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Winter 1952

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Die Mondgöttin heißt Selene“, erklärte ich Davy an einem dunklen Winterabend, über dem der Vollmond schwebte. Seit Vermont waren sechs Monate vergangen, und der Friede, den jene Reise gebracht hatte, war verblasst wie ein Wasserfall, der stromabwärts längst außer Sicht geraten war. Mein älterer Sohn und ich lagen in dicke Jacken gehüllt still auf einer Decke, schauten hinauf zum Himmelsgewölbe und nannten die Konstellationen beim Namen. Er trug inzwischen eine Brille – die Veranlagung dafür hatte er von mir geerbt –, und seine Augen schienen hinter den runden Gläsern zu wachsen.

„Ich habe einmal ein Gedicht über ihn geschrieben“, sagte ich ihm. „Über den Mond, meine ich. Ich habe mir vorgestellt, dass flüssiges Silber von ihm tropft.“

Davy war ganz vernarrt in die Astronomie. Regelmäßig stöberten wir in der Bibliothek nach Büchern über Himmelskörper. In dieser Begeisterung fühlte ich mich ihm näher als in allen anderen Dingen, für die er sich in seinem kurzen Leben interessiert hatte. Ich konnte geradezu spüren, wie sein kleiner, rastloser Körper pulsierte. Als Kind war ich genauso vernarrt in den Himmel und die Sterne gewesen. Das Firmament verlangte nichts von mir, bot mir aber alles. So wie Davy in den seltenen Momenten, in denen er sich nicht wild um sich schlagend seinen Weg durch die Welt bahnte.

Indessen ging Douglas ganz in der irdischen Welt auf, sei es in einem Fort, das er sich gebaut hatte, oder in dem Schlamm, in den er sich beim Crum Elbow Creek stürzte, der über moosbedeckte Felsen und silberne Kiesel quer über unser Grundstück floss. Topsy, unser Hund, den wir aufgenommen hatten, folgte Douglas auf Schritt und Tritt, wenn er über das Gelände streifte. Und es war dort draußen, mitten in der Natur, wo ich Zugang zu meinem jüngeren Sohn fand. Er grub seine Hände in die Erde meines Gartens und schlenderte vergnügt durch den Obstgarten, den ich gepflanzt hatte. Er schien genauso zu sein, wie ich als Kind gewesen war – ein Einzelgänger, aber ganz zufrieden mit seinem Los.

Abends kniete ich mich an die Betten meiner Söhne, um mit ihnen zu beten, sie zuzudecken und ihre weichen Wangen zu küssen. Meine wunderbaren Jungs, die inzwischen sieben und neun Jahre alt waren.

Im Trubel des Alltags zwischen Schreiben und dem Kümmern um die Jungs verlor ich mein Zeitgefühl. „Ich liebe euch“, sagte ich stets, wenn ich das Licht ausschaltete. „Schlaft gut.“

Die Tage verbrachten wir zusammen mit Lesen oder mit Spielen unter freiem Himmel. Das Farbfernsehen hatte mittlerweile unseren Teil der Welt erreicht, doch wir hatten kein Geld für solchen Luxus, selbst wenn wir ihn gewollt hätten. Und wann immer ich meinen Kindern Märchen und geheimnisvolle Geschichten vorlas, wuchs in mir der Traum, England zu besuchen und meinen Freund Jack zu treffen.

Unsere Brieffreundschaft bestand nun schon seit zwei Jahren, und ich freute mich jedes Mal auf seine Briefe wie auf den Frühlingsanfang. Ich hungerte nach ihnen. Bisweilen geradezu verzweifelt.

Jack:

Wir warten hier darauf, dass der Garten erblüht. Ich sehe schon vor mir, wie die Birken das Grün über unseren Köpfen sprießen lassen. Ich glaube, der Frühling kommt hier später als bei Ihnen. Ich hoffe, diese Jahreszeit bringt Sie wieder zum Gedichte schreiben, denn ich weiß ja, wie sehr Sie das vermissen. Oh, und haben Sie schon gehört – Königin Elisabeth wird nun den Thron besteigen, sie ist erst vierundzwanzig Jahre alt. In dem Alter war ich noch völlig grün hinter den Ohren, und sie wird Königin von England sein.

Joy:

Die Primeln lugen aus dem Boden hervor, rot und gelb und scheu. Ich warte darauf, dass die Tomaten so reif werden, dass sie wie voller Ungeduld aus der Haut platzen. Hoffentlich bekomme ich eines Tages England und Ihren Garten zu sehen.

Ja, ich schreibe wieder Gedichte, und ich versuche mich sogar an Sonetten.

Oh, die arme Elisabeth! In ihrem Alter war ich eine lautstarke Atheistin. Ich engagierte mich in der Kommunistischen Partei und der League of American Writers und schrieb an meinem ersten Gedichtband (Letter to a Comrade) – was alles keineswegs vergleichbar mit einer Königin ist.

Vor Jack sparte ich nichts aus, er sah wirklich mich, selbst dann, wenn ich ihm von meinen peinlichsten Patzern und Fehlern erzählte, meinen niederschmetterndsten Rezensionen und Missgeschicken.

An einem späten Nachmittag im Januar saß ich über meine Schreibmaschine gebeugt und versuchte, eine Kurzgeschichte zu beginnen, während ein stechender Husten mir ein Loch in die Brust riss. Das Hustenmittel, das ich einnahm, machte mich flatterig und hellwach, nützte aber ansonsten kaum. Ich hatte gerade meinen Kopf auf den Tisch sinken lassen, als Bill mit einem Brief in der Hand hereinkam.

„Hier ist wieder mal eine Lieferung für Mrs. Gresham“, sagte er. „Aus Oxford, England.“

„Wenigstens ist es nicht wieder eine Rechnung.“ Ich versuchte zu lächeln.

Bill warf den Brief auf den Tisch und hielt inne. „Was machen wir heute Abend mit dem Essen?“

Ich sah ihn an, völlig erschöpft wegen alldem. „Ich weiß nicht.“

Ohne ein Wort verließ er das Zimmer, und ich riss den Umschlag auf, der von England über den Ozean gereist war.

Jack:

Nur indem wir uns selbst aufgeben, finden wir unser wahres Selbst.

Indem wir die Wut aufgeben, die liebsten Sehnsüchte und Wünsche.

Joy:

Oh, wie ist das möglich? Das möchte ich wissen.

Meine Mutter wollte immer, dass ich jemand anderes sei, verglich mich mit meiner Cousine Renee und mit den schönen Frauen auf der Straße. Mein Vater, nun, für den konnte ich nie gut genug sein, geschweige denn auf sein Verständnis hoffen. Meine Eltern hielten Kritik für einen Liebesbeweis. Und Bill? Er erwartet von mir, dass ich eine Art von Ehefrau bin, die ich nicht sein kann, wie sehr ich auch bete oder mich bemühe. Solche Wunden heilen nicht leicht, auch nicht unter der „Aufgabe“ eines falschen Selbst, um das wahre Selbst zu finden.

Der Winter nahm im Staat New York seinen gewohnten Lauf, und die Infektion, die in meinen Lungen begonnen hatte, breitete sich bis in meine Nieren aus. Schließlich wurden Fieber, Schwindel und Erbrechen so schlimm, dass ich für ein paar Tage ins Krankenhaus musste. Als ich endlich wieder nach Hause durfte, verordnete mir der Arzt strenge Bettruhe.

Krankheiten verfolgten mich schon mein ganzes Leben lang, aber ich war immer wieder auf die Beine gekommen. Als Kind hatte man mich mit allem Möglichen traktiert, von Radium-Halsbändern gegen meine Schilddrüsenunterfunktion bis hin zu Leberpillen gegen meine Müdigkeit.

Von diesem letzten Krankheitsschub erholte ich mich jedoch nicht so einfach. Im Bett starrte ich an die Decke, während die Wände immer enger zusammenzurücken schienen und es sich anfühlte, als wäre eine Tür fest verriegelt. Kein Entkommen! Ich ertastete mit den Fingern den Knoten in meiner linken Brust – wenigstens hatte der Arzt gesagt, dass der nichts zu bedeuten hatte.

Dr. Cohen, unser grauhaariger Hausarzt mit Brillengläsern so dick wie Glasbausteine, kam eines Nachmittags zur Visite und saß mit dem Stethoskop um den Hals, die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, auf meiner Bettkante. Seine Worte richtete er an Bill, als wäre ich durch meine Krankheiten unsichtbar geworden. „Ihre Frau braucht dringend Ruhe.“

Seine Frau. So wurde ich nun definiert. Ich war das Objekt des Lebens eines anderen statt das Subjekt meines eigenen.

Vom Flur her ertönte plötzlich ein dumpfer Schlag; dann bellte Topsy, und Davy schrie auf. Bill stürzte von meinem Bett zur Tür.

„Bill“, sagte Dr. Cohen mit Nachdruck.

„Ja?“ Er drehte mit der Hand den Türknauf, als wolle er fliehen.

„Ich meine das sehr ernst. Von einem weiteren Schub wird Ihre Frau sich nicht erholen. Es ist zu viel. Sie müssen beide einen Weg finden, um ihr Ruhe zu verschaffen, auch wenn das bedeutet, dass sie für eine Weile woanders hingeht. Mir ist egal, wohin – aber irgendwohin, wo sie genesen kann. Ihr Körper kann in diesem Zustand keine weiteren Krankheiten verkraften. Verstehen Sie die Ernsthaftigkeit dessen, was ich Ihnen sage?“

Bill nickte. „Ja, ich verstehe.“

Douglas kam durch die Schlafzimmertür gestürmt, dem Fäuste schwingenden Davy auf den Fersen. Bill beförderte sie schnell wieder nach draußen, folgte ihnen und schlug die Tür hinter sich zu.

Dr. Cohen und ich hörten ihn brüllen: „Ab in eure Zimmer, alle beide, und wartet auf eure Abreibung! Mir reicht es jetzt!“

Ich schloss die Augen und stürzte innerlich ab, hinein in die Verzweiflung. Was konnte ich denn jetzt bloß tun? Mein Körper hatte mich im Stich gelassen.

Hoffnungslosigkeit war meine Gefährtin und Fantasie mein Ausweg.

Jack:

Oh, meine liebe Freundin. Wenn Ihr Mann trinkt und untreu ist, welche Wahl bleibt Ihnen dann? Ehebruch ist etwas Ungeheuerliches, ein Versuch, aus der heiligen Vereinigung einen Aspekt herauszulösen. Aber manchmal, Joy, ist eine Scheidung ein chirurgischer Eingriff, der erfolgen muss, um ein Leben zu retten. Sind die Jungen in Sicherheit? Wäre es Ihnen möglich, Urlaub zu machen und nach England zu kommen? Wir beten für Sie, wie immer.

Joy:

Danke für Ihre Freundlichkeit. Ich stimme mit Ihnen überein, doch wenn man mittendrin steckt, ist es schwer, eine Perspektive zu gewinnen.

Oh Jack, ein Urlaub? Ja, ich träume davon, nach England zu kommen. Ich träume von so vielem.

Die Tage zogen sich und waren voller Schmerzen. Die Pillen vermochten das Pochen in meinen Nieren kaum zu lindern. In einer Nacht gab es ein schreckliches Wintergewitter, das die Fenster mit einer durchsichtigen Eisschicht überzog, und Bill war nicht nach Hause gekommen. Erinnerungen an frühere Vorfälle, wo er verschwunden war, tauchten auf wie quälende Gespenster. Schließlich hörte ich ihn irgendwann in dieser schlaflosen Nacht hereinkommen. Erst seine Schritte auf der Treppe, das Klicken der Mechanik der alten Türknäufe und dann stand er in unserem Schlafzimmer.

Sein Schatten fiel längs neben das Bett, und seine Gestalt beugte sich über mich, um mich auf die Stirn zu küssen. „Poogle, dein Fieber scheint weg zu sein.“

Der klebrig-schwülstige Geruch von Sex, der an ihm haftete, überwältigte meine Sinne und machte mich schwindlig. Könnten doch Schmerzmittel bloß auch den Schmerz des Verrats lindern! „Wo bist du gewesen?“ Ich erhob meine Stimme, sie klang erschöpft, aber war fest.

„Hey“, sagte er leise, „sei nicht böse. Das hat nichts damit zu tun, wie sehr ich dich liebe, Poogle. Verstehst du das nicht? Die Bedürfnisse eines Mannes müssen befriedigt werden, und du bist nicht in der Verfassung, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Ich versuche nur, gut zu dir zu sein und dir Zeit zu lassen, wieder gesund zu werden, während ich meine Batterien auflade.“

„Wer war es dieses Mal?“ Meine Frage kam flüsternd, wie ein letzter Atemzug.

„Ach Joy, mein Schatz. Frag mich doch nicht nach Dingen, die du gar nicht wissen willst.“ Er stand auf und wich zurück, als hätte er selbst gerade erst bemerkt, wie er roch.

Jack:

Natürlich spricht Gott in unseren Schmerzen zu uns – es ist sein Megafon, um uns zu erreichen.

Joy:

Könnte ich doch nur hören, was er sagt; meistens übertönt dieses Megafon des Schmerzes alles andere, sodass ich nichts verstehen kann. Im Moment meiner größten Schwäche – mein Roman ein Flop, meine Gesundheit zerrüttet – hat Bill beschlossen, dass es das Beste sei, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.

„Ach Joy“, sagte Bill mit diesem aufgesetzten Südstaaten-Singsang in seiner Stimme. Er legte sich neben mich, streckte sich und legte dabei sein Bein über meine, eine Geste der Liebe und Vertrautheit. Sein Atem roch nach schlechtem Whisky und Zigarren. „Ruh dich aus. Werde gesund. Und wenn es so weit ist, wird es uns beiden besser gehen. Warte nur, du wirst schon sehen.“

Aber mir war klar, dass es nicht besser werden würde. Wenn ich nicht wegging, würde ich sterben. Das spürte ich so sicher, wie ich wusste, dass es bald Frühling werden würde, dann Sommer, dann Herbst, und dann wieder der verfluchte eisige Winter.

Gott, betete ich verzweifelt, bitte hilf mir. Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Mrs. Lewis

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