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August 1952

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Ich ging in Southhampton von Bord der SS United States und blinzelte durch meine Brille in die fremde, in Küstennebel und Kohlenstaub gehüllte Umgebung. Das Land und die üppig-grüne Pracht, die es für mich bereithielt, warteten irgendwo da draußen.

Vermutlich bot ich einen ziemlich sehenswerten Anblick, als ich mein Gepäck energisch hinter mir her zerrte, denn trotz des Nebels und des Drecks fühlte ich mich so leicht und fröhlich, dass das Unwohlsein, das ich seit Jahren mit mir herumgeschleppt hatte, von mir abfiel wie eine alte Haut. Es hätte mich nicht überrascht, wenn jemand hinter mir hergerannt wäre und mir zugerufen hätte: „Sie haben da hinten eben etwas fallen gelassen!“

Meine Familie hatte ich in Amerika zurückgelassen, und ich wusste, dass manche meiner Nachbarn und Freunde dafür kein Verständnis hatten. Die Leute in unserer Kirchengemeinde runzelten die Stirn. Andere Frauen redeten über mich. Starben nicht doch auch ihre Seelen in ihnen ab? Spürten sie nichts von jener Unruhe, die wie ein inneres Licht in einem aufleuchtet und schreit: „Lass mich leben!“?

Vielleicht hatte unser Schöpfer jede von uns so geschaffen, dass das nicht für alle Frauen zutraf. Ich hätte weiter auf dem Weg bleiben können, auf dem ich ging, leer und verbittert, krank und innerlich verzweifelt. Ich hätte mir noch mehr Mühe geben können, den Whiskygestank meines trunksüchtigen Mannes auszulöschen, die Böden noch sauberer zu schrubben, mein betrübtes Herz zum Schweigen zu bringen. Natürlich hatte ich das tun können, aber welchen Preis hätte mich das gekostet?

Eine komplexe Sinfonie von Akzenten – von Cockney und melodischem Irisch bis hin zu gehobenem Queen’s English – begleitete mich auf dem gepflasterten Weg, als wäre sie eigens für meine Ankunft geschrieben worden. Ich bestieg einen Zug und fuhr nach London, wo ich ausstieg und ein Taxi nahm. Die Schönheit der Stadt zog an mir vorbei: Kopfsteinpflaster und rote Doppeldeckerbusse, Laternenpfähle, die sich so majestätisch über die Straßen beugten, dass es aussah, als bewachten sie die Stadt. Männer in Anzügen auf Fahrrädern, Frauen in eleganten, taillenbetonten Kleidern, die auf hohen Absätzen daherstöckelten. Kathedralen mit Türmen, die sich dem Himmel entgegenstreckten. Kirschrote Telefonzellen an den Straßenecken, deren Türen oft offen standen wie eine heimliche Einladung. Schließlich erreichte das Taxi Phyls Wohnung in der 11 Elsworthy Road – einer von Birken und Ahorn gesäumten Straße, die verlockend wie ein Geheimgang war.

Ich glaubte immer noch die Meereswogen unter meinen Füßen zu spüren, als ich auf den Stufen stand und mit der zuversichtlichen Hoffnung auf einen neuen Anfang an die Tür klopfte. Phyl riss die Tür auf, und im ersten Moment erkannte ich sie nicht. Das letzte Mal hatte ich sie zu Hause in Staatsburg gesehen, blass und von Selbstmordgedanken geplagt – doch nun stand sie mit roten Wangen und einem strahlenden Lächeln vor mir, begrüßte mich überschwänglich und drückte mich fest an sich. „Da bist du ja!“

Transformation. Ja! Das war es, was ich suchte. Indem ich es beim Namen nannte, machte ich es mir zu eigen – eine Transformation meines Herzens und meines Leibes.

Und beginnen würde es hier in London.

Heute werde ich Jack treffen. – Dieser Gedanke ließ mich in Phyls Gästezimmer mit einem Lächeln erwachen. Ich war nun schon seit einem Monat in England. Es war mir wichtig gewesen, bevor ich meinem Brieffreund begegnete, zu Kräften zu kommen, mich ein wenig zu sammeln und mir den Frieden und die Ruhe zu gönnen, die ich dringend benötigte. Heute nun war es so weit.

Der Teekessel pfiff. Es war Zeit aufzustehen.

In den letzten Tagen war ich Englands Charme erlegen. Die Zeit war verflogen und hatte mir bewiesen, wie relevant sie ist, dass sie schneller vergeht, wenn man glücklich ist. Sie rann an mir herunter wie Wasser von einer hohen Klippe. Die Neugier hatte mich gepackt, alles über die 900 Quadratmeilen große königliche Stadt zu lernen und zu erfahren, was ich nur konnte. Schließlich musste die lange Trennung von meinen kleinen Jungen die Reise wert sein, und ich setzte alles daran, dass es so war.

Als Phyl und ich über den Trafalgar Square schlenderten, schnaufte sie atemlos: „Du musst mittlerweile durch die ganze Stadt gelaufen sein. Bist du es noch nicht leid?“

„Leid?“ Ich breitete die Arme aus und lachte. „Beim Laufen konnte ich schon immer am besten die schwermütigeren Anteile meiner Persönlichkeit abstreifen. Und ich bin einfach überwältigt von der Schönheit dieser Stadt.“ Ich setzte mich auf den Rand des Brunnens und winkte sie zu mir. „Was ich faszinierend finde, ist die Art und Weise, wie ich jetzt die Dinge sehe. Es kommt mir vor, als hätte ich durch den Glauben an Gott neue Augen bekommen; die Welt steckt voller Möglichkeiten und Faszination. Sie ist nicht mehr bloß Natur oder einfach Schönheit – sie ist eine Offenbarung.“

Sie blinzelte in die Sonne und gab mir einen Rippenstoß. „Für mich sieht sie genauso aus wie immer.“

„Oh, Phyl!“ Ich streckte meine Hände zum Himmel. „Erkennst du nicht, dass alles möglich ist? Alles! Die Welt verändert sich, wenn man die Liebe versteht, die dahinter, darüber und darunter steckt.“

„Du schnappst dir das Leben mit beiden Händen, Joy.“ Sie klopfte anerkennend auf mein Knie.

Wir gingen wieder nach Hause. Während der verbliebenen Wochen wurde ich von den Zahnärzten und Ärzten, die ich besuchte, durch die Mangel gedreht – meine Genesung war ein Hauptzweck dieser Reise. Außerdem verbrachte ich tagsüber viel Zeit mit Lesen und Recherchen, Schreiben und Unterwegssein. Ich lernte neue Freunde kennen und fand eine Schriftstellergruppe.

Viele Briefe gingen hin und her zwischen Bill, den Kindern, Renee und mir. Ich wollte ihnen von jeder Einzelheit meiner Reise berichten.

Joy:

Oh Renee, ich wünschte, du wärst mit mir am Trafalgar Square gewesen, wo ich ein spanisches Restaurant entdeckte, das du geliebt hättest. Aber eins ist mir klar geworden: Die Londoner müssen halbe Enten sein. Ohne die Kreppsohlen an meinen Schuhen hätte ich durch die Straßen schwimmen müssen.

Bill:

Ich freue mich sehr, zu hören, dass alles „eitel Freude und Sonnenschein“ für dich ist und dass du wunderbar glücklich bist, aber wir machen hier eine schwere Zeit durch. Das Geld ist knapp. Verzeih, dass ich dieses Mal nicht mehr schicke.

Joy:

Liebster Poogle,

es tut mir sehr leid, dass das Geld zu knapp ist. Ich werde hier mein Möglichstes tun, zu schreiben und zu verkaufen und das Kleingeld zusammenhalten. Ich denke oft an dich: Ich wünschte, du hättest hier bei mir sein können, als ich ein Freilufttheater besuchte und ein mächtiges Gewitter das Zelt durchschüttelte, so wie damals in Vermont! Einen Ausflug nach Hampstead Heath habe ich auch gemacht und dort sehr günstig drei Kunstwerke erstanden, darunter ein Aquarell für nur fünfunddreißig Schillinge. Es ist ein wunderschönes Viertel, mit allen möglichen Künstlern und Schriftstellern. Vielleicht sollten wir das Haus verkaufen und hierherziehen. Alles Liebe, Joy

P. S. an Davy: Im Aquarium hier gibt es einen anderthalb Meter langen Salamander aus Japan!

Davy hatte mir geschrieben, dass Bill ihm endlich erlaubt hatte, eine Schlange anzuschaffen – er nannte sie Mr. Nichols. Ich musste immerzu an meine Jungs denken, und als ich den Londoner Zoo besuchte, vermisste ich sie sehr und kaufte Souvenirs, um sie ihnen zu schicken.

Ich besuchte Madame Tussauds und jede Kapelle, jede Kathedrale und jede Kunstgalerie, die mir offenstand. Dann machte ich mich auf eigene Faust auf den Weg nach Canterbury, wo ich das Gefühl hatte, in ein Buch einzutauchen, das ich als Kind gelesen hatte. Noch nie hatte ich ein Land gesehen, das aus meinen Träumen entsprungen zu sein schien: die verführerischen, sanft geschwungenen Hügel in ihren vielfältigen Grüntönen, durchzogen von Steinmauern und übersät mit Schafen.

Immer wieder aufs Neue verliebte ich mich in England. Mit jedem neuen Anblick verwandelte sich meine Seele ein wenig mehr. Ich wollte stark und fest gegründet sein, bevor ich Jack persönlich kennenlernte.

Ich reiste durch Kent, eine Landschaft voller Kühe und gewundener goldener Hügelketten. Ich versuchte sie in meinen Briefen zu beschreiben, aber wie nur sollte ich ihr gerecht werden? Meilen über Meilen voller Apfel-, Birn-, und Pflaumenbäume. Haselnusssträucher und Ebereschen mit roten Beeren, lodernd wie ein Feuer, das nicht verzehrte. Kastanienbäume und Hopfenfelder flogen an mir vorbei wie Bilder von Renoir. Ich saugte alles in mich hinein, was ich sah. Unter den Bombenkratern aus dem Zweiten Weltkrieg kamen antike römische Straßenpflaster und Mauern zum Vorschein. Wohin ich auch sah, gab es eine Geschichte. Wie provinziell und langweilig kam mir im Vergleich dazu Amerika vor.

Und dann die Freunde, die ich fand. Nach zwei Tagen Aufenthalt klopfte ich auf Jacks Drängen hin an die Tür von Florence Williams. Ihr verstorbener Mann Charles Williams hatte sie immer seine „Michal“ genannt, und obwohl er nun nicht mehr lebte, war der Name geblieben. Er war ein Dichter, Theologe und Schriftsteller gewesen und hatte gemeinsam mit Jack und J. R. R. Tolkien den Inklings angehört. Ein Zufall, über den wir beide herzlich lachen mussten, war die Entdeckung, dass Bill ein Vorwort zu einem der Bücher ihres verstorbenen Mannes, Die Trumpfkarten des Himmels, geschrieben hatte. Wir wurden nicht nur enge Freundinnen, sondern sie brachte mich auch mit einer Schar von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in London zusammen – eine Gruppe von Science-Fiction-Autoren, die sich an den Donnerstagabenden in einer Querstraße der Fleet Street in einem alten Pub mit niedriger Decke namens The White Horse trafen. Sie nannten ihre Gruppe den „London Circle“, und ich barg mich in ihrer Mitte und schloss diesen Kreis um mich. Bei Starkbier und Würstchen ließ ich mich berieseln von ihren Geschichten, Debatten und Neuigkeiten aus der Verlagswelt. Nach Gemeinschaft hatte ich gesucht, und Gemeinschaft hatte ich gefunden, als wäre ich schiffbrüchig auf einer Insel gestrandet.

Bill:

Schön zu hören, dass du schon beim Arzt und beim Zahnarzt warst. Ich hoffe, es geht dir zunehmend besser. Den Jungs geht es gut, aber sie vermissen dich mehr, als sie zugeben wollen.

Renee:

Danke für den Liberty-Schal! Ich trage ihn jetzt ständig. Sei Bill bitte nicht böse, dass er nicht viel Geld schicken kann; wir sind so pleite, wie man nur sein kann – tut mir leid, dass ich so schwermütig bin, aber es ist einfach die grauenhafte Wahrheit: Bill hat Mühe, irgendetwas zu verkaufen.

Joy:

Lieber Poogabill,

es tut mir leid, dass du kein Geld schicken kannst und dass du tatsächlich so pleite bist, „wie man nur sein kann“. Ich schreibe jeden Tag, und sobald ich etwas verkaufe, werde ich dir etwas Geld schicken. Bis dahin komme ich schon irgendwie durch – Gott sei Dank habe ich ja bei Phyl ein Dach über dem Kopf. Du wirst begeistert sein, wenn du hörst, dass ich eine Schriftstellergruppe gefunden habe. Die meisten von ihnen schreiben Science-Fiction, viele von ihnen kennen deine Werke. Und weißt du, wen ich getroffen habe? Arthur C. Clarke! Ich weiß, dass du ein großer Fan seiner Science-Fiction bist. Was meine Gesundheit angeht, so habe ich mich noch nie besser gefühlt. Warte nur ab, mein süßer Bill, wenn ich nach Hause komme, werde ich die netteste Poogle sein, die du je erlebt hast.

„Joy!“, rief Phyls Stimme aus dem Flur. „Wir müssen los, sonst verpassen wir den Zug nach Oxford.“

Ich hatte mich schon dreimal umgezogen und verschiedene Hüte probiert. Beinahe hätte ich mich für den schwarzen Jaeger-Wollpullover entschieden, den ich mir gerade gekauft hatte, aber dann erschien er mir doch ein wenig zu trostlos, und ich hatte ihn beiseitegelegt. Ich hatte mir die Haare hochgesteckt und dann wieder heruntergelassen, um sie dann doch zu meinen gewohnten Knoten zusammenzustecken. Michal Williams hatte mir gesagt, dass Jack es mochte, wenn Frauen sich mit ihrer Kleidung Mühe gaben.

Phyl steckte ihren Kopf ins Zimmer und legte sich die Hand auf die Brust. „Du siehst wunderschön aus. Ich liebe dieses Tartankleid.“

„Oh, Phyl!“ Ich zog meine Strümpfe hoch und befestigte sie an den Strumpfbändern. „Ich frage mich, worüber wir reden werden. Ich bin nicht besonders gut darin, neue Menschen kennenzulernen. Dafür ist im Königreich unserer Ehe Bill zuständig. Er ist verbindlich und charmant, er lacht laut und erzählt Witze, er spielt Gitarre und beteiligt sich an Spielen. Ich stehe meistens in irgendeiner Ecke und diskutiere über Politik oder Religion oder Bücher.“ Ich setzte mir die Brille auf die Nase und lächelte Phyl an.

„Aber du kennst diesen Mann doch schon.“

„Ich glaube schon. Aber er bringt einen Freund mit, wir werden also zu viert sein.“ Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und steckte meine Haare unter den Hut aus gerippter Seide mit dem blauen Band. „Danke, dass du mitkommst.“

„Das tue ich gern“, versicherte sie mir. „Schließlich will ich ihn auch kennenlernen. Und überhaupt, Oxford – wer wäre bei einem Ausflug nach Oxford nicht dabei? London gefällt dir? Warte nur ab. Und du wirst Victorias kleines Gästezimmer lieben. Es ist ebenso praktisch wie gemütlich.“

Ich nahm mein Gepäck und straffte meine Schultern. „Dann lass uns aufbrechen.“


Phyl und ich saßen nebeneinander, als der Zug sich ruckelnd in Bewegung setzte. Sie las einen Roman, und ich beobachtete ihr Gesicht. Ihre langen Wimpern wanderten auf und ab, als plötzlich eine furchtbare Erinnerung in mir aufstieg: ein schrecklicher Streit mit Bill im Dezember des letzten Jahres. Er hatte Phyl in unserem alten Chrysler zum Pier 88 in Manhattan gebracht, wo sie ihre Rückreise nach London antreten wollte. Ich war nach dem Eingeständnis seiner Untreue in den vergangenen Nächten krank, unglücklich, in mich verschlossen und argwöhnisch gewesen und hatte meine Sinne nicht beisammen gehabt. Als Bill anrief, um mir zu sagen, dass der Motor unseres Autos muckte und er die Nacht im Hotel Woodstock verbringen würde, beschuldigte ich ihn, Phyl zu verführen. Ich schrie und fluchte und machte mich lächerlich. Er wiederum beschimpfte mich wütend. Ich erinnerte mich nicht mehr genau an die Worte, aber sie hatten klaffende Wunden in meine Seele geschlagen, die noch nicht vernarbt waren.

Phyl hatte sich als überaus loyale und wohltuende Freundin erwiesen; ich fragte mich, wie ich je hatte auf den Gedanken kommen können, sie würde sich derlei Unsinn von meinem Mann gefallen lassen. Und Bill hatte geschworen, mit seiner Untreue sei es vorbei … aber für eine Ehefrau ist es nie vorbei. Niemals.

„Phyl“, sagte ich, als der Zug eine kohlefarbene Dampfwolke ausstieß und in Richtung Oxford losrollte.

„Hmmm?“

„Ich bin nervös. Ist das nicht komisch? Warum sollte ich nervös sein, nur weil ich einen Mann und seinen Freund in einem Restaurant treffe? Ich habe in meinem Leben schon Hunderte von Schriftstellern kennengelernt, und die meisten von ihnen waren die Ehrfurcht nicht wert, die ich ihnen entgegenbrachte.“

„Weil du diesen Schriftsteller so sehr respektierst. Ich glaube, du hast einfach Angst davor, dem wirklichen Menschen zu begegnen. Vielleicht ist er gar nicht so toll, wie du ihn dir vorstellst.“

Ich musste lachen – wie immer zu laut, sodass zwei Frauen in der Reihe vor uns sich mit missbilligenden Blicken zu uns umdrehten. Ich schenkte ihnen mein strahlendstes Lächeln. Ein bisschen Freundlichkeit ist die schärfste Waffe. „Ach Süße“, sagte ich zu Phyl. „Kannst du nicht noch ein bisschen deutlicher werden?“

„Es ist immer das Beste, sich der Wahrheit zu stellen, Liebes.“ Sie streckte sich und klappte Die große Scheidung zu, die sie vor dem Treffen mit Jack hatte überfliegen wollen. „Es macht doch keinen Sinn, so zu tun, als wäre es dir egal. Ist doch klar, dass du jede Menge Schmetterlinge im Bauch hast.“

Ich dachte einen Moment lang nach, während draußen grün und golden die Landschaft vorbeihuschte. „Was mich nervös macht, ist nicht der Gedanke, dass ich den Respekt für ihn verlieren könnte; da habe ich keine Befürchtungen. Es ist eher die Achtung, die er mir entgegenbringt – oder auch nicht. Weißt du, Liebes, Juden sind hierzulande nicht besonders beliebt. Nicht einmal ehemalige Juden. Was ist, wenn er diese in der Bronx geborene ehemalige Atheistin und Kommunistin schockierend findet?“

„Schockierend vielleicht, aber eher ein bisschen fesselnd. Es ist wie in einem guten Buch, du musst einfach abwarten, was passiert.“

Der karierte Stoff, mit dem die Sitze bezogen waren, juckte auf der Haut, aber ich lehnte mich dennoch zurück und schob das Rollo über dem Fenster höher. Grüne Felder zogen draußen vorbei, Sümpfe und Flüsse, Bootshäfen und Buchten. Es kam mir so vor, als ob wir etliche Flüsse überquerten, aber vielleicht war es auch nur einer, der in Schlangenlinien zwischen London und Oxford dahinströmte. Auf einer hohen Erhebung rauschten wir an einer kleinen Ortschaft vorbei, wo die Sockel der Schornsteine wie Grabsteine aussahen. Dann durchfuhren wir den kohlegeschwärzten Ort Slough und weiter durch Reading. Das sanfte Schaukeln des Zugs ließ mich schläfrig werden, während ich mir Möglichkeiten ausdachte, was ich als Erstes zu Jack sagen könnte, wenn ich ihn sah.

- Es ist mir eine Ehre und ein Vorrecht.

- Sie haben mein Leben verändert.

- Ich verehre Sie, seit ich beim Lesen von „Die große Scheidung“ auf Ihren Satz stieß: „Niemand sonst findet einander so absurd wie zwei Liebende.“

- Hi, ich bin Joy, und ich bin ein Nervenbündel.

Aber am Ende sagte ich dann nichts von alledem.

Mrs. Lewis

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