde ihre Temperatur ansteigen.
„Mir aus dem Weg.”
„Warum sollte ich dir aus dem Weg gehen?”
„Jetzt weichst du auch noch meiner Frage aus.”
„Das ist ja wohl das Einzige, dem ich ausweiche!”, antwortete Emma schärfer als beabsichtigt.
„Okay”, entgegnete Josh kurz angebunden. „Gut, dass wir das geklärt haben.”
Beide schwiegen, und die Stille schien drückend auf der Bank zu lasten.
„Wo ist dein Essen?”, fragte Emma, um überhaupt etwas zu sagen.
„Ich habe schon gegessen.”
Wieder trat eine bedeutungsschwere Ruhe ein. Emma hatte das Gefühl, als würde sich die Spannung zwischen ihnen weiter anstauen.
„Warum bist du wütend auf mich?”, fragte Josh leise.
„Ich bin nicht wütend auf dich.” Emmas Stimme klang alles andere als überzeugend.
„Natürlich bist du wütend.” Wieder machte Josh eine Pause. „Jetzt sag schon.”
Emma seufzte. „Bist du nur mit mir ausgegangen, weil Hector es dir gesagt hat?”
„Darum geht es also?”
Emma zuckte mit den Schultern. Sie kam sich in diesem Moment total kindisch und albern vor.
Josh setzte sich aufrecht hin. „Emma, ich mag dich. Du bist ein toller Kumpel. Ich bin nicht nur nett zu dir, weil Hector es will.”
„Na dann”, erwiderte Emma lahm.
„Hast du heute Abend schon was vor?”, wechselte er das Thema.
„Ich bin mit Brian verabredet.” Emma hoffte, dass ihn diese Tatsache verärgern würde.
„Aha.” Seine einsilbige Antwort machte deutlich, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. „Wohin geht ihr?”
„Keine Ahnung. Wir wollen irgendwo was trinken gehen.”
„Na dann viel Spaß.”
„Was machst du?”
„Mal sehen. Ich werde es mir vor dem Fernseher gemütlich machen.”
„Mit einem schönen Root Beer und auf einen Anruf von Mallory warten?”, ergänzte Emma gehässig und bereute ihre Worte im selben Atemzug.
Josh erhob sich.
„Gehst du?”
„Die Mittagspause ist vorbei”, antwortete er unterkühlt.
Emma packte ihre Sachen und folgte Josh, doch er verlangsamte seinen Schritt nicht.
„Viel Spaß mit Lucy. Bis morgen”, sagte er genauso unterkühlt, wandte sich ab und ließ sie stehen wie ein dummes Schulmädchen. Emma wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.
Ein Kumpel von Brian stand auf und machte sich auf die Suche nach einem weiteren Stuhl. Brian deutete unterdessen auf den freien Platz neben sich. Emma zwängte sich an den anderen vorbei. Sie war überrascht gewesen, als Brian ihr zum Feierabend offenbarte, dass er sich mit ein paar Freunden traf und Emma mitnehmen wollte.
„Kannst du Emma auch einen Drink besorgen, wenn du schon unterwegs bist?”, rief Brian seinem Kumpel nach. Dann wandte er sich an Emma. „Was möchtest du trinken?”
„Eine Coke.” Sie überlegte, ob sie lieber etwas Alkoholisches hätte bestellen sollen, doch dann fiel ihr ein, wie streng die Amerikaner den Ausschank von Alkohol an Minderjährigen sahen. „Danke”, fügte sie noch hinzu.
„Kein Problem”, lautete die gutmütige Antwort des Jungen.
„Leute, das ist Emma”, sagte Brian zu den anderen am Tisch. „Das german girl, von dem ich euch erzählt habe.” Bevor Emma nachfragen konnte, was Brian erzählt hatte, stellte er ihr seine Freunde vor. „Mike, Lynn, Spike und Mary.” Er zeigte der Reihe nach auf sie. „Und der Typ, der dir was zu trinken holt, ist Hank.”
„Seit wann bist du in New York?”, fragte Lynn. Sie hatte lange blonde Haare und trug eine mintgrüne Bluse, die das Braun ihrer schlanken Arme perfekt hervorhob. Beim Platznehmen war Emma zudem aufgefallen, dass sie einen verdammt kurzen Rock trug.
„Seit drei Wochen.”
„Dauert der Flug nicht unendlich lange?”
„Es geht. Etwa acht Stunden.”
„Das wäre nichts für mich. Fliegen soll ja so die Haut austrocknen.”
Emma verzog leicht das Gesicht und stellte fest, dass ihr Lynn nicht sonderlich sympathisch war. Hank kam inzwischen mit dem Glas zurück. Emma nahm es entgegen und warf einen skeptischen Blick darauf. „
„Stimmt was nicht?”, wollte Brian wissen.
„Doch, ich vergesse nur immer, dass ihr in alle Getränke Unmengen Eis schüttet.”
„Dann nimm das.” Brian schob ihr seine Flasche Budweiser hin. „Oder traust du dich nicht?”
„Warum sollte ich mich nicht trauen?” Emma griff zu und leerte das Bier unter lautem Jubel.
„Das nenn ich doch mal einen Zug!”, sagte der Junge, den Brian als Spike vorgestellt hatte. Anhand seiner Oberarme konnte Emma erahnen, dass er viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte.
„Wie alt bist du eigentlich?”, fragte Mary, das andere Mädchen in der Runde. Sie trug eine enge Jeans und eine weit ausgeschnittene Bluse, die zumindest den Jungs sehenswerte Einblicke gewährte.
„Ich werde in drei Monaten siebzehn.”
„Du bist erst sechzehn?”, rief Spike aus, und alle Augen am Tisch richteten sich auf Emma. Genau in dieser Sekunde kreischte Lynn auf.
„Shit. Tut mir leid”, sagte Spike und streifte Flüssigkeit von Lynns tatsächlich sehr kurzem Rock.
„Nimm deine Finger da weg!” Lynn schlug nach seiner Hand. „Und hör endlich auf, dein Bier zu verschütten.”
„Und du bist wirklich erst sechzehn?”, fragte Hank noch einmal nach.
„Das ist echt der Wahnsinn, oder?”, antwortete Brian. „Sie sieht mindestens so alt aus wie wir.”
„Ist das ein Problem?” Emma war inzwischen ein wenig angesäuert, dass um ihr Alter so ein Gewese gemacht wurde.
„Nein, alles in Ordnung”, sagte Brian und legte ihr den Arm um die Schulter. In den folgenden Stunden lernte Emma die gesamte Clique besser kennen. Dabei erkannte sie, dass Lynn nicht die oberflächliche Zicke war, für die Emma sie anfangs gehalten hatte. Noch sympathischer war ihr aber Mary, die Emma an ihre beste Freundin Leonie erinnerte. So verging die Zeit recht schnell, und Emma trank, wenn auch heimlich, das eine oder andere Bier. Gegen Mitternacht kam irgendwer auf die Idee, noch in einen Club zu gehen.
„Ins Planet?”, schlug Hank vor.
„Coole Idee”, stimmten Lynn und Mary zu.
Als Emma aufstand, bemerkte sie, dass ihr das Bier doch ein wenig zu Kopf gestiegen war. Sie schwankte an den Tischen vorbei und war froh, an die frische Luft zu kommen. Draußen sah Emma, wie Lynn Brian auf den Rücken sprang. Sie kam nicht umher, Lynn ein weiteres Mal wegen ihrer schier endlosen Beine zu beneiden. Bestimmt hatte Mallory auch solche Beine. Einen Moment ärgerte sich Emma darüber, dass ihr gerade jetzt Joshs Freundin in den Sinn kam.
„Sie versucht schon eine ganze Weile, Brian rumzukriegen”, sagte Mary, die plötzlich neben Emma stand und sie unterhakte.
Erneut stieg Eifersucht in ihr auf. Diesmal in Richtung Brian. Man sollte meinen, dass Alkohol die Sinne vernebelt, aber in bestimmten Situationen schärfte er sie sogar noch.
„Was hält sie davon ab?”, wollte Emma mit belegter Stimme wissen.
„Brian. Die beiden waren schon mal kurz zusammen. Hat aber nicht funktioniert.” Mary zwinkerte ihr aufmunternd zu.
„Was hat nicht funktioniert?”, wollte Brian wissen.
„Nichts”, antwortete Mary.
Das Planet war ein paar Querstraßen weiter. Als sie ankamen, entdeckten sie eine Schlange vor dem Club. Als sie endlich an der Reihe waren, sprach der Türsteher ein Wort aus, das Emma einen Schreck in die Glieder fahren ließ.
„Ausweise!”
Emma sah, wie Brian, Lynn, Spike, Mary und Hank in ihre Taschen griffen, ein Dokument hervorholten und durch die Kontrolle gingen. Dann war sie dran.
„Ich habe keinen dabei”, gab sie zögernd zu. „Ich bin aber schon 21”, setzte sie mit festerer Stimme nach.
„Dann tut es mir leid, Schätzchen.” Ohne Emma eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte er sich dem nächsten Gast zu.
Emma überlegte, ob und wie sie den Türsteher bezirzen konnte.
„Emma”, rief Brian von der Tür aus.
Sie spürte, wie ihr Gesicht brannte, da sie von unzähligen Augenpaaren angestarrt wurde.
„Er will mich nicht reinlassen! Hab meinen Ausweis vergessen.” Emma warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
Brian wandte sich dem Türsteher zu. „Ach komm, sie ist extra aus Deutschland angereist, um den Club zu sehen.”
„Das ist mir scheißegal. Und wenn sie aus China hergeschwommen wäre! Ohne Ausweis geht es hier nicht rein!”
Brian starrte ihn verärgert an.
„Ist schon Ordnung”, antwortete Emma. „Ich mache mich auf den Heimweg. Wir sehen uns morgen.” Emma hoffte, dass Brian ein Gentleman war und sie nach Hause brachte, aber sie täuschte sich.
„Yep, dann bis morgen.” Brian drehte sich um und ließ Emma vor dem Eingang stehen. Ihr Gesicht brannte, als sie sich auf den Heimweg machte. Sicher war dies zum Teil auf den Alkohol zurückzuführen. Aber auch die Art, wie gleichgültig Brian akzeptiert hatte, dass sie nicht mit in den Club konnte, brachte ihr Blut und ihr Gemüt in Wallung. Außerdem wusste sie nicht genau, wie sie nach Hause kommen sollte. Für einen Moment überlegte Emma, ihre Mutter anzurufen, doch sie befürchtete, dass diese ihr ordentlich die Leviten lesen würde. In diesem Augenblick hielt ein Wagen neben ihr.
„Emma? Bist du das?“
Sie neigte den Kopf und erkannte Josh.
„Was machst du denn hier? Bist du mir etwa gefolgt?“
„Nein, ich bin zufällig hier vorbeigekommen. Aber mich würde interessieren, was du hier machst. Noch dazu ganz allein. Warst du nicht mit Brian verabredet?“
Die Erwähnung des Namens brachte ihre Gefühle erneut in Wallung. „Wir waren was trinken. Aber dann sind er und seine Freunde ins Planet gegangen. Und ich …“
„Und dann hat er dich einfach allein stehen lassen?“
Emma merkte, wie Joshs Stimme eine Spur schärfer wurde, was sie freute. Es zeigte, dass sie ihm nicht ganz gleichgültig war.
„Nein, ich habe ihm gesagt, dass es okay ist.“
„Ich fasse es nicht.“ Josh öffnete die Beifahrertür. „Steig ein, ich fahr dich nach Hause.“
Emma war noch nicht ganz eingestiegen, als Josh die Nase rümpfte.
„Wie viel hast du denn getrunken? Du riechst ja, als hättet ihr ganz schön einen gezischt.“
„Oh, hat deine kleine Schwester etwa über die Stränge geschlagen?“ Emma beugte sich zu Josh hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Aber mein großer, starker Bruder wird doch sicher nichts meiner Mama verraten, oder?“
Ohne etwas zu erwidern, ließ Josh den Motor an und brachte Emma nach Hause.