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Identität – wer bin ich?

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Von der Antwort auf die uralte Frage Wer bin ich? kann abhängen, ob wir unser Leben als gelungen bezeichnen können. Wer bin ich? ist das große Koan des Lebens. Ein Koan, das ist diese seltsame Aufgabe, die weder eine intellektuelle noch eine rationale, sondern nur eine intuitive Lösung findet. Sein tieferer Sinn lässt sich nur in der Versenkung, der Meditation, und nicht mit logischem Denken ergründen.

Wir alle sind eingeladen das größte existierende Koan unseres Lebens zu lösen. Wer bin ich? Was ist meine Aufgabe in diesem Leben? – die Antwort auf diese uralten Fragen nach der eigenen Identität ist nicht nur wichtig für jeden von uns als einzelne Personen, vielmehr ist sie auch von zentraler Bedeutung für alles, was Menschen erschaffen. Der Erfolg eines Unternehmens hat also ebenfalls mit der „richtigen“ Beantwortung dieses Koans zu tun. Und genau davon handelt dieses Kapitel: von der Identität der Person (personal identity) und der des Unternehmens (corporate identity). Beide lassen sich gut durch typisch menschliche Eigenschaften charakterisieren: • wichtig • lebendig • gierig • solide • undurchschaubar • offen • und so fort.

Was die Identität für ein Unternehmen bedeutet, kann anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden: Vor einigen Jahren leitete ein großes Automobilunternehmen in Stuttgart die Wandlung der eigenen Identität ein. Der Hersteller von Elite- und Prestigeautos wollte sich zu einer Qualitäts- und Innovationsmarke entwickeln, unter der auch Automobile im unteren Preissortiment angeboten werden sollten. Dieser Prozess kam einer unternehmerischen Kulturrevolution gleich. Der kundige Leser hat bereits erraten, dass es sich bei dem Automobilkonzern um DaimlerChrysler – genauer: um die Marke Mercedes – handelt. Wie erfolgreich der „Stretch“ der Marke gelungen ist, zeigt der enorme Erfolg der A-Klasse – aus alter Mercedes-Perspektive eher ein Kleinwagen.

Damit eine solche umgreifende Wandlung in Unternehmen erfolgreich vollzogen werden kann, muss die Identität stimmig sein. Die Identität eines Unternehmens ist dessen grundlegendes Selbstverständnis, das sich aus der Tradition (Vergangenheit), der Positionierung am Markt (Gegenwart) und den Visionen (Zukunft) ergibt. Nur wenn diese drei Komponenten zusammenpassen, das heißt, im Fluss sind, entfaltet das Unternehmen Persönlichkeitsstärke oder, anders ausgedrückt, Persönlichkeitskapital (corporate capital). Mit dem corporate capital lässt sich der Marktwert eines Unternehmens sehr viel genauer erfassen als mit der üblicherweise zur Bewertung herangezogenen Finanzstärke. Das liegt daran, dass das Persönlichkeitskapital die Werthaltigkeit eines Betriebes vollständig erfasst. Berücksichtigt werden die Identitäten der Mitarbeiter, das Image des Unternehmens und seine Finanzstärke. Je präziser die verschiedenen Faktoren aufeinander abgestimmt sind, desto besser spielen sie zusammen und desto höher fällt der Wert des Persönlichkeitskapitals aus. Auf diese Weise entsteht eine Identität des Unternehmens, die einzigartig und Erfolg versprechend zugleich ist.

Nun ist jedes Unternehmen und jede Institution ein hierarchisches Gebilde, in dem Meinungen und Aufgaben von oben nach unten weitergereicht werden. Dies gilt immer – auch wenn Sozialträumer das nicht wahrhaben wollen und meinen, sie könnten ein Zusammenleben dauerhaft ohne Rangordnung organisieren. Die Existenz von Hierarchien bringt es mit sich, dass die Führungskräfte – der Vorstand, der Inhaber und Angestellte in leitender Position – den größten Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens haben. Auf ihre Identität kommt es also besonders an. Starke Persönlichkeiten, vor allem wenn sie als Führungskraft an der Spitze stehen, aber auch diejenigen, die auf einer weiter unten liegenden Führungsebene wirken, prägen die Unternehmensidentität ungleich stärker als der durchschnittliche Mitarbeiter. Das Beispiel Jack Welsch und General Electric ist weltberühmt. Sie selbst werden ähnliche Fälle kennen, entweder im eigenen Unternehmen oder bei der Konkurrenz. Nun gibt es auch Situationen, in denen die Persönlichkeitsstruktur des Top-Managements oder des Vorsitzenden nicht zur Identität des Unternehmens passen will. Wir alle erleben häufig mit, wie der Versuch, ein Unternehmen ganz auf die Identität des Vorsitzenden umzukrempeln, scheitert. Üblicherweise wird dann vom Versagen des Managers gesprochen. Das ist aber zu kurz gedacht, denn die Tatsache, dass die Kluft zwischen der persönlichen Identität des Managers und der des Unternehmens einfach nicht in Deckung zu bringen ist, sagt nicht unbedingt etwas über die Unfähigkeit des Managers an sich aus. Die aktuelle Geschichte der Deutschen Bahn mit ihrem großen Führer Hartmut Mehdorn mag das illustrieren.

In diesem Buch geht es vor allem um die persönliche Identität. Deshalb ist es wichtig, sie so gut wie möglich zu durchschauen, um Konflikte zwischen den Identitäten von Führung und Unternehmen, wie oben beschrieben, im eigenen Interesse zu vermeiden. Lesen Sie dazu folgende Zen-Geschichte aus Japan:

Eines schönen Tages bat der Statthalter des Kaisers den großen Zen-Lehrer und Abt eines bedeutenden Klosters in Kyoto um eine Unterredung. Der Diener des Abtes gab dem Zen-Meister die Karte des Statthalters, auf der geschrieben stand: Zuda Tschikagaki, der Statthalter des Kaisers in Kyoto.

Der Meister drehte und wendete die Karte, reichte sie dem Diener und entgegnete ihm: „Mit diesem Mann möchte ich nichts zu tun haben. Er soll gehen.“ Betreten ging der Diener zu dem Statthalter, gab ihm die Karte mit tiefen Verbeugungen zurück und sagte, der Abt könne ihn leider nicht empfangen. Der Statthalter starrte auf die Karte, dann nahm er einen Stift und strich die Worte ,Statthalter des Kaisers in Kyoto‘ durch. Er reichte dem Diener die Karte erneut. Dieser ging zu seinem Lehrer und zeigte ihm sie. „Ah!“, rief da der Abt. „Draußen wartet Zuda Tschikagaki? Sage ihm, ich freue mich auf ein Gespräch mit ihm.“

Hand aufs Herz! Sagen Sie nicht auch zunächst, Sie seien der Inhaber der Firma Groß & Klein, wenn Sie gefragt werden, wer Sie sind? Oder der Vorstand der Bedeutend AG? Mitglied der Geschäftsführung in der International Inc.? Leiter der Abteilung Wichtig? Ich kenne nur eine Visitenkarte, die aus dem Rahmen fällt und ohne die Nennung der Position auskommt, und zwar die des Schweizer Unternehmensberaters Alain Neumann, auf der steht: Alain Neumann, Taglöhner und Mensch.

Gewiss brauchen wir die Definition unserer Tätigkeit, um unserem Gegenüber eine Orientierung zu bieten, aber tragischerweise setzen wir unsere berufliche Funktion allzu oft mit unserer Persönlichkeit gleich. Und damit beginnt das Dilemma. Wenn wir uns nahezu ausschließlich über die Position und die Rolle, die wir in der Gesellschaft haben, definieren, bleibt ein großer Teil unserer Identität unterentwickelt. Denn auch auf uns trifft das zu, was für das Unternehmen gilt: Die Fülle unserer Identität setzt sich zusammen aus dem, was wir an Vergangenem, nämlich die genetische Struktur, das soziale Erbe und die Erziehung, mitbekommen haben, dem, was wir derzeit sind und tun, und dem, was unsere Vision für die Zukunft ist. Die Frage lautet also: Wie können wir eine vollständige, eine lebendige persönliche Identität entwickeln – trotz der vermutlich unvermeidlichen Dominanz unserer beruflichen Identität? Ohne eine Antwort darauf werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit den Absturz früher oder später mit seiner ganzen Härte zu spüren bekommen – spätestens dann, wenn unsere beruflich oder gesellschaftlich definierte Identität überflüssig wird, weil wir arbeitslos werden, weil wir krank sind oder weil wir in Rente gehen. Deshalb ist es so wichtig, eine Lösung zu finden. Hier drei Vorschläge, wie es möglich ist, die eigene Identität zu entwickeln:

Dein Job ist es, frei zu sein

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