Читать книгу Urlaub von der Liebe - Paul Schlesinger - Страница 10

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Auf dem Anhalter Bahnhof ist zum Empfang nur Fritz erschienen. Als er der schwarzen, tief verhüllten Gestalt helfend die Hand entgegenstreckt, ist ihm sonderbar, ein bisschen unheimlich zumute. Seine Sinne nehmen nur einen ganz feinen Duft wahr.

Mit ihrer energischen Hand schlägt Konstanze den Schleier zurück. Nun sieht auch sie erst richtig den Bruder Heinrichs, und er sieht die atmende junge Frau, die nicht am Tode des Gatten starb.

Rasch gehorcht er der plötzlichen Regung, sie um das vertraute Du zu bitten.

„Heinrich wird dir gesagt haben, wie wir Brüder uns liebten. Und ich werde dein Bruder, Konstanze.“

Sie braucht nicht viel zu sagen, sie hat diese grossen unmittelbaren Augen.

Während Onkel Oskar das Gepäck zum Wagen besorgt, folgt Fritz abermals einer plötzlichen Regung, die er beim Sprechen sofort bedauert, aber er sagt es:

„Die Eltern freuen sich so, dass du gekommen bist. Eine unserer Verwandten kennst du ja wohl —“

Wird nicht Konstanze einen Schatten bleicher?

„Agnes Gundermann?“

Klang ihre Stimme nicht ein bisschen unsicher?

„Sie ist jetzt verheiratet, Agnes Thüssing.“

„Ja, richtig — Heinrich erzählte mir —“ Nach einigem Besinnen fügt sie entschlossen hinzu: „Uebrigens konnte ich mir denken, dass Agnes mir nicht sehr herzlich entgegenkommen wird.“

„Deshalb sagte ich dir, Konstanze, ich bin dein Bruder.“

Nun nimmt er ein Lächeln, aber ein halb schmerzliches, halb verächtliches wahr.

„Ich danke dir, Fritz. Aber in diesem Falle brauche ich keinen Schutz. Ich danke dir nochmals, Fritz, denn gute Meinung tut immer wohl. Aber es droht mir keine Gefahr. Onkel Oskar hat mir auf gute, liebe Art gesagt, es wäre meine Pflicht, zu Heinrichs Eltern zu gehen. Also tue ich meine Pflicht. Was Agnes und ich gegeneinander haben, dafür gibt es sozusagen keine Dokumente. Mädelgeschichten — längst verjährte. Und überdies zweierlei — erstens kann ich für jede meiner Handlungen einstehen, und dann bin ich immer mir selbst gegenüber verantwortlich, nicht wahr? Ich komme als freier Mensch, und ich werde als ein freier Mensch gehen.“

„Nicht zu bald — nicht zu bald,“ sagt Fritz herzlich.

Und sie lächelt mit traurigen Augen noch freier.

„Jedenfalls wird es nicht von Agnes Thüssing abhängen.“

Dann kommt Onkel Oskar mit einer Blechmarke für das Auto zurück.

Im Treppenflur schliessen Robert und Mathilde die Frau des Sohnes in die Arme. Sonderbar, man bereitet sich vor, man denkt sich aus, aber die Frau eines Sohnes besteht nur in der Idee. Dann ist sie plötzlich da, atmend, weich, mit glatter Wange und suchenden, ängstlichen Augen — und so fremd und geheimnisvoll — und man küsst die fremde Wange. Man sagt Du und ist herzlich besorgt — um eine so Fremde. Man muss sich gewöhnen an Hand und Mund, an Geste, Stimme — an Kleider — es ist aufregend.

Robert Gundermann hat den Geschmack einer fremden jungen Dame auf den Lippen. Mathilde fühlt den Stachel der Eifersucht — eine schmerzende Sekunde — aber Heinrich ist ja tot, und er soll in Frieden ruhen.

Und alle geben sich Mühe, den immerzu sich meldenden kleinen Missverständnissen auszuweichen — und dann geht es — weil Konstanzens Auge auf besondere Art spricht. Man fühlt, es geht.

Onkel Oskar kann endlich den Dank der Familie in Empfang nehmen und sich nach Hause trollen.

Aber Konstanze ruht in dieser ersten schlaflosen Nacht in Heinrichs Bett, in dem einfachen Bett, das ihm, wie die Mutter erklärte, zum achtzehnjährigen Geburtstag geschenkt wurde.

Heinrichs Bett — Konstanze spürt etwas von den Sorgen und den Wünschen, die sich in diesem Bett ausweinten — in diesem Bett, in dem noch keine Frau gelegen, bis Heinrichs junge Witwe kam.

Und sie spricht ins Dunkle: Vielleicht war ich nie so Heinrichs Frau. — —

Am dritten Tage befindet es Frau Agnes Thüssing für gut, der Frau Heinrichs einen Besuch zu machen.

Fritz denkt: Agnes weiss, was sie tut.

Die beiden jungen Frauen kommen sich entgegen und küssen sich.

„Man konnte es nicht ahnen, wie man sich sehen würde.“

„Nein, man konnte nicht —“

Dann setzt das allgemeine Geplauder ein. Fritz hört einen kühlen Strom von Gesellschaftlichkeit. Konstanze versteht, ihr Schifflein zu lenken, ohne viel Aufhebens zu machen. Stumpf und ereignislos geht das Gespräch zu Ende.

Am fünften Tage erwidert Konstanze den Besuch.

Der Ton gleitender Kühle ist derselbe, auch als Agnes beiläufig fragt:

„Hast du wieder mal was von Gerhard Stein gehört?“

Wäre sie nicht im schwarzen Schleier dagesessen, hätte Konstanze laut aufgelacht. So aber sagt sie ruhig:

„Natürlich — wir stehen ja in dauernder Beziehung. Gerhard Stein brachte mir auch die Nachricht von Heinrichs Tod. Heinrich hat es so eingerichtet, dass die Meldung zuerst telegraphisch an Stein gegeben wurde. Sie waren auch sehr befreundet.“

„So — ich kannte ja Stein nur vom Sehen und etwas vom Hörensagen. Aber ich hätte nicht geglaubt —“

Konstanze sagt bestimmt: „Sie haben sich beide sehr geschätzt.“

„Ist eigentlich Stein geschieden?“

„Nein —“

„So —“

Dann sprechen sie von anderen Dingen.

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