Читать книгу Ein letzter Tag mit dir - Patrick Osborn - Страница 9
Kapitel 3
ОглавлениеAls Emma am nächsten Morgen zum Frühstück erschien, herrschte in der Küche bereits reges Treiben. Rosalie war dabei, Eier und Speck zu braten. Hector saß am Tresen und war in die New York Times vertieft. Emmas Mutter wuselte aufgeregt herum, da sie sich heute bei der New Yorker Filiale ihrer Agentur melden sollte. Emma war durchaus stolz auf ihre Mum, die mit neunzehn Miss Germany geworden war und danach eine beachtliche Modelkarriere hingelegt hatte. Jetzt war die Zeit der Coverfotos vorbei, und sie stand bei einer renommierten und weltweit agierenden Agentur unter Vertrag, die sie für Messen oder Moderationen von Eventveranstaltungen vermittelte. Bei einer solchen Veranstaltung hatte sie auch Hector kennengelernt. Mit Ende vierzig war Claudia Chapman noch immer eine Schönheit. Eine Tatsache, mit der Emma keinerlei Probleme hatte, aber aus deren Schatten sie bisher nicht herausgekommen war. Zwar hatten ihr ihre Freunde mehr als einmal gesagt, wie hübsch sie war, aber sie fühlte sich neben ihrer Mutter wie ein hässliches Entlein – und das, obwohl sie ihr niemals den geringsten Anlass dazu gegeben hatte.
„Guten Morgen, Emma.” Rosalie lächelte ihr zu. „Wie ich gehört habe, war dein erster Tag mit Lucy ein voller Erfolg.”
„Du wusstest davon?” Emma blickte sie überrascht an.
„Si, ich weiß alles, was hier vor sich geht.” Sie füllte Eier und Speck auf einen Teller und legte ein Toast dazu. Dann stellte sie ihn vor Emma ab, die sich neben Hector gesetzt hatte. „So wie ich weiß, dass du ein kräftiges Frühstück brauchst, um gestärkt in den Tag zu gehen.”
„Danke, Rosalie. Das duftet wirklich lecker.”
Inzwischen war Claudia wieder in die Küche gekommen. Als Rosalie ihr einen Teller vorsetzen wollte, lehnte sie dankend ab. „Ich bekomme jetzt keinen Bissen runter.“
Hector faltete seine Zeitung zusammen, stand auf und trat auf Claudia zu. „Du siehst umwerfend aus, Darling. Oder was sagst du, Emma?”
Sie biss gerade herzhaft in ein Stück knusprigen Speck. „Hector hat recht. Du siehst toll aus, Mum. Du wirst sie alle überzeugen.“
„Seid ihr sicher?” Claudia trank einen Schluck Kaffee und verschwand wieder im Badezimmer. „Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so aufgeregt war.“
„Du schaffst das, Mum. Schau dich doch an. Wenn dir die Typen nicht zu Füßen liegen, dann weiß ich auch nicht.“
Emma warf ihrer Mutter einen bewundernden Blick zu. Das samtrote Kostüm schmeichelte ihrer Figur, für die sie so gut wie nichts machen musste. Gute Gene, sagte sie stets, was stimmen musste, da Emma, was ihre Figur betraf, von diesen Genen profitierte. Durch die passenden High Heels, die ihre Beine perfekt zur Geltung kommen ließen, bekam das Outfit ihrer Mum eine verdammt heiße Note. In diesem Augenblick wurde Emma wieder bewusst, dass sie mit ihrem Hang zu Jeans, T-Shirt und den ausgetretenen Converse Sneakers eher die Tochter ihres Vaters war. Und genau in solchen Momenten vermisste sie ihn fürchterlich.
„Emma hat völlig recht.“ Hector trat auf Claudia zu und nahm sie in den Arm. „Wenn sie dich nicht mit Jobangeboten überhäufen, müssen sie blind und dumm sein.“
„Sie sehen wirklich fantastisch aus, Señora Chapman“, meldete sich auch Rosalie zu Wort. „Trotzdem sollten Sie noch etwas essen.“
„Ihr seid so lieb, vielen Dank.” Mit einem Kopfschütteln lehnte sie Rosalies Angebot erneut ab.
„Wann ist dein Termin?“, wollte Emma wissen.
Claudia blickte auf ihre Uhr. „In gut vierzig Minuten.“
„Dann sollten wir los.” Hector trank seinen Kaffee aus. „Jorge wartet bereits auf uns.”
„Ich hab dich lieb, Kleines.” Claudia gab Emma einen Kuss. „Und viel Spaß mit Lucy.”
„Mum, ich bin fast siebzehn”, rief Emma in gespielter Empörung.
„Für eine Mutter bleibt die Tochter das ganze Leben ihre Kleine“, mischte sich Rosalie lachend ein.
„Ich hab dich auch lieb, Mummy.” Emma ließ den Kuss über sich ergehen. „Und viel Glück!”
Augenblicklich trat Ruhe ein. Emma leerte ihren Teller und trank ihren Tee aus, dann machte sie sich ebenfalls auf den Weg. Hector hatte ihr beim gemeinsamen Abendessen beschrieben, wie sie zum Park kam.
Eine knappe Dreiviertelstunde später fand sich Emma im Aufenthaltsraum des Tierparks ein und begrüßte Josh. Sie hatte gehofft, ihn hier zu treffen.
„Schön, dass du da bist. Lucy erwartet dich bereits. Wollen wir?”
Emma folgte ihm zum Gehege der Kapuzineraffen und erhielt auf dem Weg weitere Informationen, die Josh ihr am Vortag nicht mehr geben wollte. „Die Affen leben hauptsächlich hier auf dem amerikanischen Kontinent, wobei sie von Honduras bis in das südliche Brasilien anzutreffen sind. Sie lieben Wälder, egal, ob Mangroven- oder Gebirgswälder.”
„Warum wird Lucy eigentlich nicht von der Gruppe erzogen?”
„Weil das sehr selten ist. Die Väter halten sich bei der Aufzucht der Jungen grundsätzlich heraus, und Mary Sol hat Lucy nicht angenommen, zumal sie ein eigenes Jungtier hat.”
„Mary Sol?”, fragte Emma. Inzwischen hatten sie den Zwinger der Kapuzineraffen erreicht.
Josh deutete auf eine Affendame mit einem besonderen Braunton. „Das ist Mary Sol. Und siehst du das Äffchen auf ihrem Rücken? Das ist Amanda.”
Emma nickte.
„Willst du mir helfen? Wir müssen das Gehege säubern.”
„Sehr gern. Was muss ich tun?”
„Das zeige ich dir gleich. Zunächst ist Lucy dran.”
Emma und Josh betraten einen abgetrennten Teil, in dem Emma gestern bereits war und das Affenbaby sein Zuhause hatte. Es schlief noch, als Josh leise die Tür öffnete. Emma bereitete das Fläschchen für Lucy vor. In den nächsten Tagen sollte sie noch mit einer Ersatzmilch aufgezogen werden, bevor Emma sie dann langsam an das normale Futter heranführen sollte, das aus Früchten, Samen oder Kleintieren bestand. Mit sicherem Griff nahm sie das Affenbaby in den Arm. Es schlug die Augen auf und griff sofort nach der Flasche.
„Du machst das ausgezeichnet. Lucy scheint dich wirklich zu mögen.” Josh lächelte ihr zu. „Ich gehe schon mal rüber und versorge die restliche Bande. Kommst du dann nach?”
Emma nickte und sah, wie er die Gehegetür hinter sich verschloss. Nachdem sie Lucy versorgt und ein wenig mit ihr gespielt hatte, folgte sie ihm in das Gehege.
„Das ist Arnie, der Anführer der Horde.” Er zeigte auf ein stämmiges Männchen, das Emma mit festem Blick ansah.
„Wie viele Affen habt ihr derzeit hier?”
„Dreizehn. Leider sind vier dem Virus zum Opfer gefallen, darunter auch Lucys Mutter.”
„Und für die anderen Tiere besteht keine Gefahr?”
„Derzeit nicht.”
„Du hast gestern gesagt, dass du nur vorübergehend hier arbeitest. Was möchtest du denn machen?”
Josh blickte Emma überrascht an. „Ich wollte eigentlich Veterinärmedizin studieren.”
„Eigentlich?”, hakte Emma nach.
Josh nickte. „Leider hat sich mein Lebensweg anders entwickelt.”
„Stammst du aus New York?”
„Ich bin zumindest hier geboren und ein paar Jahre zur Schule gegangen.”
„Und dann?”
„Bin ich mit meinem Vater nach Bolivien gezogen. Er hat dort für Hector gearbeitet.”
„Bolivien?”, fragte Emma überrascht.
„Sag bloß, du wusstest nicht, dass Hector aus Bolivien stammt?”
„Doch, schon. Meine Mutter hat das mal erwähnt. Aber …”
„Aber es hat dich nicht wirklich interessiert”, vervollständigte Josh ihren Satz und traf damit voll ins Schwarze. Dies war Emma unangenehm, was sich an ihrem hochroten Kopf zeigte. „Das muss dir nicht peinlich sein”, sagte Josh lachend. „Ich habe gehört, dass du keine Lust auf New York hattest.”
„Was hat dein Vater in Bolivien für Hector gemacht?”, wechselte Emma wieder das Thema.
„Hector hatte dort eine Lebensmittelfabrik, und mein Vater war als Vorarbeiter für ihn tätig.” Josh machte eine kurze Pause. „Bis er bei einem Brand in der Fabrik ums Leben gekommen ist.”
„Das tut mir leid.” Emma drückte für einen kurzen Moment Joshs Arm. „Was war mit deiner Mutter?”
„Die hat sich nicht sonderlich für mich interessiert. Kurz nach meiner Geburt hat sie mich bei meinem Vater gelassen und ist nach Vegas getürmt. Sie träumte von der großen Karriere.”
„Das ist schlimm.”
„Es ist, wie es ist. Mein Dad hat das gut gemacht, und die Zeit in Bolivien war nicht die schlechteste.”
„Und was ist dann passiert?”
„Na ja, nach seinem Tod bin ich abgerutscht und habe ein paar unschöne Dinge getan. Dinge, für die ich mich heute schäme. Und die dafür verantwortlich sind, dass ich nicht den Beruf ausüben kann, den ich wollte.”
„Und Hector?”
„Er hat mir geholfen, als es mir wirklich schlecht ging. Er hat an mich geglaubt.”
„In dem er dir den Job besorgt hat?”
Josh fegte gerade die Reste des Essens zusammen. „Das ist ja wie bei einem Verhör hier, Emma.” Joshs Ton hatte an Schärfe zugenommen.
„Entschuldigung. Ich wollte nicht neugierig sein.”
„War nur Spaß, keine Angst.”
Emma atmete erleichtert auf, als Josh weitererzählte.
„Ich habe echt eine schwierige Zeit hinter mir. Ich habe die unterschiedlichsten Jobs hingeworfen und mich mit Leuten angelegt, aber Hector hat mich nicht fallenlassen und mir immer wieder einen neuen Job besorgt. Mal in seinem Unternehmen, mal bei Geschäftspartnern oder Freunden, die ihm einen Gefallen schuldig waren.”
„Bist du zusammen mit Hector nach New York gekommen?”
„Ja, vor etwas mehr als fünf Jahren.”
„Und dann hast du hier angefangen?”
„Nein, da gab es noch einige andere Jobs. Aber letztlich bin ich hier gelandet und fühle mich sehr wohl.” Josh deutete mit einem Lachen auf den Besen. „Jetzt lass uns weitermachen.”
Emma nickte ihm zu, wobei sie sich gern weiter mit ihm unterhalten hätte. Sie fand es toll, wie offen er mit ihr sprach. Emma wurde das Gefühl nicht los, ihren ersten Freund in New York gefunden zu haben. Damit wurde der Aufenthalt hier wieder ein Stück angenehmer.