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Kapitel 6: DER HEILIGE BERG

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Der heilige Berg ohne Gipfel erhob sich einsam aus der nebligen Landschaft. Die Karawane von Keiler und Wolf, angeführt von einem Gott, marschierte über die weite Ebene hin zu jenem Ort, der sich dunkel gegen einen grauen Himmel abhob. Das letzte Rot des Morgens glomm noch schwach am Horizont und offenbarte in der Weite die Silhouette der Grauen Berge, die hier ihre östlichsten Ausläufer hatten und viel weiter im Westen die südliche Grenze des Waldes der Welt markierten. Das Hochplateau erstreckte sich zumeist flach, lediglich hie und da waren Hügel und größere Felsen, die wie absichtlich platziert schienen und teils mit uralten Symbolen übersät waren, zu sehen. Ausladende Forste zeigten sich nur in weiterer Entfernung, besonders zum Fuße der Grauen Berge sowie gen Norden und gen Süden hin, ebenso umgab den abgeflachten Höhenzug inmitten der Ebene ein ausladender Kiefernwald. Grün waren noch dessen Nadeln, wiewohl die Laubbäume der Jahreszeit gemäß längst ihre Blätter verloren hatten. Braun und matschig bedeckten diese an vielen Stellen die Böden. Im niedrigen Gras war nur wenig Schnee zu sehen. Überhaupt berührte der Winter hier das Land nur flüchtig, denn soweit im Süden verweilte das Weiß nur an vereinzelten Stellen, und selbst die Kälte erfüllte zu dieser frühen Stunde nur zurückhaltend und längst nicht mit aller Härte die Luft. Der Wind rauschte selten und auch sonst war es recht still, bis auf das wiederholte Krächzen einiger Raben, die sich in unsteter Formation immer wieder über dem heiligen Berg zeigten. Irgendwo kreischte ein Falke, der aber selbst vom schärfsten Auge eines Werkriegers noch nicht ausgemacht werden konnte.

In den Nebeln war mit einem Mal das Brüllen eines gewaltigen Löwen zu hören. Vom Süden herauf zog eine weitere Karawane von Erwachten und ihrem Herren, jene vom Klan der Könige der Wüsten und Savannen. Ihre vielzähligen Gestalten schälten sich aus dem Grau heraus und voran schritt ein riesiges Tier mit breiter Mähne, erhabenem Stolz und der auffälligen Eleganz einer Katze. Hinter diesen waren schließlich Matronen mit dunkler Hautfarbe zu erkennen, die in bunten, vor allem aber roten Gewändern folgten. Der Große Vater Löwe hielt inne, worauf seine Streiter und die Zauberinnen ebenso im Marsch stehen blieben. Da ließ er seinen Gruß aus weit aufgerissenem Maul erneut über die Ebene hinweg erschallen, ehe ihm der Brudergott der Wildschweine mit nicht minder lautem Ton antwortete. Ein Heer von Raubkatzen brüllte, ein Heer von Keilern und Wölfen stimmten ein in ein gemeinsames Lied, wie es nur selten die Welt gehört hatte. Es folgte ein kehliges Krächzen eines großen, schwarzen Vogels, der sich soeben vom Berg erhob und für alle sichtbar seine Kreise zog. Höher und höher glitt der Große Vater mit dunkler Schwinge und die Seinen folgten ihm in tänzelnder Formation. Klan Rabe war schon längst eingetroffen. Erneut erklang der Schrei eines Falken. Vom Südosten herbei gleitend zeigte sich der Schwarm der edlen Vögel, der stetig näher kam und bald schon mit den anderen am Ort des Allthings eintreffen würde. Die Götter und Soldaten des Wilden Heeres grüßten einander über das Land hinweg.

Und so als ob Berg und Himmel sie alle gehört hätten, wurde das Firmament direkt über dem Cairn Urathan heller und die Lichtgarben einer eigentlich noch zu tief stehenden Sonne strahlten auf grauen Fels.

Cairn Urathan war im Vergleich zu allen anderen Bergen dieser Welt eine fast einzigartige Erscheinung, denn er glich in der Form der Felswände und des vollkommen abgeflachten Gipfels keinem anderen Höhenzug in den nördlichen Landen. Mit seinen über dreihundert Ellen Höhe und etwa hundert neunzig Ellen Breite mag er wohl von der Größe her nicht allzu imposant wirken im Vergleich zu anderen bekannten Massiven, aber allein der Umstand, dass dieser sich in einer ansonsten fast gänzlich flachen Umgebung abhob und die nächst gelegene Gebirgskette nur in weiterer Entfernung zu erkennen war, ließ ihn wie einen Monolithen von ganz besonderer Bedeutung erscheinen.

Ursprünglich war der Cairn Urathan wohl eine Vulkan gewesen, denn einem solchen glich er in vielen Merkmalen wie der domartigen Gestalt, die sich speziell in den säulenförmigen Auswuchtungen der Felswände und ihrem regelmäßigen Muster zeigte, als auch in der grauen Gesteinsfärbung und aufgrund des ebenen Gipfelplateaus, das aber nur aus der Entfernung als solches erschien und im Grunde ein tiefer Krater war.

Im Alten Glauben hatte der Berg natürlich seine eigene Legende. Der Allvater Erennos wollte einen Ort der Zusammenkunft für seine Kinder erschaffen und so bat er Allmutter Arda, dass sie ihm einen besonderen Platz inmitten des Wilden Landes schenken möge. So tat sie es und ließ den Forst behutsam zur Seite weichen, ehe er mit seiner flachen Hand die Erde berührt und den grauen Berg aus der Erde empor gezogen hatte. In den neun hierauf folgenden Nächten gestaltete er innen wie außen den heiligen Fels gleich einer Form aus Lehm und als er ihn für gut befand, rief er alle Götter und alle Klans zu sich, auf dass diese das allererste Allthing zur Abenddämmerung des zweiten Zeitalters abhalten sollen. Arda hatte aber ebenso noch einen Teil von Cairn Urathan gestaltet um hier einen Platz für die Schwesternschaft zu schaffen.

Die große Ebene, in der sich der Berg erhob, sollte später Aird Wynn Mog genannt werden. Seit jeher war es allein den Erwachten und ihren Göttern erlaubt, diesen heiligen Boden zu betreten und so sollte niemals ein Sterblicher, sei dieser auch Gläubiger oder gar Blutfolger, nur einen Fußbreit auf jenes Land setzen, denn sonst würde er schnell bestraft und bald vergehen. Es heißt, der eine oder andere Erloschen, der sich mit zu großem Forscherdrang zu weit in die Wildnis gewagt hatte, wäre noch augenblicklich beim Überschreiten der Grenze hier verblichen und selbst der Staub seiner Knochen hätte sich mit aufbrausendem Wind schnell verflüchtigt. Doch was ein solcher gewiss noch zuvor erblickt hatte, war die weithin sichtbare Spirale mit den umgebenden Runen, die tief und präzise in die östliche Felswand gehauen war und ein gewaltiges, eindeutiges Symbol des Alten Glaubens und des wahrhaftigen Wirkens der Allerhöchsten darstellte.

Es war nun früher Nachmittag, da der Wildschweingott Toruskorr an der Spitze der Karawane seines Klans und mit dem Klan der Wölfe sowie den Delegationen der Matronen zweier Zirkel den Fuß von Cairn Urathan erreichte. Zwischen den Stämmen des Kiefernwaldes zeigte sich ein Pfad, der durch diesen hindurch und schließlich auf den Berg hinauf führte. In den steil abfallenden Fels war ein nicht allzu breiter Weg gehauen, der sich zuerst die unteren hundert Ellen kreisförmig nach oben herum schlängelte, ehe dieser an der Westseite in schrägen Zacken zum Gipfel hin verlief.

Schnaubend und grunzend stampfte der Große Vater Keiler voran. Schon seit langer Zeit hatte er seine heilige Stimme nicht mehr erhoben, denn die große Macht und Präsenz dieses Ortes forderte andächtiges Schweigen ein. Gleiches galt für die Erwachten, die wortlos folgten. Die Vorhut hinter dem Gott hatten fünfzig Werkeiler übernommen, die in ihrer aufrecht gehenden und gedrungen Kriegsgestalt – die sich vor allem durch lange Hauer im Maul, enorme Schädel auf breitem Torso, Pranken an langen Armen und behufte Beine auszeichnete - stets wachsam auf das Land und die hinteren Reihen blickten, denn vor allem die Abgesandten der Schwesternschaft galt es zu schützen.

An der Spitze des Zugs der Matronen marschierte wiederum Gava Meduna und ihre an Jahren fast gleich alte Schwester Gava Bayagra, die vom Zirkel des Waldes der Keiler, welcher weithin ebenso als der Wald von Bromkeilon bekannt war, stammte. Beide ritten zwar auf weißen Hirschen, aber dennoch strengte die tagelange Reise bereits merklich an. Je höher sie den Cairn Urathan hinauf schritten umso weniger mühevoll erschien ihnen der Weg, denn es gab nur wenige, sehr wenige Orte auf dieser Welt, die einen größeren Fokus an Macht hatten, von welcher sie und die Ihren stetig zehren konnten.

Nur ein einziges Mal hatte Deva Sanara, die gemäß ihres Ranges deutlich weiter hinten folgte, beim ersten Betreten der Hochebene von Aird Wynn Mog mit ihrer Gabe von der Dieswelt kurz in den Weltschatten hinüber geblickt und dort hatte sie den heiligen Berg gesehen, wie er da in leuchtenden Farben brannte und einen gleißenden Strahl weit in den Kosmos hinaus entsandte.

Auch Warug Gottschlächter fühlte, dass er sich auf heiligem Boden befand. Tiefe Ehrfurcht und nicht zuletzt Dankbarkeit für seine Präsenz bei einem solchen Ereignis hatten längst von ihm Besitz ergriffen. Er war allerdings der einzige seiner Schar, der nicht die Kriegsgestalt angenommen hatte, denn alle sollten sehen, dass er in seiner schwächsten Form als bloßer Mensch vor seine Götter treten werde. Seine Kluft war die übliche mit schwarzem Mantel und Hose, auch die geschenkten Stiefel der Nachtkatzen trug er nach wie vor. Ganz heil war er und ohne Schmerz, ja selbst der Name in seinem Fleisch ließ alle vorerst Pein ruhen.

Brander Flammenkrieger, der ihm nach wie vor als Wächter zur Seite stand und seinen Bruder bei weitem überragte, schritt ihm als rotblonder Mannwolf hinterher. Ihm wurde zudem die legendäre Klinge Graufeuer, die der Geächtete von Einst lange mit sich getragen hatte und mit der schließlich der Vater der Wölfe enthauptet worden war, anvertraut, nicht zuletzt um sie beim Allthing zu gegebener Stunde vorzuzeigen und für alle zu präsentieren. Er trug die Waffe aus Silber in einer ledernen Scheide auf den Rücken gegürtet.

Angeführt wurden die neun Rudel aus den Reihen der Streiter Goronds von Simul Reichswächter, einem besonnenen Veteranen und engeren Vertrauten der Erzmatrone Gava Meduna, die ihn persönlich für diese Aufgabe auserkoren hatte. Die Abgesandten von Klan Wolf bildeten die Nachhut, die sich mit der gesamten Karawane schließlich dem Gipfel näherte.

Der zackige und steile Pfad am Westhang endete mit einem steinernen Portal, das direkt unterhalb des Gipfelkraters gehauen war und für einen jeden Wilden Gott in Breite und Höher ausladend genug sein sollte. Rechtwinkelig war es, ebenso der längere Gang, der so einige Ellen und mit gänzlich glatt geschliffener Beschaffenheit weiter führte.

Schließlich erblickten die Pilger den eigentlichen Ort des Allthings: wie ein riesiges Amphitheater mit stufenförmigen Ebenen verlief die Architektur im Krater trichterförmig in die Tiefe, wo sich ein großer, kreisförmiger Platz befand, in dem sich ein ausladend weites Becken mit magisch erleuchtetem Wasser zeigte. Darüber spannte sich wie ein Keil ein erhöhter Vorsprung, der genau in der Mitte des Beckens zugespitzt endete. Im Kreis herum standen hohe, säulenförmige Gebilde, die deutlich sichtbar mit diversen, uralten Symbolen verziert waren. Die erste Ebene darüber war breiter als die anderen angelegt, nicht zuletzt, weil in der ebenso deutlich höheren Wand drei Portale zu sehen waren, die in eine jeweils andere Himmelsrichtung zeigten und deren Einrahmungen jeweils der geometrischen Form eines Kreises, eines Dreiecks und eines Fünfecks glichen. Die neun Terrassen, auf welchen sich aufgrund der Breite eine große Zahl von Erwachten einfinden konnten, waren untereinander mit mehreren Treppen verbunden. Die oberste hatte zudem ausladende Arkaden, die zu beiden Seiten des Eingangsportals endeten. Der Fels hatte hier in der magisch geschaffenen Architektur ein Weiß wie Elfenbein, während jenseits der Arkaden das Gestein des Kraterrands so dunkel war wie der Berg selbst. Über allem war der freie Himmel zu erblicken, der sich nun mit Blau und Wolken zeigte

Toruskorr verweilte nicht lange stehend, aber ehe er mit seiner Pilgerschar die so lange wie breite Rampe, die von der obersten Ebene direkt zur untersten führte, hinunter schreiten sollte, ließ er noch einmal ein Brüllen zur Begrüßung aller ertönen.

Gehört und gesehen wurde sie von vielen, denn einige Götter und Klans, die zum Allthing erscheinen sollten, waren bereits zugegen, ebenso wie die anderen Delegationen der Matronen.

Aus dem Norden der Welt waren der gehörnte Rabengott Krakax und seine Krieger der Lüfte bereits fünf Tage zuvor eingetroffen. Ihre erste Aufgabe war es gewesen, die Vorbereitungen am Versammlungsort zu treffen und mit ihrem Zirkel das Land zu überwachen. Ihr Nest hatten sie im langen Gebirgszug des Ehernen Rückens, der noch weit nördlich vom Wald der Welt lag, aber da sie auf Schwingen eilig durch die Himmel gleiten konnten, war für sie die Anreise natürlich von weniger langer Dauer als für jene, die auf Erden wandelten. Die Werraben, die eine vergrößerte Tiergestalt angenommen hatten, verweilten mit schwarzem, raschelnden Gefieder und gelegentlichem Krächzen oberhalb der Arkaden und am Kraterrand. Neugierig beobachtend und zunächst stumm hockten sie da, ihre Köpfe mit den langen Schnäbeln weit nach vorne reckend. Sodann breitete Krakax seine Flügel aus und begrüßte mit seinem Klan laut und deutlich die Neuankömmlinge.

Von den Klans aus dem Süden der Welt waren zuerst die Löwen eingetroffen. Auf der Kreisterrasse oberhalb der untersten Ebene standen sie in einer offenbar etwas strengeren Formation. Inmitten der Werkrieger mit breiter Mähne ragte der Gott von Wüste und Savanne hoch empor: Mekhimba, der sogar fünf gewundene Hörner wie einem Fächer gleich am Schädel trug. Sandfarben und ocker sein kurzes Fell. Gewaltig groß der Schädel. Strahlend gelb die Augen. Er mochte nur wenige größer als Toruskorr sein, aber seine Erscheinung wirkte noch etwas imposanter, wenn er auch wie die Seinen ein gewisses Maß an zur Schau gestellter Überheblichkeit haben mochte. Das Sandmeer von Al Saidun, eines ihrer beiden Reviere, lag jenseits der tiefen Schluchten einige Meilen weiter südlich und wiederum südöstlich davon ihr eigentliche Heimat Rungbabwe, die Gelbe Weite der großen Herden. Natürlich donnerte ihr Brüllen am Lautesten über den Krater von Cairn Urathan hinaus und so begrüßten sie die Neuankömmlinge.

Fast im selben Augenblick ertönte das laute Kreischen eines prachtvollen Vogels, als sich ein weiterer Klan der Lüfte mit seinem Herren hernieder ließ. Eine ganze Weile waren sie Kreise um den Berg gezogen, doch nun gesellten sie sich zu den anderen und ließen sich direkt auf den äußeren Arkaden hernieder. Rot und blau strahlte das ausladende Gefieder des Falkengottes Horuil, der noch nach der Landung mehrfach mit den weiten Flügeln schlug. Auffällig unauffällig waren bei diesem die beinahe zierlichen Hörner, die jeweils recht eng an seinem edlen Schädel mit den großen, scharfen Augen wuchsen. Seine Klauen krallten sich den Stein des Säulenbogens, der nur wenig knackte und keine Risse bekam. Die Delegation der Seinen war eher klein, was aber nicht am mangelnden Respekt für das Allthing lag, sondern daran, dass ihre Zahl dereinst stark dezimiert worden war und sie seither nie wieder ihre alte Stärke erlangt hatten. Als Nomaden suchten sie immer wieder unterschiedliche Horte auf dem gesamten Kontinent auf. Im Geleit hatten sie nur wenige Matronen, die sich sofort von ihrer merklich kleineren, aber dafür umso bunteren Falkenform in ihre menschliche Gestalt verwandelten. Schnell schritten sie zu den Stufen um weiter hinunter zu gelangen. Die Werkrieger von Klan Falke verweilten in Kriegsgestalt bei ihrem Gott und gemeinsam begrüßten sie mit einem weiteren Ruf aus lauten Schnäbeln die Neuankömmlinge von Keiler und Wolf.

So hatten sich nun vier Götter und fünf Klans auf dem Allthinggipfel des Cair Urathan eingefunden. Die Werkrieger und ihre Herren verweilten vorerst noch für sich und musterten einander mit ausreichendem Abstand, ganz anders als die Vertreterinnen der fünf Zirkel, die nach einer kurzen Verneigung im Angesicht des Ortes die Treppen hinunter schritten zu jenen, die bereits zugegen waren.

Die soeben eingetroffenen und bereits anwesenden Matronen versammelten sich allesamt auf der untersten Ebene, dem eigentlichen Versammlungsplatz zwischen den Megalithen und rund um das magisch strahlende Becken. Laut jubelnd und mit klopfenden Stäben begrüßten sie einander. So vielgestaltig die Werkrieger sein mochten, so an Aussehen und Gewandung unterschiedlich waren die Töchter Ardas. Mehr noch als ihre Brüder verkörperten sie die vielen verschiedenen Kulturen der Welt und dies zeigte sich nicht nur an der Hautfarbe, aber umso mehr an den vielgestaltigen Roben, die dem Anlass gemäß nur aus den feinsten Stoffen mit den prächtigsten Verzierungen samt dem schönsten Schmuck bestanden. Ihre Foki der Macht, die Stäbe, waren zumeist mit diversen Artefakten behangen und mit besonderen Runen versehen.

Da sie für die ersten Riten und für einen Großteil der Organisation des Allthings verantwortlich waren, begannen sie bereits erste Gespräche und ungezwungenen Palaver. Je nach Region und Herkunft waren zwar ihre Sprachen unterschiedlich, doch im uralten Gallach, der einheitlichen Rede der Erwachten, konnten sie sich mit nur wenig Mühe miteinander verständigen, auch wenn man sich zunächst auf die eine oder andere exaktere Betonung einigen musste oder manchen Schwierigkeiten mit gewissen Dialekten zu überwinden hatte. Abgesehen davon, waren sie in erster Linie sehr froh und glücklich darüber, dass sich die so weit verstreute Schwesternschaft nach über zweihundert Jahren zu einer solch heiligen Zusammenkunft hier wieder traf und sie einander so zahlreich sehen konnten. Manche kannten einander von diplomatischen Treffen bereits, während sich andere in der Geisterwelt oder in Träumen begegnet waren. Während also die Werkrieger und Götter vorerst stoisch und abwartend mit ihrer jeweiligen Gruppe verweilten, der Wildschweingott und die Seinen sich gerade erst grunzend auf einer ausgesuchten Ebene versammelten, umarmten sich die vielen, so unterschiedlichen Matronen bereits, lachten über die ersten Scherze und verfielen aber oft sogleich in ernste und tiefgründige Gespräche.

Und da waren noch die allerhöchsten Matronen, die Gavas, die sich nun von Angesicht zu Angesicht zum ersten Mal an einem Ort so sahen. Etwas abseits ihrer Schwestern stand die zuerst Eingetroffene: Gava Suabae aus dem Zirkel von Savanne und Wüste, die eine Haut wie Ebenholz mit weißen Tätowierungen hatte. Geflochtenes, schwarzes Haar, ausladender Schmuck um den Hals, einen abgeschnittenen Teil der Mähne ihres Gottes über die Schultern. Nur mit einem einfachen und doch so vielsagenden Lächeln begrüßte sie Gava Bayagra, die eine rotbraune Robe mit silbernen Hauern als Schmuck trug, und Gava Meduna, die sich golden und grün gewandet hatte. Als diese beiden die Reihen der Ihren durchschritten, verneigten sich tief alle Schwestern von niederem Rang. Die Drei bildeten einen Kreis, umfassten sich gegenseitig an den Schultern und nickten einander lächelnd zu. So viel an Weisheit und Macht, so viel an Verantwortung, so viel an gelebter Zeit. Dann wandten sie sich an die Zirkel und mit einer einfachen Handbewegung geboten sie allen anwesenden Töchtern Ardas, sich wieder zu erheben und fortzufahren mit Kennenlernen und Unterredung.

So mancher Gott und sein Gefolge fehlte aber noch, ebenso wie so manche Gava und die anderen geladenen Zirkel. Es blieben weniger als drei Tage, auf dass diese ebenso eintreffen sollten. Es war nicht ganz gewiss, ob es denn alle vermochten, denn die Kriege, die die Letzte Schlacht voraus gingen, waren andernorts bereits losgebrochen und würden manche aufhalten oder gar davon abhalten, zu Cairn Urathan zu kommen. Manche Reviere im südlichen Teil des Kontinents wurden bereits direkt attackiert, während in den Tiefen der Meere eine gänzlich eigene Situation vorherrschte.

Darüber hinaus war die Einigkeit im Wilden Heer längst nicht mehr so stark wie dereinst und Zwietracht, Misstrauen und Ignoranz herrschten teilweise vor. Es war vor langer Zeit sogar soweit gekommen, dass die Klans des Südens ihrem Bündnis mit dem Norden entsagt hatten. Tatsächlich hatte es großer diplomatischer Anstrengungen bedurft um möglichst alle Delegationen für ein Allthing, so heilig und bedeutend ein solches Ereignis auch sein mochte, zu versammeln. Bis zu dieser Stunde war, trotz aller versendeten Botschaften durch das Geisterreich und einem Treffen auf den vorgelagerten Inseln, nicht gewiss, ob überhaupt nur ein Gott aus den Ozeanen erscheinen würde. Die Hyänen, die sich mit den Löwen seit langer Zeit um Land stritten, hatten lediglich mit einer äußerst vieldeutigen Botschaft, die alles oder nichts heißen konnte, auf den Ruf zur Zusammenkunft geantwortet. Die Klans der Höhlenwelten und ihre Herrscher hatten es erst gar nicht für wichtig genug befunden, die Nachricht einer Zusage oder Absage offiziell zu vermelden.

Demnach war der Ausgang des Allthings und die Zahl sowie der Inhalt der Entscheide, in manchen Belangen mehr als offen. Die Dringlichkeit so vieler Anliegen hätte kaum größer sein können, aber über die Jahrtausende hinweg hatte eine Historie von Ereignissen tatsächlich einen Keil in die Reihen der Erwachten getrieben und manche hielten es sogar für möglich, dass dieser schleichende Zerfall durch den verderbten Einfluss des Einen Feindes geschehen war. Manche wiederum befürchteten, dass selbst die Wilden Götter nur noch zu Beobachtern und viel zu zurückhaltenden Verwaltern von den Geschicken der Welt geworden wären, so schrecklich dieser Umstand für all jene, die die prekäre Lage für die Schöpfung vollkommen begriffen hatten, erschien. Allmutter und Allvater müssten wohl mehrfach beschworen werden, ebenso wie die heilige Aufgabe aller, auf dass das Wilde Heer vielzählig, gewaltig und schrecklich mit eiserner Einigkeit loszustürmen vermochte, wenn es schließlich die Stunde des Untergangs gebot.

Der Sturm der Krieger

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