Читать книгу Urlaub von der Liebe - Paul Schlesinger - Страница 11
ОглавлениеNun ist Konstanze seit sechs Tagen im Hause Gundermann. Es ist ein stilles Haus. Robert Gundermann geht seiner Arbeit nach, aber die Haut an Wange und Hals ist schlaff geworden, das Auge nicht mehr von der alten Lebenskraft. Er ähnelt irgendwie seinem Bruder Oskar.
Mathildens Tränen sind versiegt; aber sie ist abgemagert, und ihre Gedanken sind noch fern.
Fritz hat die Uniform ausgezogen. Der Arzt hat entschieden, dass eine weitere Verwendung im Heeresdienst ausgeschlossen ist. Nun weiss er, dass die Schwäche im Arm zurückbleiben muss. Auch der Fuss macht ihm zu schaffen, und es wird Jahre dauern, bis er ihn mit der alten Rüstigkeit setzen wird. Aber er fühlt sich nicht als Krüppel. Morgens ist er eine Stunde vor dem Vater in der Fabrik. Mit Künstlern beratschlagt er allerlei; was für Ostpreussen nötig sei — was bei Gundermann ausgeführt werden könne. Ab und zu kommt Onkel Oskar auf eine oder zwei Stunden.
Das Haus ist still geworden — und hat doch seinen besonderen, eigentümlich singenden Ton erhalten. In den Zimmern ist ein Duft, der vorher nicht da war — Konstanzens Duft. Als Gundermanns ihn im ersten Augenblick wahrnahmen, dachten sie: Nun ja, Theater, Parfüm. Aber Konstanze parfümiert sich nicht. Man weiss nur, wo sie gewesen — ein zarter Wohlgeruch vom jungen Weibe, den Robert Gundermann spürt, wie seine Frau, wie sein Sohn. Man hat sich in aller Selbstverständlichkeit zusammengefunden. Mit dem Du war der fehlende Zusammenhang plötzlich hergestellt.
„Wir werden dich nicht viel fragen, liebes Kind — du ruhst dich bei uns aus, dann werden wir weiter sehen.“
Konstanze ist dankbar und klug. Sie lässt sich nicht beweinen, und ihre flinken Hände schaffen herbei, was das Auge der Mutter nur eben gesucht. Es ist so natürlich, dass Konstanze der alten Frau eine Arbeit nach der andern wegnimmt.
„Du verwöhnst mich, Kind —“
Manchmal ist es Mathilde, es könnte ein Leben so weiter gehen. Aber zuweilen geschieht es auch, dass sie es nicht glauben kann. Das ist, wenn sie Konstanze ansieht und dann den Blick nicht von ihr wenden kann. Wenn sie spricht, gleichviel, was, nur um dieses ferne Lächeln in den goldbraunen Augen zu sehen, oder den blühenden Mund, wenn er antwortet. Sie spürt den Liebreiz mit den Sinnen des Sohnes. „Wenn Heinrich dich früher gebracht hätte — wie anders wäre alles geworden —“
Ein Seufzer.
Fritz ist stolz auf die Schwägerin. Gewiss, ihr Liebreiz rührt ihn, wie der Duft ihn sonderbar bewegt. Aber er ist stolz auf sie aus anderen Gründen. Man hatte ja wohl seine Angst vor Konstanze. Er ärgert sich fast, dass sie eine geborene „von“ ist, wenn auch der Adel nicht eben alt. Ein Bürgerkind hätte sie sein sollen, aber so Dame, wie sie ist — so untadelig in ihrer Ruhe, so unauffällig in ihrem schwarzen Hauskleid. Freilich, die Augen, der Mund, das Haar — sie lassen sich nicht verbergen. Aber wichtiger ist ihm die Ruhe und die Würde, in der sie mit den Damen Gundermann jeden Vergleich aufnehmen kann. Er ist ihr ritterlichster Diener geworden.
Und sie sieht ihn als den Bruder Heinrichs. Hat er nicht dieselbe gedrungene Stirn, dieselbe zähkräftige Gestalt? Nur Heinrichs Augen waren dunkel, bittend, demütig. Und Fritz ist ganz Tatsachenmensch; trotz der Schwäche in Arm und Fuss von Leben erfüllt. Heinrich war ein Abschiednehmender — seit Jahren.
Abends, wenn sie auf dem Balkon sitzen, muss Konstanze von Heinrich erzählen. Sie tut es schlicht, ohne Aufwand von Tränen, sie umgeht alles, was peinlich sein könnte. Plaudert von seinen kleinen Erfolgen, vom Leben am Theater, das ihm so schwer wurde, weil er die Schliche der Intriganten nie gehen wollte. Als nach ein paar Tagen seine Bücher und Noten ankommen, ist es ein erinnerungsreiches Auspacken. Konstanze weiss, was Heinrich bewegt hat, weiss auch, dass seine Hoffnung, das Kunstwerk zu meistern, nie ganz geschwunden ist. Haufen von beschriebenem Notenpapier bezeugen es. Und die Mutter hält mit brennendem Auge diese Blätter in der Hand, deren kritzlige Rätselschrift nie erklingen soll.
„Und meinst du nun, Konstanze, dass das gar nichts wert ist?“
Konstanze sucht und findet rasch die Antwort: „Es ist mehr wert als vieles, was sich auf der Gasse breit macht. Es ist nämlich eines bei diesen Dingen, was von allen, die es kannten, geschätzt wurde. Es ist Erfindung darin, mehr als ein reizendes Melodiechen. Aber, was ihm im Anfang so ganz fehlte, die Kunst des Aufbaus, der Verarbeitung — weisst du — die eigentliche Vertiefung der Gedanken, — das hat er nur langsam nachgeholt — oder er war erst im Begriff, es zu tun.“
„Aber ist nicht der Einfall die Hauptsache, Konstanze?“
„Ja und nein, Mutter. Ja, wenn einer so persönliche Einfälle hat, dass man bei jedem Strich die besondere Hand spürt. Aber wenn einer erst mal so auf die Welt gekommen ist, dann hat er — gewöhnlich — das andere auch bei sich.“
Und die Mutter: „Man möchte sein Andenken ehren, indem man irgend was tönen lässt.“
„Der Ton verklingt, Mutter, und unser Andenken ist seine beste Ehre.“
Fritz ist bei diesem Gespräch dabei und sieht, wie schwer es Konstanze wird, ihre grosse Ruhe aufrecht zu halten.
Dann kommen die Bücher. Nicht mehr als zwei kleine Kisten, aber von gewähltem Gehalt. „Es ist eigentlich das einzige Gegenständliche, was wir zusammen gehabt haben.“
„Du sollst es behalten, Kind.“
„Nicht doch, Mutter. Ich könnte es nicht so pflegen, bei meinem Hin und Her.“
Und Fritz fragt mit trockenem Halse: „Aber du wirst immer kommen, wenn du bei den Büchern sein willst.“
„Noch bleibt sie ja bei uns,“ sagt die Mutter warm. — —
Erst mit den Büchern ist Heinrich in das Vaterhaus zurückgekehrt, Konstanze ganz verbunden. Die Unterbringung macht einige Schwierigkeiten; wie sie gelöst wird, bestimmt das Weitere. Das ist so mit den Jahren gekommen, dass das Balkonzimmer mit Robert Gundermanns Schreibtisch und den breiten, bequemen roten Ledermöbeln der allgemeine Wohnraum wurde. Daneben der Salon in dunkelgrüner Seide war eigentlich vom täglichen Verkehr weniger berührt. Hier steht Heinrichs Flügel. Hier werden seine Bücher und Noten aufgestellt und weisen ihren guten Inhalt mit goldbedruckten Rücken. Eine Tür weiter aber ist Heinrichs Zimmer, das nun seine Frau bewohnt. Dort ist sein Bett, und dort sind in anderen Schränken seine Entwürfe und Studien, seine Lehrbücher. An den Wänden ein paar kühne Bilder von fremder Hand. Auf dem breiten Toilettentisch aber das ansehnliche Rüstzeug der Schauspielerin mit Scheren, Feilen, Kämmen, Bürsten.
Einmal sagt die Mutter, als sie mit den Männern allein ist, lächelnd:
„Ich habe nie geglaubt, dass eine Schauspielerin auf so pedantische Ordnung halten könnte.“
Als die erste Woche verflossen ist und in das schwere Grau der Trauer schon freundlichere Töne der Vertrautheit klingen, meint der Vater:
„Man müsste nun den Tod Heinrichs in der Zeitung anzeigen.“
„Ich dachte, ihr wolltet überhaupt nicht —“
„Doch, Konstanze. Und wenn’s aus keinem anderen Grunde ist als um Fragen zu entgehen. Die nächsten Verwandten wissen es ja natürlich. Aber du kannst dir denken, wie peinlich es ist, womöglich nach Monaten dies und das gefragt zu werden. Wir wollten erst mit dir ins reine kommen. Denn es ist natürlich, dass du die Anzeige machen musst.“
Konstanze nickt: „Aber ich habe dann auch noch eine Bitte.“
„Welche, Kind?“
„Dass die Beziehungen zu meinem Vater hergestellt werden.“
„Aber gewiss, Konstanze, wir warten ja nur darauf, dass du uns von ihm was sagst.“
Konstanze neigt den Kopf. „Man kann eben nicht alles an einem Tage erledigen.“
Dann erzählt sie ruhig und einfach von dem Königlichen Oberbaurat Eduard von Distel, der zwar im Ministerium der öffentlichen Arbeiten ein ansehnliches Gehalt bezog, aber mit allerhand Spekulationen geschäftlicher und künstlerischer Art sein Vermögen und schliesslich auch seine Stellung verlor, seelisch zusammenbrach, als ihm die Frau gestorben, und der nun mit Konstanzens einziger Schwester lebt.
„Hast du dich denn mit ihm überworfen?“
„Nein, nicht eigentlich; aber das Leben in dem Hause wurde traurig, und ich hielt es nicht aus. Denkt euch einen Menschen — ich kann es ja nicht beurteilen —; aber Christine und ich haben aus unserer Kinderzeit die deutliche Erinnerung an einen fröhlichen, starken, bedeutenden Menschen. Und es traf ihn in guten Jahren so schwer, so unwiderruflich. Ich lief weg — Christine blieb. Ich habe in den Jahren schwer am Gewissen gelitten. Und ich hatte ja nur die eine Genugtuung, dass es mir nicht besser ging.“
„Du hattest doch Heinrich —“
„Ja — Heinrich, Mutter; aber stelle es dir nicht leicht vor! Alles macht die Liebe nicht gut; der Künstler, der kämpft, der sich durchsetzen will, und der nur mühevoll einen Schritt nach dem andern vorwärtskommt — der wird von so bösen Zweifeln heimgesucht. Manchmal kneift er sich in den Arm, nur um zu wissen, ob er noch lebt.“
„Und du hast dem Vater nie geschrieben?“
„Gewiss, Mutter, ich schrieb an Christine, sie weiss auch, dass ich mich verheiratete. Ihre Briefe waren karg, und selbst wenn ich — was mal geschah — in Berlin war — ich traute mich nicht hin. Aber jetzt will ich hin.“
„Warum jetzt?“ — Fritz fragt es leise.
„Sieh, Fritz, das mit dem Vater habe ich früher selbst nicht begriffen. Man trauert nicht bloss um eine zerstörte Jugend. Man zürnt auch. Man malt sich ja auch aus, wie es den andern gegangen ist, all den Distelkindern, deren Väter in den Ministerien sassen. Sie waren vielleicht nicht gerade von Talent geplagt, und das Leben ging dennoch seinen Gang; man heiratete oder wurde ein altes Jüngferchen und versauerte so. Aber zu essen hatten sie alle, und eine saubere, sorgenlose Luft im Hause. Da zürnt man einem Vater — ob es recht ist oder nicht. Heute weiss ich, dass ich ihm ähnlicher bin als Christine, die mehr aushält, weil sie mehr von der Mutter hat.“
„Und du willst geradenwegs zu ihm gehen?“
„Nein, Papa.“ Konstanze richtet die bittenden Augen auf Fritz. „Wenn Fritz mir den Liebesdienst erweisen will. Er wird hören, wie es steht — und wenn ich darf, will ich kommen.“
Fritz sagt eifrig zu.
„Ihr müsst verstehen. Ich bin jetzt auf einem Punkt, wo ich alle meine Kräfte sammle. Ich denke nach, denke so viel nach. Ich habe euch gefunden und denke auch, was Heinrich zu dem und jenem sagen würde. Und ich muss alles beisammen haben, bis ich mich entschliesse.“